Fonds Neue Musik – Grüne Opposition auf Selbstfindungs- und Schadensbegrenzungstrip
Wie jubelte gestern Abend das Land über Fussball. Wie zäh durchsuchte ich das Netz zur aktuellen Bundestagshaushaltsdebatte. Doch zwei Jahre zurück. Mit wenigen Worten brachte damals Agnes Krumwiede als Kulturbeauftragte der Grünen die Herzen der zeitgenössischen Musik und ihrer kulturpolitischen Kämpfer zum Hüpfen: „Wir fordern einen Fonds Neue Musik!“ Sie wurde 2013 leider durch die Stimmverluste ihrer Partei nicht mehr in den Bundestag gewählt. Immerhin schrieb die Grosse Koalition aus Unionsparteien und SPD in letzter Minute diese Forderung in ihren Koalitionsvertrag hinein, wenn auch nur unter Finanzierungsvorbehalt. Was noch geschah?
Trotz Agnes Krumwiedes exzellentem persönlichen Einsatz für Kultur und Bildung als Vertreterin der Opposition im Bundestag, fuhr ihre baden-württembergische Parteikollegin Theresia Bauer das mühsam erkämpfte Vertrauen der zeitgenössischen und ernsten Musikszene mit dem Politdesaster um Geldkürzungen und Hochschulschliessungen bzw. Umwidmungen ihrer Landes-Musikhochschulen aktiv an die Wand, schaute ihr Landesvater und Parteikollege Kretschmann zu lange passiv den selbstherrlichen SWR-Orchesterfusionsentscheidungen des Funkintendanten Boudgoust zu. Das i-Tüpfelchen auf dem kulturpolitischen Scherbenhaufen waren zuletzt die auf eigener Uninformiertheit beruhenden Vorwürfe Hans Christian Ströbeles gegen die GEMA angeblich Youtube-Liveübertragungen vom Kiewer Maidan zu zensieren. Also höchste Zeit für die neue kulturpolitische Generation der Grünen, den Salat zu sortieren, Vertrauen zurückzugewinnen.
Dazu sollen sich vor allem Budgetdebatten eignen, eines der traditionellen parlamentarischen Betätigungsfelder für Oppositionspolitik. So verlinkt Ulle Schauws auf ihrer Homepage beispielsweise einen Antrag ihrer Partei, endlich mit den Haushalts- und Kulturausschüssen den Fonds Neue Musik ins Leben zu rufen und greift damit den Entwurf Krumwiedes auf: eine bescheidene Millionen Euro für einen vielleicht dann doch zu weit gespannten Bogen an Förderungen über Jazz, innovative Jugendkultur und Neue Musik, die dann als Namensgeber des „Fonds Neue Musik“ wie ein Anhängsel erscheint. Über den Daumen gepeilt würden selbst eine Millionen Euro für jeden dieser drei Bereiche, von den nicht genannten ganz zu schweigen, bei all den denkbaren Anträgen niemals ausreichen, so dass man sich fragt, ob die Grünen da in den letzten zwei Jahren nicht weitergearbeitet haben. Natürlich lehnte die Koalition diesen Antrag ab, wie die Regierenden eben traditionell mit oppositionellen Anträgen so verfahren. Aber vielleicht sollten die Grünen da wirklich nochmals daran feilen, vielleich sogar wirklich mit der Koalition gemeinsam.
Schräg wird es allerdings nicht in Tönen, sondern in Worten, wenn man die Anfrage der baden-württembergischen Grünen Bundestagsabgeordneten Kerstin Andreae (s. S. 1) liest. Sie fragt, was denn die Grosse Koalition zu tun gedenke, um das SWR-Orchester Freiburg/Baden-Baden durch Bundesmittel vor der Fusion zu bewahren, gegen die ihre Partei in ihrem Bundesland nun viel zu zögerlich und zu spät interveniert. Und dies soll eben auch der noch undefinierte „Fonds Neue Musik“ leisten. Da soll die Unions-SPD-Koalition im Bund retten, ja, bei Unmöglichkeit dafür gegebenenfalls die Prügel einstecken, was die eigene Grüne Partei daheim verschlief? Zurecht verweist die Kulturstaatsministerin der Bundesregierung, Monika Grütters, die ihrerseits mit grossem Wohlwollen einem sinnvoll abgesteckten „Fonds Neue Musik“ Sympathie entgegenbringt, darauf, dass es sich dabei rechtlich um Ländersachen handelt und der Fonds eben weniger Institutions- denn Projektförderung sein sollte, was er ja gerade als Komponisten- wie Ensembleförderung sein muss, wie es selbst die Grünen Krumwiede/Schauws verlangten.
Bei allem Verständnis für Oppositionsarbeit: es macht auf Dauer keinen Sinn, nicht überarbeitete Entwürfe vollkommen utopisch zu überdehnen und gleichzeitig der Regierungskoalition Untätigkeit vorzuwerfen. Das stimmt wohl in Teilen. Nur blieb man selbst untätig und macht eine an sich gute Idee zu einem Vehikel, um sein Landesregierungsversagen in Bundesversagen des politischen Kontrahenten zu verwandeln. Denn der Schaden erstreckt sich letztlich ja nur auf eine kleine Nische, wie es zeitgenössische und ernste Musik für viele zu sein scheinen. Für 2015 ist also dringendst zu hoffen, dass Land und Bund nicht an den falschen Stellen vermengt werden, denn Kulturförderung durch den Bund ist immer heikel, wo eigentlich Länderhoheit angesagt ist. Allerdings ist eben die Förderung der Neuen Musik und die Stärkung der existenten kleinteiligen Förderungen durch den Bund von gesamtstaatlichen Interesse. Dazu aber sollten sich Regierung, Opposition endlich konkreter gemeinsam an einen Tisch setzen mit all den Verbänden, die bereits weitergehende Vorarbeiten leisteten als das undefinierte Hin und Her der Politik vermuten lässt. Nach „auf die Plätze“, „fertig“, nun bitte endlich das „los“!
Komponist*in