Versuch der virtuellen Rekonstruktion von Mark Andres Oper „Wunderzaichen“ anhand von Zeitungskritiken.

Gerade eben hatte die neue Oper von Mark Andre, „Wunderzaichen“ in Stuttgart Premiere – unter Mitarbait von niemand anderem als unserem lieben Blogautoren Patrick Hahn wurde die Sache zu ainem großen Erfolg bai Publikum und Kritik, wozu wir aufs Herzlichste gratulieren!

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Nun habe ich ain Problem – als Familienvater kann man leider nicht zu jeder Premiere raisen, auch wenn sie quasi um die Ecke in Stuttgart stattfindet. Man muss sich daher mit Radiosendungen begnügen (die es in diesem Fall erfreulicherwaise geben wird), oder eben Kritiken lesen.

Heute habe ich also sämtliche im Netz befindlichen Kritiken des Stückes gelesen, und wahrlich, es ist ain aindrucksvolles Rauschen im Blätterwald! Baim Lesen all der vielen unterschiedlichen Beschraibungen kam mir plötzlich ain Gedanke: wie wäre es, wenn man als Unwissender aus all den vielen Ansichten des selben Stückes aine Wahrhait herausfiltern müsste? Schließlich ist es ja genau das was wir versuchen, wenn wir viele Kritiken lesen. So wie zum Baispiel in dem (schlechten) Film „Evidence“ , bei dem Detektive aus zahlraichen Handy- und Videokameraaufnahmen ain Verbrechen zu rekonstruieren versuchen, dann aber feststellen müssen, dass diese manipuliert wurden.

Ok, das war jetzt ain Spoiler. Und bai „Wunderzaichen“ handelt es sich natürlich nicht um ein Verbrechen, sondern um das letzte Wort des 21. Jahrhunderts zum Thema religiöses Waihespiel.

Dennoch, ich habe es mal versucht. Im folgenden habe ich aus sämtlichen im Netz befindlichen Kritiken aine Stückbeschraibung sowie eine Inhaltsangabe zu rekonstruieren versucht, und zwar indem ich jewails die Zitate in die Raihenfolge der Stückerzählung aingepasst habe. Die Raichwaite der Publikationen geht von der FAZ (Eleonore Büning) bis zu Pforzhaimer Lokalzaitungen. Die interessante Frage bei diesem literarischen Experiment ist nun: ist mir eine Rekonstruktion der Oper aus den Beschraibungen gelungen, oder ist die Wirklichkeit ein gar ungraifbares Ding, wie uns einst ja schon „Rashomon“ lehrte?

Diese Frage kann nur Patrick beantworten. Patrick, liest Du dies?

Wie gesagt: alles im Folgenden sind inainander verwobene Originalzitate, mit nur geringfügigen Änderungen im Dienste des Erzähflusses.

(Moritz Eggert)

 

 MARK ANDRE: WUNDERZAICHEN

 

ÜBER DAS STÜCK

Das knapp zweistündige, pausenlose Werk gliedert sich in vier „Stationen“. In vier Stadien, an vier Transformationspunkten sehen wir eine Hauptfigur, die ins Heute geworfen wird. Die Oper spielt also in der Gegenwart. Was nicht so einfach ist, wenn spirituelle Dinge gefragt sind: der Übergang vom Dies- ins Jenseits, die Aura eines Ortes, das Verschwinden des Körpers, sogar die Erscheinungsweisen des Heiligen Geistes.

Es geht um Gottessuche in diesem Stück: um den wahren Weg, der das Ziel ist; um die je nach Religionszugehörigkeit mehr oder weniger umstrittenen Zwischenzonen und Übergänge, um den Transit von der leiblichen Welt ins Metaphysische, wofür „Tod“ jedenfalls ein zu kleines Wort wäre.

Die Geschichte zieht das Publikum ins 16. Jahrhundert – und irgendwie auch nicht. Thematisch knüpft das zweistündige Werk an das Wirken des in Pforzheim geborenen Humanisten Johannes Reuchlin (1455–1522) an. Dieser gilt heute als Vorbild der Toleranz.  Ein Gottsucher, ein Wundermann also des 16. Jahrhunderts.

„Reuchlin! wer will sich ihm vergleichen? Zu seiner Zeit ein Wunderzeichen“, schrieb Goethe über den großen Humanisten – und lieferte damit ungewollt auch den Titel der Oper. Die historische Schreibweise mit „ai“ verweist laut Dramaturgie auf den „Zeichencharakter der Schrift selbst“ und auf „kabbalistische Buchstabenoperationen“.

DIE HANDLUNG

Schauplatz ist der Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv. Eine Gruppe Reisender wartet auf die Einreise. Eine schwere Kassettendecke hängt über den Köpfen, links zwei Kontrollhäuschen, im Hintergrund der Himmel, der sich im Lauf des Abends mal blau, mal diesig oder dunkel bewölkt zeigt.

In dieser nur auf den ersten Blick trostlosen Szenerie einer Wartehalle sehen wir die verlorenen Reisenden aller Weltreligionen, aber auch Touristen, man liest Illustrierte und heilige Schriften. Eine Menge von Pilgern steht in der Schlange: Mönche, Juden, Muslime, Orthodoxe, Hippies. Sie streichen mit Geigenbögen verzückt über ihre Unterarme. Klingt so vielleicht der Herzschlag des Glaubens?

Unter ihnen befindet sich (vielleicht) Johannes Reuchlin, ein etwas zerstreuter älterer Herr in Cordhose und Jackett, nicht so ganz vertraut mit der modernen Welt, der sich gegen Ende seines Lebens einen Traum erfüllen und erstmals das Land besuchen möchte, dessen Sprache und Religion er seit vielen Jahren erforscht. Er hat eine Herzoperation hinter sich. Er macht sich durch seltsame Gleichnis-Reden, Bibelzitate und philosophische Reflexionen verdächtig. Vielleicht ist er eine Reinkarnation Reuchlins. Dessen Wiedergeburt taucht hier insofern nicht zufällig auf einem israelischen Airport auf, als er der Entdecker des Hebräischen als Erkenntniswerkzeug für das Verständnis der Bibel ist, aber auch der jüdischen Mystik.

Wie auch immer: Wer bei der Passkontrolle am Flughafen nicht so genau weiß, wer er eigentlich ist und obendrein geheimnisvolle Botschaften verbreitet, der macht sich natürlich verdächtig, ganz besonders in Tel Aviv, bei der Einreise nach Israel.

Das monotone Stempeln der zunächst flüsternden, später singenden Zollbeamtinnen unterstreicht die Kälte des Raumes. Dumpfe Schläge schaffen eine bedrohliche Atmosphäre. Da sagt die Passkontrolle am Flughafen zum geheimnisvollen Reisenden: „Aha, ein Schwabe!“. Und wird gleich freundlicher. Der Mann aber kam angereist aus dem fünfzehnten Jahrhundert oder auch aus dem Jenseits oder eben direkt aus Pforzheim, so genau weiß er es selber nicht. Der Mann – vielleicht ist es wie gesagt Johannes Reuchlin – geht freiwillig wieder in die Warteschlange zurück.

Aus dieser winken ihn die Sicherheitsbeamten wieder heraus und bringen ihn zu einem Verhör.  Beim Verhör stellt sich prompt heraus, dass Reuchlin seit 500 Jahren tot sein müsste, tatsächlich aber vor 20 Jahren ein Spenderherz erhalten hat und dadurch ein vollkommen Anderer wurde – wer, das ist ihm selbst schleierhaft.

Der Mann mit den seltsamen Intentionen und der rätselhaften Identität wird nicht ins gelobte Land gelassen, sondern weiter verhört. Er wird an der Einreise gehindert, weil man feststellt, dass er bereits 1522 gestorben sein müsste.

Beim Verhör trifft er eine andere Verdächtige, die ätherisch hoch singt und wie wild herumturnt, dabei aussieht wie ein Hippiemädchen, mit schwerroten Wallehaaren und Wallerock, zudem wenig Worte singt, in Extremvokalisen, aber wie ein Resonanzkörper empfänglich ist für das, was dieser deplatzierte Mann des Geistes zu sagen hat. Vielleicht ist es Maria Magdalena. Die beiden wollen etwas zusammen essen.

Sie gehen gemeinsam ins Fast-Food-Restaurant, er isst einen Apfel, sie einen Granatapfel, fünfzehn Instrumentaltouristen spielen auf. Munter philosophierend wartet Johannes auf seinen Start ins Jenseits. Sein transplantiertes Herz hört gleichzeitig auf zu schlagen und erleidet einen Herzinfarkt – er stirbt.

Losgelöst vom Körper, beobachtet er das Treiben am Flughafen und denkt über Auferstehung nach, dabei seinen Tod selbst beschreibend. Er kehrt als eine Art Engelserscheinung noch einmal in den sogenannten Warteraum der Erinnerung zurück. Sein Astralleib beobachtet, wie sich die Pilger unter den Flugpassagieren erneut in Pilger und die Beamten nicht in Pilger sondern von Beamten zu Engeln verwandeln, so wie auch er sich von einer möglichen Reinkarnation von Johannes Reuchlin ebenfalls in einen Engel verwandelt hat.

Der Chor der Reisenden, eine Leidens- und Schicksalsgesellschaft, die anfangs ungeduldig und aggressiv mit Geigenbögen fuchtelte, fällt nun unter bizarren Verrenkungen müde und ausgelaugt in die Sessel. Der Chefpolizist hat sich in einen Erzengel mit einem feinen, für Metaphysisches offenen Tenorschimmer verwandelt.

Schließlich wird Reuchlin zum Abflug nach Gate E 32 gerufen. Die dringende Aufforderung, zum Abflug-Gate zu kommen, befolgt Reuchlin allerdings nicht. Der Erzengel, der vorher der Chefpolizist war, flüstert: „Eine Trennung des Endlichen durch das Unendliche“, ein letzter Crescendo-Riss und dann ein langes Nachhallen.

ENDE

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3 Antworten

  1. Thomas sagt:

    Die Oper heißt nicht „Wunderzaichen“ sondern „wunderzaichen“!

  2. @Thomas: Das war eine bewusste Korrektur von mir, denn da die Schreibweise „ai“ ja aus der Goethezeit entlehnt wurde, sollte man dann auch beachten, dass damals noch großer Wert auf korrekte Groß-und Kleinschreibung gelegt wurde, die ja heute immer mehr in Vergessenheit gerät. Ich habe mir daher erlaubt, dies zu korrigieren :-)

  3. peh sagt:

    Lieber Moritz, danke für Deine virtuelle Rekonstruktion. In der Oper gibt es das Gleichnis von einem Töpfer, der seine Vasen immer auf den Boden wirft, um zu schauen, wo die verhüllten Mängel sind. Anschließend klebt er sie wieder zusammen, woraufhin sie einen viel höheren Halt haben. Beinahe so fühlt es sich an, nachdem Du unser Stück aus den Splittern wieder zusammen geklebt hast. Die ausführliche Antwort gibt es nebenan in unserem Produktionsblog zu wunderzaichen:
    http://operstuttgart.wordpress.com/2014/03/06/opernkritik-im-faktencheck-antworten-auf-eine-virtuelle-rekonstruktion-von-wunderzaichen/