Donaueschinger Video-Einstimmung, davor Münchener Konzertsaaldebatte

Bei etlichen Problemlagen hilft ein Blick ins Geschriebene, sei es in den Mietvertrag, in den Förderbescheid, ins Gesetz. Oder künstlerischer mal auch ins Programmheft. Oder in die Zeitung. Nein, nicht nur ins Feuilleton, gar dessen Lokalausgabe. Nein, in die Leserbriefe eine Seite weiter vorne. So am 01.10.12 in die Leserbriefe der SZ. Dort fand sich von einem Herr Herbert G. Schön ein Beitrag zur Münchner Konzertsaal-Debatte. Ich versuchte mich im Blog schon einmal daran, mehr oder minder humoristisch. Politik und Medien sowie Fördervereine und Künstler befassen sich damit schon länger, schlugen Standorte im Marstall, im Hof neben dem Herkulessaal, nicht weit davon im Finanzgarten oder gar neben den Pinakotheken oder eine Wiederbelebung des alten Odeons vor. Hamburggleich wurden schon Glasideen in den Isarkies projiziert, samt Seilbahn zum ungeliebten Gasteig gegenüber. Aktuell ist die Gasteignähe immer noch in den Köpfen und Deutsches Museum und Staatsminister Heubisch ringen um einen Standort anstelle des alten Kongresssaales vor dem Deutschen Museum, welches in seiner Platznot gern selbst den Zugriff auf dieses Objekt hätte. Zwar sollte er als Konzertsaal komplett neu gebaut werden, im Stile des Konzert- und Kongresszentrums in Luzern. Blättert man in alten Kritiken, verfluchte die halbe Stadt die noch unwirtlichere, gar absurde Akustik des alten Kongresssaales, so dass man schon Salz und Flüche in die Baustellenfurche streuen müsste, um spätere „nomen est omen“ Gedanken im Vorhinein auszuschliessen.

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Geradezu brillant wirkt dagegen die Idee dieses Herrn Schön! Das freie Baufeld am Willy-Brandt-Platz in der neuen Messestadt Riem für einen Konzertsaal, was jener Ort für die gerade mal 1200 geplanten Plätze vielleicht sogar hergäbe. Es sollte dort wohl schon ein Musical-Haus entstehen, ein Kino-Multiplex, was beides scheiterte. Ein Muscial-Ausweichquartier fernab der Innenstadt gönnt man sich ja gerade angesichts der Dauerbaustelle „Deutsches Theater“ in Freimann. Das scheint zu funktionieren. Warum also nicht das BR-Sinfonieorchester in die prominente Nähe der neuen Messe? Wie Herr Schön darstellt, sind sogar Anschlüsse für U-Bahn-Ausstieg und weitere Infrastrukur gegeben. Immerhin versuchte man die letzten Jahre selbst schon Avantgarde in den kleinen Kulturraum der Riem-Arcaden zu hieven, wovon man einen exklusiven Blick in die Alpen hat: Karl Wallowsky, der musikalische Leiter des Schwere Reiter, veranstaltete eine Reihe mit uns hier bekannten Musikern und Komponisten, wobei sogar eine eigene Riemer Violin-Klavier-Ballade des Komponisten Bernhard Weidner entstand. Denkt man an den Pariser Parc de la Villette mit der Cité de la Musique, wo sich manchmal gut mehr als 1000 Menschen abends einfinden, gar für Neue Musik, betrachtet man die gute öffentliche wie private Erreichbarkeit in Paris wie der Messestadt, wäre dies eine schöne Möglichkeit. Man könnte auch die Nähe zur Allianzarena suchen. Man könnte selbst noch eine Art Musikzentrum für die Freie Szene danebensetzen. Wobei jetzt schon für die Freie Szene in München Zemtralisierungsalarm angesagt ist: Wenn das Kreativquartier an der Dachauer Strasse fertiggestellt sein wird, kann man davon ausgehen, dass fast sämtliche Projekte dorthin verlagert werden. Dann nicht mehr frei in besseren oder schlechteren Orten selbst veranstaltet. Nein, kuratiert bis zum Umfallen, so dass aus der freien Kunst doch eine kleine kommunale Hochkultur zu werden droht, besonders weil dann die Mittel selbst für länger bestehende kleine Festivals, die wie z.B. die ADEvantgarde nicht nur Münchner, sondern eben auch ausserstädtisches aus aller Welt fördern. Das tut hier eigentlich nur die Biennale, mit ihren maximal 3-5 Komponisten. Wie es da weitergehen wird, weiss auch noch keiner. Eigentlich wollte man im Sommer den Nachfolger Ruzickas ab 2016 präsentieren und schwieg sich nur über die Absage Heiner Goebbels aus. Es bleibt spannend! Herr Schöns Beitrag hat aber auch was sehr positiv Entspannendes.

Aber interessanter, wenn auch wieder nischenartiger, ist der Blick ins Internet. Besonders zur Einstimmung auf die diesjährigen Donaueschinger Musiktage. Ich ließ mich ja in manchen Kommentaren zum Umstand aus, dass gerade die aktuellen Stücke für kleine Ensembles und die philosophische wie ästhetische Selbstbescheidung mancher Kollegen weg von den Orchestern via Sampler und weitere Elektronik – auch wenn die Vorstellung von mehr als 100 gesampelten E-Gitarren im Gegensatz zu hundert echten was sehr sympathisches hat – der Übervorsicht der um jeden Misserfolg bangenden Festivalkuratoren in die Hand spielt, jüngere erst nach kammermusikalischen „try-outs“ an die Orchester zu lassen. Im Ergebnis sind das dann schon schöne Stücke, die daraus hervorgehen. Die Koryphäen, die jetzt z.B. für das Nadar-Ensemble komponieren, hält man ihren eigenen Argumenten von Grösserem ab. Zwar mögen Spezialensembles und Clubkonzerte wirklich heimelig und kreativ sein. Die Masse, und sei es die der klassischen und zeitgenössischen Musik, erreicht man doch eher im Grossformat. Denn seien wir mal ehrlich: In die Clubs kommen zu den Avantgarde-Projekten dann auch die Menschen v.a., die man interessiert auf den kleinen normalen Konzerten der Szene antrifft. Mir klagte ein Münchner Clubbetreiber letzthin, dass er am liebsten viel elitärere Programme fahren würde. Sein Publikum kommt aber hauptsächlich zum Zappeln, Neue-Musik-Projekte müssten dann doch eher ihr eigenes Publikum mitbringen. Eine Lösung wäre also, die kleinen Spezialensembles, wie Nadar, in den nächsten Jahren mit den Orchestern zu verknüpfen! Wie Bands, auf die man ja schielt, mit klassischen Orchestern gerne hantieren, hätte man dann ein eigenartiges Cross-Over in der Neuen Musik höchstselbst und würde damit gerade sie selbst überwinden können.

Zur Einstimmung wollte ich aber über ein längeres Video auf youtube sprechen, das mir auf Facebook dank Felipe Laras aufgefallen ist. Der Filmemacher Harold Woetzel zeigt auf seinem Kanal eine Dokumentation aus dem Jahre 1996 namens „Donaueschinger Musiktage – Das Ende der Musik?“ Es kommen in alten Einspielungen Heinrich Strobel und Co. zu Wort, wird die Spaltung zwischen Henze, der mit seinen Neapolitanischen Liederbuch einen richtigen Erfolg zu verbuchen hatte, und seinen Altersgenossen angerissen. Und es reden z.B. Rihm, Stockhausen und Bose sowie Kancheli und Gorecki über ihre Standpunkte. Rihm vermittelt zwischen allen und zeigt eine wunderbare Wurstigkeit gegenüber Fragen nach Vermittlung Neuer Musik für jedermann, wobei sie heute ja jedermann gefallen könnte. Bose weisst auf den Irrwitz des Fortschritts hin, Helmut Oehring und Iris ter Schiphorst sind damals schon wie die „Neuen Einfachen“ (sorry, Ihr mögt das ja nicht!) vor unseren jetzigen Jungen aus der Neuen Musik ausgetreten. So crazy Stockhausen auch sein mag, in Bezug auf Henze und dessen Ausstieg, bringt er es auf den Punkt, sinngemäß: Von Menschen mit solch einer Begabung hat man einfacher mehr zu erwarten. Soll man nun sagen, dass alle Neue-Musik-Aussteiger minderbegabt seien? Wahrlich nicht! Das heisst aber auch, dass man sich mehr anstrengen sollte, nicht nur sich an der Halde des 20. Jahrhunderts bedienen und zeitgleich dagegentreten. Nein, einen eigenen Hügel aufschichten. Man muss nun kein neues Donaueschingen oder Bayreuth wortwörtlich als neuen Hügel bauen. Es wird aber wohl Zeit, neben all den kleinen Ensembles endlich auch Verantwortung zu übernehmen und eigene Festivals zu begründen. Wobei nichts überflüssiger als das wirken dürfte bei jenem Eventüberangebot. Dennoch hätte dies mehr Charme, als den Austritt auf typischen Neue-Musik-Festivals, brav den alten Beuys zitierend, zu benennen, um letztlich gerade diese Festivals als Gralshüter zu bestätigen.

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