Der Schatten des Zensors.

Was ist eigentlich mit unserer Welt los?
Die so genannte freie Welt fühlt sich den Terrordiktaturen und Religionsfanatikern überlegen, aber im Moment beginne ich zu zweifeln, wie weit wir uns diese Freiheit noch selber erlauben.

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Ich rede von der Angst, Dinge auszusprechen. Von der Angst, seine Meinung zu sagen. Weil man es sich mit niemandem verderben will, weil man nirgendwo anecken will. Weil immer irgendeine Minderheit beleidigt sein könnte. Ich rede von dem Gespenst der „politischen Korrektheit“.

Natürlich war es irgendwann mal sinnvoll darüber nachzudenken, ob die Diskriminierung von Randgruppen nicht auch schon in der Sprache beginnt, in unseren Medien, in Kunst und Kultur. Aber inzwischen nimmt das Ganze Formen an, die uns immer mehr zu Sklaven einer fast schon paranoiden Angst macht, vielleicht das Falsche zu sagen. Deswegen ist jetzt auch der Begriff „Negerkönig“ aus Pippi Langstrumpf – einem der phantasievollsten und freiheitlichsten Kinderbücher das es gibt – entfernt, auch wenn der gar nicht diskriminierend gemeint war. Vielleicht ist das ein harmloses Beispiel, aber: es ist Zensur. Anstatt dass man eine editorische Fußnote einfügt (man traut den Kindern anscheinend nicht zu, dass sie etwas über die Zeit lernen, in der Pippi Langstrumpf geschrieben wurde), lässt man lieber alles potentiell Anstößige weg. Und betreibt damit eine viel größere Diskriminierung – man erklärt Millionen von Lesern, die bisher keinerlei Problem mit Pippi Langstrumpf hatten, für dumm und unmündig.

Es gibt zahllose solche Beispiele in jüngerer und auch nicht mehr ganz so junger Zeit. Nach wie vor verhindert man Aufführungen von Fassbinders „Die Stadt, der Müll und der Tod“, nur weil Fassbinder – der weder Nazi noch Rassist war – es gewagt hat, einen unsympathisch handelnden Juden in seinem Stück auftauchen zu lassen. Lars von Trier macht einen eindeutig als reine Provokation gemeinten Scherz auf einer Pressekonferenz und wird dafür weltweit von den selbsternannten Gutmenschen geächtet. Auch ein Stockhausen musste für seinen im Moment sicherlich pietätlosen, aber dennoch zutiefst wahren Kommentar zum 11. September überproportional büßen. Und vergessen wir doch nicht was los war, als John Lennon die Beatles – rein rhetorisch – mit Jesus verglich. Und den feige ermordeten Charlie-Hebdo-Machern wird noch posthum vorgeworfen, sie hätten ja mal lieber ein paar weniger Witze machen sollen.

Das alles ist zum Kotzen. Was verschwiegen wird, wird nicht plötzlich geheilt. Und jede (notwendige) Diskussion wird im Keim erstickt. Ich scheiße auf diese politische Korrektheit, weil sie aus dem selben Geist kommt, der uns die schrecklichsten Momente der Geschichte beschert hat, wir alle wissen, wovon ich spreche.

Was heute anders ist: Durch die mediale Macht von Facebook, Google und Twitter ist inzwischen alles was wir sagen – auch wenn wir nicht weltberühmt sind – verewigt und geistert uns als digitaler Schatten der Erinnerung hinterher. Das mag peinlich sein, wie Fotos aus der Suffnacht mit den Kumpels bei der Abifeier, aber es können auch unsere vielleicht streitbaren Äußerungen zu irgendeinem aktuellen Thema sein. Nun ist es ein Grundrecht einer Demokratie, eine eigene Meinung zu den Dingen zu haben. Eine Demokratie muss auch abwegige Meinungen verkraften – sie muss sie nicht gutheißen, aber sie darf sie auch nicht zensieren. Inzwischen wird aber diese Zensur schon von den eigenen Bürgern besorgt, und es gibt dabei immer spektakulärere Fälle.

So wurde gerade in Toronto ein Konzert mit der ukrainischen Pianistin Valentina Lisitsa wegen angeblich „beleidigender“ Kommentare von ihr auf Twitter vom Toronto Symphony Orchestra komplett abgesagt. Was hatte sie getan? Sie hatte sich zur Situation in der Ukraine geäußert und dabei die ukrainische Innenpolitik scharf kritisiert, Politiker beschimpft. Daraufhin hatten sich Mitglieder der ukrainischen Gemeinde beim Symphonierorchester beschwert, das daraufhin die vollkommen unnötige Konsequenz einer Absage ihres Klavierkonzertauftrittes zog.

Man muss wiederholen: Man muss Lisitsas Tweets nicht gut finden und man darf sie auch dafür kritisieren – dem setzt sie sich auch aus, wenn sie es auf Twitter veröffentlicht. Man kann sich auch entscheiden, deswegen ihre Konzerte nicht zu besuchen, das ist jedermanns Recht. Ihre Auftritte abzusagen ist aber ein Skandal, denn man vermischt hier plötzlich private Meinung und Beruf und lässt sich von Interessengruppen (die sehr oft ebenso diskriminierend agieren, wie sie es anderen vorwerfen) instrumentalisieren.

Der umstrittene russische Dirigent Gergyev (über den hier auch schon geschrieben wurde) ist ein weiterer solcher Fall. Bisher ist es zu keinem Auftrittsverbot in München gekommen, aber man hat den Eindruck, dass manche ihm dies gerne erteilen würden, hätten sie die Macht dazu. Ja, Gergyev findet Putin gut, ja, er hat dessen Innenpolitik und schwulenkritische Propaganda gutgeheißen, aber er darf diese Meinung äußern. Man darf gegen ihn vor der Philharmonie demonstrieren, man darf kritisch über ihn schreiben, man darf seine Konzerte nicht besuchen. DAS sind die Mittel einer Demokratie, und es sind mächtige Mittel. Ein Berufsverbot für Gergyev dagegen ist eine Katastrophe, eine Kapitulation, es wäre ein Verbrechen.

Dass die politische Korrektheit mitunter vollkommen bizarre Formen annimmt, soll dieses Beispiel verdeutlichen, dass mich zum Schreiben dieses Artikels veranlasst hat. Ein Student von mir hatte den Auftrag, ein Melodram für Zupforchester und Sprecher zu komponieren. Mit dieser zugegeben nicht sehr einfachen Aufgabe quälte er sich vor allem bei der Stoffsuche sehr herum – ich empfahl ihm „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“, einen hintersinnigen, poetischen und zutiefst ironischen Text des großen Heinrich von Kleist. .

Das Werk entstand, wurde geprobt und erzeugte keinerlei musikalischen oder künstlerischen Probleme.
Dann wurde es – kurz vor der Aufführung – abgesagt. Warum? Eine Mitwirkende beschwerte sich, weil sie den Text als „zu religiös“ empfand.

Der es zu Lebzeiten nun wirklich nicht leicht gehabt habende Heinrich von Kleist hätte es sich damals sicherlich nicht denken können, dass einer seiner unverfänglichsten und bezauberndsten Texte 205 Jahre nach seiner Entstehung (!) von angeblich modernen und gebildeten Menschen als so provokant eingeschätzt wird, dass man ihn zensieren muss.

Und da hört’s wirklich auf. Wie kann es noch weitergehen? Goethe zensieren (Aufstachelung zum Selbstmord)? Shakespeare zensieren (potentieller Rassist)? Wenn Kleist, einer der wichtigsten Autoren der deutschen Literaturgeschichte, zensiert wird, ist alles, aber auch wirklich alles möglich. Und wie erbärmlich ist das.

Müssen wir alle ständig Angst haben, eine unpopuläre Meinung zu vertreten? Müssen wir jedes Wort auf die Goldwaage legen, weil vielleicht sonst irgendwann nachts die Polizei kommt und uns als „Bombenleger“ einsperren will, so wie Boulez??

Ich fürchte die Antwort muss sich jeder selber geben.

Am besten im stillen Kämmerlein, wo es keiner mitbekommt.

Pssssst.

Moritz Eggert

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4 Antworten

  1. Die Diskussion war überfällig.

    Eine Studentin weigerte sich einmal ein Schumann – Lied zu begleiten, da es, um den Idealen der Freiheit zu folgen, im Text zu Frau und Kinder hiesst „Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind“. Dies sei frauenfeindlich. Zudem habe Clara das Geld für die Familie durch Konzerte verdienen müssen – nur damit Robert ungestört komponieren konnte. Dass das ihr Beruf war und es für eine Frau damals mutig war ihn auszuüben und sie wohl selbst auch Freude daran hatte, Konzerte zu geben, spielte hier natürlich keine Rolle. Ein befreundeter Orchestermusiker meinte einmal ironisch, er könne bei dieser Operette nicht mitspielen, denn auf den Plakaten würde stehen „Der Zigeunerbaron“. Es müsse aber richtig heissen:
    „Der vermeintliche Baron der ethnischen Minderheit der Sinti und Roma“. „Vermeintlich“, da es kein echter Baron sei und anderenfalls durch den originalen Titel das Publikum belogen würde. Wikipedia spricht bei dieser Operette übrigens auch ständig von „Zigeunerin, Zigeuner oder Zigeunern“. Es ist sogar von „wüsten Beschimpfungen gegen die Zigeuner durch Zsupan“ im Libretto die Rede.

    Wann wird diese grauenvolle Operette endlich verboten?!

  2. Wahnsinn – der von Dir zitierte Schumann-Text ist ja aus den „Zwei Grenadieren“, und da wird keineswegs Schumanns eigene Meinug über Frauen wiedergegeben, sondern es werden napoleonische Soldaten beschrieben und deren Vaterlandstreue überzeichnet und polemisch beleuchtet. Das ist genau so wie wenn man sich weigert in „Macbeth“ mitzuspielen, weil da Morde geschehen.
    Haben die Menschen die Gabe (die alle Kinder von Natur aus hervorragend beherrschen) nämlich Wirklichkeit und Phantasie zu unterscheiden, komplett verloren?

  3. Lieber Moritz,

    ja, es scheint so, dass das Spiel der Phantasie (heute Schleichwerbung für eine Getränkemarke: Fanta – sie) und die Wirklichkeit nicht mehr als das gesehen werden, was sie sind. Oft habe ich auch das Gefühl, dass Ironie und Satire nicht mehr verstanden werden. Der Studentin war vielleicht klar, dass es sich im Schumann – Lied um ein „Spiel“ handelt. Wenn Schumann aber einen solchen Text vertont, macht er sich gleichsam mitschuldig, denn er trägt den Inhalt in die Öffentlichkeit und wer weiss schon, ob die Leute die Ironie verstehen… Diese bösen Komponisten!

  4. Das mag alles so sein, aber manchmal fragt ein Zivilisationsbeduerfniss um eine Korrektion, wie ‚Neger’in ‚Afrikaner‘ verwandelt wird. Eine Zivilgesellschaft beruht auf Zensur, Unterdrueckung primitiver Instinkten, wie Freud schon vor hundert Jahren polemisierte (‚Das Unbehagen in der Kultur‘). Also, es handelt sich nicht um die Frage: Zensur oder keine Zensur, aber: welche Zensur waere die Richtige? Und unter ‚richtig‘ hofft man zu verstehen: was die Zivilisation unterstuetzt.