Brauchen wir noch Streichquartette? Bericht eines Selbstversuchs

Mich gibt es noch. Doch hat mich mein kleines, erstes Streichquartett die letzten Wochen förmlich mundtot gemacht, dessen Arbeitsstart ich vor den GEMA-Impressionen letzthin hier bereits ankündigte. Damals war ich noch voller Furor, endlich ein Streichquartett müssen zu dürfen. Jetzt bin ich nur noch paralysiert. Angesichts all der Forderungen nach ePlayer, Joysticks statt Oboe, Computersounds in bald jedem Stück momentan komponierter neuer Stücke, reizte es mich um so mehr endlich mal wieder ein Stück für reine Naturinstrumente zu komponieren. Ganz ehrlich, Jungs und wenige Mädels von der Komponistenzunft: Rechner als Hilfsmittel einzusetzen, sie bei speziellen ästhetischen Fragestellungen mit all ihren wundervollen Möglichkeiten und Studiovereinfachungen einzusetzen, ist vollkommen korrekt und mehr als angemessen. Ich frage mich aber, ob die pure Existenz dieses Vehikels schon ein genügend starkes Vademecum ist, um dessen Einsatz zu einem kategorischen Imperativ zu erheben. Manchmal kommt mir das sehr kurzsichtig vor, ja, von einer Technikgläubigkeit besessen, als würde man direkt von der vollmundig links-politisch angekündigten Verabschiedung des Uranzeitalters nun in das Coltanzeitalter der Smartphones und iPads hinüberfallen: In Bezug auf die Stromverschwendung und Erzeugung ist einen der Raubbau an Natur und Generationen der atomare Wahnsinn ein Warnsignal, in Bezug auf die Funktionalität von Rechnern aufgrund von unter widrigsten und menschenvernichtenden Umständen geschürften Kristallen im kongolesischen oder wo-auch-immer Urwald benimmt man sich so wie ein RWE-Vorstandsmitglied der Sechziger Jahre!

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Das wahre Projekt wäre also eine Musik für die Zeit nach dem Ende der fossilen Brennstoffe, eine Musik die elektronisch vielleicht nur die Geh- und Sitzenergie von Publikum und Musikern benötigt, oder eine Musik, die wieder mit neuen, aus einfachen Naturprodukten hergestellten Instrumenten oder eben den guten alten Instrumenten arbeitet. Blöd gefragt, und dann wohl auch zurecht: Wieviel Menschenleben kostet eine Klarinette, eine Geige? Das sind die Gedanken, die mich gerade so bewegen. Mein letztes Stück arbeitete sehr wohl mit opensource-Elektronik. Ich finde deren Einsatz auch sehr wichtig und brauchbar, wenn sie nicht zum puren Selbstzweck wird. Im Endergebnis gehörte sie einfach dazu. Für die Antragstellung von Förderung musste ich allerdings besonders diese hervorheben! Wie man sieht: Je abhängiger man sich von der Elektronik und deren Förderung macht, um so mehr komponieren im kreidlerschen Sinne immer die Institutionen mit.

Deshalb nun mein Streichquartett, und noch drei weitere von Volker Nickel, Christoph Reiserer und Nicolaus Richter de Vroe. Gegenüber manchen Beteiligten war es wirklich fast schauderhaft, die innere Notwendigkeit eines solchen antiquierten Unterfangens mitzuteilen, gab es Reaktionen, wie: „Streicher ohne Elektronik? Das braucht doch keiner mehr – überhaupt Streichquartett…!“ Denkt man die elaborierten Programmhefttexte zu allen dem Ardittiquartett gewidmeten Stücken, kann einem auch manchmal, nicht immer, schlecht werden. Da wird das letzte Bogenhaar umgedeutet, um Substanz zu evozieren, wo nicht mal Substrat ertönt. Das politische bleibt sowieso aussen vor. Ich beschloss nun, über den Matthias Klostermayr, einen urbayerischen Rebell des 18. Jahrhunderts, über den es entsprechende rauhe Volkslieder gibt, der zur Zeit Haydns und Mozarts hingeschlachtet wurde, als diese ihre meisterhaften, aber erst recht unpolitischen Quartette erfanden, auch wenn sie dort mit sozialen Konventiönchen spielten, ein Quartett zu komponieren, das den Mangel der damaligen zeitgenössischen Beschäftigung mit dem Hias „korrigiert“. Die Wahl des Sujets also hoch und hehr angesiedelt!

Das Problem: Wie komme ich zu Tönen, ohne die Volkslieder zu einem Allusionspotpourri zu verbraten, wie es heute mehr als nervt, wie es gerade durch Zuspielungen und deren Verfremdung x-fach passiert? Öde statistische Analyse des Liedmaterials, daraus eine eigene enigmatische Linienhaftigkeit destilliert, sonst den Namen h–(m/s)i-a-(e)s in Tonhöhen anagrammatisch spektral verdreht… Man sieht, ich machte es mir nicht einfach. So wurde ein elendes Konstruktionsgeschäft daraus, da kein Text wie z.B. in jenem letzten Elektronik-Stück zu vertonen war. Es bleibt mir nur mit Spannung die Anstrengung der Musiker des XSEMBLE Streichquartetts abzuwarten, was sie daraus machen werden, ob das dann doch so abstrahierte Material wie ein sirrendes Epitaph für den geschundenen Volkshelden klingen wird. Oder hätte ich mich doch lieber mit noch verdrehteren Spieltechniken und rein technischen Abstraktionen befassen sollen, damit man das Stück im Sinne unseres „l’art pour l’art“ ernst nimmt, meterlange Analysen verfasst werden können? Oder genügt der Gedanke einer historischen Korrektur, eines Versäumnisses der Beschäftigung der damaligen Klassiker mit jenem Robin Hood der bayerisch-schwäbischen Wälder und Auen? Höchstwahrscheinlich fällt es ein wenig peinlich-berührend aus der Zeit heraus…

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Komponist*in

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2 Antworten

  1. 18. Juli 2012

    […] Streichquartett-ähnliches (inspi­riert durch diese Über­le­gung im Bad Blog of Musick von Alex­an­der Strauch) von Evan Zipo­ryn: Brea­t­hing […]

  2. 23. September 2012

    […] an meinen Einsatz für zeitgenössisches Streichquartett-Schaffen. Ich kann vermelden, dass mein eigenes „Erstes“, das mit dem exekutierten Hias samt seinem Volkslied der Haydnzeit, der Gründungsphase jenes […]