Es gibt keine Krise der Klassik (III)
Die Krise der Klassik – oder: Warum innovative Konzertformate?
Teil I und Teil II des Artikels.
Ich will nicht in den Chor derjenigen Ängstlichen und Panischen mit einstimmen, die überall das „Ende der Klassik“ vermuten. Dazu hat Volker Hagedorn neulich erst einen schönen Artikel geschrieben. Denn offensichtlich bringt das auch überhaupt nichts. Mir hat mal ein Kollege erzählt, dass Wolfgang Sawallisch in seiner Zeit als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper (1971-1992) sich Politikern immer so selbstbewusst gegenüber verhalten hat, dass er jedes Jahr das gleiche oder sogar mehr Geld vom Land bekommen hat. Er diskutierte nicht, sondern sagte einfach: „So ist es, so viel brauchen wir!“ Ohne dieses „Sonst werden wir alle sterben!“. Es ist einfach so. Punkt. (Sicher, ein Beispiel, das man jetzt nicht schlicht nachahmen sollte. Aber Horrorszenarien kann ich leider inzwischen nicht mehr ernstnehmen.)
Überhaupt, immer diese Horror-Szenarien. Ja, es ist schade, dass zwei völlig unterschiedliche SWR-Orchester fusioniert werden. Das ist sogar in jeder Hinsicht unverständlich. Aber gäbe es eine anständige Kulturpolitik, hätte man die Diskussion um eine mögliche Fusionierung vielleicht in eine andere Richtung lenken, langfristig finanziell und strukturell realistische Alternativen erarbeiten können.
Wie entsteht eigentlich eine „anständige Kulturpolitik“? Durch sachverständige Kulturpolitiker. Die sind aber rar gesät. Wir Künstler müssen zu den Politikern gehen – und umgekehrt. Und zwar nicht nur, wenn es mal wieder heißt, eine drohende Fusionierung, Abschaffung oder irgendeine Streichung von irgendwelchen Fördergeldern abzuwenden oder – beispielsweise im Zuge eines Förderantragverfahrens – für eigene künstlerische Projekte Lobbyarbeit zu machen. Der Dialog der Künstler mit den Politikern muss noch viel mehr zum Alltag werden. Viel mehr Künstler sollten Ausschüsse besuchen, Parlamentspublikationen lesen und sich mit Haushaltsentwürfen auseinandersetzen.
Wir Künstler sind da noch viel zu bequem. Erst, wenn es zu spät ist, unterzeichnen wir massenweise Petitionen und werden Politikern gegenüber ausfallend. Überhaupt: Nichts ist dümmer als der Künstler, der sagt, dass Politiker ohnehin nur Mist machen. Ich kann das nicht mehr hören. Deutschland ist politisch ein Mit-Mach-Land. Nur viel zu wenige Künstler probieren es aus. Natürlich gibt es da viel zu tun… Es gibt da beispielsweise eine Partei, die von ganz vielen Künstlern in Deutschland gewählt wird, die aber selbst kaum eigene, kompetente Kulturpolitik macht oder zumindest das Thema „Kultur“ sich viel größer auf die Fahnen schreiben sollte. Macht sie aber nicht. Kultur ist hier meist nur Schmuckwerk – und der Kulturbegriff vieler leitender Persönlichkeiten dieser Partei erschreckend naiv oder sogar gar nicht existent.
Das ist höchst bedauerlich. Aber eigentlich doch Anlass zum Mitmachen, Neu-Machen, Besser-Machen, oder?
Vielleicht müssen Künstler zeitweise sogar selbst zu Politikern werden, wie die Pianistin und ehemalige Bundestagsabgeordnete Agnes Krumwiede. Sonst nehmen wir immer alles nur hin – und schreien am Ende mal wieder laut, aber vergeblich… Zur Wahl zu gehen und Petitionen zu unterzeichnen reicht nicht.
Zurück zur angeblichen „Krise der Klassik“.
An den Verkaufszahlen kann es nicht liegen, dass wir uns selber in einer „Krise“ wähnen oder eine unterstellt bekommen, denn die Verkaufszahlen von Konzerten und Opernvorstellungen sind, wie oben kurz gezeigt wurde, gleichbleibend oder sogar ansteigend. Aber um Kommerz geht es ja offensichtlich sowieso nicht. Oder?
Meiner Ansicht nach geht es in der Debatte um die „Krise der Klassik“ auch um eine ganz andere, versteckte Facette des Kapitalismus. Um das, was Michel Houellebecq in einigen seiner Bücher anklingen lässt; um eine ganz spezielle Form des Neids, wurzelnd auf den Neid-Strukturen von kapitalistischen Gesellschaften. Ich glaube, viele klassische Musiker möchten hipper sein; nicht, weil sie unbedingt nur mehr Geld verdienen möchten (das auch), es geht um eine viel komplexere Form von Kapitalismus: um eine untrennbare Mischung von Erfolg in Sachen Geld, Anerkennung und tatsächlich: Sexualität. Klassik ist – angeblich – unsexy. Und genau das haben wir uns jetzt jahrelang eingeredet oder einreden lassen. Und deshalb gibt es jetzt DJs nach klassischen Konzerten und die „Yellow Lounge“ und all diese Dinge, die mich manchmal einfach nur peinlich berühren. Weil ich sie vielleicht gar nicht brauche. Weil sie so erzwungen und in Wirklichkeit doch häufig gar nicht „entspannt“ sind. Und weil ich glaube, dass klassische Musik besonders schön ist, wenn sie konzentriert gehört wird, wenn man nicht gleichzeitig redet, keinen Cocktail dazu trinkt, sondern einfach nur still zuhört – und vielleicht über sein Leben nachdenkt.
Morgen mehr. Oder weniger.
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.
Ach ja:
„Und weil ich glaube, dass klassische Musik besonders schön ist, wenn sie konzentriert gehört wird, wenn man nicht gleichzeitig redet, keinen Cocktail dazu trinkt, sondern einfach nur still zuhört – und vielleicht über sein Leben nachdenkt.“
Ups, und dann kommt so etwas dabei heraus:
Mein Leben ist nicht diese steile Stunde,
darin du mich so eilen siehst.
Ich bin ein Baum vor meinem Hintergrunde,
ich bin nur einer meiner vielen Munde
und jener, welcher sich am frühsten schließt.
Ich bin die Ruhe zwischen zweien Tönen,
die sich nur schlecht aneinander gewöhnen:
denn der Ton Tod will sich erhöhn –
Aber im dunklen Intervall versöhnen
sich beide zitternd.
Und das Lied bleibt schön.
Von einschlägigen Anbiederungsformaten nur noch peinlich berührt fühlt sich auch schnell, wer rein popkulturell sozialisiert ist. Denn auch da ist beileibe nicht jeder hip und cool. Vorsicht, Falle, möchte ich da sagen.
Auch das mit den lauten, schnell ausfällig werdenden Aufschreien fällt in der Tat sehr auf. Diese ganzen vorhersehbaren Stellungnahmen sind doch längst zum leeren Ritual geronnen.
Bei einem Punkt stimme ich vollkommen überein: Der Wunsch hip zu sein. Musiker sind halt Künstler und Künstler haben nunmal Egos. Und nicht zu kleine…
Aber ein weiterer Punkt, den ich für sehr wichtig halte, fehlt mir. Was ist mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit?
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich junge Künstler nicht mehr nur dem Urteil von einigen wenigen Kritikern unterwerfen wollen (deren Neutralität man ruhig in Frage stellen darf und sollte!)
Der Wunsch nach einem breiteren Publikum hat somit durchaus einen vernünftigen, existenziellen Hintergrund. In dem Buch „Kultur und Management“ wird dieses Thema auch behandelt. Und dort nennen junge Nachwuchskünstler David Garrett durchaus als Vorbild…