Videospielmucken

Auf der Suche nach dem verlorenen Zielpublikum wird alles ausprobiert, aber auch wirklich ALLES….z.B. es mit Musik aus Computerspielen in die Orchesterkonzerte zu locken. Das funktioniert seit einigen Jahren sehr gut und hat ein eigenes Betätigungsfeld erzeugt, unter Kollegen gerne „Videospielmucke“ genannt. In diesen Konzerten werden „Klassiker“ der Videospielmusik von meistens anonym bleibenden Orchestratoren zu Medleys aufgepeppt und dann mit großem Orchester im Frack aufgeführt. Ja, das erzeugt endlich mal wieder „Emotionen“ und „innere Beteiligung“ bei den jungen Zuschauern, wie es dieser schon etwas ältere „Zeit“-Artikel sehr gut beschreibt. Zahlreiche Beispiele dieses noch relativ jungen Genres können hier gehört werden.

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Keine dumme Idee – verbringen doch die jungen Zuschauer wahrscheinlich im Durchschnitt wesentlich mehr Zeit vor Spielen wie „Final Fantasy“ oder „Call of Duty“ als in Klassikkonzerten. Da die Musik in den Spielen repetitiv zu bestimmten Szenen verlinkt ist, bohrt sie sich so richtig in Gedächtnis ein. Wenn man sie also später monumental aufbereitet wieder hört, werden sanfte Erinnerungen an wunderschöne einsame Stunden vor dem Bildschirm wach und manch ein Hörer wird sich eine Träne im Auge nicht verkneifen können, wenn er sich daran erinnert zu einer bestimmten Melodie aus „Resident Evil“ dutzenden von Zombies ins Gehirn geschossen zu haben.

Leider klingt ein Großteil dieser Musik unglaublich konventionell und bieder, ja geradezu spießig und nach 19. Jahrhundert, aber der Transfereffekt der Erinnerung spielt eine große Rolle. Letztlich funktioniert es ähnlich wie bei symphonischen Filmmusikkonzerten – wer die (ja gar nicht schlechte) Musik zu z.B. „Winnetou“ im Konzert hört, denkt sich ja quasi Pierre Brice im Kopf mit, und da werden bei der Generation der heute 40jährigen Erinnerungen an die Kindheit und einsame Sonntagnachmittage vor dem Fernseher wach. Und bei den heutigen Jugendlichen sind diese Sonntagnachmittagserinnerungen eben mit Ego-Shootern und japanischen Kulleraugenavataren verbunden. Der Unterschied ist eher ein medialer, nicht nowendigerweise ein qualitativer.

Oder doch? Wenn man zum Beispiel die Ankündigung des London Philharmonic Orchestra zu ihren Computerspielkonzerten anschaut (die hier beschrieben wird, in einem Artikel mit dem passenden Titel „Die Klassik tut alles mit Sex, Blut und Stahlhelm) dann kommt einem schon der Zweifel, ob hier nicht vielleicht das Marketing nach Killerspielmanier zu weit getrieben wird und die Breiviks dann doch grüßen lassen.
Nun gut, schon lange vor dem Vietnamkrieg schrieb Richard Wagner die perfekte Musik für einen Hubschauberangriff mit Napalm („Apocalypse Now“) – die, wenn wir mal ehrlich sind, eigentlich viel besser dazu passt als für die eigentlich von ihm intendierte Szene mit übergewichtigen Walküren an Hängedrähten. Das macht nachdenklich, was die mögliche Instrumentalisierung von klassischer Musik angeht – niemand, der im Jahre 1945 gelebt und Radio gehört hat wird wohl je wieder „Les Preludes“ von Liszt vollkommen neutral anhören können.

Aber inwieweit wird das eigentliche künstlerische Potential von Computerspielmusik in diesen Zweitverwertungskonzerten (denn das sind sie, selbst wenn man die Sache locker und nicht kritisch betrachtet) überhaupt ausgeschöpft? Bei aller Dutzendware in dem Bereich gibt es inzwischen doch einige Komponisten, die erstaunliches und qualitativ hochwertiges zustande bringen. So wagt Akira Yamaoka (Komponist der „Silent Hill“ – Horrorspielserie) zumindest in den schaurigeren Momenten der Spiele eine erstaunlich experimentelle und intensive Musik, die einem auch in einem Konzert mit neuer elektronischer Musik interessieren würde. Und der deutsche Michael Hoenig produzierte für die „Baldur’s Gate“ – Reihe einen gekonnten und üppigen Soundtrack, der zwar künstlerisch eher wenig gewagt ist, aber in seinem bombastischen Sound und seiner (allerdings vornehmlich synthetischen) Orchestrationskunst mit jedem beliebigen Hollywoodfilm mithalten könnte. Und selbst dort kommt ja inzwischen ein Großteil der Musik aus dem Computer.

Musik spielte schon seit den allerersten Videospielen eine wichtige Rolle. So bildet sich zum Beispiel aus den Ballgeräuschen von „Pong“ schon allein durch’s Spielen eine minimalistische und zufallsbeeinflusste Komposition, die wahrscheinlich auch einen John Cage interessieren könnte. Und wer aus meiner Generation könnte je die ominösen und manisch schneller werdenden nur vier Töne vergessen, die in fast schon Killmayerscher Reduktion das Nahen der außerirdischen Invasionsflotte in „Space Invaders“ ankündigte?

Mir scheint, dass gerade das genreeigene Potential der „Selbstwählbarkeit“ von Computerspielmusik bisher noch wenig künstlerisch ausgeschöpft wurde. Anders als beim Film, wo festgelegte Szenen musikalisch untermalt werden, ist es die Aufgabe eines Computerspielkomponisten, „Ambient“-Musik für bestimmte Szenen zu schaffe. So gibt es eigene Musiken für Kämpfe, Liebesszenen, Abenteuerszenen oder auch bestimmte zu erforschende Regionen eines Spiels, der Spieler selber aber beeinflusst aber durch seine Aktionen, wann diese jeweiligen Musiken zum Einsatz kommen. Bei den besonders clever komponierten Musiken entsteht hier also ein künstlerisch gestaltetes Panoptikum an situationsgebundener Musik, die direkt mit dem Hörer (=Spieler) interagiert und auf seine Aktionen reagiert – eine intensive Kommunikation also, die viele in normalen Konzerten vermissen und die vielleicht auch ein Ausweg aus der festgefahrenen Formendiskussion bedeuten könnte.

Die ersten künstlerisch ambitionierteren Versuche in dieser Richtung wurden vermutlich von der legendären Avantgarde-Band „The Residents“ gestartet, und zwar mit ihren beiden inzwischen zu hohen Sammlerpreisen gehandelten Spielen „Freak Show“ und „Bad Day On The Midway“. Leider ist in dieser Richtung bisher sehr wenig weiteres entstanden, da natürlich auch der Videospielmarkt nach den Gesetzen der Nachfrage funktioniert, und Computerspiele inzwischen Produkionsetats haben, die denen von Hollywoodfilmen in nichts nachstehen oder diese sogar weit übertreffen.

Der gerade boomende Markt von Android-und IOS-Apps, die zum Teil für wesentlich geringere Kosten von kleinen und unabhängigen Entwicklern produziert werden können und ein ständig wachsendes Publikum erreichen, lässt allerdings hoffen, dass es wieder vermehrt Versuche geben wird, das Potential des Videospiels als Kunstform zu erforschen. Und dazu gehört natürlich auch die richtige Mucke.

Ob Helmut Lachenmann oder Manfred Trojahn hierfür Musik schreiben werden, bleibt abzuwarten, wäre aber auf jeden Fall eine lustige Vorstellung.

Moritz Eggert

(mit Dank an Helmut Hohberger für den Tipp)

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4 Antworten

  1. Erik Janson sagt:

    @ Moritz,

    interessanter Artikel und Vorstellung.
    Aber ich glaube, da bleibe ich noch „konservativ“
    bzw. bleibe ein Daddelspiel- und auch Daddelspiel-Neue-Musik-„Hasser“. Noch ist der Leidensdruck nicht groß genug…

    Naja, Lachenmann schrieb ja schon immerhin seinen verkappten „Rap“ wie er ja (meines Wissens) mal seine Zwei Gefühle scherzhaft nannte…

    Und irgendwie, als immer noch Altavantgardist-Sympathisant bzw. als verlorener Ü40-er und Reisender zwischen den Welten, da weiß ich auch nicht, ob eine kritische Komposition/Herangehensweise wenigstens mal in dem Bereich für mich persönlich vorstellbar wäre.

    Womit ich das nicht gering schätzen möchte, was Du machst, keineswegs! Ist halt eine Typenfrage. Ach übrigens: Moritz, viel Spaß beim Komponieren der neuen Bayern-Hymne: „Finale Dahoam“…

  2. mathis sagt:

    Ich erinnere mich gerne und höchst gelangweilt an die ersten begeisterten Experimente in diese Richtung, zum Beispiel von Peter Gabriel. So etwa 15 Jahre her.
    Nun baut Björk eine aufwendige App (die toll sein muss, ich aber als nicht i-irgendwas-Nutzer nicht kenne), die aber keiner kauft, weil sie für den App-Markt zu teuer ist. Die Leut beschweren sich, wenn sie mehr als 2 Dollar für eine App ausgeben müssen. Dafür kann man dann natürlich auch keinen noch so tollen Content liefern, denn den zu produzieren bleibt teuer.
    Und schon sind wir wieder bei dem Wertschätzungsthema…

  3. Dave sagt:

    Von wegen, Avantgarde-Komponisten würden keine Videospiel-Mucke schreiben. Hier ein prominentes Gegenbeispiel:

    Ok, die Interaktivität des Games könnte man noch ein wenig optimieren … *gg*

  4. Jan Flessel sagt:

    Danke für den Artikel. Mich beschäftigt die Videospiel-Klangwelt (quasi Musik und Soundeffekte) sehr. Bin schließlich damit auch aufgewachsen, wie vermutlich die meisten Komponisten meiner Generation.
    Mal ganz oberflächlich betrachtet löst der Soundtrack von Star Wars (also ohne die Musik von John Williams) für mich die gleiche Faszination aus wie z.B. das „Concertini“ von Lachenmann. Die Aktion/Reaktion, die Spannungsverläufe oder mal mit Lachenmanns Worten: die „Kadenz-klänge“, Texturen der Explosionen, Laserschwert-Glissandi, unterschiedlichste Schrittgeräusche und deren rhythmische Überlagerungen etc. haben eine musikalische Qualität. Wie gesagt, rein oberflächlich betrachtet.

    Ich wollte eigentlich was ganz anderes sagen/fragen. Warum sind Ballerspiele so beliebt? Warum geht es in den meisten Spielen ums töten oder zumindest ums zerstören? Selbst bei „Aufbauspielen“ (Siedler, SimCity etc.) geht es nicht ohne den Reiz etwas zu schaffen um es dann wieder einzureißen. Man möchte die virtuelle Welt eben verändern. Ich fühl mich nicht qualifiziert, weder sprachlich noch fachlich, darüber jetzt Analysen abzuliefern. Aber dieser Artikel (vor allem am Anfang in Bezug auf Krieg, „Killerspielmanier“, 1945) hat mich an Luigi Russolo erinnert der, in seinem sehr bekannten Manifest, bzw. in dem weniger bekannten fünften Kapitel von „Die Kunst der Geräusche“, einen Analyse/Deutungs-Versuch von „Kriegsgeräuschen“ anstellt. Sehr empfehlenswert und schockierend zu gleich diese Faszination an Klängen und deren „Inhalt“, gerade für eine Generation die mit Kriegsgeräuschen (Call of Duty) groß geworden ist. Ich glaube da liegt auch der Ansatz für das „Neue-Musik-Computerspiel-Theater“ :)

    Für die, die es nicht kennen hier ein kleiner Auszug:
    >>[…], I had ample opportunity to study the noises of war, both those that threatened us close at hand and those in the distance, […]
    With what hopes for success you have struggled on! How you have looked forward to smashing an Austrian trench, to hitting a gunpit or an emplacement, and especially to silencing the enemy artillery, the battery that flings up its grenades and its furious shrapnels!
    It picks out and recognizes your noises. It knows that a noise that you make down there indicates a certain act of destruction. It knows that another of your noises will sweep the road clean in a flash for those who will complete the work of victory with a bayonet.<<

    und hier habe ich den Text gefunden, da kann man sich zumindest dieses Kapitel auch herunterladen:
    http://showsoflondon.wordpress.com/previous-events/
    Luigi Russolo, “The Noises of War” [1916] in Barclay Brown (trans.) The Art of Noises(New York: Pendragon, 1986).