Wieder zurück. Afghanistan braucht Elliott Carter.
Nach hart erkämpften 2 Wochen Urlaub als Sozialschmarotzer auf Paros (Griechenland, übrigens sehr zu empfehlen), 2000 zu beantwortenden Mails, einem Konzert im Konkordia-Kontainer, äh, Container, einer Deadline für das nächste ZEIT-Magazin…melde ich mich gehorsamst wieder zum Blog Frondienst.
Und netterweise gibt es ja viele, die mir immer wieder Fundstücke aus dem Netz schicken. So fand zum Beispiel Lars Werdenberg folgendes bahnbrechendes Video bei youtube:
Beim Anschauen dieses Videos (der Inhalt in Kürze: William Harvey ist Violinprofessor am „Afghanistan National Institute of Music“ und spielt den wehrlosen Afghanen an verschiedenen Aufführungsorten Soloviolinmusik von Elliott Carter vor und interviewt sie dann dazu) kommen mir zwei Gedanken:
Erstens: Musik für Sologeige gehörte noch nie zu meinen heiß geliebtesten Genres. Irgendwie klingt das immer wie jemand der verzweifelt versucht etwas schön zu spielen, was aber dann letztlich nicht gelingt. Und es gibt irgendwie nur 5 Geiger auf dem ganzen Planeten, denen es dann doch mal gelingt. Aber die spielen dann nicht Elliott Carter sondern irgendwelche langweiligen Konzerte von Max Bruch.
Zweitens: Warum liebäugelt die Neue Musik immer mit so einer zur Schau getragenen Gutmenschenattitüde? So als ob es die Menschen besser macht, wenn sie möglichst akademische Musik hören und mit ernstem Gesicht wissend dazu nicken. Hape Kerkeling hat das schon einmal bekanntermaßen persifliert, diese Carter-Performance ist ehrlich gesagt gar nicht so unähnlich, nur, dass es nichts zu lachen gibt.
Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn einem angepriesen wird, wie gut etwas für einen ist. Gibt es ein sichereres Zeichen für den schlechten Zustand des Deutschen Buchmarktes als dass man an jeder Ecke Plakate sieht, auf denen steht, wie wichtig und gut es für einen ist, Bücher zu lesen? Und ist es nicht ebenso ein sicheres Zeichen für den schlechten Zustand der Musikszene, dass inzwischen schon 1-jährigen Instrumente in die Hände gedrückt werden und Kindergärten stolz damit werben, dass in ihnen gesungen wirbt?
Nicht, dass wir uns falsch verstehen – sowohl Bücher lesen als auch Musik hören und vor allem machen sind sinnvolle und spannende Beschäftigungen. Aber sollte es nicht die Neugier sein, die einem diese Beschäftigung nahe legt, anstatt dass es einem wie von einem Arzt als Rezept für ein besseres Menschsein verschrieben wird?
Hierzu fällt mir eine kleine Geschichte ein: Einmal vor vielen Jahren war ich bei einem befreundeten Ehepaar zu Besuch – eines ihrer Kinder war ein adoptiertes Kind afrikanischer Abstammung. Beim Essen gab es nur ein Thema – beide Eltern redeten auf den kleinen Jungen ein, der wohl im Kindergarten auf seine Hautfarbe angesprochen worden war : „Es ist nicht schlimm, dass Du anders bist! Es ist nicht schlimm, dass Deine Haut schokoladenbraun ist! Es ist nicht schlimm, dass Du Kräuselhaar hast!“. Natürlich musste das Kind ob dieser obsessiven Wiederholung eben doch genau das denken: es ist vielleicht doch schlimm, anders zu sein.
An dieser Geschichte nervt mich genau so viel wie an jemandem, der mir sagt „auch schräge Klänge können schön sein“. So wird ja oft Neue Musik in Schulen angepriesen. Letztlich wird das „Schrägsein“ damit ja konfirmiert, wogegen es ja in Wirklichkeit überhaupt keine schrägen Klänge gibt, sondern nur akustische Informationen unterschiedlicher kulturhistorischer Bedeutungsausprägung.
Diese Diskussion ist ein heikles Minenfeld – mir ist bewusst, dass ich auf diesen Seiten schon öfters für das Schöne, Wahre, Gute und die Vorzüge von kultureller Bildung eingetreten bin. Gleichzeitig merke ich aber, wie mich einiges an dem Video aus Afghanistan aggressiv macht. Ist es der missionarische Eifer des Geigers, der mir beweisen will, dass auch die Afghanen glückliche neue und vor allem westlich geprägte Ohren bekommen sollen? Sind es die leeren Blicke der Zuhörer, denen die Begeisterung über das Dargebotene jetzt nicht direkt aus dem Gesicht springt? Ist es das dröge Cartersche Stück? Ist es das Zitat des jungen Afghanen, der exakt das sagt, was der amerikanische Fragensteller von ihm hören möchte, nämlich dass das Stück angeblich die Müdigkeit vom Krieg darstellen soll?
Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, in Afghanistan solche Musik zu spielen. Und auch das Argument, dass man dort jetzt vielleicht erst einmal ein paar Dinge auf die Reihe bekommen sollte bevor man Konzerte spielen darf, zieht nicht. Dennoch – würde Harvey zum Beispiel nach Syrien reisen und dortigen vermeintlichen oder echten Giftgasopfern dasselbe Stück vorspielen, um sie mit abendländischer Kultur zu beglücken…es hätte schon ein Geschmäckle.
Auf jeden Fall wünsche ich Afghanistan Frieden, Wohlstand, Ruhe, Sicherheit….und eine eigene spannende Musikszene, die aus eigenen klanglichen Erfindungen ihre Kraft gewinnt. Und dann können sie ja zu uns kommen und uns damit missionieren. Täte uns auch mal ganz gut.
Moritz Eggert
Komponist
Lieber Herr Eggert,
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, das Video anzuschauen.
Ich fand dieses Projekt von dem Geiger so unglaublich naiv und abstrus, dass es auf mich schon fast wieder sympathisch wirkte.
Aber der Kontext, in dem sich ganze abspielt ist ein wahres MINENFELD!
Ueber Carter`s Musik kann man natürlich geteilter Meinung sein.
Sie werden mir vielleicht nicht glauben, aber ich habe sie (diese Musik) tatsächlich während eines längeren Klinikaufenthaltes schätzen gelernt!
Es grüsst sie freundlich,
Lars Werdenberg
Mit dieser Art von Verabreichungspädagogik haben noch vor 100 Jahren die Missionare die kleinen Negerlein zu guten britischen oder germanischen Untertanen erziehen wollen. Ich hätte volles Verständnis, wenn die Opfer dieser Kulturattacke anderntags zu den Taliban überlaufen würden.