Fallobstgedanken zu „Warnung vor dem Hunde“
Warnung vor dem Hunde, Warnung vor Obstausrutschern: Abgesehen von all den Meinungen, Umgangsvorschlägen und externen Reaktionen, Verweisen auf etwaiges Zitieren in eigenen Texten, sollte man vielleicht nochmals in die „Grundgefühle“ einsteigen, die durchaus juristischen Allgemeinplätzen entsprangen. Ein Künstler komponiert ein neues Stück, ein weiterer Künstler interpretiert es, ein längst rechtsfreies Stück wird aufgeführt. Wir bewegen uns im Bereich des Grundrechts auf Freiheit der Kunst. Jeder der drei fühlt sich frei und berechtigt in seinem Metier zu handeln. Problematisch ist das erste Verhältnis: der Komponist sagt, sein Stück zu besitzen, genauso meint der Interpret, es nach langen Studieren, Auswendiglernen zu besitzen, es real in seiner Hand zu halten. Vielleicht hat der Interpret den Komponist sogar für das Stück bezahlt. Dennoch wird er wohl nur eine Kopie bekommen, eine gewisse Frist für das exklusive Uraufführungsrecht eingeräumt bekommen. Aber er besitzt es doch?! Nein. Jetzt sind wir im Grundrecht auf Eigentum gelandet.
Grundrechte sind ja was sehr junges, oft langatmig zurecht konstruierte abstrakte Normen, die eine lange Entwicklungsgeschichte hinter sich haben, erinnert man sich an die Vorbehalte des Staates z.B. Kunst und Presse zu zensieren. Diese beiden Grundrechte sind heute weitestgehend frei, fast vorbehaltslos, solange niemand Anderes in seinem Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit eingeschränkt wird. Denkt man an das Versammlungsrecht, was der Staat vor einigen Jahrzehnten noch mit Schiessbefehlen regelte, liest man dessen Einschränkungen, dann wird einem klar, wie komplex doch diese uns heute absolut zu Recht selbstverständlich erscheinenden Konstruktionen in wenige Gesetzestextworte gegossenen Grundfreiheiten sind, jedem in Fleisch und Blut eingebrannt. Dazu tritt die vorherrschende Tendenz, Besitz und Eigentum zu verwechseln.
Am obigen Beispiel Komponist/Interpret sieht man das Grundgefühl des Besitzes. Die heutige Realität des Eigentums räumt dem Interpreten tatsächlich einen gewissen Besitz ein, macht ihn aber nicht zum Eigentümer. Anders ausgedrückt: Ein Interpret ist nur der Mieter eines stückvermietenden Komponisten. Erst wenn dieser lange genug tot ist, seine letzten Duftwolken verflogen sind, kann der Interpret ungeschmälert vollends Besitz von dem Werk ergreifen, sofern ein Verleger nicht sein Eigentum an den Noten anmeldet. Hier beisst es sich schon wieder!
Was für ein Eigentum hätte der Verleger, hat man nicht einen Kaufvertrag abgeschlossen, der auch den Eigentumsübergang an den Noten garantiert? Der hat tatsächlich zuvor einen Vertrag mit dem Komponisten abgeschlossen, mit welchen ihm dieser das Werk zur Drucklegung überlässt und alle weiteren Rechte an dem Werk geteilt werden, besonders das Aufführungsrecht dieses Stückes aus diesen verlegten Noten. Das geteilte Aufführungsrecht verbleibt Komponist und Verlag zu den üblichen Laufzeiten. Das heisst wiederum, ist der Komponist tot, das Verlagsrecht ausgelaufen, muss der Komponist lange Zeit tot sein, bis das Aufführungsrecht frei verfügbar ist. Als Interpret, als Verleger hat man zwar jeweils den Besitz erlangt, verbunden mit dem Eigentum an den Noten. Das Aufführungsrecht blieb Eigentum des Autoren. Dieses ist selbst an Fristen gebunden, so dass auch hier das Konstrukt Eigentum bald verflogen ist. Es bleibt der Besitz. Man weiß zu Genüge, wie jung dieses vertrackte Aufführungsrecht ist, in etwa wie die Grundrechte.
Besitz ist ein uraltes Recht. Sobald der Mensch mein von dein unterscheiden konnte, war dieser Begriff geprägt, vielleicht können dies ja sogar bereits die Tiere. So verwundert es nicht, wenn dieser Besitz-Begriff tiefe Emotionen auslöst. Man denke nur an die Streitereien, wenn Partner ihren Haushalt auflösen, wenn es um das Erbe geht oder auch nur die Äste des Baumes des Nachbarn im eigenem Garten. Gerade beim allerletzten Beispiel greift dann das sogenannte Naturrecht oder uralte römische Rechtsnormen kommen mal wieder ins Spiel, um dies zu regeln. Plötzlich kommt das Eigentum daher: A besitzt den Garten, B den Baum, der es wagt in den Besitz von A zu wachsen. Das Obst ist als Bestandteil des Baumes Besitz von B. Nun durchbricht das Recht die emotionale Mein-Dein-Grenze: Obwohl räumlich betrachtet der Besitz von B zum Besitz von A geworden ist, behält B das Verfügungsrecht über sein Obst am eigenen Baum im fremden Garten. Eine Abstraktion der beiden Besitze ist erfolgt: Das Eigentum steht vor uns, um Haydns Schöpfungssprachduktus zu folgen. Erst wenn die Baum und Obst sich auf natürlichem Wege voneinander trenne, darf A über das Fallobst frei verfügen.
Vermischen wir ein wenig die Ebenen. Fangen wir mit der Kunstfreiheit an, die Grundrecht des Komponisten ist, der also im Baumbeispiel „B“ wäre. Den Verlag lassen wir der Einfachheit halber weg. Ein Sänger sitzt sauf dem Ast des Komponistenbaumes. Der Komponist lässt ihn frei in seinem Baum turnen, solange die Blätter keinen Schaden nehmen, er lässt ihn auch öfters wieder in den Baum klettern, nachdem ein kleiner Obolus an den Komponisten entrichtet worden ist und der Sänger eine Kletterpauschale als Honorar bekam. Ist der Komponist schon lange tot, besteht immer noch dieser Baum, das Eigentum ist verfallen, den vollkommenen Besitz hat der Sänger inne.
Der Kritiker agiert auf der Seite des Grundrechts auf Pressefreiheit. Er hat also den Anspruch, über Dinge mit öffentlichen Belang wie eine öffentliche Aufführung frei zu berichten, im Zweifelsfalle bei freiem Eintritt, damit sein Recht gewahrt wird. Wie er es nun umsichtig ausübt, ist seine Sache, solange er nicht objektiv die Persönlichkeit des Interpreten und Komponisten verletzt. Wenn deren öffentliche Leistung in den Augen des Kritikers mau war, berichtet er im Zweifelsfalle immer nur, wie es wirklich gewesen ist. Im Versammlungsrecht würde der nachlässige Versammlungsleiter gleich eins von der Polizei aufs Dach bekommen. Soll es dem Kritiker so ergehen, müsste der hörbar Krawall während der Aufführung machen. Sein Krawall ist in der Regel aber nur nachlesbar, im Zweifelsfalle objektiv, solange er die Musiker nicht mit tabuisierten Körperteilnomenklaturen benennt.
Um beim Gartenbeispiel zu bleiben: Der Sänger singt auf dem Baum des Komponisten. Würde der Kritiker nun direkt dem Sänger in den Rachen schauen wollen oder gar die Noten haben wollen, den Sänger von der Bühne holen, würde er sich am Obst vergreifen. Nun singt der Sänger aber, die Musik fällt in den Raum, gelangt in die Ohren des Publikums. Die Komposition, der Gesang wird für diesen Zeitraum zum Fallobst, wird Besitz des Kritikers, der nun über genau diese Situation schreiben darf.
Die Zeitung veröffentlicht die Kritik! Der Sänger, der lebende Komponist freut sich über eine gute Kritik, eine schlechte sorgt für Aufregung, wird und soll so schnell wie möglich vergessen werden. So sammelt man die positiven Berichte. Doch halt! Es ist nur bedingt Fallobst. Die Zeitung mag zwar bald wie solches vergammeln bzw. vergilben. Dennoch bleibt das Geschriebene Eigentum der Zeitung, mag man selbst auch das Eigentum durch einen Kaufvertrag am Papier der Zeitung erworben haben. Dies ist das Fallobst vom Zeitungsbaum. So haben Zeitungen gemeinhin auch kein Problem damit, wenn man das Papier in einem Schaukasten zeigt. Der Sänger könnte einen solchen auch an seinem Haus anbringen. Das Fallobst bleibt als solches erkennbar. Wie oft kommt da aber ein Veranstalter gezielt vorbei? Das bringt das zweite Heim, die Homepage des Sängers ins Spiel.
Man scannt das Papier samt darauf Geschriebenen ein, das sollte dann doch kein Problem sein! Aber jetzt geschieht schon etwas Merkwürdiges: das Papier wird zu einer Datei, der abgetippte Inhalt, wenn man sich gegen den Scan entscheidet, wird Bestandteil einer ganz anderen Datei. Das Fallobst ist als solches nicht mehr wiederzuerkennen. Woher man den Text hat, ist so allein nicht mehr nachzuvollziehen. Ist es ein Link zum Baum der Zeitung, so ist es einfacher. Hat der Textausschnitt eine Quellenangabe, ist dies eigentlich ausreichend korrekt. Nur beginnt hier der Streit, ob dies noch Fallobst. Komponist und Sänger sehen hier ihren eigenen ursächlichen Baum, die Presse sieht hier bereits Fallobst für ihren Gebrauch, die Künstler spüren ihre Besitzäste aber noch weit in die feuilletonistische Obstverarbeitung hineinragen und beanspruchen ein eigentümliches Verfügungsrecht. Und so wird es komplex, kollidieren Rechtsbegriffe und Rechthabegefühle. Künstlerisch betrachtet könnte man tatsächlich vielleicht eine Eigentumsabstraktion bis in die geschriebene Kritik hineinbekommen. Pressefreiheitlich erübrigt sich jede Freikartenbesitzfrage von vornherein. Wo bleiben die gemeinsamen Schnittmengen? Wo bleiben die Verbände: Tonkünstlerverband, Komponistenverband, ver.di/Kunst-Medien-Industrie, Deutscher Journalistenverband, Deutscher Musikrat, Deutscher Kulturrat?
Komponist*in