Wörterbuch der Neuen Musik (Fortsetzung)

 

→Labor (synonym mit →Experiment, →experimentell, → Werkstatt)

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z.B: “Klanglabor”, “Laborsituation”, „Experimentcharakter“, „Werkstattsituation“

Sprachliche Pseudountermauerung des Irrtums, dass es sich bei Neuer Musik in irgendeiner Form um etwas „Wissenschaftliches“ handelt. Gleichzeitig: verbaler Schutzmechanismus, der versucht, den Erwartungsdruck eines Konzertes oder einer Aufführung beim Zuhörer durch →semantische Verschleierung zu senken. Ist es eine „Aufführung“, so ist ein Scheitern peinlich. Ist es aber als →Laborsituation oder →Werkstatt deklariert, so darf man scheitern, denn es ist ja nur ein Teil eines →Experimentes, und das bringt ja auch Wissensgewinn, wenn es nicht gelingt.

Einziges Problem dabei: Ein →Klangexperiment scheitert vor allem an seiner →Halbherzigkeit, oder schlicht und einfach daran, dass es →langweilig ist.  Oder anders gesagt: Auch wissenschaftliche Experimente sind meistens sehr langweilig, bringen aber wenigstens Wissensgewinn. Musikalische Experimente sind aber meistens langweilig, und bringen auch noch keinen Wissensgewinn (→“lose-lose situation“). Je stolzer Musik also ihren experimentellen Charakter am Revers trägt, desto mehr  erhöht sich die prozentuale Wahrscheinlichkeit von →Vollstuss.

Die oft verwendete Wortkombination „ein gewagtes Experiment“ ist also in Wirklichkeit ein Oxymoron, denn wer wagt, experimentiert nicht mehr, sondern weiß schon was er will.

→Experiment und →Labor sind also nicht zu verwechseln mit →Wagnis oder →Radikalität, denn dann ist das Experimentierstadium schon überwunden und man kommt zur Sache. Legitim also: Die →Suche, nicht aber der →Versuch.

Kritiken, in denen die Begriffe „Labor“ oder „Experiment“ vorkommen, sind im Geiste in eine andere Sprachlichkeit zu übersetzen, um ihren wahren Inhalt zu erkennen oder zu dechiffrieren.

So bedeutet zum Beispiel:

„bei dem Stück X handelte es sich um höchst interessantes Klangexperiment“

In Wirklichkeit

„das Stück war wenig fesselnd und ich habe es nicht verstanden, möchte dies aber lieber nicht zugeben“.

→ Ernst-von-Siemens-Musikpreis

Man muss in die Jury aufgenommen werden, um ihn vergeben zu können.

Mann muss aus der Jury austreten, um ihn zu bekommen.

Man muss wieder in die Jury eintreten, um ihn wieder vergeben zu können.

Moritz Eggert

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Eine Antwort

  1. knopfspiel sagt:

    „Einziges Problem dabei: Ein →Klangexperiment scheitert vor allem an seiner →Halbherzigkeit, oder schlicht und einfach daran, dass es →langweilig ist.“

    „Klangexperiment“ ist mE das Schlüsselwort hier. Denn wenn das Ergebnis des Experiments einzig im Klang liegt, unterscheidet es sich nicht von jeder anderen Uraufführung.

    Die anderen Aspekte – etwas ausprobieren, „experimentieren“ im Sinne von einem Forschen mit unklaren Ausgang – das finde ich alles sehr reizvoll. Vielleicht sollte man das nicht über einen Kamm scheren. (Okay, es ist Satire, aber ich nehms mal ernst)

    „„das Stück war wenig fesselnd und ich habe es nicht verstanden, möchte dies aber lieber nicht zugeben“.“

    Tja, die ehrliche Kritik – das sollte mal Teil des Studienplans für Komponisten sein, so als eigenes Fach. Und positiv abschließen tut das Fach nur, wer mindestens zwei Stücke seiner Kollegen als „abgrundtief schlecht und langweilig“ ( oder äquivalent-negative Ausdrücke) bezeichnet hat. ;-D