New Romantics
In seinem seltsamen Spätwerk, der „Valis“-Trilogie, verfolgt der Science Fiction – Autor Philip K. Dick u.a. seine vermutlich durch Drogeneinfluss erzeugte manische Idee, dass das römische Imperium niemals unterging und dass wir nur in einer vorgegaukelten Wirklichkeit leben, hinter deren Fassade nach wie vor die Interessen der Nachfahren von Julius Caesar und Cicero am Wirken sind.
Ähnlich geht es mir, wenn ich an den Begriff „Romantik“ denke, vielmehr an „romantische Musik“, die nach den Geschichtsbüchern angeblich Anfang des 20. Jahrhunderts mit der so genannten Spätromantik ihr Ende fand, und von der „Moderne“ abgelöst wurde, die nun angeblich in der „Postmoderne“ schon wieder in den letzten Zügen liegt.
Aber ist das wirklich so? Ich sage euch: Die romantische Musik ging niemals unter! Da kann noch so oft die zweite, dritte oder vierte Moderne ausgerufen werden, mein Instinkt sagt mir, dass wir uns eigentlich nach wie vor in der Romantik befinden. Oder das zumindest das, was sich als archetypisch aus der Bewegung der Romantik abgespaltet hat, weiterhin sehr lebendig und vor allem nach wie vor dominant ist. Nennen wir es gerne Post-Romantik, aber bitte nicht „Moderne“ oder „Postmoderne“. Beweise? Gerne.
Zuerst einmal muss man ja konstatieren, dass eine Kunstepoche erst dann endet, wenn die dazugehörige Weltsicht bei der Mehrheit der Bevölkerung durch etwas anderes abgelöst wurde. In Literatur, Theater und bildender Kunst mag dies ja vielleicht teilweise der Fall sein, aber in der Musik? Spricht man mit jemanden über Musik, der jetzt nicht unbedingt aus der Neuen-Musik-Szene ist, so ist das Vokabular nach wie vor das der Romantik. Es geht als vornehmlich um die subjektive und eigene Wahrnehmung von Musik (das hat sich seit dem Ende der Klassik- in der objektive handwerkliche Kriterien wesentlich wichtiger waren, tatsächlich nicht geändert!) Emotionen wie „Sehnsucht“, „Leidenschaft“ und das große Unterbewusste werden auch von jungen Musikstudenten beschworen. So lange dies so ist, kann eine Moderne wirklich beginnen?
Und die Komponisten selber? Für mich ist z.B. ein Stockhausen der romantische Komponist par excellence – mal abgesehen von seiner unverhohlen Nachahmung des romantischen Übervaters Wagner war sein ganze Geschmonz um den heiligen Auftrag vom Sirius eine romantische Hippie-Vision der 70er Jahre (waren die Hippies nicht im Grunde Neo-Romantiker?). Und wenn ich mir die lebenden Kollegen so anschaue, so ist doch deutlich, dass das Selbstbild des Komponistenberufs nach wie vor von den Topoi der Romantik bestimmt ist, die da lauten „nur die Nachwelt versteht mich“, „Genies müssen verkannt sein“ und „man soll meinen Namen noch in Tausend Jahren kennen“. Sturm und Drang – Gehabe, wohin man auch schaut. Ist nicht überhaupt schon das Vorhaben heutzutage ein Komponist neuer klassischer Musik zu sein eine zutiefst romantische Pose?
Und die Popularkultur? Ist voll von den Wiedergängern, die die Romantik in ihren Schauerromanen und „Gothic Novels“ eigentlich erst erfunden hat. Wo man auch hinschaut: es wimmelt von Vampiren und Untoten. Man strebt nach ewiger Jugendlichkeit und Unsterblichkeit – sind das nicht doe romantischen Attribute par excellence? Das Publikum schmachtet nach dem nächsten Top-Model oder dem nächsten Superstar, dabei werden – quelle surprise – natürlich vor allem „Emotionen“ groß geschrieben bei der Berichterstattung, auch wenn die allesamt erstunken und erlogen sind. Und in der Hochkultur sind wir auch umgeben von den Zombies, die uns die Sittenwächter des Geschmacks auf immer höhere Sockel stellen – immer größer und hybrider sind die Jubiläumsfeierlichkeiten der großen Alten, und manchmal nehmen sie gar kein Ende. Komponisten werden zu Kontinenten deklariert, bald zu Galaxien, ja Universen, und mit immer bombastischeren Preisen überhäuft. Kompositionswettbewerbe gibt es in Rekordzahl, jeder soll der Start einer „Weltkarriere“ sein, denn unter Weltkarriere läuft heute schon einmal gar nichts. Avantgarde? Nichts anderes als Sturm und Drang – auch musikalische Revolutionen werden zur Kuschel-Romantik, wenn sie sich behaglich institutionalisiert und eingerichtet haben. Wir schreiben alle „Musik zum Schmusen“, auch wenn sie oberflächlich gesehen nicht so klingt. Und Image ist alles, auch ein Anti-Image ist ein Image.
Auch die „Grufties“ (oder „Goths“) sind als Jugendbewegung unglaublich hartnäckig und scheinen nie mehr zu verschwinden, Romantiker allesamt, die auch neo-romantische Musik hören und neo-romantische Musik hören. Überhaupt verschwindet inzwischen gar nichts mehr, jeder Trend und Gegentrend strebt nach Unendlichkeit und sammelt sich auf der großen Halde der Ideen und Programme an, die immer größer wird. Und die Popstars von gestern sind die Wiedergänger von heute – unsterbliche Gruftgestalten allesamt, ewig auf Tour durch die Konzertarenen der Welt.
Das Ganze mündet für mich in einer Art zynischem Subjektivismus: Jeder ist das Zentrum seines eigenen Universums, ewig jung, ewig erfolgreich, und doch zwangsläufig schon morgen Schnee von gestern weil einfach neue junge Genies nachdrängen. Weil alles ewig ist, ist plötzlich nichts mehr relevant, nichts mehr von Belang.
Manchmal sehne ich mich danach, von dem ganzen geschichtlichen Ballast der Romantik nichts zu wissen (auch wenn die Romantik natürlich viel Schönes hervorgebracht hat) und wie weiland ein Monteverdi oder ein Bach vor allem für den Moment zu komponieren. Denn der Moment ist doch letztlich das, was nur uns gehört, und niemand anderem.
Es bleibt daher nichts anderes übrig, als vielleicht nochmal hundert Jahre zu warten und zu hoffen, dass dann vielleicht neue Erkenntnisse uns die erste echte „Moderne“ bescheren, nicht deren zutiefst romantische Variante des 20. Jahrhunderts.
Moritz Eggert
Komponist
Ohne überhaupt auf außermusikalische Verbindungen oder die bisweilen unglücklichen Versuche epochengeschichtlicher Abgrenzung zu blicken:
IST MUSIK AN SICH NICHT EINE ROMANTISCHE KUNSTGATTUNG?
Unberührt davon bleibt die Notwendigkeit der stilistischen und ästhetischen Abgrenzung jedes Komponisten von der wie auch immer definierten und wahrgenommenen Historie. Reibung an der Romantik als Epoche oder an von Zeitstilen losgelösten Romantizismen ist für die kompositorische Standortbestimmung nicht nur anregend sondern unumgänglich. Das Bewusstsein von geschichtlicher Anbindung oder gar Fessel führt bisweilen zu schmerzhaften Erkenntnissen.
Kann und möchte man deshalb auf diese Reibungsmomente verzichten? Ist es nicht letztlich eine Frage hinreichender Fantasie und in der kompositorischen Ausarbeitung eine Frage des Transformationsgrades, historische (strukturelle, assoziative…) Fundstücke im eigenen Kompositionsorganismus überzeugend neu (irritierend, frisch, lebendig…) erscheinen zu lassen? Monteverdis Madrigale, Bachs Kantaten, Beethovens Sinfonien und all deren Zweitverwertungen in „aktueller“ Popmusik erscheinen uns bisweilen als geschichtlicher Schrott. Wir suchen für die vielmals gebrauchten und damit vermeintlich verbrauchten kompositorischen Edelmetalle (und ihren popmusikalisch hochglanzpolierten Oberflächen) einen Endlagerplatz, um von ihnen im eigenen (strukturellen) Denken nicht mehr belästigt zu werden. Bisweilen glauben wir im Vergessen harter Vorbilder die erhoffte gestalterische Freiheit zu gewinnen. Wie oft bereits hat sich dieses Denken als billiger Fluchtreflex, als Irrglaube erwiesen und wir mussten uns eingestehen, dass wir nur zu bequem waren, uns den geschichtsverbundenen Herausforderungen in aktuellen Kontexten zu stellen? Zugegeben bietet uns unsere eigene quecksilbrig anmutende Produktion oft kaum Verknüpfungsstellen.
Sollte aber nicht gerade die Verschmelzung harter bewährter historischer Strukturen mit den bereits verinnerlichten Gestaltungsprinzipien wichtigstes Ziel sein und so zu einem hörenswerten „modernen“ Amalgam führen?
@Moritz: Die Populärkultur, da gebe ich dir komplett recht, war noch niemals romantischer (man könnte auch sagen: rückwärtsgewandter, irrationaler, mythologieverliebter). „Star Trek“ (seit 1966), ein Kind der klassischen Science Fiction, war da wie ein letztes Aufbäumen einer anderen Weltsicht. „Star Wars“ (seit ca. 1980) ersetzte Spocks (vielbespöttelte, aber zweifellos szientistische) Logik dann durch Chewbaccas Grunzen und summende Laserschwerter.
Stockhausen wird eigentlich nur dadurch erträglich, dass man ihn – entgegen seinem Selbstverständnis natürlich – als (lahme) Kopie des Free-Jazz-Pioniers Sun Ra interpretiert.
Man kann es aber auch machen wie Erik Satie. Oder Luc Ferrari. Oder Clarence Barlow. Oder Johannes Kreidler. Die würden sich allerdings auch nicht als „Komponisten neuer KLASSISCHER Musik“ bezeichnen. Unterstelle ich jetzt mal (bei Kreidler weiß ich’s).
… bis sie irgendwann inkontinent werden (sorry, der musste raus).
Der französische Soziologe Bruno Latour schrieb zu diesem Thema bereits 1998 ein Buch mit dem Titel „Wir sind nie modern gewesen“ (ich hab’s nicht gelesen, kenne mich aber ein wenig mit Latours „Akteur-Netzwerk-Theorie“ aus), will sagen: Das „Bewusstsein“ der Antiquiertheit unseres kulturellen Selbstverständnisses ist da (das zeigt ja auch dein Artikel) – aber „man“ scheut die Konsequenzen seiner Verabschiedung („Huch, bin ich am Ende vielleicht doch nur ein finiter Automat?“).