Wie macht man eine Oper? (Folge 3)

Oder: „Wir gratulieren!“ (Mieczysław Weinberg)

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Lange ist es nicht mehr hin, bis das Projekt, an dem ich am langfristigsten und meisten in meinem Leben überhaupt gearbeitet habe, in drei Aufführungen kulminiert (Konzerthaus Berlin · Werner-Otto-Saal · 23./24./25. September 2012 · 20.00 Uhr).

Ende 2011 hatte ich bereits ein paar Bestandteile zur Produktion der deutschen Erstaufführung von Mieczysław Weinbergs Oper „Wir gratulieren!“ am Konzerthaus Berlin zusammen. Hauseigenes Geld, Dirigent, Verlag.

Ich hatte mehrere Ideen für einen Regisseur. „Dazwischen“ kam mir aber die Aufführung von Oskar Strasnoys a-Capella-Operette „Geschichte“ im Dezember 2011 – mit den fantastischen Neuen Vocalsolisten. Ein Gastspiel bei uns im Werner-Otto-Saal. Es inszenierte Titus Selge, den ich durch seine sehr musikalische und aktive Inszenierung des Strasnoy-Stückes schnell schätzen lernte.

Bald gab es also ein Team aus Regisseur, Dirigent und meiner Wenigkeit.

Klar war, dass wir die Oper „Wir gratulieren!“ im Werner-Otto-Saal nicht mit dem Orchester aufführen können, das die Partitur vorsieht. Da wir hier bereits gute Erfahrungen mit „Kammerversionen“ von Opern gesammelt haben, hatte ich da keine Hemmungen. Bald hatten wir den Komponisten Henry Koch am Start, der eine sehr gute Kammerorchesterversion erstellte.

Dazu kam, dass ich meine guten Beziehungen zur Kammerakademie Potsdam nutzen und diesen hervorragenden – und durchaus opernerfahrenen – Klangapparat engagieren konnte.

Fehlten noch die Sänger.

Da wir mit dem Pianisten und Dirigenten Vladimir Stoupel im Februar 2013 gleich noch eine Produktion machen (Schostakowitschs „Märchen vom Popen und seinem Knecht Balda“ in einer Kooperation mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“) und die Rollen dort von ihrer Charakteristik ähnlich geartet sind, erschien uns ein ausführliches Doppel-Casting für „Wir gratulieren!“ und „Balda“ als eine gute Idee.

Gute Ideen muss man organisieren.

Seit ich Produktionsleiter und Dramaturg bin, kam ich schon oft in den Genuss, Dinge organisieren zu müssen, mit denen ich mich nie zuvor ordentlich auseinander gesetzt hatte (z. B. Bayerische Versorgungskammer, Ausländersteuer etc.). Jetzt musste ich eben von Februar bis April 2012 vier Sänger-Casting-Tage organisieren. Hat aber leider total Spaß gemacht.

Und allein nur diese Erfahrungen, die ich mit meist jungen Sängerinnen und Sängern machte, ließen bei mir den Wunsch entstehen, an allen deutschen Musikhochschulen Seminare anzubieten zum Thema: „Wie präsentiere ich mich Veranstaltern?“

Ich habe hier an dieser Stelle in den letzten Jahren viel ausgeteilt. Manches tut mir heute leid. Was ich früher angeprangert habe, holt mich jetzt teilweise in dem Sinne ein, als dass ich z. B. merke: Ja, es ist einfach angenehmer mit angenehmen Persönlichkeiten zu kooperieren. Das habe ich früher Veranstaltern vorgeworfen („Nur, weil der so nett ist!“). Heute merke ich: Es ist einfach netter, wenn es nett ist. Und besser. Und einfacher. Und wenn etwas netter, besser und einfacher ist, dann ist alles viel leichter und weniger anstrengend.

Besonders krass war im Zusammenhang mit den Sänger-Castings die Erfahrung, die ich mit an US-amerikanischen Universitäten ausgebildeten Sängern machte. In den USA scheint die Lage für Künstler so viel härter zu sein als hier… Jedenfalls bereitet man sich dort offenbar auf jedes Probespiel, auf jedes Casting perfekt vor. (Eine Sängerin kam sogar zu einem späteren Casting mit dem Ansatz eines Kostüms, das mit der Rolle, für die sie vorsang, korrespondierte. Da sie nicht nur optisch, sondern auch sängerisch sofort in der Rolle drin war, bekam sie die Rolle, für die sie vorgesungen hatte.)

Nicht umsonst sind unter den vier wichtigsten Gesangsrollen der Oper gleich drei Sängerinnen und Sänger, die einen nordamerikanischen (Ausbildungs-)Hintergrund haben.

Beim ersten Sänger-Casting hatten wir am meisten Zulauf, was schlichtweg daran lag, dass es überdimensional viele lyrische Sopranösen auf dieser Welt gibt. Bei diesem ersten Sänger-Casting verlangten wir noch – neben ein oder zwei Auszügen aus den beiden Opern, für die wir casteten – „ein Lied oder eine Arie aus dem 20./21. Jahrhundert“. So hatte ich das formuliert – wenig Lust auf Einschränkungen wie „atonal“, „nach 1945“ (nach 1945 ist genauso wenig und genauso viel Quatsch komponiert worden wie vorher…) und so weiter…

Ich war davon ausgegangen, dass man aus meiner Formulierung „aus dem 20./21. Jahrhundert“ genug herausliest – zusammen mit der Tatsache, dass wir für zwei Werke casteten, von dem das eine zumindest als „frei tonal“ zu bezeichnen ist. Aber diese Kunst der Subtext-Interpretation war nicht jedem hold.

Hier die Werke aus dem „20./21. Jahrhundert“ (nochmals: ist der Zaunpfahl nicht deutlich genug?), die die Sängerinnen der ersten Runde mitbrachten:

Heinrich Sutermeister: Arie der Julia (aus: „Romeo und Julia“)

Luigi Dallapiccola: aus „Quattro Liriche di Antonia Machado“

Uwe Strübing: Abendlied

Richard Strauss: Monolog der Ariadne (aus: „Ariadne auf Naxos“)

Sergej Prokofjew: Das hässliche Entlein op. 18

Siegfried Matthus: Es singen die Vögel im Traum

Alban Berg: Die Nachtigall (aus: Sieben frühe Lieder)

(Man beachte den ornithologischen Drive bei den drei letztgenannten Liedern.)

Maurice Ravel: l’heure espagnole, Concepcion

Hanns Eisler: An eine Stadt

Aribert Reimann: Parergon II (a capella)

Igor Strawinsky: Arie der Anne Truelove (aus: „The Rake’s Progress“)

Kaija Saariaho: Leino-Laulut

Aribert Reimann: Die Schlange & Der Sommer ist fortgeflogen

Wolfgang Rihm: Ist alles stumm und leer

Richard Strauss: Arie der Zerbinetta (aus: „Ariadne auf Naxos“)

Aribert Reimann: Die Schlange

Aribert Reimann hat also mit seiner Schlange – entschuldigung: mit „Die Schlange“ – gewonnen! Rein quantitativ.

Qualitativ ging die hervorragende Anna Gütter, die in „Wir gratulieren!“ das Dienstmädchen Fradl singen wird, als Gewinnerin aus dem Casting hervor.

Hört es euch an, verdammt. Es wird schön.

In der nächsten Folge: Wie findet man einen lyrischen Tenor, der – laut Rollenbeschreibung – zwischen 41 3/4 und 42 1/7 Jahren alt ist, nicht über 1,71 m groß, heterosexuell, witzig und stimmgewaltig (ohne natürlich in irgendeiner Weise ins Heldenfach zu tendieren…)?

Wir gratulieren!

Oper von Mieczyslaw Weinberg (op. 111)
Nach dem Theaterstück „Masel tov“ von Scholem Alejchem
Deutsche Erstaufführung
Deutsche Adaption: Ulrike Patow
Uraufführung der Kammerfassung von Henry Koch

Katia Guedes (Sopran, Madame)
Anna Gütter (Sopran, Fradl)
Olivia Saragosa (Mezzosopran, Bejlja)
Jeff Martin (Tenor, Reb Alter)
Robert Elibay-Hartog (Bariton, Chaim)
Kammerakademie Potsdam
Vladimir Stoupel (Musikalische Leitung)
Titus Selge (Regie)
Stefan Bleidorn (Bühnenbild und Kostüme)
Arno Lücker (Produktionsleitung und Dramaturgie)
Peer Niemann (Technische Einrichtung und Organisation)
Stephanie Hoernes (Korrepetition und Einstudierung)
Sigrid Herfurth (Mitarbeit Kostüme)
Vincent Cheng (Assistenz Musikalische Leitung)
Vanessa Hernandez (Assistenz Bühnenbild)

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.