Niederbayerisches Stadttheater versus weiteren Konzertsaal einer Landeshauptstadt
Jahrelang wogt in München nun der Streit, ob, wie und wo ein neuer Konzertsaal für das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu bauen und finanzieren sei. Grund ist eine unter vielen Dirigenten und Gastorchestern weit verbreitete Unzufriedenheit mit der städtischen Philharmonie am Gasteig. Angeblich will Simon Rattle dort nie mehr auftreten, hadert Mariss Jansons mit dortigen Auftritten. Andersherum hört man wiederum diplomatischere Töne des jetzigen Interimschefs der Münchener Philharmoniker, dass der Gasteig so übel nicht sei, las man die Tage in Kritiken eines Konzertes der Dresdner Philharmoniker mit Kurt Masur von eigenartigen Orchestersitzexperimenten, die erstaunlich gut funktioniert haben sollen.
Immerhin scheint klar zu sein, dass über kurz oder lang doch baulich etwas am Saal verändert werden muss. Das kann z.B. Sanierungsvorschlägen der Gasteig-Chefin Brigitte von Welser entnehmen. Statt nun einen neuen Saal zu bauen, wie es der Kulturminister Heubisch, die BR Sinfoniker – alles Institutionen im Dunstkreis des Freistaats Bayern – , ein Freundeskreis und andere verlangen, würde sich der Oberbürgermeister Christian Ude freuen, wenn diese ihm bei der Sanierung des Gasteigs beistehen würden. Derzeit herrscht zudem Wahlkampf, so dass sich die beiden Ansätze monolithisch gegenüber stehen. So fordert lustigerweise Minister Heubisch den neuen Konzertsaal ausgerechnet zu Füßen des Ziegelsteinmonstrums Gasteig im Bereich der ehemaligen Kongresshalle des Deutschen Museums zu errichten. Genau an der gleichen Stelle, wo früher die Münchener Philharmoniker jahrzehntelang ihr Ausweichquartier hatten, aber selbst der über die wirklich dortige bizarre Akustik herziehende Karajan dennoch dort auftrat, wenn der Herkulessaal blockiert war.
Der größte Witz derzeit ist das Ausspielen des Konzertsaal-Luftschlosses und Gasteigsanierung gegen den Bau einer zweiten S-Bahn-Stammstrecke, gegen die jedes grössere Bauvorhaben herhalten muss. Immerhin scheinen sich Bund, Land und Stadt hier vernünftig in Bälde zu einigen. Letztlich sind die Konzertsaalpläne eine Luxus- und doch jenseits aller politischen Ränke auch eine lösbare Organisationsfrage!
Derweil in München die Kultur-Titanen ewig aufeinander eindreschen, entgeht ihnen und uns das Stadttheater-Drama in Landshut! Das gute L.A. Bayerns, in herzoglichen Urzeiten sogar mal wichtiger und stolzer als München, wie dieses die Hauptstadt eines Regierungskreises. Für unsere nichtbayerischen Leser: Landshut ist die Hauptstadt von Niederbayern, München – wohlbekannt – die von Oberbayern. Das klingt nach Augenhöhe. Die Wirklichkeit ist aber weit davon entfernt. München steht trotz öffentlicher Schulden ganz gut da, Landshut ist am Rande seiner Zahlungsfähigkeit angelangt. Eigentlich müsste Landshut von der aus allen Nähten platzenden Boomtown profitieren, ist die Jobmaschine Flughafen München nicht unweit gelegen, rauschen die Pendlerzüge in etwa so schnell wie von Augsburg nach München.
Denkt man Münchens Wohnungsnot, gehört nach Aussagen der Sozialreferentin Meier der Landeshauptstadt wohl auch Landshut als integraler Bestandteil der sogenannten Europäischen Metropolregion München zu den Hoffnungsträgern für Ausweichmöglichkeiten, wenn die neu Zuziehenden hier keinen bezahlbaren Wohnraum in der Großstadt finden sollten. Zudem ist Landshut eine feine mittelalterliche Perle, verbreitet hier und da eine Ruhe, die man in der grossen Schwester vermisst. Schnell ist man zu Fuß oder mobiler aus der kleinen Stadt im Grünen. Mit etwas mehr als 64.000 Einwohnern bietet Landshut zudem ein kleines, feines Stadttheater. Wie stolz war man 2011, als man endlich wieder das Grab des Erbauers Johann Baptist Bernlochners entdeckte.
Das besondere am Stadttheater ist seine Struktur. Mit Passau und Straubing bildet Landshut einen kommunalen Zweckverband, der vor kurzem erst sein erfolgreiches sechzigjähriges Bestehen feierte. Im Alltag bedeutet dies, dass eine neue Produktion zum Beispiel in Landshut geprobt wird und Premiere feiert und dann im Semistagione-Betrieb des Zweckverbands auf Tour zwischen den Partnerstädten geht. Somit werden die wichtigsten niederbayerischen Zentren versorgt. Und denken wir an die Münchener Metropolregion, wird deren nordöstlicher Teil damit versorgt.
Nun ist diese Grundversorgung infrage gestellt. Das Stadttheater Landshut ist nun so marode in seiner Bausubstanz, dass man nicht mehr um eine umfassende, jahrelange Sanierung herumkommt. Wäre Landshut München, dann würde irgendjemand gleich noch einen zweiten oder gar dritten Theaterbau fordern. In Landshut ist es allerdings von existentieller Bedeutung für den Dreistädtetheater-Zweckverband, eine Interimslösung zu finden. So rang sich der Landshuter Stadtrat dazu durch, nicht weit entfernt vom Stadttheater eine Zwischenspielstätte zu errichten, die später vielleicht sogar als zweites Haus taugen könnte. Nun wird aber aller Wahrscheinlichkeit die hoffnungslose Überschuldung der Stadt diesem Ratsbeschluss einen Strich durch die Rechnung machen.
Die Aufsichtsbehörde, die sogenannte Regierung von Niederbayern, eine mittlere Zweigstelle der bayerischen Staatsregierung, der auch der oben genannte Kulturminister Heubisch angehört, die Regierung von Niederbayern also hat bereits öffentlich angekündigt, dass sie dem Beschluss der Stadt nicht zustimmen wird, weil sonst neue Kredite fällig würden. Zuletzt genehmigte die Regierung unter harten Auflagen und Sonderkonditionen Landshut, eine Berufsschule zu sanieren. Jetzt sei aber erstmal keine Ausnahme mehr möglich.
Immerhin meint Regierungspräsident Heinz Grunwald zu den Ängsten, dass Landshut bei Verzicht auf die Interimsspielstätte jahrelang den Theaterbetrieb einstellen müsse und somit der Zweckverband der drei Städte aufgelöst werden müsste: „Die beiden anderen Mitgliedsstädte des Zweckverbands Landestheater Niederbayern haben seinerzeit kostengünstigere Lösungen gefunden, ohne dass der Zweckverband in Frage gestellt worden wäre. Weder ich noch die Regierung von Niederbayern haben die Zukunft des Zweckverbandes thematisiert, so dass aus meiner Sicht kein Anlass dazu besteht, um Arbeitsplätze zu fürchten. Ich bin im Gegenteil sicher, dass die Stadt Landshut ihre schwierige Aufgabe, die bestehende finanzielle Situation und die an sie gestellten Ansprüche und Wünsche in ein vertretbares Verhältnis zueinander zu bringen, auch weiterhin erfolgreich bewältigen wird. Wo hierzu – unter Beachtung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts – unser Rat erbeten wird, sind wir auch weiterhin gerne dazu bereit.“ Die Deutsche Orchestervereinigung wiederum fürchtet die Katze im Sack, dass die Interimspielstätte zur Dauerlösung werden soll. Andere sehen dagegen dann nicht nur den Theater-Zweckverband, sondern das Theaterspielen und seine zweihundert Arbeitsplätze in Niederbayern generell bedroht.
Wie kann man Landshut nun aus der Zwickmühle helfen, die kulturelle Attraktivität des Nordostens der Europäischen Metropolregion München bewahren, die doch das ersehnt Entlastungsventil für die Wohnungsnot der Landeshauptstadt ist, so dass die Region nicht zur Hypnomegalopolis (Megaschlafstadt) verkommt? Die Interimslösung ermöglichen und die Sanierung finanziell unterstützen. Wie wäre es, wenn man die Konzertsaalfrage in München ein wenig hintanstellen würde und einige private und öffentliche Millionen aus den Schatullen des Freistaats dorthin umlenkt? Oder hofft man auf mehr Besucher der eigenen oberbayerischen Säle, wenn die Region ausblutet? Wie will man aber genau diese abgewiesenen Neumünchnern schmackhaft machen, wenn man ihr die kulturelle Grundversorgung entzieht? Sieht man die gesetzliche Bindung Landshuts an den Dreistädte-Theater-Zweckverband, könnte man die kommunale freiwillige Kulturleistung plötzlich sehr wohl als eine Pflichtaufgabe sehen. München selbst fordert von seiner Metropolregion immer wieder politisch finanzielle Unterstützung für seine Angebote ein.
Andersherum hält sich München bedeckt, wenn die Region Hilfe brauchen könnte. Im Sinne der Kollegialität und des gegenseitigen Aufeinanderangewiesenseins wäre hier doch eine wundervolle Gelegenheit, mehr als guten Willen zu beweisen. Wie will man sonst die Region als Alternative zur Landeshauptstadt vermarkten, wenn sich dort wirklich nur noch Fuchs und Hase gute Nacht sagen, wie vor tausend Jahren am Münchener Marienplatz, als zwar Landshut noch nicht gegründet war, aber all die Viertel und Vororte Münchens bewohnt wurden, derweil hier noch nicht einmal die namensgebenden Mönche (altbairisch „Munichen“ = bei den Mönchen) einsiedelten? Die Landeshauptstadt hat Landshut doch Anfang des 19. Jahrhunderts bereits die Universität abgeluchst. So wäre es nun an der Zeit mal zu geben statt nur zur nehmen.
Im bürgerschaftlichen Bereich könnte der „Konzertsaal München e.V.“ doch mit Wissen und Finanzen dem zarten Aktions-Pflänzchen der Freunde des Stadttheaters Landshut e.V. „Zugabe für unser Theater“ beispringen. Aber ob man über seinen eigenen Schatten in München hüpfen kann, wird garantiert eine grössere Herausforderung sein, als endlich eine Lösung der Konzertsaaldebatte herbeizuführen, die nicht nur Klassik und Kommerz, sondern auch Experimentellem wie zeitgenössischer Musik eine Heimat sein könnte. Denn auch hier bestünde räumlicher Handlungsbedarf, wenn nicht nur auf Zwischennutzungen und Kreativquartier gesetzt wird und das Zeitgenössische auch im Herzen der Stadt bleiben soll. Also könnte man mit der Landshuter Randlage schon mal konkret anfangen, statt weiter zu theoretisieren!
Komponist*in
…kleine Ergänzung aus der Welt des Wahren, Schönen und Guten…
@ t.g.: hab‘ mich beim hören bereits gekringelt, vor lachen und echtheitsschmerz :~)
Hier ein nicht kleckernder, sondern klotzender Vorschlag:
Landshut scheint seit Jahrzehnten zu schlafen; es wird Zeit, daß es mutig Forderungen an den Staat zu seinen Gunsten stellt. Es könnte hier eine neue, kulturelle Blüte zu verzeichnen sein, würde man frisch und phantasievoll Utopien, Pläne Vorhaben entwickeln.
1) Es muß ein Opernhaus gebaut werden.
2) Die in München mißachteten und von der Substanz her qualitätvollen Münchner Symphoniker müssen zum Staatsorchester der Stadt Landshut umgewidmet werden. Sie fungieren dann als Opern- und Konzertorchester, letzteres auch weiterhin in München auf „Tourneen“.
3) Landshut braucht ein festes Theaterensemble mit eigenem Indentdanten und Oberspielleiter. Dies kann mit einem Jugendtheater-Ensemble erweitert werden.
4) Geeignete Wettbewerbe und Festivals sollen dem Kulturleben in Landshut ein eigenes neues Gesicht geben. Hierzu müssen geeignete Organisationsteams eingesetzt werden.
All dies kostet weniger als der Umbau von alten Gemäuern in München für irgendwelche weiterhin Bolero und Beethoven spielende Großverdiener, bringt aber neues Publikum an neue Kulturwerte.
Alles, was weniger ist, kann man gleich bleiben lassen.
Cornelius Hirsch