Ad ACTA zum Zweiten

Beeindruckende Zahlen sprangen am Montag-Morgen aus den Zeitungskästen, groß klingend, dennoch schwammig: „Mehrere Zehntausende demonstrierten am Wochenende gegen ACTA.“ In Berlin waren es 6000, im derzeit eisigen Süden, in München, waren es gar 16000 laut Hannoversche Allgemeine! Der Wirbel im Vorfeld, die Kampagnen, wie besonders jenes Youtube-Video, das der Sänger Bruno Kramm in Deutsch synchronisierte, brachte die Demonstranten auf die Straße. Bruno Kramm, Grünen-Mitglied, wollte damit generell die Diskussion über ACTA hierzulande anregen, da ihm das Schweigen dazu seltsam vorkam, er die Wege des Zustandekommens als undemokratisch empfand, er v.a. das Wirken von großen Unternehmen dahinter sieht, die es den „Kleinen“, unabhängigen Künstlern generell und hier im Besonderen in Verbindung mit potentiellen Zementierungen aktueller Urheberrechtsdiskussionen und Verbeitungswege schwer machen könnten, so in jenem SZ-Interview. In Teilen bezieht sich auch mein erster ACTA-Beitrag auf sein Video, drücke ich aber auch die Zwiespältigkeit aus, die ich als Urheber empfinde. Just wenige Tage vor den Demos macht ein weiteres Video eines „chatelb“ auf Youtube die Runde, der einerseits relativ, andererseits mit unverhohlener Antipathie Bruno Kramms Synchronisation auseinander nimmt.

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Demzufolge sind v.a die Befürchtungen, dass Provider – unklar ob Content- oder Access-Provider, also Plattformen für Inhalte, besonders nutzergenerierte wie z.B. Youtube, oder Netzzugangsanbieter wie z.B. die Telekom – den Datenverkehr ihrer Kunden kontrollieren und ggf. zensieren könnten, um im Falle eines möglichen Urheberrechtsverstoßes nicht belangt werden zu können, wie Kramms Synchronisation es suggeriert. In zwei weiteren Videos eines Vierteilers zu ACTA, zu den Onlinefragen und in der Zusammenfassung, erläutert „chatelb“, dass solche Grausamkeiten durchaus im Vorfeld einmal angedacht worden sind, EU und Deutschland aber keine Gesetzesanpassungen in dieser Hinsicht vornehmen werden. Abgesehen davon sei das Strafrecht zum Urheberrecht jetzt schon in Deutschland strenger als ACTA es fordert und bezüglich der Provider, kann heute bereits ein Gericht die Herausgabe von Nutzerdaten im Einzelfall anordnen. Zudem seien Privatkopien durch deutsches Recht möglich. Das stimmt Alles. Zudem sagt auch unsere derzeitige FDP-Justizministerin in einem eigenen Video, dass ihr Ministerium keine Gesetzesanpassungen vonnöten halte, sich erst einmal das Europaparlament damit zu befassen habe, keine Netzsperren geplant seien, ACTA vorerst von ihre nicht unterschrieben werde.

Das ist soweit die Regierungshaltung. Vom größeren Koalitionspartner, der Union, gibt es allerdings Gegenstimmen, die sehr wohl eine sofortige Unterzeichnung verlangen. Geht man davon aus, dass ACTA nur ein internationales Abkommen sei, welches Mindeststandards festlegt und sonst den Vertragspartnern, so sie längst entsprechende gesetzliche Bestimmungen haben, Handlungsfreiraum lässt, ist gegen eine Ratifizierung nichts einzuwenden. Selbst „chatelb“ hält ACTA für uns nicht notwendig, da das vorausgehende TRIPS-Abkommen schon die wesentlichen Punkte festgelegt habe. Allerdings könnte ACTA international Staaten verpflichten mehr gegen Urheberrechtsverletzungen zu unternehmen und zu regeln, die bis dato durch großzügiges Wegschauen diese zuließen, wie China und Indien. Pikanterweise sind genau diese beiden Staaten an ACTA bisher nicht beteiligt.

Zwar sind Gesetzesanpassungen aktuell nicht im Gespräch. Dennoch lohnt sich ein sehr kritischer Blick: Eine der Befürchtungen, die ACTA auslöste, ist das Verbot von Privatkopien. Im englischsprachigen Rechtsraum gibt es entsprechend den „fair use“, in Schweiz wie Österreich gelten ähnliche Regelungen dazu wie in Deutschland. Weitere EU-Staaten wiederum kennen die Urheberrechtsausnahme Privatkopie gar nicht. So ist sich die EU da schon uneins. Desweiteren sei daran erinnert, wie bei Gesetzesnovellen der letzten Jahrzehnte unsere Regelung dazu immer wieder aufs heftigste torpediert worden ist. Wie gesagt, Netzsperren sind seit der Häme um „Zensursula“ erst mal vom Tisch. Dennoch gibt es Stimmen, die sagen, dass gerade die einmal geplante „Kann“-Bestimmung ACTAs bzgl. strengerer Haftung von Providern aber auch im aktuellen Vertragswerk besonders die Fußnoten dazu eine Stimmung im Bundestag befördern können, die weg von den jetzt bereits aktuellen gerichtlichen Einzelfallanordnungen hin zu allgemeineren Zugriffsrechten potentiell und/oder tatsächlich in ihren Urheberrechten Verletzten auf die Daten der vermeintlichen Rechtsbrecher als Aushöhlung des Datenschutzes ermöglichen könnten. So z.B. jener Text, der genauer hinsieht und „Subtilitäten“ feststellt, eben genau in Hinblick auf Verschärfungen, denen ACTA eine argumentative Steilvorlage wäre. Ob ACTA nun ein internationaler Vertrag oder ein Gesetz wäre, ist v.a. für die Geheimniskrämerei des Zustandekommens letztlich belanglos. Das EU-Parlament hat besonders seit der letzten EU-Vertragsänderung wesentlich stärkere Mitwirkungs- und Einblickrechte in Planungen und Vorhaben der EU, gerade auch internationale Verträge. Und genau anhand von ACTA musste das EU-Parlament dezidiert auf sein Recht hinweisen.

So nimmt es nicht Wunder, dass angesichts der einmal geplanten Keulen, Erfahrungen aus anderen Ländern mit Netzsperren, Planungen dazu im Bereich des Sexualstrafrechts, immer wieder torpedierte Privatkopien Warn-Videos wie das von Kramm synchronisierte Erfolg haben, das Volk auf die Straße bringen. Wir wissen Alle inzwischen, dass Fragen des Urheberrechts heute sehr breit und emotional wahrgenommen werden und besser denn je kommuniziert werden müssen, in gewisser Weise die Diskussion darum immer mehr ins Rollen kommt, sich Nutzer wie Urheber irgendwann mehr als jetzt bewegen werden müssen. Mir stellt sich die Frage als E-Musik-Komponist und als „Kleiner“ sehr wohl auf neue Kommunikationswege wie das Netz angewiesener, ob man unbedingt ein Urheberrecht stützen soll, dass besonders die Starken begünstigt, die Schwachen immer wieder gerne ausbootet. Wie hart hier gekämpft wird, sieht man an den Reibereien innerhalb wie ausserhalb der GEMA. Letztlich hat ihr Bild ziemlich gelitten und kämpft sie jetzt schwer um ihre absolut berechtigte Legitimation im Youtube-Fight: Nicht sie löscht, Youtube sperrt exorbitant, schiebt ihr aber die Schuld in die Schuhe. So wird sie immer mehr zum reagieren als agieren gezwungen, wie jetzt erst bei ACTA die Bundesregierung reagiert als viel früher Mysteriöses zu verhindern. Wann endlich schaffen wir einen breiten Urheberrechtskonsens? Bisher sehe ich nur Spalter!

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3 Antworten

  1. Mein Kommentar dazu kommt morgen :-)
    Ich frage mich übrigens, ob der Protest gegen ACTA nicht auch ein wenig von den Betroffenen (youtube etc.) gesteuert wird, anstatt eine genuine Volksbewegung zu sein, nun ja…

  2. Alexander Strauch sagt:

    @ Moritz: Bin gespannt auf Deinen Kommentar ;-) Eine „genuine“ Volksbewegung wird es nicht sein. Allerdings durch solche Mobilisierung bekommt es eine genuine Eigendynamik. Wer verbirgt sich also hinter „Anonymous“? Dies ist dann ein neues Kapitel! Möchte der Staat demgegenüber handlungsbetonter erscheinen, ich kann es nur wiederholen, wäre eine frühzeitigere Aufklärung angebracht gewesen. Man unterschätzt von dieser Seite das Reizthema „Urheberrecht“. Bzw. agiert man seitens der staatlichen Akteure zu verschlossen. Hochnotpeinlich, dass das EU-Parlament auf seine Informationsrechte hinweisen musste. Erinnert das nicht an die Schnellschuss-Politik angesichts der Finanzkrise? Oder hat man vergessen, wie der Bundestag gegen seine reale oder zumindest befürchtete Schlechterstellung in puncto schnelle Entscheidungen und seine Mitwirkungsrechte gerichtlich gegen die Bundesregierung vorging? Vergessen die Torpedos gegen die Privatkopien vor einigen Jahren?

    Witzig zudem, wie „chatelb“ auf Facebook von Grünen verlinkt wird, um gegen das synchronisierte Video ihres Mitglieds Krumm zu agieren. Noch witziger, wie un-grün jener Elf ist, den Ökofreunden nur bei der umweltgerechten Vernichtung von materiellen Raubkopien zur Hand gehen möchte. Und wie die Union selbst die besonnene Justizministerin, zwecks ihrer Entscheidungsrückstellung zu ACTA bis das EU-Parlament entschieden hat, beschießt.

    Ich kann nur davor warnen, einen ähnlichen Tonfall wie chatelb anzuschlagen. Natürlich ist das Anonymous-Video auch hochgradig tendenziös. Es erklärt verführerisch einfach, bin ich ihm auch ein wenig auf den Leim gegangen. Allerdings sind die darin kritisierten Dinge tatsächlich mal geplanter ACTA-Inhalt gewesen, läßt sich dies „subtil“, wie meine im Beitrag zitierte andere Quelle, selbst aus dem jetzt signierten Vertrag ablesen, lässt er solche Wege offen. Geradezu eine Einladung an China mit seiner himmlischen Firewall einzusteigen, eine Steilvorlage für das geplante, jetzt gestoppte SOPA der USA!

    Was stimmen kann, ist die Macht Youtubes/Googles hinter den Kulissen. Denkt man an den GEMA/Youtube-Streit ist dieser allerdings fast wieder ein Argument dagegen, wird er doch sehr effektiv direkt im Machtbereich Youtubes mit den Sperr-Hinweisen ausgetragen, natürlich auch in all den Blogs und sonstigen Foren, die da Youtube als „Retter der Armen“ beispringt. Fragen bleiben allerdings offen…

  3. Dave sagt:

    Danke! Sehr guter Kommentar! Ich bin auch gespannt auf den Kommentar von M. E. Das Problem bleibt: Die Diskussion ist bisher leider stark polarisiert, emotionalisiert und wenig faktenbasiert. Letzteres liegt leider vor allem in der Komplexität des Themas, die von nur wenigen vollständig durchdrungen wird.