„Wie kannst du ohne Hoffnung sein?“ – Udo Zimmermann has left the building.

Man muss schreiben wie es war.

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Udo Zimmermann beendete vorvorgestern seine 15 Jahre währende künstlerische Leitung der altehrwürdigen Münchener Konzertreihe „musica viva“. Hierzu wurde ich von X gefragt, ob ich nicht Lust hätte, bei der anschließenden Feierlichkeit eine Performance vorzutragen.
Tatsächlich fand ich das eine schöne Idee – obwohl ich Zimmermann nicht sehr gut kenne, hatte ich ihm einerseits Aufträge zu verdanken (da fühlt man sich als Komponist immer sofort in einer Art Bringschuld), andererseits bewunderte ich, dass er und seine Mitarbeiter einen ziemlich tollen Job mit der Neuausrichtung der einst von Karl-Amadeus Hartmann begründeten Konzertreihe geleistet hatten, die vor Zimmermanns Übernahme an Schwund von sowohl Besuchern als auch künstlerischer Relevanz litt. Unter Zimmermanns Leitung änderte sich das Erscheinungsbild von musica viva radikal, es gelang ein jüngeres und „hippes“ Publikum anzusprechen und die ästhetische Ausrichtung öffnete sich nach vielen Seiten hin. Am wichtigsten aber: Die Konzerte waren wieder voll. Man ging zu musica viva, wenn man mitreden wollte, und als Münchener war man stolz auf die weltweit einzige regelmäßige Orchesterreihe mit Uraufführungen zeitgenössischer Musik, hochkarätig besetzt mit einem hervorragenden Orchester und international renommierten Solisten und Dirigenten.

Gemeinsam mit X besprach ich also viele Möglichkeiten, wie eine solche Hommage aussehen konnte. Liebevoll sollte sie sein, etwas Besonderes. Nur eine Rede? Das könnte zu trocken sein, vor allem nach einem langen Konzert. Da vor allem die Zahl der direkt von musica viva in Auftrag gegebenen großen Werke beeindruckend war (116), und mir die Liste deren Titel – zum Teil skurril, zum Teil kryptisch, zum Teil komisch, eben eine typische Ansammlung Neuer Musik-Titel – vielversprechend erschien, entschied ich mich für eine Vorgehensweise, wie ich sie auch schon in meinem Stück „What if 1 composer from 1 country composed 60 pieces under a second for solo piano“ angewendet hatte. 116 ganz kurze Stücke sollten entstehen, jedes auf einen musica viva- Titel in chronologischer Reihenfolge reagierend oder diesen auch direkt umsetzend. Als Ergebnis sollte eine (durchaus auch komische) Hommage entstehen, eine Überforderung des Hörers aber eben auch eine Zelebrierung der schieren Menge des Aufgeführten.

Ich hatte dafür nur eine Woche Zeit, schaffte es aber irgendwie, neben Konzertreisen und Aufführungen an dem Stück zu arbeiten. Tatsächlich machte es mir sehr viel Spaß. Da ausdrücklich eine Performance gewünscht war, schlichen sich auch ganz haptische Umsetzungen ein – so konnte man einen Titel wie „CAP KO“ auch ganz sprichwörtlich umsetzen, indem man sich eine Kappe aufsetzte und einen klitschkoartigen Schlag in den Bauch versetzte. Oder bei „Obst“ in einen Apfel biss. Ich schlug vor, von meinem Verlag eine Druckausgabe meines Stückes herstellen zu lassen, die dann von den treuen Mitarbeitern, die Zimmermann lange begleitet hatten, als Erinnerung signiert werden konnte. Den Tag vor dem Abschlusskonzert verbrachte ich damit, in ganz München verschiedenste Performancematerialien einzukaufen, es erwies sich vor allem schwierig einen altmodischen Fächer für das Stück „Gefächerter Raum“ zu finden, denn diese Dinger stellt heutzutage quasi niemand mehr her. Ich ersetzte diesen Gegenstand mit einem batteriebetriebenen Handventilator, der auch ganz gut den Raum fächern konnte. Ich verbrachte viel Zeit damit, das Stück zu üben und vorzubereiten, hierzu gehörte auch das Einüben einer Schnellrezitation aller Titel.

Gemeinsam mit dem BR wurde der Abend so organisiert, dass es mir trotz Pflichtanwesenheit bei den abendlichen Abschlusskonzerten der Kompositionsabteilung in der Musikhochschule möglich war, zumindest Zimmermanns eigenes Stück zu hören, welches das Konzert abschloss, ein Werk, dass der BR als Dank für die lange Zusammenarbeit in Auftrag gegeben hatte (daher hörte ich die Aufführungen von Werken Zenders und Lachenmanns nicht, die aber allen Berichten zufolge sehr ansprechend gewesen sein müssen). Wie immer war der Herkulessaal voll. Vor der Aufführung verlas der Rundfunkdirektor noch eine herzliche Rede, dann betraten die Musiker die abgedunkelte Bühne. „Wie kannst Du ohne Hoffnung sein?“ von Udo Zimmermann begann, ein Stück für „Mittleres“ Orchester, Vokalquintett, Solosängerin und – Rezitatorin.

Und war gleich darauf – zum großen Erstaunen des Publikums – auch schon wieder vorbei. Vielleicht wird das Stück in die Geschichte eingehen als das kürzeste Werk, das je in einer zweiten Hälfte eines musica viva – Konzertes allein erklungen ist. Vorher war beträchtlicher Aufwand betrieben worden, der allerdings nicht wirklich in viel Musik mündete. Zimmermann hatte sich gänzlich zurückgenommen in diesem Stück, das fast ausschließlich aus langen, original zitierten Passagen von Dufay bestand (wunderschön komponiert vor vielen hundert Jahren und sehr schön dargeboten), zu denen vereinzelt fremde Elemente hinzugefügt wurden. Meistens nur ein einziges, z.B. ein paar leise Töne auf einer Pauke, ein paar Harfentöne, sonst nichts. Der Großteil der Musiker spielte jeweils im Dunkeln (nur die gerade Spielenden wurden beleuchtet), oder vielmehr eigentlich überhaupt nicht, denn nach einem extrem kurzen Orchestertutti am Anfang des Stückes bestand die Aufgabe des Orchesters im folgenden nur noch darin, immer wieder denselben leisen Cluster zu intonieren, über den dann rezitiert beziehungsweise gesungen wurde.

Dies hatte durchaus theatralische Wirkung, wirkte aber seltsam unbefriedigend. Y hinter mir zischte, als es vorbei war: „Das kann doch nicht wahr sein! Das glaube ich einfach nicht!“ und auch andere Zuschauer neben mir bekundeten ihren Unmut über ein Stück , das ein wenig wie ein mühsam abgerungener Notbehelf wirkte, in dem Zimmermann als Komponist fast nicht vorkam. Aber der Dufay, der war wirklich wunderschön gewesen. Und der Lohn pro gespielten Ton sicherlich ziemlich gut für die Musiker.

Schnell hetzte ich – nach Übergabe der Partitur zum Signieren für die Mitarbeiter – noch vor Ende des Applauses zum Kaufmannscasino, wo die hochexklusive Feier in „kleinem Kreise“ stattfinden sollte. Dort stand wie angekündigt ein kleines Klavier und man hatte in dem winzigen Raum auch ein bisschen Platz dafür gemacht. Gleich darauf trudelten die Gäste ein, darunter auch bad blogger wie querstand (Alexander Strauch). Kollegen, Amtsträger. Auch für mich überraschende Gäste wie z.B. der Kabarettist Dieter Hildebrandt, von dem ich gar nicht wusste, dass er sich für Neue Musik interessierte. Ein kleiner Stau bildete sich in dem engen Raum. Schließlich erschien der Ehrengast, Udo Zimmermann, begleitet von seinem Hörfunkdirektor (Dr. Johannes Grotzky). Letzterer hub zu einer weiteren, sehr herzlichen Rede an, und verlieh Zimmermann die Ehrenmedaille des Bayerischen Rundfunks, eine Ehre, die in den letzten 15 Jahren nur drei Personen zuteil wurde.

Nun sprach Zimmermann. „Was ist das für eine Medaille? Ist das was?“. Eine extrem nüchterne, auch leicht verwirrt wirkende Rede des beständigen Selbstlobes folgte, ohne ein einziges Wort des Dankes an seine treuen Mitarbeiter oder auch an seine vielen musica viva Fans. „Ich weiß, wohin die Reise geht. Ich werde auch weiterhin künstlerisch tätig sein.“

Das Schlimmste an der Rede war, das keiner zuhörte. Vielleicht der Akustik oder der Enge des Raumes geschuldet: bis auf wenige Zuhörer vorne kam von hinten nur eine Wand aus lautem Gebrabbel und Gelächter. Da standen Leute, die Udo Zimmermann einiges zu verdanken hatten, die von ihm immer wieder eingeladen, beauftragt, gehätschelt wurden, und nun schenkten sie ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit, wendeten ihm sogar den Rücken zu. Es schien, als ob Zimmermann seine Schuldigkeit getan hatte, nicht mehr interessant war. Es war ein Moment der unendlichen Peinlichkeit, einer doppelten, denn einerseits war Zimmermanns merkwürdig teilnahmsloses und undankbares Gebaren shocking, aber eben auch, dass man ihm nicht den geringsten Respekt entgegenbrachte.

X winkte mir zu, ich sollte beginnen. Also hub ich zu meiner kleinen Rede an…aber nein, es mussten ja noch Fotos von der Medaillenübergabe gemacht werden. Das war natürlich peinlich, so etwas zu unterbrechen, aber ich wollte ja gar nicht, war dazu aufgefordert worden geradezu. Ich nutzte die Zeit, um einen Stuhl für den sichtlich ermüdeten Zimmermann aufstellen zu lassen, schließlich sollte er in dem engen, stickigen Raum nicht stehen müssen, wenn das für ihn komponierte Stück erklang. Endlich war die Fotografiererei vorbei und ich konnte beginnen.

Wie nicht anders zu erwarten, war nicht direkt ein Anstieg der Aufmerksamkeit zu verzeichnen, das Reden und Lachen ging unverändert weiter. Immerhin hatte ich ein Mikrophon. Ich lobte Zimmermanns Wirken, das Orchester, die Bedeutung der Ära Zimmermann in freundlichsten Tönen. Zimmermann, den man scheinbar widerwillig zu seinem Stuhl geleitet hatte, schien dies alles nicht zu interessieren. Er schaute mich an, als ob er gar nicht wüsste, was ich hier überhaupt mache, und auch nicht, dass seine Mitarbeiter und ich hier etwas mit großem Aufwand vorbereitet hatten. Ich versuchte die allgemeine fehlende Aufmerksamkeit mit Lautstärke wettzumachen, aber da jemand vergessen hatte, das andere, gerade eben noch für die Rede des Hörfunkdirektors benutzte Mikrophon auszuschalten (es blieb auch später noch den ganzen Abend eingeschaltet), resultierte dies in pfeifendem Feedback. Ich begann mit der Rezitation aller 116 Titel, so schnell wie möglich. Gerade wollte ich danach erklären, was es nun mit meinem Stück auf sich hat (es konnten seit Beginn meiner Rede maximal 3 Minuten vergangen sein), da wurde ich von X angeschubst. Zimmermann war zum anderen Mikrophon gegangen und unterbrach mich rüde: „Ich weiß wer Sie sind!“ (anscheinend hatte es ihm inzwischen jemand gesagt, denn vorher war keinerlei Erkennen spürbar, obwohl ich ihn gerade erst vor wenigen Wochen bei einem Konzert herzlich begrüßt hatte). „Ich weiß aber nicht was Sie wollen! Das ist doch pure Statistik! Was soll das denn?“.

Irgendwie schien Zimmermann nicht zu verstehen, dass dies hier jetzt eine Aufführung zu seinen Ehren war. Ich war tatsächlich sprachlos. Hatte ihm das niemand gesagt? Niemand erklärt? Hätte es nicht minimale Höflichkeit bedeutet, sich zumindest erst einmal anzuhören, was der ihm inzwischen bekannte Herr (ich) ihm da vortragen wollte? Die Mitarbeiter des BR schauten betreten weg, ihnen schien das alles wahnsinnig unangenehm zu sein. Aber ich war engagiert worden, the show must go on und so weiter. Ich beschloss, meine Erklärungen schnell abzuschließen und zügig mit der Aufführung zu beginnen. Ich erklärte Zimmermann, dass jetzt ein speziell für ihn komponiertes Stück zur Aufführung käme, das mit den Titeln zu tun hätte, eine Hommage an ihn und so weiter….
aber Zimmermann drehte mir den Rücken zu und redete mit jemand anderem. Viele andere redeten auch, wie auch schon die ganze Zeit vorher. Vielleicht hatten Sie das Bedürfnis, ihre innere Leere zu kompensieren. Ich ludt die Zuhörer ein, sich doch ein bisschen im Raum zu verteilen, aber sie kamen stattdessen näher, gaben mir immer weniger Platz für eine Performance, die eigentlich ein bisschen Platz brauchte. Nun gut, sie wurden wohl von hinten gedrängt, da konnte man nichts dafür. Das Reden ging weiter, der Lärmpegel stieg an. Ich begann.

Schon nach den ersten Tönen bemerkte ich drei Dinge. 1. es handelte sich um ein äußerst mäßiges und verstimmtes Klavier. 2. Das Klavier war mit dem mittleren Pedal auf quasi „stumm“ geschaltet, also extrem gedämpft und damit kaum zu hören. 3. Das mittlere Pedal klemmte und konnte nicht gelöst werden.
Ich gab mein Bestes und drosch auf die Tasten ein. In solchen Momenten ist Routine gefragt, man muss das Ding irgendwie durchziehen, egal wie miserabel die Umstände sind. Natürlich gab es trotz des vorwiegend unhöflichen Publikums auch konzentrierte Zuhörer, Freunde, Kollegen, für die musste man sich schließlich Mühe geben. Den anderen – inklusive Zimmermann – musste man selbst im Vergleich zu einem besoffenen Bierzeltpublikum jegliche Manieren absprechen.

Das Stück endete – natürlich – mit „Wie kannst du ohne Hoffnung sein?“, dafür hatten die BR-Mitarbeiter und ich eine Weiße Rose vorbereitet, die auf Zimmermanns berühmteste Oper anspielen sollte. Das Stück sollte mit der Überreichung dieser Rose enden, aber ich fand Zimmermann nicht. Er war schon weggegangen, in der Menge verschwunden. Man reichte ihm die Rose irgendwie weiter. Ich habe keine Ahnung, ob er sie je bekommen hat. Nun hätte die Überreichung der Partitur stattfinden sollen, aber ohne Zimmermann machte das wenig Sinn.

Das Stück war vorbei. Einigen wird es gefallen haben, anderen nicht. Bei Zimmermann konnte man keines von beiden sagen, denn er hatte nicht zugehört. Inzwischen hatte er sich in eine Ecke des Raumes verzogen, und redete dort mit einem mir unbekannten älteren Herren. Tatsächlich sollte er dies dann den ganzen Abend über tun, die anderen Anwesenden schienen ihn nicht im Geringsten zu interessieren.

Neben mir stand X und versuchte Zimmermanns seltsames Verhalten zu erklären, aber letztlich war sie genauso fassungslos wie ich. So verwirrt konnte er nicht sein, denn bei seiner Dankesrede hatte er sehr klar gewirkt, allerdings auch eher innerlich unbeteiligt. War er irgendwie sauer darauf, dass ihm der BR gerade seine Ehrenmedaille überreicht hatte, dass man ihm einen großen Auftrag gegeben hatte, dass man ihn (sicherlich auch nicht für einen Hungerlohn) die musica viva ausrichten ließ in den vergangenen Jahren? Ich erinnerte mich an die Verleihung des GEMA-Lebenswerkpreises an Hans Werner Henze. Henze hatte wegen seines schlechten Gesundheitszustands kaum noch sprechen können, aber das wenige, was er sagen konnte, war so ehrlich ergriffen und voller stiller Würde gewesen, dass der ganze Saal gerührt worden war. Manche werden im Alter sanft und bewahren sich Freude und Staunen, manche nicht.

Z sprach mich an, sie hatte gerade noch im Konzert gesungen. „Ich war schon lange nicht mehr in München, aber das ist jetzt schon ein richtiger Schock. Das ist ja alles nur noch Schicki Micki und so. Und so unhöflich!“. Normalerweise hätte ich energisch widersprochen, aber irgendwie fehlten mir nun die Argumente. Einige Freunde kamen, um mir Trost zuzusprechen, dann auch der Rundfunkdirektor. Die meisten aber wichen meinen Blicken aus, auch querstand. XX meinte: „Das hättet ihr doch wissen müssen, dass ihm das nicht gefällt“. Aber ich dachte nur: Nichts hätte ihm gefallen, egal was man gemacht hätte. Ein Orchester aus Marsmenschen hätte in einer Rakete landen und das Zimmermannsche Gesamtwerk in einer weltweiten Rundfunkübertragung spielen können, und es hätte ihn kalt gelassen. X meinte: „Manche lassen nicht gerne los“.

Etwas später stand ich an einem Tisch mit XX. Auf dem Tisch lag eine einsame, runzlige, nicht sehr appetitlich aussehende Frikadelle („Fleischpflanzerl“ wäre hier zu euphemistisch). Da ich den ganzen Abend nichts gegessen hatte, überkam es mich, und ich griff zu. Von der Seite kam plötzlich eine schrille Stimme: „Das ist jetzt aber ein Faux-Pas, Herr Eggert“. Ich zuckte zusammen: „Wie meinen Sie das?“. „Diese Frikadelle gehört YY, sehen sie das nicht? Ich habe sie extra für ihn kommen lassen.“. YY stand neben mir, sichtlich desinteressiert an den Vorgängen um „seine“ Frikadelle. Ich legte die Frikadelle wieder zurück. „Das ist jetzt aber wirklich eklig“, sagte die schrille Dame.
„Vielleicht hätten Sie ein Schild an der Frikadelle anbringen müssen, dann hätte ich sie nicht angefasst“, sagte ich.

Es war Zeit nach Hause zu gehen.
The things we do for love.

Moritz Eggert

weisse_rose

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5 Antworten

  1. peh sagt:

    so feiert man also unter genossen… lass alle hoffnung fahren!

  2. querstand sagt:

    @ eggy: Lieber König Marke! Ausgewichen bin ich Dir nicht! Zumindest nicht bewusst. Immerhin habe ich mich ja knapp eine Viertelstunde mit Deiner besseren Hälfte unterhalten, deutete Deine Körpersprache, dass Du Dich dazu setzen wolltest, warst aber weitergehend beschäftigt. Schliesslich war ich irgendwann allein in jener Runde… Und ging zu meiner Begleitung, die ich öfters allein gelassen hatte.

    Das Hauptproblem war doch die Enge des Raumes, der zweimal, dreimal so gross wie ein normales Wohnzimmer war. Links und Rechts in den Seitenflügeln lange Tische an den Wänden zum Sitzen, in der Mitte davor Stehtische, am vorderen Ende das Pianola. Die Sitzenden wurden von den Stehenden verdeckt, Platz bekam man nur durch Aufrücken Richtung Klavier oder durch Ausweichen in den Vorraum. Das Quasseln war tatsächlich enorm.

    Allerdings passte Alles nicht zusammen. Es begann mit den Zenderstück O bosques als UA, welches knapp 15 Minuten dauerte. Danach sofort Konsumierpause. Darauf Lachenmanns Schreiben in der Neufassung von 2004 – wieder Konsumierpause. Immerhin ist dies Stück lang genug, dass eine Pause danach passt. Da das musica viva Publikum nicht ganz ungeübt ist, hätte man auf die Pause zwischen Zender und Lachenmann gelinde verzichten können, sie war wohl dem Umbau geschuldet, oder besser irgendwelchen Hörfunkpausenfeatures…

    Dann kam die Udo-Zimmermann-UA, die Du ausführlich und genau schildertest. Die letzte Zimmermann-UA, wenn ich nicht falsch liege ein Cellokonzert, hatte einen ähnlichen Verabschiedungs- und Weltschmerzcharakter wie „Wie kannst du ohne Hoffnung sein?“. Seit einigen Jahren lebt Zimmermann wohl wieder allein auf dieser Welt, ist verwitwet. Seitdem wird seine Musik immer trüber und düsterer, scheint es überhaupt schwer zu fallen, genügend Schreibelan zu mobilisieren – so wirkt es auf mich zumindest. So muss man wohl froh um jede Note sein, die Zimmermann überhaupt zu Papier bringt. Dass er als Reihen-Chef zum Abschied einen Auftrag bekam, ist ja Usus, zumal bei solch einem bekannten, wohlverdienten Macher, der in Personalunion eben auch Komponist ist. Das kann man kritisch sehen, hier aber war es wohl mehr als recht und billig. Dennoch war man nach dieser starken Dufay-Musik mit Zimmermannschen Weltschmerz-Soundtrack in einer unglaublichen Kürze mehr als gespalten, musste sich an die besonderen Umstände halten. So gesehen hatte die Kürze auch was Erfrischendes…

    Vor dessen UA verabschiedete Hörfunkdirektor Grotzky Zimmermann in eigentlich sehr kurzen, knappen Worten. Hätte man da Zimmermann noch mit der BR-Nadel ehren sollen? So dass zwangsläufig einige hundert Menschen im gebotenen Ernst das miterlebt hätten? Auf alle Fälle wäre ein grösserer Raum oder eine kleinere Menschenansammlung im Kaufmannscasino besser gewesen, als diese drangvolle Enge und dieser Menschenbatz, der nach dem merkwürdigen Konzert nach geordneten Verhältnissen strebte. Das merkwürdige Hin und Her des zu Ehrenden wie die unnötigen Feedback-Mikro-Probleme – das potenzierte die Unruhe weiter.

    Nur um meine „Unruhe“ noch thematisieren: ich war mit Begleitung da, sah natürlich etliche andere Leute, versuchte auch mal zwei Sätze zu meinem Ex-Lehrer Zender zu sagen, der sich mit seiner Frau in den Vorraum zurückzog, wollte Lachenmann für sein Schreiben danken, wenn sich schon mal die Gelegenheit böte. Dieser ging aber so schnell wie nur möglich, die anderen Südwestler unterhielten sich mit ihren Leuten, die sie schon den gesamten Abend begleiteten. Allgemein erschien ihnen die gesamte Ehrung am Rande der Wand, die merkwürdigen Worte, Deine Performance ein wenig mondschafig. So schlugen an diesem Abend mal wieder mehr als zwei Seelen in vielen Brüsten… Also nicht so sehr den fehlenden Support Deiner Münchener Kollegen beklagen als die durch und durch querständige Orga des Konzerts wie Empfangs… Eben eine jener Münchner Sommernächte nach Konzerten, wie man sie auch in Heimat I von Reitz wiederfinden kann…

    Gruss,
    Dein untreuer getreuer Strauch

  3. eggy sagt:

    @querstand:
    Ich wollte nur schauen, ob Du den Artikel überhaupt gelesen hast, aber ich hätte es mir natürlich denken können :-)
    Nichts für ungut (es war kein Vorwurf in meinen Worten, mir wäre das umgekehrt wahrscheinlich genau so gegangen wie Dir) – Du hast sicherlich recht, dass die Räumlichkeit für die Sache problematisch war. Das ändert aber nichts daran, dass man gebeten wurde, die Sache durchzuziehen, sonst wäre es ja noch peinlicher geworden. Und dann wundert man sich schon so über manches.
    Und ja, Heimat I war nicht fern.

  4. HCB sagt:

    Unglaublich, aber wohl wahr. Der peinliche Egomane Zimmermann ist nur ein Teilschuldiger… Wann begreifen es endlich die Ehrungsvollzugsbeamten aller Institutionen, dass so etwas einen dramaturgischen Rahmen braucht? Ich habe mal erlebt, wie Benedetti Michelangeli einen barocken Armlehnsessel für Celibidache auf die Bühne stellen ließ, um ihm eine Zugabe nach einem Klavierkonzert zu widmen. Ohne Rituale kein angemessener Vollzug.

    Ich finde, dass gerade eine Performance auf eine gewisse Strenge des Rituals angewiesen ist, um erfasst und ausdifferenziert zu werden. In der Aktionskunst haben Beuys und Nitsch immer auf Formen bestanden, aber die Ehrungsvollzugsbeamten natürlich nicht. Die denken, weil einer keinen Frack anhat und alles Moderne Musik ist, lümmelt sich jeder wie er kann. Auf dem niedrigsten Vollzugslevel hat es bis vor ein paar Jahren in Bayern noch immer für Brezn mit Butter gereicht, die Frikadellen mit Fanta haben die Fahrer der Minister im Flur verdrückt.

  5. querstand sagt:

    Musica Viva-Abschiede: Ich wollte schweigen, nun melde ich mich nochmals: Als untreue 15-Minuten-Anstandsdame wurde ich schon ziemlich durchgerüttelt, so kann ich jetzt ein wenig freier vorgehen.

    Die U. Zimmermann-Verabschiedung war nichts Anderes als ein typischer Münchner Eitelkeitenmarkt. Ich wollte mit meinem ehemaligen Lehrer ein paar Sätze wechseln, ein wenig ein erhaltenes Stipendium bei der Gelegenheit und dann im Anschluss begiessen. Du Moritz wolltest unbedingt Dein Stück überreichen, mit besten Absichten. Der BR wollte eine Ehrung in honoriger Atmosphäre vornehmen. Die Südwestfraktion wollte ihr eigenes Ding durchziehen, nicht durch unsere Eitelkeiten gestört werden und wurde selbst eitel. Das Musica Viva Team wollte auch Alles richtig machen, etc.

    Wobei, ich plädierte weiter oben für eine öffentliche Nadelüberreichung. Erinnere mich einer der BMW-Preisverleihungen war coram publico mit einer sich verlierenden Rede Zimmermanns zu rechnen, die Sendezeit und Nerven des Publikums frisst. So kann ich mir vorstellen, dass man es vorzog, den Hörfunkdirektor lieber ein paar joviale Abschiedsworte sprechen zu lassen und alle Möglichkeiten für Ab- und Ausschweifungen wie Momente vergesslichkeitsgesättigter Irritationen, wie Du sie oben vom Empfang berichtet hast, fernab vom Publikum durchzuführen.

    Ich denke nicht, dass man wie Sie, HCB, in diesen Zusammenhang Zimmermann als egoman darstellen kann. Ich hatte das Gefühl, den gesamten Abend einen zutiefst traurigen, abwesenden Zimmermann zu sehen. Das stimmte noch trauriger! Nur das, nicht sein Abgang… Und sein Stück glänzte v.a. mit der Abwesenheit des Komponisten Zimmermann. Aber nicht aus Schludrigkeit. Ich denke, dass er sein Stück schon irgendwie ernst meinte, vielleicht auch überschätzte, von der Inhaltsseite betrachtet, als Weltabschiedsstück. Von der formalen Seite scheint ihm aber gar nicht mehr bewusst sein zu können, was er wirklich und wirklich nicht aufs Notenpapier brachte. Ich kann hier nur mein Hörer- und Zusehergefühl umreissen, mehr ist mir nicht gelüufig. Es wirkte wie ein Stück eines Mannes, der weit älter als 90 ist, der der Welt und dem diese selbst wirklich abhanden gekommen ist. Nicht so sehr aus der oben von mir einfach erklärend unterstellten Trauer, viel mehr aus Gründen, die man als Betroffener nicht mehr verantworten kann. Und so war es hochverantwortlich, den Abschiedsakt dann doch in der durchgeführten Form vorgenommen zu haben.

    Und Du Moritz hattest eine 50:50-Chance, einerseits, dass es für den Geehrten die Illusion der Ehrung – so ernst Du Deine an ihm auch genommen hast, war es für ihn wohl so oder so nur Illusion – verstärkt oder dass er andererseits die Dinge nicht zusammenkriegt, höchst verängstigt irritiert, was als unwirsch und verärgert von Dir und den meisten wahrgenommen worden ist oder schlichtweg ignoriert wurde, was zwar unnett, aber auch durchaus ehrlich war, wie Du selbst ehrlich dort wie hier warst. Es ist einfach Alles verdammt schiefgelaufen und man kann sich und Allen anderen eigentlich nur kondolieren, da es auch die genannte Illusion einer künstlerischen Zukunft, so fühle ich es, kaum geben werden kann.

    Gruss,
    querstand