George Benjamins „Written on Skin“, eine Lektion in Exklusivität auflösendem Koproduzieren

Das beschreibare Pergament einer Oper wie „Written on Skin“ – „skin“ bedeutet ja Pergament – ist der Sound aus dem Orchestergraben: es ist immer wieder faszinierend, den Instrumentierungen des britischen Komponisten zuzuhören. Bisher ist er besonders als Komponist von größeren Ensemblewerken und selbst „Symphonie“ genannten Orchesterstücken bekannt geworden. Grundintervalle wie Sekunden, Terzen und Tritoni schaukeln in jeder Szene in anderer Registerlage meist im gemäßigtem Tempo gegeneinander, steigern sich unmerklich, brechen nicht zu oft in Gewaltigeres um. Seine Links zu Claude Debussy und Alban Berg, zu denen er sich immer wieder bekennt, sind unüberhörbar. Das alles schafft einen Sog, wundervoll von Kent Nagano und dem Klangforum Wien ausgestaltet, der maßgeblich, wenn auch für die Durchschnittshörer eher unbewusst, zum Premierenerfolg der deutschen Erstaufführung dieses Neunzigminüters – wie ein TV-Klassiker – beitrug.

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Ebenfalls die klassische, psychologisierend angelegte „ménage à trois“ der Lovestory des Librettisten Martin Crimp bot dem Publikum genügend Konvention und Reizzustände, die auch die Regie von Katie Mitchell mehr oder minder eins zu eins umsetzte. Engel, hier Büro- und Wäschereiangestellte, schieben die Protagonisten von der linken, neonbeleuchteten jetztzeitigen Bühnenhälfte immer wieder auf die größere, rechte mittelalterliche Spielfläche, die ein Wohn- wie Schlafzimmer darstellt, aus dem auf der äußersten Seite Bäume durch die Decke in das obere Stockwerk durchbrechen, während das dadurch einsturzgefährdete Erdgeschoss durch Metallträger gestützt wird. Das erinnert an traditionelle Umsetzungen von „Hundings Herd und Haus“ aus dem ersten Akt der Walküre von Richard Wagner. Ähnlich arrogant und machohaft wie Hunding gebärdet sich hier der Hausherr, der „Protektor“. Er engagiert einen jungen Buchillustrator, der seine guten wie schlechten Taten glorifizierend malen soll. Als der junge Mann die Frau des Protektors zeichnet, beginnen beide eine rauschende Affäre. Zuerst lässt sich der immer misstrauischer und frustrierter werdende Gatte mit Notlügen abspeisen. Als er glaubt, dass die Schwester seiner Gattin die Geliebte des Malers sei, wird wiederum diese eifersüchtig und verlangt nun vom jungen Mann, dass er mutig ihr Verhältnis dem Protektor gestehe. Prompt macht er das. Der gehörnte Ehemann schneidet ihm dafür die Kehle durch, serviert dessen Herz seiner Gattin, die wiederum sich umbringt, bevor er sie erstechen kann, in dem sich vom Balkon stürzt. Dieser Sturz friert im finalen Abgesang des zum Engel gewordenen Malers ein.

Der Bassbariton Christopher Purves als Protektor stellte die wachsenden Rachegelüste mit immer hauchiger werdender Pianissimostimme dar. Der Countertenor Iestyn Davies als der junge Maler und die phänomenale Sängerin und kraftstrotzende Darstellerin der Frau, Barbara Hannigan, glänzten durch lyrische Passagen, derweil der Komponist der Sopranistin auch ein paar wenige, aber effektvolle Ausbrüche gönnt. Man merkte, dass Gesang und Aktion den Dreien Spaß machten. Allerdings war die Musikdramaturgie dazu eher die eines verhaltenen, durchkomponierten Liedes. Richtige Explosionen oder Verinnerlichungen am Rande des Hörbaren blieben aus. Auch wenn sich der zu singende Texte experimentell gibt – die Sänger singen ihre eigenen Regieanweisungen und sprechen von sich nur indirekter Rede, wie ein exotischer Iniuitstamm – , wird der gut gesetzte Rahmen des Konventionellen nicht gesprengt oder behutsam weiterentwickelt. Auch ist die Handlung in 15 Bildern, wohl eine Referenz an die Szenenzahl in Alban Bergs „Wozzeck“, doch langatmiger als die neunzig Minuten vermuten lassen. Man wundert sich zudem über die Pausen zwischen den drei Teilen, zu denen die Bilder angeordnet sind. Wo das Vorbild Berg grandiose Zwischenspiele schuf oder der geistige Mentor Debussy in „Pélleas et Mélisande“ Parsifalanklänge auffächerte, herrscht auch umbautechnisch unnötiges Schweigen. Das hinderte das Premierenpublikum nicht, die gelungene Erfüllung seiner bescheidenen Erwartungen frenetisch zu feiern, zumal es die letzte von Kent Nagano als Generalmusikdirektor verantwortete Premiere dieser Spielzeit war. Diese mit Festival d’Aix-en-Provence, De Nederlandse Opera, Théâtre du Capitole, Royal Opera House Covent Garden London und Teatro del Maggio Fiorentino koproduzierte Aufführung zeigte ihre nicht mehr ganz so vorhandene Frische im Schlussapplaus: zwar verneigte sich der mit mehreren Vorhängen bedachte Komponist Benjamin. Doch es fehlten der Librettist und das gesamte Regieteam! So zeigte es sich, was Koproduktionen letztlich sind, wenn es sich nicht um die ersten beiden Aufführungsorte handelt: ein simples Gastspiel! Wehe dem, der viele Festivals bereist: er wird immer wieder die gleichen Produktionen vorfinden, womit sich die Exklusivität einer Festspielproduktion immer mehr in Luft auflöst.

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Eine Antwort

  1. Written on Skin in BONN: am 29.Sept.2013, 4./20./26.10., 28.11. und 5.12.2013 gibt es die erste Neuinszenierung an einem veritablen deutschem Opernhaus bzw. Stadttheater. Näheres hier. Man darf gespannt sein, ob das Stück damit Repertoiretauglichkeit beweisen wird.