Kulturpolitik und persönliches Engagement 2015 – Suche nach neuen Wegen

Kulturpolitik 2015 – Suche nach neuen Wegen

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Blicken wir auf Baden-Württemberg mit seiner SWR-Orchesterfusion und seinen Musikhochschulen. Extrem verkürzt lässt sich feststellen, dass alles Engagement in puncto Orchesterfusion gegen die Wand lief, bei den Musikhochschulen die schlimmsten Eingriffe verhindert werden konnten. Hier ein kleines Resümee:

SWR-Orchesterfusion:
Zwei Rundfunkinstitutionen werden gegeneinander ausgespielt, selbst der Standortgewinner Stuttgart verliert, muss eine andere Repertoire- und Spielkultur mit seiner vereinen, regionale Aufgaben des Verlierers Freiburg/Baden-Baden zusätzlich stemmen.
Es geht „nur“ um den Bereich Kultur, die Nische klassische Musik.
Vielfältige Protestformen von Petitionen über Protestbriefe von Komponisten und Dirigenten, die prominente E-Musik-Namenslisten hervorbringen, wie man sie lange nicht mehr. gesehen hat. Selbst eine Bürgerstiftung mit Versuchen, lokale und landesweite Kulturmittel wie Rundfunkmittel zum Erhalt des SWR-SO Freiburg/Baden-Baden zu mobilisieren scheitert.
Adressat ist die von direkten Wählervoten und Politikweisungen freie öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt SWR. Bei genauerem Hinsehen in den Rundfunkrat fällt dennoch auf, dass sehr wohl die Landesparlamente mit ihren Parteiverteilungen widergespiegelt werden, sich dies auch für die im Rat am stärksten vertretenen Verbände sagen lässt. So blockieren sich die Rivalitäten zwischen zwei Bundesländern (nach dem Motto, wenn Orchester aus Kaiserslautern und Saarbrücken fusionieren mussten, dann eben auch in BaWü), verschiedene politische Parteien, politischen Proporz repräsentierende gesellschaftliche Verbände und Regionalvertreter von Kommunalverbänden gegenseitig, so dass die Region Südbaden und die kleineren Kulturverbände im Gremium keine Chance haben und das gesamte Engagement für durchaus neue Wege einer eigenständigen Zukunft des SWR-SO Freiburg/Baden-Baden nicht ernsthaft wahrgenommen, aufgegriffen und weiterentwickelt wird.

Musikhochschulpläne zu Schliessungen von Studiengängen in Mannheim und Auflösung der Musikhochschule in Trossingen:
Fünf Musikhochschulen werden gegeneinander ausgespielt, ihre Rektorenkonferenz spaltet sich, Vorwürfe und Verwerfungen aller Arten, dann erkämpfte Konferenzen zwischen Hochschulen und dem Bildungsministerium, Ende 2014 wird ersichtlich, dass Trossingen und Mannheim wie die anderen Musikhochschulen „Vollhochschulen“ bleiben, allerdings die W3-Professuren in weiten Teilen zu W2, gar W1-Stellen degradiert werden sollen und verschärfte Wochenstundenkontingente auf den ausbildenden Mittelbau zukommen werden.
Es geht um Kultur, vordergründig Klassik, aber auch Pop, Jazz, Schulmusik. Es geht vor allem um Bildung, Strahlkraft über die bundesrepublikanischen Grenzen hinweg.
Wie bereits gesagt, spaltete sich selbst die Rektorenkonferenz der Musikhochschulen, protestierten Studierende, Regionalvertreter der besonders betroffenen Orte, Petitionen, Protestbriefe. Im Gegensatz zu den Treffen und Panels zwischen Orchesterrettern und Fusionsbefürwortern raufen sich alle Seiten immerhin relativ ordentlich zusammen. Einer der Hauptgründe:
Adressat ist ein Ministerium, eine Ministerin, das sich einerseits nicht gänzlich dem Ministerpräsidenten und dem Ministerkollegium verweigern kann, das andererseits der Kontrolle des Parlaments unterliegt, dessen Abgeordnete sich alle paar Jahre ihren Wählern stellen müssen und auch in der Zwischenzeit nicht ganz den Draht zu diesen und Verbandsvertretern abreissen lassen können.

Das Fazit wäre somit, dass in einem Falle eine ziemlich autonome Rundfunkanstalt ohne viele Umschweife unpassende Argumente in den Wind schlagen konnte, im anderen Falle bei aller Politikverdrossenheit und Parteipolitik die Nähe zur Gesellschaft grösser war und nicht gegen jeden Einwand das ursprüngliche Schliessungskonzept durchgezogen werden konnte. Zuerst ereigneten sich ja die Entscheidungen zur Orchesterfusion, das Musikhochschulthema kam erst kurz nach diesen an die Öffentlichkeit. So könnte man natürlich auch deuten, dass dem in beiden Fällen zuständigen Ministerium und dem grünen Ministerpräsident klar wurde, dass man bei den Musikhochschulen als Landesregierung mehr Gestaltungsspielraum und jetzt zugleich einen engeren Verantwortungsrahmen als bei der Orchesterfusion hatte. Wobei eigentlich auch in diesem Falle bei einem Zusammenwirken der grün-roten baden-württembergischen und der rot-grünen rheinlandpfälzischen Landesregierungen eine andere Lösung im Rundfunkrat des SWR möglich gewesen wäre. Dennoch will ich mein simplifizierendes Resümee nicht gleich in die Tonne treten.

Gesellschaft und Künstler bzw. Studierende bauten in erster Linie auf Demonstrationen, Petitionen und Protestbriefe. Dies werden auch in Zukunft die ersten Wege des Einbezugs grösserer Kreise von Unterstützern sein, geben sie den Aktivisten eine gewisse Relevanz, erzeugen sie Aufmerksamkeit für deren Anliegen. Dies sind immerhin erste Wege, um überhaupt Menschen sich niederschwellig engagieren zu lassen, ist das Internet kein schlechtes Mittel, um auch aus weiter entfernten Gegenden Interessierte zu Betroffenen werden zu lassen, im Falle online global verfügbaren SWR durchaus nachvollziehbar, wenn auch rechtlich nur ein Nebenaspekt.

Ein zweiter Schritt ist, aus Protestierern und Unterstützern selbst Aktivisten zu machen. Das ist vielleicht die schwierigste Hürde. Elegant gelang es den Orchesterrettern die Idee der Bürgerstiftung für das SWR-SO Freiburg/Baden-Baden in die Welt zu setzen. Wer dort Anteile zeichnete, wäre im im Ernstfall zur finanziellen Leistung verpflichtet gewesen. Das interessierte zwar SWR-Intendanz und Rundfunkrat nicht nachhaltig, zwang aber immerhin nochmals zum formalen Dialog. In diesem Falle wäre es mehr als ratsam gewesen, dieses Stiftungsmodell seitens des Rundfunks und der Politik auf solide Beine zu stellen, selbst wenn am Ende irgendwas zwischen Fusion und Erhalt herausgekommen wäre. So aber macht man im schlechtesten Falle Engagierte zu Demotivierten, müssen diese sich nach Durchsicht der Absagen an ihr Modell als Verlierer des Orchesters wie als schlechte Stifter vorkommen.

Jedes Engagement benötigt also eine dialog- wie kompromissbereite Gegenseite bzw. muss Engagement die Gegenseite in zu einer solcherart eingestellten machen. Um bei den Stiftungen zu bleiben: ist eine Orchesterstiftung eine Körperschaft, die durch garantierte Zuwendungen aus öffentlichen und privat-engagierten Haushalten ihren Finanzbedarf deckt, sind die Kulturstiftungen, bei denen Veranstalter Mittel für ihre Konzerte beantragen abhängig von Zinsen, seltener von Dividenden. Wenn öffentliche Mittel nicht gewährt werden, nicht ausreichen oder die Art der Förderung gar zur Drittmittelakquise verpflichtet, bleibt nur der Weg zu den Stiftungen. Auf Langzeit angelegtes Kapital kann momentan bei der Niedrigzinspolitik aber nur marginal helfen.

Wer Kultur machen will, was neues in die Welt setzen will, muss bei den Stiftungen also grosses Glück haben. Oder auf kurzfristig angelegte, eingenommene Mittel setzen, wie öffentliche steuerfinanzierte Mittel oder direkte Privatspenden oder Firmensponsoring. Die letzten beiden Wege sind allerdings selten bei kleineren und mittleren Veranstaltungen zu finden. Und da setzt ein weiterer Weg des Engagements an, der Kontakt des Künstlers und Unterstützers nicht nur zu Aktivisten und zur Politik, sondern auch der Kontakt zu Privatpersonen, sei es als einfache Konzertgänger, um die man werben muss, sei es als kleine oder grosse Geldgeber.

Das Problem bei jeder Form von Engagement, gerade von Künstlerinnen und Künstlern, ist, dass man für soziale Kommunikation als Einzelperson, ohne die Engagement nicht geht, eine „Ader“ benötigt. Es hilft also vor allem der Zusammenschluss. Kollege Lücker machte sich gestern dazu einige gedankliche Ansätze. Das Problem eines grösseren Zusammenschlusses, der mindestens tausend Mitglieder umfassen soll, ist das Gefühl, seine Identität zu verlieren, gerade wenn aus taktischen Gründen immer ein „Crossover“ in künstlerischen Berufsverbänden herrscht oder die mitgliederstärkere Sparte die schwächere oder stummere allein durch diese Kraft übergewichtet. Das hält manchen vor einem Eintritt in solche Verbände ab, das veranlasst andere zu schleichenden Austritten. Alles verständlich. Nur nimmt dies den Aktivisten wiederum die Relevanz, schliessen sich jüngere Kunstschaffende nicht unbedingt in kulturpolitischen, sondern eher nur künstlerischen Organisationen zusammen, wo Politisches zwar ungemein künstlerisch-kreativ aber nicht sozial-generierend ausgetragen wird. Nachdem die älteren Mitglieder solcher Verbände allmählich aussterben, ist das Engagement von jüngeren Künstlern unbedingt vonnöten.

Denn die politischen Strukturen ändert man nur mit Revolution oder kleinen, aber doch genügend starken Körperschaften, die durchaus als Lobbyisten in eigener Sache am politischen Diskurs teilhaben. Noch besser wäre es, wenn sich natürlich, wie Arno feststellte, mehr Künstler in der Politik selbst engagieren. Das ist aber auch ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Existenzgründungen auf allen Berufsfeldern und neue Künstlerkollektive sind heute weiter verbreitet als noch vor vielen Jahrzehnten, trotz der Krisendelle. Wenn es um direkte Wertschöpfung geht, steht man nicht zu zurück sich beruflich zu engagieren. Das ist gesellschaftlich anerkannt, fördert es ja in erster Linie die Existenz durch Geldverdienen, ein hoher Wert. Das verlangt einem auch einiges an Flexibilität und Umorientierung ab, die auch als hoher Wert im Berufsleben eingefordert wird. Kompliziert wird es, wenn Familie hinzukommt, was aber zeitlich kreativ gelöst wird, auch gesellschaftlich hoch anerkannt. Fragt man dann nach verbandlichen oder politischen Engagement, wird vielleicht sogar sehr gerne gespendet, unterschrieben. Aber selbst allein bereits der Eintritt in einen Berufsverband, gar ein niederschwelliges Amt in diesem, oder gar ein politisches Amt, das Zeit für das direkte Geldverdienen kosten könnte, wird dankend verneint oder gar abgelehnt. Engagement als Karriereknick, wie Elternzeit und eine lange Zeit sich anschliessender Sonderurlaub für Frauen, die danach kaum wieder mit der Karriere wie zuvor weitermachen können. Das heisst, verbandliches Engagement geht nur als Grossverdiener, Single oder Rentner, Politik geht nur als Berufspolitiker.

So gibt es zwei Dinge zu überwinden: die Angst, in einem Verband, in einer Partei mitzuwirken. Das mag im Falle der Künstler zwar die schöpferische Arbeit vorübergehend einschränken oder zu schnellerer, konsequenterer Arbeit am kreativen Selbst zwingen, worüber auch einmal nachzudenken wäre. Denn meine Erfahrung lautet: je mehr man zeitlich sich ein Korsett setzen muss, um so mehr komponiert man plötzlich… In weiterer Konsequenz trägt man aber bei, gerade diese Arbeitsfreiheit zu ermöglichen, zu erhalten, auszubauen. Und künstlerische Ästhetik kann auch gut in politische Schönheit transformiert werden. Auf der anderen Seite müssen sich aber auch die Verbände bewegen, kurzfristiges Engagement fördern und schätzen, ihre Riegen bewusst um wirklich jüngere Engagierte ergänzen, für unterrepräsentierte Sparten Möglichkeiten schaffen oder auch den Mut aufbringen, sie an andere Gruppen in ihrem im Verband zu vermitteln.

Hinzukommt zuletzt auch die Stärkung des Eigenen: egal ob dies ein strikt abgeschlossenes ist oder sich aus vielen Genres und Kunstformen speist, toleriert sollte beides werden. Momentan schliesst sich dies unter Komponisten immer noch zu sehr gegenseitig aus. So ist jede Sparte erst einmal am stärksten, wenn sie sich ganz und gar selbst entfaltet. Dennoch wäre es eben schön, wenn in Konzerten alle heilige Zeiten in nicht zu langen Acts die verschiedenen Gruppen unverbunden ausser durch das gemeinsame verbandlich-kulturpolitische Engagement aufeinander stossen. Der Blick über die Genregrenzen inspiriert ja bereits Viele. Ob dann eine Filmmusik, ein Agitpropstück oder nur am Rande von Realweltlichen oder hermetisches Stück erklingt, ist eigentlich egal. Wenn Engagement als Künstler wie als Politischer neubewertet werden soll, letzteres kein künstlerischer Karriereknick sein soll, dann gilt es, heute Künstler durch beide Brillen zu bewerten, auszubilden, zu fordern. Egal wie das Werk aussieht, auf der anderen Seite ist auch der soziale und politische Einsatz zu befördern. Denkt man an Bewertungen von Studierenden in angelsächsischen Ländern, wäre dies auch ein Modell, um Mechanismen des Einsatzes und der Anerkennung für das doppelte Engagement zu schaffen.

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