Der große Adorno-Check – Heute: Fahrscheine
Sind Fahrscheine wirklich so bunt?
„Wer die Sprache der Musik versteht und Musik beurteilen kann, mag sie nicht deshalb, weil er erst einmal als Kind eine Flöte gesehen hat, dann, weil Gewitter nachgeahmt wurden, und schließlich, weil man ihm eingebläut hat, dass Beethoven ertaubte. Mögen immer solche Momente beiher spielen, die Freude an bunten Klangfarben ist zuzeiten sicher nicht geringer als die an den bunten Fahrscheinen der Trambahn -, zunächst muss man überhaupt einem musikalischen Verlauf folgen können, über ein Organ verfügen, ihn mitzuvollziehen.“
(Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor, Frankfurt/Main 1963, S. 167)
„Die gesamte Vierte Symphonie [Gustav Mahlers] schüttelt nichtexistente Kinderlieder durcheinander; ihr ist das goldene Buch der Musik das Buch des Lebens. Wie das Geräusch der großen Trommel darin, haben vor dem siebenten Jahr einmal die Trommeln ausgesehen; sie ist der solitäre Versuch der musikalischen Kommunikation mit dem déjà vu, von waschechter Farbe wie die imago des ZigeunerSinti-und-Roma-Wagens und der Schiffskajüte. Sie gewahrte Mahler auch an den Märschen, denen sein Ohr alles vergessend nachlief wie Kinder dem klingenden Spiel von Triangel und Schellenbaum. Klingendes Spiel ist dem musikalischen Sensorium des Kindes ein Ähnliches wie bunte Fahrscheine dem optischen, herausleuchtend aus dem alltäglichen Grau, letzte Spur einer vom Kommerz noch nicht konfiszierten Wahrnehmungswelt.“
(Theodor W. Adorno: Mahler. Eine musikalische Physiognomie, Frankfurt/Main 1960, S. 205)
Berlin (2008)
Für eine Hauptstadt farblich eher enttäuschend. 5 von 10 Farb-Teddys.
Brandenburg (2013)
Wieder VBB (Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg), wieder finden wir: Mehr Farbe dürfte es sein! 5 von 10 Farb-Teddys.
Bremen (1999)
Sicher nicht mehr aktuell (siehe Währung), trotzdem: Bremen ist mal wieder alles andere als Spitze (siehe PISA und Werder)! 4 von 10 enttäuscht dreinschauenden Farb-Teddys.
Cremona (2004)
Auch Italien kann mehr! Wir sagen „Ciao Bella“ und vergeben alles andere als lukullische 3 von 10 Farb-Teddys.
Darmstadt (2008)
Für eine Neue-Musik-Hauptstadt schon fast überraschend bunt! So viel Farbe soll belohnt werden. 7 von 10 fröhlichen Farb-Bärchen.
Deutsche Bahn (2001)
Bunt geht anders. Wir sagen: „Nee, ne? Hallooo???“ 3 von 10 fast losheulenden Farb-Teddys.
Hamburg (2012)
Noch alle (grauen!) Latten am Zaun, oder was? Hamburg, meine blasse Perle… 3 von 10 voll süß deprimierten Bewertungsschnuffelbrummels sagen: *heul*!
Hannover (2013)
Eigentlich die schönste Stadt der Welt. Fehlende Fahrscheinfarbgebung muss ein Irrtum sein! 1 von 10 irritierten Colour Bears.
Leipzig (2008)
Etwas randständig, aber dennoch lobenswert. 6 von 10 sich langsam erholenden Bunt-Teddys.
Mailand (2004)
So soll es sein! Mailand: Wir kommen! 8 von 10 freudvoll hüpfenden Farb-Teddys.
Nordwestschweiz (2010)
Fubar! Eidgenossen: Ist das alles, was ihr (im Bereich Farbgebung) könnt? Dann nehmt das: 3 von 10 Farb-Teddys.
Rostock (2013)
„Ist bereits entwertet“ – das sagt schon viel aus! 2 von 10 sich zum Tränen vergießen anschickende Farb-Problembären.
Würzburg (2009)
Ja, ja, die Franken! Farbig ist nicht. Für den Ausdruck „Großwabe“ allerdings gibt es einen Trostpunkt extra. 4 von 10 doch inzwischen sichtlich entgeisterten Farb-Teddys.
Das große Fazit
In den Einzelergebnissen doch eher enttäuschend. Aber: Die Masse macht’s! Adorno hatte also – wie immer – recht!
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.