„Radio?“ – „Das haben wir schon vergessen.“

In den Notizbüchern von Bertolt Brecht findet sich die Erinnerung einer alten Geschichte, in der einem Chinesen die Überlegenheit der westlichen Kultur vor Augen geführt werden soll. „Er fragte: ‚Was habt ihr?‘ Man sagte ihm: ‚Eisenbahnen, Autos, Telefon.‘ – ‚Es tut mit leid, Ihnen sagen zu müssen‘, erwidert der Chinese höflich, ‚das haben wir schon wieder vergessen.'“ Auch hierzulande scheinen sich allmählich chinesische Verhältnisse auszubreiten und der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich auf die Zukunft vorzubereiten getreu der Maxime: „Vergessen Sie das Radio.“

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Es ist noch nicht lange her, dass Stéphane Denève mit großem Aplomb erstmals ans Pult des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart getreten ist. Aufbruch verkörpert sein Auftritt, neue Dynamik nach der bedeutenden, 13-jährigen Ära Norrington. Wer am Stuttgarter Hbf in die U-Bahn steigt, entkommt ihm nicht: dem „charmantesten Franzosen der Stadt“ als den ihn der SWR auf großen Plakaten präsentiert. „Heldenleben“ stand auf dem Programm seines Antrittskonzerts. Wie unheroisch wenige Wochen später Fusionsbestrebungen, die schon zur Zeit seiner Vertragsverhandlungen gekeimt haben mögen, ans Licht der Öffentlichkeit dringen, dürfte er nicht geahnt haben.

Die Bestrebungen im SWR, von denen man in Orchesterkreisen inzwischen nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand spricht, die beiden Ausnahmeorchester SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg und Radio-Sinfonieorchester Stuttgart im Laufe der kommenden zehn Jahre zusammen zu legen, kommen einem Dammbruch gleich. Es gebe „keinen Schutzzaun“ mehr um die Klangkörper, so SWR Intendant Peter Boudgoust gegenüber der Stuttgarter Zeitung vom 4. Februar. Ist er sich im Klaren, dass er sich hiermit eines der wenigen Schutzzäune, die man noch um das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu legen gewillt war, eingerissen hat?

Man kann ja in Zukunft nicht einmal mehr kündigen, seine Empfangsgeräte auf den Sperrmüll tragen. Wenn in Zukunft die Haushaltsabgabe kommt, wird die Haushaltsauflösung das einzige verbleibende Mittel sein, um sich gegen die Gebühreneintreibung zu wehren, die der Erhaltung eines Systems dient, das sich in vorauseilendem Gehorsam selbst abzuschaffen gewillt ist.

„Vogel-Strauß-Politik“ sei keine Strategie, sagt die Stuttgarter Zeitung, sagt Boudgoust. „Er wolle die ‚Entwicklungen nicht geschehen lassen‘, nicht ‚passiv abwarten‘, sondern ‚frühzeitig, wenn man den Weg noch bestimmen kann‘, die Diskussion suchen und Lösungen abwägen, ’nicht erst, wenn der Schaden eingetreten ist.'“ Dies wäre ein guter Ansatz.

Nutzen Sie die außerordentlichen Orchesterversammlungen, die in nächster Zeit anstehen sollen, um die Bestandsgarantie zu wiederholen, die ihr Vorgänger Hermann Fünfgeld, damals der Intendant des Süddeutschen Rundfunks, am 1. Oktober 1998 anlässlich der Fusion des württembergischen SDR und des badischen SWF für die Klangkörper abgegeben hat. Und korrigieren Sie diese hinsichtlich ihrer zeitlichen Begrenzung: So lange es Rundfunkgebühren gibt.

Gerhard Rohde hat schon einmal über die kulturpolitischen Folgen nachgedacht…

Wir denken hier auch weiter demnächst: als liebender Radiohörer und gelegentlicher Radiomitarbeiter, als Konzertbesucher und gelegentlicher Konzertmitveranstalter, als Bürger einer offenen Gesellschaft und als Verbundener mit all den wunderbaren Musikern, denen ich so viele aufregende Konzerterlebnisse zu verdanken habe!

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Musikjournalist, Dramaturg