94 Komponisten – Abgesang auf die Klangspuren plus der Münchener Biennale
In den Zwischenjahren der Münchener Biennale gab es seit Oktober 1994 die durch Hans Werner Henze und Siegfried Mauser ins Leben gerufene Konzertreihe „Klangspuren plus“. Das Besondere: der und manchmal auch die jeweils beauftragte Komponist und Komponistin stellte der eigenen Uraufführung Stücke anderer Komponisten aus verschiedenen Epochen voran, die für ihn oder sie wichtig sind, nach Möglichkeit Links zum eigenem Schaffen aufzeigten. Dies wurde in einem Gespräch zwischen dem Komponisten und Henze oder Siegfried Mauser, später Henzes Nachfolger Peter Ruzicka oder dem weiterhin im Boot bleibenden Siegfried Mauser erläutert. Das Ergebnis waren manchmal unerwartete Verbindungen, meist doch ein wenig zu sehr mit Referenzen an die eigenen Mentoren gespickt. Als Musiker wirkten neben speziell eingekauften Solisten zuerst Mitglieder des Staatsopernorchesters mit, später war das Ensemble Triolog eine Art Hausensemble, bis man dann auf vorwiegend junge und neugegründete Formationen umstieg, wie im letzten Konzert grandios am Klavier Jean-Pierre Collot, grossartig Mathis Mayr am Cello, bezaubernd der Bratscher Kelvin Hawthorne und der Kontrabassist Juan Sebastian Ruiz sowie klangmächtig Stefan Blum am Schlagzeug. In den letzten Jahren öffnete man die Konzertatmosphäre immerhin Richtung Überbrettlstimmung, so dass man sein Getränk mit an den Tisch im Konzertsaal mitnehmen konnte. Je nach Moderator konnte man sich entweder auf distinguierte Fragen Ruzickas einstellen, wobei eine seine häufigsten Bemerkungen war, dass „man Ihren Partituren einen hohen Grad an Komplexität entnehmen kann, speziell der Legende“. Oder das angeregt eloquente Ping-Pong-Gespräch mit Mauser, der den Befragten das Wort in den Mund legte und wieder von der Zunge rollte, so dass immer was los war, es manchmal richtig lustig zu werden schien.
Gestern Abend gab es nun die letzte Ausgabe dieser Reihe. Ein Clou, den man sich viel öfters gewünscht hätte, war die Doppelmoderation von Ruzicka und Mauser, die beide nun nach der im Mai folgenden Biennale aus dem Team ausscheiden werden. Es war ein wenig das Spiel von Good Cop Peter und Bad Cop Siegfried: Ruzicka trieb das Gespräch voran, derweil Mauser immer wieder listig nachhakte. Da machte es gar nichts, dass der letztverhörte Mark Barden nicht soviel über sich erzählen konnte, gezwungen war, recht handfest auf die Frage zu antworten, warum er denn komponiere, dass er eben schlichtweg komponieren muss. Das schmälerte überhaupt nicht seine Uraufführung „Harvest“, die ein Trio Basso gegen Schlagzeug antreten ließ, beide Antipoden grösstenteils unabhängig agieren ließ und einen den Abend und die Klangspuren selbst zu Ende bringenden Spannungsbogen auftischte. Was man vermisste, war eine tiefgründigere Diskussion über Konzepte, „concept art“, wie Mauser sagte. Denn diese Auseinandersetzung, brandaktuell ja in der Neuen Zeitschrift für Musik, den Positionen und sonst wo zu verfolgen, strich so am Münchener Publikum fast sang- und klanglos vorbei. So erlebte man einen mit Skrjabin, Bach, Ustvolskaja, Feldman, Saunders, Tenney und Lachenmann sehr persönlich programmierten Abend, dem in Bezug auf die zentrale Uraufführung selbst die Vermittlung der diskursiven Aktualität fehlte. Aber vielleicht ist dies auch besser so, denn Barden setzt sich hermetischer mit seiner poetischen Musik ins Bild als es Diesseitigkeit und Neuer Konzeptualismus mit ihren offenen Erklärflanken von ihm erfordern würden. So konnte man als im Gegensatz zum Normalpublikum um jene Diskussion wissender Beobachter erleben, wie trotz dem Titel Ernte (Harvest) seines Stückes, das Spannungsfeld für jeden Komponierenden doch erst mal zu bestellen ist, wie man seine Persönlichkeit dem aussetzt, ohne sich zwischen den Ackerfurchen aufzureiben.
Nach dem Konzert konnte man kurz mit dem ersten Klangspuren-Komponisten Max Beckschäfer und eben dem Vierundneunzigsten Mark Barden – schade, dass man nicht die Hundert erreichte – anstossen und wehmütig, entspannt plauschen und all der Mahnkopfs, Eggerts, Nemtsovs, Schmitts, Motschmanns, Reiserers, Landwehrs, Widmanns, (der als einziger der Granden persönlich da war!), Bettendorfs, Schedls, Saunders, Pintschers, Sanchez-Verdus, etcpp. gedenken. Auch wenn die Reihe nun vorbei ist, wird es wohl doch eine Fortsetzung kleinerer Biennaleveranstaltungen zwischen den Festivals geben, allerdings weniger konzertant als performativ, was gegebenenfalls ja auch eher dem Charakter eines Musiktheaterfestivals entsprechen könnte. Allerdings muss jedes neue Konzept erst einmal seine Tragfähigkeit beweisen, was die Klangspuren trotz aller Ab und Aufs eindrucksvoll vorführten. Ausserdem ist es immer sehr traurig, wenn solch eine traditions- und namensgesättigte Konzertreihe verschwindet, zumal wenn trotz der vorigen Kritik der Komponist sein Programm selbst zusammenstellen kann, einmal befreit von der Konkurrenz zu anderen Kollegen im gleichen Konzert. Wenn diese Einzigartigkeit beibehalten werden könnte, wäre dies für das neue Format ein grosser Gewinn, würde den jetzigen Abschied lindern. Oder ist die Zeit doch reif für ganz anderes? 2016 wissen wir mehr.
Komponist*in