Auf nach Donaueschingen, zum Kantatenreigen 2013

Es beginnt verspätet der goldene Oktober. Ich muss ins hinterste Eck der Donauhallen, am DKV-Stand bin ich zu finden. Das bringt mich dieses Jahr seit sehr, sehr langer Zeit endlich mal wieder nach Donaueschingen. Und in die Konzerte. Von denen ich mich artig hier immer wieder im Laufe des Wochenendes melden werde. Ob es wie letztes Jahr ähnlich hoch hergehen wird? Ich nehme mal an, dass 2013 Enno Poppe nicht ein Fusionsinstrument wie Johannes Kreidler 2012 flechten wird, um gegen die Einstampfung, Fusion genannt, des SWR Sinfonieorchersters Baden-Baden/Freiburg vor den Augen der SWR-Führung zu protestieren. Mal sehen, ob sich die Trossinger Hochschuljugend zu Wort melden wird – trotz Panels bestehen ja durchaus verirable Anlässe dafür: statt „Vollhochschule“ soll die Nachbarstadt bald nur noch Akademie sein bzw. nur ein Bröcklein in des „Vollangebots in Baden-Württemberg“, ein neuer verbaler Euphemismus des Karlsruher Musikhochschulrektors Hartmut Höll.

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Dieses Jahr könnte der Hauch der Erhabenheit durch den Mehrzweck- und Sporthallenmief wehen im Gegensatz zum Sturm der elektronisch-neopolitischen Realisten des dezidierten „junge Ensemble“-Festivals des letzten Jahres. Die Eröffnung: Zarte Lüfte in Auseinandersetzung mit der Antike künden Walter Zimmermanns Suave Mari Magno, Clinamen I-VI an, Bernhard Langs Monadologie XIII granulieren Bruckners Sturm und Drang-Sinfonie, die mit der Torte, die Linzer. Nachdem Gott am Sabbat, also samstags, eigentlich zu ruhen vorhatte, erschafft am nächsten Tag pünktlich um 12 Uhr Raphael Cendo die Welt aufs Neue mit seiner Kantate „Registre des Lumières“ – es soll vom Urknall bis zur „Zeit der Zivilisationen“ gehen. Bisher hörte ich nur Gutes von ihm, aber ich nehme mal Illies „1913“ vorsichtshalber mit, vielleicht auch nur als Lektüre, wenn man mich nicht an meinem einsamen Stand heimsucht. Zum Tee um fünf wird dann auf dem neugeschöpften Donauplaneten hübsch im Mozartsaal Enno Poppes „Speicher I-VI“ serviert, ganze 80 Minuten lang kündet man dafür an, rückt ihn der Flyer mit „Meister der Reduktion“ in die Nähe der Meister „des kleinsten Übergangs“ Wagner und Berg – möge die angekündigte Unordnung dominieren. 20 Uhr dann zur Auflockerung endlich Jazz!!

Die Ankündigung zu Georges Aperghis „Situations“ zur sonntäglichen 11 Uhr Matinée erinnert wiederum an Enno Poppes „Schrank“, erinnert dies alles an „und täglich grüßt das Murmeltier“: bitte lasst mich nicht mein restliches Leben ein ewiger Wanderer zwischen Baarsporthalle und Donauhallen – der rollende Münchner statt der fliegende Holländer, als Dauerinstallation zum Gedächtnis des fatalen 2013 Wagner-Verdi-Gedächtnis-Jahres? Warum vertont eigentlich keiner dieser Kantatenmenschen den hessischen Landboten von Büchner, der ja auch sein Zweihundertjähriges dieses Jahr verbüsst? Zugegeben, ich würde dies wohl auch nur unter bestimmten Vorzeichen wagen. Büchners Bezugsquelle Jakob Lenz wird immerhin durch die diesjährigen Karl-Sczuka-Preisträger Oswald Egger und Iris Drögekamp ausgeschlachtet werden.

Im Abschlusskonzert gibt es Kegeln mit Alberto Posadas, nein, natürlich „Kerguelen“, ein Archipel, dessen geografischer Aufbau die Aufstellung von Orchester und Solisten bedingen sollen. Brauche ich dazu Schwimmflügel? Posadas Programmtext raunt von „Mikroinstrumentation“ oder „generative Instrumentation“, Philipp Manourys zu seinem „IN SITU“ von „generativen musikalischen Grammatiken“ oder auch „zum Beispiel wird ein bestimmtes Ereignis A sich immer vor dem Ereignis B befinden oder ein bestimmtes Ereignis C wird immer mit dem Ereignis D verknüpft sein“ – olala. Und Bruno Mantovani komponiert eine Neufassung des Wagnerschen Pilgerchores? Darauf kommt man, wenn man folgenden Ausschnitt seiner Schiller-Vertonung für seine Kantate Nr. liest: „All mein Erbteil, meine Habe/Warf ich fröhlich glaubend hin,/Und am leichten Pilgerstabe/Zog ich fort mit Kindersinn./Denn mich trieb ein mächtig Hoffen/Und ein dunkles Glaubenswort,/Wandle riefs, der Weg ist offen,/Immer nach dem Aufgang fort.“ Was für eine Meta-Höhung! Kein Wunder, dass ihm zuletzt nur waberndes einfiel, als man ihn als Rektor des Pariser Nationalkonservatoriums nach dem immer noch im 21. Jahrhundert fortdauernden Fehlen von Frauen z.B. als Dirigentinnen befragte und er Gefahr lief sich in Herd und Heimchen-Hülsen zu verlieren.

Tatsächlich findet man dieses Jahr keine Frau auf dem Programm an prominenter Stelle. Das hat wohl mit den älteren Namen zu tun, denn unter der jüngeren Generation dürfte man viel mehr Namen wie letztes Jahr finden, die Mantovani mores lehren könnten. So wie Goethe Schiller herzte und Lenz aus Weimar merzte, fehlt dessen Nachfolger Büchner, wird wagnersches „Weialala leia“-artiges vom Rhein an die noch nicht so echte Brigach-und-Breg-bringen-Donau-zu-weg-Weltesche verlegt, regiert 19. Jahrhundert. Apropos Kantaten: die Pariser Nationalkonservatoriumsabsolventen Debussy und Ravel schrieben heute unbekannte Kantaten, um nach Rom reisen zu dürfen, Ravel bekanntlich ohne Erfolg. Berühmt wurden sie mit anderem. Möge das keine Rückschlüsse auf das Kantatenjahr 2013 zulassen, denn wird man 2113 statt Wagner und Verdi diese Kantaten feiern? Am Sonntag wissen wir es und mein Text wird hoffentlich als Kolportage deklassiert sein.

Und zuletzt noch ein Bild von mir, damit man mich erkennt und mit mir an meinem einsamen Stand diskutiert…

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