Chinesisches Stichwörterbuch (3)

Namen

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Jeder Asien- oder Osteuropareisende kennt das Problem: unsere Namen sind falsch herum, und dort sind sie richtig herum, also Nachname zuerst, Vorname zuletzt. Oder dort sind sie falsch herum und bei uns richtig herum. Oder wie auch immer.

Auf jeden Fall sorgt das immer wieder für Unsicherheit, die durchaus Ähnlichkeit mit dem berühmten „Gefangenendilemma“ hat (lügt der Wächter oder lügt er nicht?). Als Xiangping Zhou mir zum ersten Mal schrieb, rätselte ich, wie ich ihm korrekt antworten solle. Er unterschrieb „Zhou Xiangping“. Was war Vor-, was war Nachname? Rein vom Klang der Worte schien beides möglich, vielmehr kann im Chinesischen eigentlich jedes Wort für uns Vor- oder Nachname sein, da wir keine Ahnung haben, was es eigentlich bedeutet.

Nun gab es zwei Möglichkeiten: vielleicht hatte er sich mir gegenüber aus Höflichkeit (und höflich sind sie, die Chinesen) der westlichen Schreibweise bedient, und Zhou war also sein Vorname und Xiangping sein Nachname. Klang auch irgendwie richtig: „Hey, Zhou“ klang irgendwie freundlicher und lockerer als „Hey, Xiangping“, vor allem weil man nicht weiß, wie letzteres ausgesprochen wird.

Oder er unterschrieb wie immer, und Xiangping war tatsächlich sein Vorname. Noch verwirrender war die Tatsache, das er mit „Zhou“ unterschrieb, seine Emailadresse aber wiederum zouxiangping1435@…. Hieß. Noch schwieriger wurde das Ganze, weil ich nicht einschätzen konnte, ob ich ihn nun (wie zum Beispiel in den USA oder England unter Kollegen sofort üblich, auch wenn man sich kaum kennt) mit dem Vornamen oder mit dem Nachnamen anreden sollte.

Ich entschied mich intuitiv für die sicherste Variante und schrieb „Dear Mr. Xiangping…“. Er antwortete mir mit „Lieber Eggert“. Falsch war beides.
Natürlich sind umgekehrt die Chinesen über unsere Namen verwirrt. Ich hatte mein Ensemble das „Contemporary Ensemble“ genannt, aber im Programmheft hieß es „Eggert Band“ und auf allen Plakaten „Moritz Band“. Unsere Sopranistin wurde stets Anna Lucia (ohne ihren eigentlichen Nachnamen je zu nennen) genannt, was aber für die Chinesen eigentlich Lucia Anna bedeutet, und wohl irgendwie damit zu tun hat, dass man auch in China Lucia Popp kennt. Der Nachname unserer Pianistin wurde überhaupt nie ausgesprochen (Iossifova), denn man hatte Angst, sich die Zunge zu verknoten. Unsere Klarinettistin Carola Schaal wurde dagegen stets herzlich mit „Hallo, Schal“ begrüßt, obwohl sie nie einen anhatte (es ist deutlich wärmer in Chengdu als hier).

Ich bin daher fast sicher, dass unsere Kanzlerin daher in den chinesischen Nachrichten immer nur „ehrwürdige Kanzlerin Angela“ heißt.

Klischees

Über kein Land gibt es so viele Klischees wie über China. Das fängt schon mit den Namen an: „hihi, die heißen alle Ching, Chang oder Chong, hoho“, so kennt man es vom Schulhof, und schämt sich dafür, ist doch die chinesische Kultur uns eigentlich historisch fast immer in quasi allem überlegen gewesen (Erfindung des Buchdrucks und des Romans, von Spielkarten, Schießpulver und Glutamat ganz zu schweigen). Wenn man schließlich in China ist, merkt man jedoch, dass TATSÄCHLICH alle Ching, Chang oder Chong heißen, nur dass es dann oft anders geschrieben wird (Yin, Yan, Yong oder Zhin, Zhan, Zhong z.B., es gibt unendliche Variationen).

Eine malaysische Kollegin heißt zum Beispiel tatsächlich Huey Ching Chong, wobei der Vorname Ching ist. Ein anderer heißt, vollkommen überraschend, Kee-Yong Chong (hier ist Kee-Yong der Vorname, weil er in Belgien gelebt hat).

Natürlich sind wir uns dabei der unendlichen Nuancen der chinesischen Aussprache nicht bewusst – „Ching“ zum Beispiel kann auf hundert verschiedene Weisen ausgesprochen, und einmal ist es ein Name, ein anderes Mal heißt es „Waschmaschine“ und noch ein anderes Mal heißt es „Ich möchte um die Hand ihrer Tochter anhalten“.

Andere Klischees wiederum stimmen überhaupt nicht. So haben Menschen meiner Generation immer nur chinesische Straßenbilder im Kopf, bei denen tausende von exakt gleichgekleideten (meist in blauen Einheitsanzügen) mit dem Fahrrad durcheinander fahren. Nichts wäre ferner der Wahrheit: einerseits fährt der Chinese von heute nicht mehr mit dem Fahrrad, sondern mit dem Motorroller, und natürlich auch nicht mehr auf der Straße, sondern selbstverständlich auf dem Bürgersteig, denn auf der Straße fahren ja schon die Autos. Nirgendwo sonst auf der Welt habe ich mich als Fußgänger so fremd auf dem Bürgersteig gefühlt, denn man kann quasi jeden Moment von einem lautlos hinterrücks daher sausenden Elektroroller überfahren werden.

Und die Kleidung ist auch vollkommen anders, als man es erwartet hätte. So kleiden sich chinesische Frauen wie Männer größtenteils extrem individuell und schick – die Laufstege von Mailand und Paris sind nichts gegen das, was hier an schicken Kleiderensembles geboten wird. Dass die Frauen kein Problem damit haben, fast nackt oder mit Miniröcken bis zum Bauchnabel samt sexy Stiefelchen (in der Fachsprache „fuck-me-boots“ genannt) herumzulaufen,macht die Sache auch rein visuell nicht ganz uninteressant. Ein Düsseldorfer oder Berliner Straßenbild wirkt dagegen, als ob ein paar verlumpte Sackträger herumschleichen.

Wo das Klischee ebenfalls enttäuscht, ist die vielbeschworene Effizienz der Chinesen. Tatsächlich sind die Chinesen überhaupt nicht effizient, sondern einfach nur meistens so viele, dass der Job irgendwie, irgendwann erledigt wird. Die chinesische Bürokratie ist berüchtigt, und die Festivalorganisation von „Autumn Music“ war an Chaotik nicht zu überbieten. So wurde ich panisch eines morgens von Xiangping zu meinem „Seminar“ geschickt, würgte mein Frühstück hinein, rannte zum Saal, nur um dort exakt null Personen vorzufinden, was auch die nächsten zwei Stunden so blieb (die Dolmetscherin Tina erschien allerdings). Der Termin war schlicht und einfach nicht abgedruckt worden, sodass auch keiner davon wissen konnte. Ein anderer Seminartermin von mir stand nur auf einem riesigen Fahnenplakat direkt vor dem Konzertsaal, wurde aber gottseidank von allen ignoriert, denn wer liest schon Plakate. Bei dem gemeinsamen Workshop mit einem holländischen Kollegen rechnete ich mit nur wenigen Teilnehmern, es kamen aber plötzlich 150 Menschen, und das frühmorgens.

Großen Wert wird allerdings auf Pünktlichkeit gelegt – stets merkten wir, wie alle wahnsinnig nervös wurden, wenn wir auch nur eine Minute später irgendwo auftauchten, was sogar in Deutschland noch irgendwie ok wäre. Nur verpufft dann die Pünktlichkeit, weil die Termine dann oft sinnlos sind. So tauchte ich zum Beispiel 30 Sekunden zu spät zu einer Probe auf, wo unsere Betreuerin QiQi schon äußerst ungeduldig und mit tadelndem Blick stand…kleinlaut schlich ich mich ans Klavier, nur um zu erfahren, dass die Probe jetzt aber gar nicht stattfinden würde, weil die Schlagzeuger jetzt unbedingt im Orchester spielen müssten.

Auch mit Geldtransaktionen erlebt man Abenteuerliches. Unser Honorar wurde erst nach tagelangen zähen Verhandlungen, dem Fotografieren und Vergleichen zahlloser Webseiten mit diversen Wechselkursen nachts um eins in der Hotellobby von einem äußerst verwirrten Xiangping ausgezahlt, wobei er sich mehrmals sowohl zu unseren wie zu seinen Gunsten verrechnete.

Dass Chinesen nicht mit Geld umgehen können, hätte man ja nun wirklich nicht gedacht.

Moritz Eggert

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Eine Antwort

  1. Lieber Eggert, Moritz!
    Eigentlich ist es mit der chinesischen Sprache gar nicht so schwer, denn es gibt weit weniger Regeln und Ausnahmen als bei unserer – Kann Dir genre mal eine prinzipielle Einführung geben, wenn Du nächstes Mal paar Nettigkeiten auf Chinesisch loswerden willst… Schlimm ist es nur, daß manche wirklich gleich ausgesprochene Wörter hunderterlei Bedeutungen haben können, und eben nur verschieden geschrieben werden. Diese Bedeutugnen ändern sich dann auch noch, wenn sie in einer bestimmten Kombination auftauchen! Deshalb kann man recht bald Chinesisch sprechen, aber erst verstehen, wenn man’s auch lesen kann …! Mit meiner chinesischen Brieffreundin konnte ich mithalten, solange sie in der Vilksschule war, danach haben wir uns auf popeligem Englisch unterhalten….
    Viel Spaß weiterhin: Ich beneide Dich um den Aufenthalt dort…
    Cornelius