Thielemann und PEGIDA – eine Frage des guten Tons
Es ist eine stille Zeit, die sich aktuell über Europa legt. Angesichts von Bildern Kommunikation verweigernder Montagsspaziergänger in Dresden und den Pariser Charlie-Hebdo- wie Hyper-Cache-Morden, die sich auf die Verletzung von religiösen Bilderverboten beriefen, den Sondersendungen und Talkrunden dazu, verschlug es mir die Sprache. Nun aber hat er gesprochen: der Dresdner Staatsoper-GMD Christian Thielemann. Seiner Stimme verlieh zuerst die „Zeit“ Gehör, im Internet druckte die „Sächsische Zeitung“ (SZ) den entsprechenden Text ab. Bisher löschte die Semperoper während der PEGIDA-Demonstrationen aus Protest ihre Festbeleuchtung wie in Köln der Dom. Das Foto zur Onlineversion der SZ zeigt Thielemann frierend lächelnd an vor seinem dunklem Opernhaus, aus dem nur eine Funzel schimmert, auf dem verschneiten Opernplatz unter einer historischen, ihn warm anstrahlenden Strassenlaterne. Was für eine Kehrtwende! Ein klassisch-romantisches „de aspera ad astra“. Oder wird es eher schlimmer? Am Ende seines „Ohren auf!“ betitelten Textes erzählt er, wie er „sehr nette“ Briefe bekommen habe, die ihn aufforderten, während einer PEGIDA-Demo vom Balkon des Opernhauses zur Masse zu sprechen. Er meint, den „Mutlosen“ lieber mit Musik, zum Beispiel am Jahrestag der Bombardierung Dresdens am 13. Februar, zu antworten. Das tröstet vielleicht genau die Lesenden, die bei mancher Formulierung des Textes beim mehrmaligen Lesen doch ins Stirnrunzeln gekommen wären, aber mit diesem „alles heilt die Macht die Musik“ wohlig aufatmeten und dem GMD ein „Recht hat er“ zuprosteten, sich auf dem Platz sehend, derweil er sie vom Opernbalkon grüsst.
Wie auch immer: mit seinem Text hat er sehr wohl sich über die Brüstung gelehnt. Zu weit? Man wird es sehen. Eigentlich beginnt der erste Absatz vielversprechend: während das ganze Land Sorgen umtreibt, sollten selbst Musiker auf die Strasse gehen statt Orchesterdienste zu absolvieren. Also hinauf auf die Podien neben Udo Jürgens, zu Konstantin Wecker? Oder wenn nicht auf den Opernbalkon, dann sonntags zu Günther Jauch? Nicht er, aber PEGIDA-Forntfrau Kathrin Oertel war bei Jauch. Thielemann beschreibt sie, als sei sie eine Norne, wenn man an die Maske und Haare der Dame denkt: „eine schwarz gekleidete, blonde Frau“, die als „eiskalt“ und „emotionslos“ gelte. Dass sie ausser Worthülsen zu den Themen „gute und weniger gute Flüchtlinge“ und einer diffusen Unzufriedenheit Teilen der Bevölkerung im TV nichts herausbrachte, erregt Thielemanns Bühneninstinkt: wer nichts zu sagen hat, könnte doch ein begnadeter Stratege sein. Allerdings folgt seiner vermeintlichen Theaterklugheit gleich der essayistische Absturz, wohl weder von der Zeit, noch der Sächsischen Zeitung erfolgreich korrigiert: er verharmlost PEGIDA-Demo-Teilnehmende als Unzufriedene „von der GEZ-Gebühr bis zur Asylantenquote“. Nennt mich einen politische korrekten Schwerenöter, aber mit GEZ-Gebühr redet er von der seit 1.1.2013 „Rundfunkbeitrag“ genannten Gebühr. Das sei ihm geschenkt. Richtig unprofessionell ist allerdings „Asylantenquote“. Sprachlich korrekt heisst es Asylbewerber. Das mag sein unverhohlenes rechtspolitisches Kalkül sein. Würde er aber dann auch seine südwestlichen Fans, nicht die aus Namibia, sondern die zwischen Freiburg und Karlsruhe lebenden öffentlich als Badenser bezeichnen statt als Badener? Aber dies ist nur Geplänkel!
Kehren wir nochmals zu PEGIDA selbst zurück. Er macht sich mit deren „bürgerlichen Werten“ gemein. Allein diese Wortwahl ist wiederum eine geschickte Verschleierung. Das klingt erst einmal nach Rotwein, Radeberger, Goethe, Bach und Beethoven. Natürlich schlägt einem das Herz höher, wenn junge Menschen in der Trambahn nicht „ey super, Boko Haram“ sagen, wenn das Gegenüber einen entsprechenden Zeitungsbericht für diese sichtbar nach aussen faltet, sondern „krass, Schumanns Genoveva“ auf der anderen Seite beachtenswert fänden, wie letzthin einem Freund widerfahren. Das befeuert nur wieder die echten PEGIDA-Mitläufer wie den kleinbürgerlichen älteren Herren in der Langversion der PEGIDA-Panorama-Interviews, denen aber selbst schweigende oder sich für ihn unverständlich in ihrer Landessprache unterhaltende jugendliche Migranten schon ein Dorn im Auge sind. Letztlich sollte man von humanistischen Werten sprechen, die aber auch ungeachtet des Lebens- und Leidensweges jedem Flüchtling Hilfe gewähren, genau dies, was PEGIDA aber verweigert. Wer nachschlägt, erfährt zudem allein schon auf Wikipedia, wie Mitglieder der PEGIDA-Organisatoren gegen Nicht-Deutsche wetterten. Klickt man sich durch die Facebook-Freunde allein nur der Prominenteste der Montagsspaziergänger, so outen sich die Betreiber z.B. von „Solidarität mit Lutz Bachmann“ als Anhänger eines Österreichers, eines lebenden namens Strache von der rechtspopulistischen FPÖ, was noch das harmlosere ist. Oder „Bürger der Mitte“ posten irgendwann doch verschwörungstheoretisches der „Reichsbürgerbewegung“. Womit man mitten im Rechtsradikalismus steht.
Nun schrieb ein Facebook-Freund von mir die Tage, dass es nichts radikaleres gäbe als produktiv in der Kunst zu sein. Das stimmt, wenn man Radikalität im Umgang mit sich selbst, seinem eigenem Wissen und Fühlen übt, über innere Barrieren hinaus denkt, daraus in klaren Rückschlüssen wieder ein neuartiges Werk schafft. Thielemann kann als mit Worten Fabulierender dies leider nicht für sich in Anspruch nehmen. Im Gegenteil versucht er sich als harmlosen Mann aus der Mitte der Gesellschaft darzustellen. Das mag er in Sachsen vielleicht sogar sein, wo eine eifersüchtelnde bourgosie Akkuratesse eine lange Tradition hat: in keinen anderen deutschen Teilstaaten wurden administrativ während der Emanzipation der Juden im 19. Jahrhundert so viele Hürden aufgebaut wie in denen, die heute den Namensbestandteil Sachsen führen: im alten Sachsen wie im damaligen Königreich Hannover, heute der Mittelpunkt Niedersachsens.
Das Problem ist und bleibt eben das der Bilder: was die Menschen in Sachsen wirklich zu Unzufriedenen macht, abgesehen von diffusen Ängsten, die z.B. Flüchtlingszahlen, nicht christliche und atheistische Bekenntnisse, ausländische Transferleistungsbezieher und junge Straftäter mit Migrationshintergrund viel höher erscheinen lässt als sie es tatsächlich sind, das wird auch von Herrn Thielemann nicht ausformuliert. Er beruft sich den Kreuzberger Brennpunkt-Bürgermeister Buschkowsky und die wenigen skurrilen Auswüchse von Rücksichtnahme auf andere Mentalitäten, wo doch eher das bürgerlich verharmlosende Auftreten und Unterwandern von konservativen Kreisen von Rechtsradikalen ein viel grösseres und vor allem unsichtbares Phänomen ist, das in seiner Riesenhaftigkeit eben durch PEGIDA und wohl noch heftiger durch LEGIDA erhält. Und hoffentlich nur unfreiwillig nun durch einen Künstler wie Thielemann in vielleicht noch viel normalere, liberale Bildungsbürger ohne national vor liberal, Schichten getragen wird, die Thielemanns künstlerischen Romantizismus ernst nehmen, nun auch seinen Worten Gewicht geben, weil „endlich mal jemand was sagt, was sonst keiner sagt“. Und dabei übersehen, dass PEGIDA eigentlich auch nichts sagt, ausser rechtsradikaler Konkludenz im Handeln einiger ihrer Protagonisten und ihres Umfelds. Wenn es wirklich um zu geringe Renten, zu grosse Bürgerferne der Politik, zu schwer zu vermittelnde Haltungen in der EU-Russlandpolitik, Nationalisierung von Bankschulden, Internetüberwachung, Terrorangst ginge, dann sollte auch direkt dagegen demonstriert werden oder eben ein Herr Thielemann dies konkret wie korrekt benennen statt gegen Ausländer und Flüchtlinge zu polemisieren. Aber bevor es dazu kommt, sagen Sie uns: gibt es Übereinstimmung zwischen der Haltung der Semperoper, die bewusst ihre Beleuchtung gegen PEGIDA abstellt und Ihnen, den manche Mitläufer dieses Vereins auf dem Balkon dieses Opernhauses als Gralsfigur so gerne erleben würden?
Komponist*in
Einverstanden!
Doch:
Jeder darf sich durch ungenaues Geschwafel bloßstellen, auch Herr Thielemann.
Wir sollten ihn nicht aufwerten, indem wir ihm allzuviel Aufmerksamkeit schenken.