Philosophieren übers Radio

(Anmerkung: durch einen Fehler hatte ich die Kommentarfunktion in diesem Artikel abgeschaltet, ist jetzt wieder an!)

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Nach der momentanen Radiodiskussion habe ich noch einmal den folgenden sehr guten Artikel von Udo Badelt aus dem Tagesspiegel (Dank an Simone Lutz) durchgelesen, der die Geschichte des Kultur- und damit auch Klassische-Musik-Radios in Deutschland Revue passieren lässt (für die jüngeren Leser mögen einige der hier beschriebenen Entwicklungen schon in einer mythischen und fernen Vergangenheit liegen, daher sei euch gesagt: das Radio war einmal so richtig wichtig für uns Komponisten. Viel wichtiger als heute.).

Letztlich lässt sich die Problematik auf folgende Fragen reduzieren:
– Welchen Ort kann Radio heute im Zeitalter des Internets besetzen?
Und noch wichtiger:
– Wie kann ein „Bildungsauftrag“ (den ich persönlich für eine sehr kluge Idee halte, denn ja: der Staat sollte es als eine seiner wichtigsten Pflichten ansehen, seine Bürger zu bilden) erfüllt werden, wenn das Internet tatsächlich eine „Choose-Your-Own-Adventure“-Situation darstellt, in der jeder sich sein eigenes Kultur- oder Unkulturprogramm zurechtbastelt?

Die Frage, ob das Radio zu einer „Häppchenkultur“ verkommt, ist dabei eigentlich nur ein Nebenschauplatz. Für mich stellt sich gar nicht die Frage entweder/oder, also nur Bruckner-Symphonien in voller Länge (wie es sich „Das Ganze Werk“ wünscht) oder auch mal nur ein Satz daraus. Beides hat im richtigen Kontext seine Berechtigung, und wie Udo Badelt richtig anmerkt: die Konzertprogramme des 18. und 19. Jahrhunderts mit ihrem verrückten Mischmasch aus langsamen Sätzen von Symphonien, dem Kopfsatz eines Klavierkonzertes, Virtuosenstückchen, leichter Muse, Liedern und ernsten Streichquartetten, würden heute vor den Augen der meisten Kulturwächter keine Gnade finden. Dabei denke ich, dass diese Programme eigentlich gar nicht schlecht waren, stellten sie doch eine sehr abwechslungsreiche Abendunterhaltung dar, die man heute in manch ambitioniertem und verkrampften Klassikprogramm eher vermisst. Wo ist eigentlich die intelligente Abendunterhaltung geblieben? Muss es immer bildungsbürgerlich zugehen?

Das Radio könnte also problemlos Ort für beides sein: den unberechenbaren aber auch überraschenden Mix, intelligent und spannend präsentiert, wie auch für das tiefe Eintauchen in ein einzelnes Werk – warum eigentlich nicht? Seltsam nur, dass so getan wird, als sei nur das eine oder andere möglich.

Ein Problem spricht Badelt zu Recht an: oft liegt es gar nicht an den Inhalten, sondern an der Form der Präsentation – wer jemals die emotionslose und unbeteiligt leere Stimme eines Ansagers zu einem anspruchsvollen Klassikprogramm gehört hat, weiß meistens schnell, dass es sich hier um einen armen Lohnsprecher handelt, dem gerade ein Text vorgelegt wurde, zu dem er nicht den geringsten persönlichen Bezug hat. So dringend wie nie braucht unsere Zeit also neue Bernsteins und Goulds, die in der Lage sind, anspruchsvolle Inhalte mit Begeisterung an den Hörer zu bringen, davon selber aber auch wirklich etwas verstehen. Mir scheint es gibt im Moment eher Astrophysiker und Wissenschaftler denen so etwas gelingt als Künstler (Ausnahmen bestätigen die Regel). Solche Talente zu fördern ist aber nicht auf der Prioritätenliste eines Senders, der verzweifelt versucht, seine schwindende Hörerschaft mit Altbekanntem zu bedudeln, das scheint offensichtlich.

Lassen wir also die yotube-Generation allein? Wird sie verdummen, weil wir ihr nicht zu bester Sendezeit intellektuelle Inhalte vermitteln?
Eins müssen wir schon einmal feststellen: die momentanen Entwicklungen sind nicht aufzuhalten. Wer einmal gelernt hat, frei durchs Internet zu navigieren und eigene Interessen und Vorlieben zu verfolgen, wird diese Freiheit nicht plötzlich wieder aufgeben um sich einer rigiden Programmstruktur unterzuordnen, so nostalgisch das auch mancher finden mag. Wir müssen also damit rechnen, dass das klassische Radio immer mehr der Vergangenheit angehören wird, da kann man nichts mehr daran ändern.

Aber es wird ja nicht alles schlechter, nur weil es nicht mehr in den gewohnten Bahnen läuft. Man muss ein Orchester nicht abschaffen, nur weil es keine Radioopern und zunehmend weniger Liveübertragungen spielt. Das Orchester ist trotzdem da, und bei den Radioorchestern in Deutschland handelt es sich um edelste Klangkörper, die zu den besten Orchestern der Welt gehören. Man muss einfach im neuen Medium (Internet) „ankommen“, und seine Stärken bedienen, seine Schwächen aushebeln.

Eine der Stärken des Internets ist zum Beispiel die Möglichkeit der Ungleichzeitigkeit, des zeitversetzten Liveerlebnisses ohne Terminbindung. Das heißt aber nicht, dass das Liveerlebnis nicht auch entscheidend zur Qualität beitragen kann. Zum Beispiel bedient sich die legendäre BR-Sendung „taktlos“ schon seit langem eines Formates, das Livepublikum, Studiogäste, Livemusik mit Einspielern und vorproduziertem Material verbindet. Die Sendungen sind daraufhin lange verfügbar, und werden auf der Webseite des BR mit Zusatzmaterial versorgt: Fotos, Videos, Hintergrundinfos. Da „taktlos“ sich stets aktuellen Themen des Musiklebens zuwendet bleibt das Ganze auch immer lebendig und aktuell. Der Nachteil: „taktlos“ ist relativ aufwändig zu produzieren und kann nicht ständig auf Sendung sein. Aber vielleicht ist dieses „ständig auf Sendung sein“ sein nicht ohnehin immer mehr ein Relikt der Vergangenheit?

Wie viel könnte gewonnen sein, wenn man nicht mehr öde Sendepläne ausfüllen muss – ein Großteil der Misere und des generellen Absinkens der Qualität bei öffentlich-rechtlichen wie auch privaten Sendern ist ja, dass diese ständig das Gefühl haben, der ganze Tag muss „gefüllt“ werden, mit zum Teil dem letzten Schrott. Warum eigentlich? Mal ehrlich – wer folgt dem überhaupt noch diesem vorgefertigten Programm und setzt sich zu bestimmten Zeiten vors Radio? Wohl doch nur noch bei Nachrichten und Sportsendungen, ansonsten gestaltet doch die überwältigende Mehrheit ihr Programm schon längst selber, via Download oder digitaler Aufnahme. Oder indem sie das tolle neue Hörspiel vom HR bei audible.com herunterladen. Warum nicht einfach die Entscheidung treffen (wenn schon weniger Gelder – angeblich – verfügbar sind), WENIGER Sendungen zu machen, und diese dafür qualitativ besser aufzubereiten, mit allen Mitteln, die uns heute zur Verfügung stehen?

Wir leben im Zeitalter der DVD-Extras und der Verlinkungen – warum nicht solche Formate auch zunehmend für Konzertmitschnitte verwenden und genau die Neugier und die Sehnsucht nach Freiheit, die der Internetuser immer weniger missen will, dazu verwenden, ihn die Hintergrundinfos über das gerade zu hörende Stück schmackhaft zu machen? Auch dies wäre eine Erfüllung des Bildungsauftrages.

Schließlich müssen wir den mysteriösen, sehnsüchtig gesuchten „Sendeort“finden, an dem heutzutage eine Begegnung des Publikums mit Kultur möglich ist, so wie früher, wenn man zufällig den Fernseher einschaltete und plötzlich „Aspekte“ sah.

Ich weiß auch nicht, wo dieses Eldorado der Hörfunkmacher ist. Aber eines weiß ich: wo Gold ist, wird auch irgendwann danach gesucht werden.

Moritz Eggert

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