Ballons, Klangsäulen und eine Singhexe samt Maikäfer
Mittwochs gab es ein weiteres Konzert der Silberstreifenreihe, diesmal mysteriös „silver-nauts“ genannt, des Münchner Ensembles „pianopossibile“ im Umfeld des Komponisten Klaus Schedl im Untergiesinger i-camp mit spannenden Werken von Alexander Schubert und Benjamin de La Fuente, vielversprechendem von Dieter Dolezel, Eva Reiter, Massimiliano Viel und abschweifendem von Michael Maierhof.
Musik mit Elektronik. Instrumente mit Zuspielung. Gesang mit Liveelektronik. Was passiert, wenn das dicht komprimiert, übergangslos auf den Zuhörer einwirkt. Wenn Tonhöhen- und instrumentale Spielgestaltung der Klangwirkung untergeordnet sind, fängt man neu zu hören an. „Transcode“ für E-Gitarre und Zuspielung des Italieners Massimiliano Viel spielt mit Hallräumen, auferlegt dem Interpreten Johannes Öllinger genaueste Ein- und Umstellungen an seinem Instrument, so dass das Spiel der eigentlich schlicht klingenden Melodik kaum auffällt. Gesehenes und Gehörtes fallen auseinander, so dass man nur noch voll Spannung lauschen möchte.
Dazu trug auch „Alle Verbindungen gelten nur jetzt“ der Komponistin Eva Reiter bei. Mit E-Gitarre, der Komponistin selbst an der menschenhohen säulenartigen Kontrabassblockflöte. Philipp von Morgen am Violoncello, Stefan Blum am Schlagzeug aus gewohnter Percussion wie auch Bremsscheiben und weiteren KFZ-Metallteilen und ebenfalls Zuspielung verschwinden die Musiker förmlich hinter ihren Instrumenten und ihren Klangerzeugungen, ziehen vielfältige, sich gegenseitig auflösende Verknüpfungen zwischen Instrument und Tonband. Das ist kompakt und vielgestaltig im Klangergebnis, erschrecken plötzlich zarteste Vibrafonklänge, die in ihrem gewöhnlichen Klingen das Hörnetz zerreissen, das man trotz seiner Länge nicht unterbrochen haben will.
Sehr sichtbar performten eingangs Philipp Kolb, Heinz Friedl und Johannes Öllinger „shopping 4“ von Michael Maierhof. Mit Mikrofonen akustisch verstärkte Luftballons wurden mit halben Holzwäscheklammern und Topfreinigungsschwämmen traktiert. Verschieden hohe und tiefe Kratz- und Quietschgeräusche wurden mit Pausen garniert, aufgeklebte Tapes ergaben eine Art fixierte Rhythmusschiene, die konturiertere Metren zuließ. So spannend das Zusehen war, so zu lang war irgendwann die freie Formgestaltung. Man erwischte sich dabei, von Schwammfugati und Nadelstichen zu träumen. Dieter Dolezels „Wildes Fleisch II“, eigentlich für Posaune und Zuspielung, wurde von Philipp Kolb auf der Basstrompete gespielt. Das Tonband klang zuerst nach kratzender Schallplatte und dezenten Fehlergeräuschen der Elektronik mit einem dagegen grummelnden Bläser, der sich bald mit klareren melodischen und rhythmischen Gestalten davon entfernte. Dies wurde wiederum von der Elektronik aufgegriffen und reicherte wohltuend den Grundklang an. Allerdings war das Stück schon vorüber, wo sich ein vielversprechendes Mehr an Verselbständigung der Trompete ankündigte.
Der Franzose mit dem spanischen Namen, Benjamin de la Fuente, komponierte mit „Bip und Sirene“ für Ensemble und Sampler genau die Erfüllung der offenen Wünsche, die die vorigen Stücke hinterlassen hatten. Mit integriertem improvisierenden E-Violinen-Part (Markus Münch) begann es in hohen Tönen tastend, gab den gewohnten Klang der Instrumente noch nicht preis. Als dies allerdings dann passierte, wirkte dies nach den elektronischen Hörerfahrungen seltsam antik. Dafür entschädigte voll und ganz der komponierte Bogen, der sogar eine lyrisch-expressive Steigerung konventioneller Machart einschloss, ohne dass diese den Rahmen sprengte. Letztlich scheint eben doch kompositorisches Verknüpfen im rechten Moment seine Bedeutung zu behalten.
Dies selbstverständlich ausführend und doch noch extremer mit den elektronischen Klangmöglichkeiten und Spieltechniken arbeitend war Alexander Schuberts „Your fox´s is a dirty gold“ für Singstimme. Mafalda de Lemos hatte zudem eine E-Gitarre einfach zu bespielen, ihre Sprechstimme für liveelektronische Echtzeitaufnahmen einzusetzen sowie magische, musikauslösende optisch gesteuerte Bewegungssensoren mit ihren Armen zu bedienen. Die Gesamtheit von Performance, Gesang, musikalischer Dramaturgie und Klangmagie verzauberte nachhaltig: man kam sich wie ein Maikäfer auf geglückter Brautschau vor.
Komponist*in