MGNM-Musikfest 2013 – Fieberkurve eines Auftritts als eigener Interpret
Musikfest, in München. Die Bewohner der Titellandschaft von Eugen d’Alberts Oper Tiefland werden sich darunter gemeinhin eine Art „Musikantenstadl“, einen Wettbewerb der zu kürenden Wies’n-Hits oder Singspiele zum Starkbierfest vorstellen können. Die Menschen, denen Eugen d’Albert zu niedrige Kost ist, die Bewohner der Lofts der Hochkultur, die genug Geld für Wohnlöcher in der Elbphilharmonie oder im The Seven Atrium aufbringen können, denken bestenfalls an Opernfestspiele, Biennale oder musica viva, wobei dieses Trias bereits eine unzulässige viel zu gut gemeinte Unterstellung an diese Personen sein dürfte! Nein, Musikfest, das ist so eine Art Goldgrund AG der Neuen Musikszene Münchens: ob Profi oder Autodidakt, jede und jeder beweist, dass es in dieser Großstadt trotz kultureller Megalomanie so etwas wie ein musikalisches Urgestein gibt, aus dem alles Wichtige für diese Stadt spriesst, ein Boden, der immer wieder angerufen und gepredigt wird, allerdings weitestgehend zum Nulltarif. Dieser ist hier die Regel, die besondere formulierte Ausnahme, die aber auch nur hier einmal alle zwei Jahre funktioniert. Denn sonst gäbe es keinen Grund noch, diesen Acker zu bestellen. Dieses Jahr führte das Riesenteam um Minas Borboudakis, der selbstlos sogar in mehreren Stücken einsprang, genauso sein Vorgänger Christoph Reiserer, und Nikolaus Brass durch das Programm.
Allerdings hat auch so ein Musikfest seine festen Regeln. Das zeigt sich an der Typologie des Publikums wie auch der Auftretenden: nachmittags trifft man auf kleine Familienverbände, ist die musikalische Kost meist tonal. Nach der Teestunde hört man meist nur noch ein Kind im Publikum greinen, welches schnell von den Eltern herausgetragen wird. Die Stücke riskieren jetzt mehr, werden länger und manchmal auch schon konzeptueller, allerdings tritt jetzt auch geballt der Komponistentyp in Erscheinung, der sein Ego herausstellen muss, meist durch sehr würdevolle, einkonzeptuelle Musik, die mal wieder wagnersche Dimensionen entdecken will.
Und so wird es Zeit, im weiteren nur von mir selbst zu berichten:Lampenfieber kenne ich nicht, wenn ich dirigieren darf oder organisieren muss. Ziemlich unruhig werde ich bei Uraufführungen, aufgeregt und hypochondrisch mit halbeingebildeten und halbechten Erkältungs- oder Durchfallsymptomen, wenn ich selbst auftreten muss. So wird der einfache Transport eines grösseren Laptops für mich die moralische Begründung, mich mit dem Taxi zum Aufführungsort chauffieren zu lassen, direkt vor den Haupteingang. Dann stürze ich auf irgendjemand zu und frage, ob er der oder die Person sei statt zu sagen, ob er wüsste, wo x oder y sei. Natürlich taucht dann jemand auf, der mich kennt und die Hand schütteln möchte. Ich springe aus oben genannten Gründen einen Schritt zurück, schnüre den Schal etwas enger. So geht das weiter, bis meine Gerätschaften installiert sind. Endlich senkt sich die Aufregung. Heiss wird es wieder, wenn das Konzert beginnt: wo soll man sich hinsetzen, um möglichst nahe an der Auftrittsecke im Raum zu sein, denn der Auftritt erfolgt aus dem Publikum. Natürlich sind Alle geeigneten Plätze bereits belegt, denn 10 Minuten vor Beginn schon im Saal zu sitzen geht für mich nicht, wenn ich selbst was zu tun habe. Vom vermeintlich noch einigermassen vertretbaren Platz werde ich vertrieben, weil der natürlich längst reserviert ist. Endlich findet sich doch eine Lücke ganz oben und dieser Nebenkriegsschauplatz ist weg. Es sind noch fünf bis sechs Nummern zum eigenem Beitrag. Wie gut, dass dies noch dauert. Aber wie immer, die Freude über die reichliche Zeit schlägt ab dem zweiten Stück allmählich in Qual um, in Folter, wenn ein Kollege gar kein Maus für den Biss in seinen Faden findet.
Ruhiger werde ich, als drei Soprane vor mir eine Art Regentalbahnrequiem von Cornelius Hirsch anstimmen, was mich wieder beruhigt. Die Aufregung steigt nochmals, als die Damen abgetreten sind, der Applaus nicht enden mag, sie nicht wiederkommen. Ist was passiert? Oder gilt das schon mir? Absoluter Blödsinn, totale Geistesblösse. Funktioniert die Elektronik? Ist der Tonmeister auch wirklich am Mischpult? Ich höre nichts! Ich sehe nichts. Irgendwie beginnt es aber doch wie geplant, also war mein Üben doch nicht für die Katz. So spreche, rede und rufe ich meinen Text in die beiden Mikrofone, überlebe eine nur für mich wahrnehmbare Panne, gewinne an Sicherheit, schein sogar ein wenig selbstironisch mit mir zu spielen. Jetzt könnte es hübsch weitergehen! Doch nach 4:21 Minuten ist es vorbei! Wunderbar. So freue ich mich endlich auf den weiteren Konzertblock, bin die eine Hälfte meiner Erkältungs- und Durchfallssymptome los. Nun wandelt sich das Publikum hin zu ernsthaften Gestalten, treten Musiker auch mal im Anzug auf, liegen Pianistinnen sehr schön mit dem Kopf auf den Tasten (Bravo an Masako Ohtas Brasssche Benediktionen), fauchen sich Bratscher und Akkordeon wie wilde Kerle an (Danke an 2K+2W=Klaus P. Werani & Kai Wangler mit Nikolaus A. Huber), gedenkt man bei Hed mit schönen Erinnerungen an Peter Kiesewetter), dauert anderes wieder extrem, doch irgendwie auch sehr plausibel in dieser Zeitnahme. Allmählich tröpfeln die Freunde der Improvisationskunst herein, deren Konzertblock um eine Stunde verschoben wird. Doch ich, gestärkt mit meinem symbolischen Lohn aus Essens- und Getränkebons, nehme nun sogar den Bus nach Hause. Erbarmt sich das nächste Mal jemand meiner und spielt einfach mal von mir, statt dass ich wieder entertaine?!? Allerdings wollte ich dies bewusst: sowie Schriftsteller ihre eigenen Manuskripte oft recht vernuschelt und damit angeblich sehr authentisch vortragen, schadet es nicht, wenn Notenschreiber auch mal ihr eigenes Zeug vorlesen oder singen. Ganz falsch war es wohl nicht in jenem Kontext. Immerhin bleibt mir so bewusst, was Auftreten bedeutet! Und was es heißt, einmal für nichts aufzutreten. Möge das Musikfest eine fröhliche Spielwiese bleiben, die auch Profis für sie Ungewohntes ausprobieren lässt. Es darf aber nie und nimmer zum Maßstab für Kulturfinanzierung werden. Hier bestätigt die Ausnahme die Regel, dass Kultur immer einer finanziellen Angemessenheit bedarf, um überhaupt existieren zu können. Um es klarzustellen: nicht die Kulturpolitik leistet sich das Musikfest, nein, es ist die Szene höchstselbst!
Komponist*in