Musikgeschichte – Mediengeschichte [1] Das Medium der Botschaft
Aus aktuellem Anlass werde ich hier in den nächsten Tagen eine kleine Fortsetzungsserie über das Wechselspiel von Musik- und Mediengeschichte platzieren. Ich bediene mich dabei an einem Vortrag, den ich 2006 auf einem Symposium der Gutenberg-Universität (!) in Mainz unmittelbar im Anschluss an einen Service-Wellenvermarkter von der ARD halten durfte. Ein idealer Ort, um in Erinnerung zu rufen, was in den oberen Etagen der Funkhäuser inzwischen wohl niemand mehr erinnert. Hier zunächst der Abstract.
Mit der zunehmenden Verbreitung von Tonträgern verloren die Klangkörper der ARD-Anstalten ihre ursprüngliche Funktion: durch Eigenproduktionen die Schallarchive zu füllen und mit Konzertübertragungen ein anspruchsvolles Programm für die Radiohörer zu gestalten. Gleichzeitig fingen die Rundfunkklangkörper an, im besonderen Maße für ein zeitgenössisches Repertoire einzustehen, das von anderen Orchestern spieltechnisch und personell nur schwer zu bewältigen war und ist. Dadurch haben Sie gleichzeitig der Musik des 20. Jahrhunderts die Entwicklung in einer bestimmten Richtung ermöglicht. Dass sich diese Musik gleichzeitig zunehmend ihrer Radiotauglichkeit entzog und räumliche und visuelle Momente mit einzuschließen begann, erscheint als eine Pointe der Rundfunkhistorie. Oder war hier nur einmal mehr die Ästhetik der Technik um ein paar Jahre voraus? Heute ist es möglich die raummusikalischen Erfahrungen der Neuen Musik im 5.1-Format auch im Wohnzimmer zu erleben, durch bimediale Übertragungen können audiovisuelle Erlebnisse geschaffen werden. Ist das Medium bereit für seine nächste Botschaft?
„Das Medium der Botschaft“
Es ist natürlich großartig, dass diese Tagung in Mainz stattfindet: der Wiege der Gutenberggalaxis. Und so habe ich auch ein paar Bücher mitgebracht. Sonderpreise kann ich nicht anbieten. Denn die Bücher gehören nicht mir. Ich hab sie auch nicht geschrieben. Lesenswert sind sie allemal. Denke ich, ich bin noch nicht ganz dazugekommen. Aber vielleicht interessant für den ein oder anderen – der Name fiel gestern auch häufiger: Frisch erscheinen: Theodor W. Adorno: Current of Music. Elements of a Radio Theory. (Darüber spreche ich dann auf dem nächsten Symposion.)
Ich freue mich, direkt nach Wolfgang Rumpf sprechen zu dürfen. So werde ich ihm alle Hoffnung, die Zukunft der Servicewellen der ARD betreffend nehmen und ihn durch die Stringenz meiner Ausführungen dazu zwingen, mir recht zu geben, dass – wenn überhaupt – das sogenannte Kulturradio im untergegangenen alten Europa eine Zukunft haben könnte: als ein museualisisertes.
(Der Vortragende malt mit Kreide die folgenden Worte auf eine Tafel) Big Bang!
„Liebe Mädel! liebe Jungs! In euren Händen liegt die Zukunft des Rundfunks. Was wir begonnen, sollt ihr zur Vollendung führen. Mit euch erst werden die Geheimnisse der elektrischen Wellen zum allgemeinen selbstverständlichen Bildungsgut, und lächelnd werdet ihr auf die Irrungen und Wirrungen der Entwicklungsgeschichte des Funks zurückblicken.“
Zugegeben, es ist wohlfeil, einen Vortrag über das Verhältnis von Musik- und Mediengeschichte mit den Worten des Ingenieurs Hans Bredow einzuleiten. Mit Worten, die der Gründer des Deutschen Rundfunks 1926 in der Zeitschrift „Funkheinzelmann“ dem Radiohörernachwuchs ins Stammbuch schrieb und die bereits in ihrer Ansprache dazu angetan sind, Heiterkeit zu verbreiten. Ganz zu schweigen von der ironischen Überlegenheit, in die sich der Redner manövriert, wenn er sich 80 Jahre später geradewegs selbst an die Stelle des wissend-lächelnden Historikers begibt. Doch es handelt sich hierbei um einen wertvollen Text, falsch, es handelt sich um eine Utopie.
„Dann – zum Zeitpunkt der Vollendung – wird die Zeit gekommen sein, in der es keine Trennung mehr zwischen Menschen gibt. Der Begriff des Raums, der Entfernung, der Einsamkeit wird gefallen sein, für Freundschaft und Verbrüderung wird es, wenn ihr innerlich reif dazu seid, keine Grenzen mehr geben. Das ist die neue Epoche der Welt- und Kulturgeschichte, die mit dem Rundfunk beginnt. […]//“
Musikwissenschaftler unter uns haben es erkannt: hier soll mediengeschichtlich an das Programm von Schillers „Ode an die Freude“ und Beethovens 9. Sinfonie angeknüpft werden.
An diesem Verweis sehen sie bereits, dass es sich hier um einen futurologischen Vortrag handelt. Schließlich ist das die wahre Aufgabe der Historiker: aus der Kenntnis vergangener Gegenwarten Aussagen ableiten zu können über die Entwicklung von der Gegenwart in zukünftige Gegenwarten.
Fangen wir also an: in diesem Fall mit einer Selbstanzeige. „Ist das Medium bereit für seine nächste Botschaft?“ schließe ich mein Exposé für diesen Vortrag ab. Und ich bekenne, das klingt ganz gut. Doch nimmt man Marshall McLuhans These ernst, dass das Medium die Botschaft sei, so ist die Formulierung nicht nur kess, sondern schlicht abwegig: die Botschaft des Mediums bleibt das Medium. Basta.
(Der Vortragende malt mit Kreide noch ein Wort auf die Tafel) RADIO
Wenn man nun die Frage dennoch ein wenig ernst nimmt, „ist das Radio bereit für seine nächste Botschaft“, so ist man – ergo – gezwungen zu fragen: Ist das Radio immer noch bereit für seine Botschaft, denn die, das die Konsequenz aus McLuhans These, dürfte sich nicht geändert haben, in den Jahrzehnten die vergangen sind, seit Einführung des Unterhaltungsradios in Deutschland, im Jahr 1923. „Was ist die Botschaft des ‚heißen Mediums’ Radio“, wäre die Frage, die ich konsequenterweise diesem Vortrag hätte zugrunde legen müssen.
[Fortsetzung folgt]
Musikjournalist, Dramaturg