weil das ja klar ist
na klar, auch feuilletonisten dürfen mal träumen. auch jan wiele, der für die FAZ schreibt und der offenbar ein musikalisches erweckungserlebnis hatte. schuld war der junge schlagzeuger jonny könig, der sich den spaß gemacht hat, stoibers transrapidrede
http://www.youtube.com/watch?v=f7TboWvVERU&
zu musikalisieren.
http://www.youtube.com/watch?v=9Vg2h_nW0bA&
das ist eine ganz witzige geschichte und hätte hier allenfalls unter kuriosa etwas zu suchen. ja, wenn nicht der ton, den die popkritik so gern anschlägt, einen aufhorchen ließe.
„nicht nur die rhythmische Versiertheit ist berückend“, schreibt herr wiele, „als sich die Stoiber-Bandstimme an einer Stelle aufhängt und ständig wiederholt, mausert sich die Performance noch zu einem richtigen Song“
rhythmische versiertheit ist, sagen wir mal, das mindeste, was man von einem schlagzeuger erwarten kann. und die steigerung von rhythmischer versiertheit und performance, so herr wiele ist also der song.
wo soll man anfangen. also richtig ist an dieser beobachtung zunächst einmal ganz sicher, dass sich herrn königs komposition in zwei deutlich voneinander geschiedene teile untergliedert. im ersten teil sind tonhöhen allenfalls approximativ angedeutet und der schlagzeugrhythmus folgt dem verlauf der sprache. im B-teil treten melodie und harmonie hinzu, wobei sich der schlagzeugrhythmus vom sprachrhythmus entkoppelt und in die gewohnten bahnen des viervierteltakts zurückfällt.
für das, was im a-teil passiert, fällt herrn wiele kein besserer begriff ein als „performance“. performance ist ja zunächst einmal in der musik alles, was nicht auf dem papier steht, aber offensichtlich kann er das geschehen nicht richtig einordnen und greift daher auf den unverbindlichen und durch die kunstwelt nobilitierten begriff der „performance“ zurück und bringt damit gleichzeitig zum ausdruck, dass dasjenige was dort geschieht „hors catégorie“ ist. einfache ausdrucksweisen wie: mit dem schlagzeug imitiert der spieler den rhythmus des sprechers, durch die wahl der instrumente deutet er gar die verwendung von plosiven und frikativen, etc. an und erstaunlich ist die analytische präzision, mit der sich könig der sprachmelodie und dem sprachrhythmus des tonbands – ganz ohne notation – annähert. dass alles was hors catégorie ist, negativ besetzt ist, beweist das hier eingesetzte verb, mit dem der autor die steigerung zum ausdruck bringen will. er spricht davon, dass sich das stück „mausert“. die mauser ist bekanntlich ein natürlicher vorgang, bei dem vögel ihre alten, verbrauchten federn gegen neue, bessere federn austauschen. das was nach der mauser kommt ist also besser als das, was davor war. für einen popkritiker ist das besser, was er schon kennt.
„Zu der Hookline „Weil das ja klar ist“, die wohl mithilfe eines Vocoders zur Melodie mutiert, fallen Jonny Königs Kollegen dann mit Gitarre, Bass und Synthesizer ein und machen aus dem Gipfel rhetorischer Verunklarung leuchtende Popmusik.“
leuchtende popmusik! was stört mich hier eigentlich? ist es schlicht die emphase? schimmernde klassik! knisternde neue musik! wer pflegt eigentlich gerade die liste der nogo-formulierungen?
und immer noch wird hier dem vorurteil gehuldigt, dass der gipfel der musik die melodie ist, das eingängige, das liedhafte, DER SONG. doch was hebt diesen SONG tatsächlich aus der geschichte der popmusik heraus? dass er über jenen a-teil verfügt, der sich dem spiel mit akustischer mimesis und einem nicht mehr gebundenen, freien rhythmus verschreibt und dadurch den ganzen klanglichen und rhythmischen, MUSIKALISCHEN reichtum der sprache zum vorschein bringt.
halten wir das positive fest. der popkritiker beschreibt ein werk, das deswegen besonders ist, weil es anders ist. anschlussfähig im popdiskurs ist es, weil es wieder wird wie gewohnt. und weil es sich auf einen locus classicus der internetlachkultur bezieht.
und so kulminiert der artikel dann auch tatsächlich in dem wunsch all die banalitäten und schenkelklopfereien des www auf gleiche art zu verballhornen: „Alle die lyrischen Perlen eines Trapattoni, Sarkozy oder George Bush warten nur darauf, getrommelt und vertont zu werden.“
Ja mei, möcht man sagen, lieber Popjournalist, über den ursprung der musik aus dem geiste der sprache wurde bereits viel geschrieben, siehe bspw. Rousseau et alii.
und wenn dir das spiel mit solcher sonifikation des gesprochenen wortes so gut gefällt, dann pfeif dir doch mal bitte den wunderschönen zyklus von peter ablinger rein: voices and piano
http://www.youtube.com/watch?v=HlVbSFo3z3E&
hier gibt es nicht nur zahlreiche tolle varianten, wie man sprache mit hilfe unterschiedlicher analyseraster musikalisch übersetzen kann. es geht auch ein bisserl über die albernheiten des mainstream hinaus. und stimmen hört man da, die man nicht so schnell vergisst. hooklines kann ich nicht immer versprechen. aber dafür ganz viel, woran das ohr hängen bleibt. dass das klar ist.
PS: hier gibts noch ältere beispiele!
http://www.kulturtechno.de/?p=8771
Musikjournalist, Dramaturg
Mir fällt da auch der Rühm ein, in ganz anderer Art. Hier die Passagen mit Klavier aus Wald, ein deutsches Requiem
Ich nenn das seit langem „ästhetisches Arbitragewinnlertum“. Geht nur mit einem Publikum das sich Musikgeschichte aboperiert hat.