Die Angst geht um.
Die Angst geht um.
Wir müssen aufpassen.
Wer zuviel wagt, dem geht es an den Kragen.
Wenn wir in Teheran als Cellistin auftreten, ziehen wir uns lieber ein Kopftuch an, wohlwissend, dass wir dort ganz viele Menschen sonst beleidigen würden, vor allem diejenigen, die weder Frauen noch Musik mögen. Wir machen das einfach aus Respekt vor anderen Kulturen. Bei uns zuhause zwingen wir natürlich auch keinesfalls iranische Cellistinnen das Kopftuch abzulegen, denn wir sind ja tolerant und wollen unsere Gäste nicht beleidigen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Überhaupt müssen wir einfach viel vorsichtiger sein.
Wir sollten keine Punkmusik in russisch-orthodoxen Kirchen spielen, vor allem nicht, wenn wir uns darin über sowohl Staat als auch Kirche lustig machen. Am Ende sperrt man uns vielleicht einfach weg. Lieber schweigen. Lieber nichts sagen.
Wir sollten auch lieber keine Karikaturen über Mohammed machen, weil wir sonst vielleicht eines Morgens zu einer Redaktionssitzung gehen und einfach abgeknallt werden. Lieber ernst bleiben. Lieber nicht lachen.
Wir sollten auch nicht als ukrainische Pianistin unsere politische Meinung auf Twitter posten, da es sonst sein kann, dass man unsere Konzerte aus Angst vor Beschwerden im Publikum einfach absagt, wie zum Beispiel neulich in Toronto. Lieber schweigen. Lieber nichts sagen.
Wir führen auch keine Theaterstücke von berühmten Regisseuren auf, in denen ein unsympathischer Jude vorkommt, in Tel Aviv, ja, da kann man sowas machen, aber doch auf keinen Fall in Deutschland, und schon mal gar nicht in Frankfurt. Es ist besser, eine solche Aufführung abzusagen. Denn jemand könnte beleidigt sein.
Wenn wir in Berlin wohnen und Komponist sind, sollten wir nicht etwas an Pfingsten wagen, ein Stück namens „Adhan“ aufzuführen, in dem ein Carillon den transkribierten Gesang eines Muezzins spielt. Das ist ja sicherlich gut gemeint, aber selbst wenn sogar Moslems diese Aufführung begrüßen und als friedliche Begegnung der Religionen feiern…wir haben einfach Angst, dass irgend jemand beleidigt sein könnte. Und irgend jemand ist immer schnell beleidigt. Lieber sagen wir das ab. Und wenn wir uns dann entscheiden, es doch aufzuführen, dann wird einfach der Carillonist mal schnell krank. Ist einfach sicherer so.
Auch sollten wir es nicht etwa wagen, mit Genfer Kindern eine Kinderoper für die ganz Kleinen von Benjamin Britten aufzuführen. Denn diese Oper heißt „Noahs Sintflut“, und kleine Kinder sind noch nicht reif genug, um mit so heiklen Themen wie Religion umzugehen. Das könnte manche Eltern dieser Kinder beleidigen, die vielleicht anderen Religionen angehören. Da muss man einfach tolerant sein, und diese Oper lieber absagen. Das ist einfach sicherer. Lieber niemanden provozieren.
Wenn man Autor dieses Blogs ist, sollte man keinesfalls wagen, ein parodistisches Stück über Pegida zu schreiben. Auch nicht für ein Ensemble mit dem schönen Namen „notabu“. Denn dann ruft einen vielleicht die BILD-Zeitung an, und befürchtet, dass man damit Pegida vielleicht aufwertet. Lieber nicht aufführen. Lieber schweigen. Lieber nicht über Pegida reden, denn schlafende Hunde soll man nicht wecken.
Überhaupt müssen wir einfach viel vorsichtiger sein.
Willkommen in der Welt der Toleranz und der Tabus.
Willkommen in der Welt der politischen Korrektheit.
Willkommen in der Hölle.
Moritz Eggert
Komponist