Anlässlich der fünfzigsten Wiederkehr der Himmelfahrt des Juri G.: Kein Bock auf Zukunft! Eine Auswahl der schönsten Titel der Romantik.

1961 leitete Ligeti mit Atmosphères genialisch-unbewusst das interstellare Zeitalter ein. Acht Jahre später hatte Wolfgang Rihm schon keinen Bock mehr auf Zukunft und schrieb seine erste Sinfonie. Kein Bock auf Zukunft hatten außerdem:

Rolf Riehm: KlageTrauerSehnsucht (1977)

Krzysztof Penderecki: Weihnachts-Sinfonie (1980)

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Luigi Nono: Das atmende Klarsein (1981)

Helmut Lachenmann: Reigen seliger Geister (1989)

Isabel Mundry: Geträumte Räume (1999)

Klaus Huber: Erinnere dich an Golgatha… (2010)

Eine Liste, die noch unvollständig ist. Weitere schöne Titel dürfen gerne in den Kommentarspalten erwähnt werden.

Zwar nicht wirklich romantisch, darf aber trotzdem in keiner Titelsammlung fehlen:
Maria de Alvear: Colourful Penis (2008)

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4 Antworten

  1. Erik Janson sagt:

    Lieber Matthias Monrad,

    Ich würde allerdings nicht die o.g. Werke so pauschal
    unter diesem Thread und unter no bock auf future oder unter Schlagwort „Romantik“ oder wie auch immer abtun wollen.

    Die aufgeführten Werke sind doch sehr unterschiedlich, auch bzgl. ihres Anspruches und ihres Verständnisses, ihrer Inspirationsquelle und Machart. Z.B. Geträumte Räume von Isabel Mundry, wovon ich die Partitur habe, speist sich weder aus romantischem Denken
    noch aus dem äußerlichen Anspruch nun äußerlich „futuristisch“ sein zu wollen. Es ist einfach die Arbeit mit Räumen, durch fein ziselierte, innere Räume, Klangräume- und nuancen, inspiriert durch die – damals wie heute! – äußerst progressive Vokalpolyphonie eines Dufay u.a.

    Am besten: besprechen und/oder komponieren wir doch einfach Werke, von denen wir meinen, dass sie zukunftstauglich sein KÖNNTEN. Und blicken wir nicht zurück und auch nicht zu sehr in die schnöde Medien- und Sensations-verdummte Gegenwart.

    Meine Meinung daher: Werke z.B. wo einfach mal nur Elektronik oder auf die so modischen Zusatzinstrumentchen und DJ-Spielzeuge zurück gegriffen wird (die es auch in den 60er / 70er Jahren gab, die heute nur immer kleiner und kommerzieller genutzt werden) Oder „Neue“ Musik in der gezielt auf Komponieren nach Fremdarbeit, oder nur auf Plagiate/Zitieren etc. gesetzt wird mit der (offenen oder heimlichen) Legitimation, das sei ja nun „in“ oder modern oder „Zeitgeist“…

    Das ist bestimmt auch keine ZUKUNFT sondern nur Widerspiegelung des STATUS QUO, oder aber auch etwas „Zynismus“/Bestandsaufnahme unserer eigenen Ziellosigkeit und Hilflosigkeit und gegenüber bestimmten kulturellen (Negativ-)tendenzen zu positionieren, letztlich aber glaube ich ohne das eigentlich notwendige kritische oder utopische Potential.

    Vielmehr, die Kunst, die AUCH in sich geht, die nicht plakativ den äußeren „Anspruch“ erhebt, z.B. auf Grund von Äußerlichkeiten, Sekundärfaktoren etc. „modern“ oder „in“ zu sein/sein zu wollen (sondern die darin bescheiden ist und das Urteil der Zukunft überlässt ob sie „modern“ sei), die birgt eher noch eine kritische, utopische Kraft und eine gewisse Authentizität in sich, die so manchen Komponisten heute abgeht.

    In diesem Sinne würde ich gerne die o.g. Liste überdenken und annehmen, dass diese Werke unserer „Ahnen“ immer noch
    zukunftsträchtiger, spannender sind, als so manches, was heute auf Festivals gehypt wird oder große Preise gewinnt.

    Besten Tag Euch allen,
    Erik

  2. querstand sagt:

    Hat Ligeti nicht selbst eine „Neue Romantik“ der Titelgebung eingeleitet? Der Name Atmospheres verspricht tatsächlich interstellare Objektivität, denkt man an planetare Atmosphären und ihre Aggregatzustände. Dagegen anführen kann man die bio-meterologische, quasi-esoterische Bedeutung von Atmosphäre, die Ballungen von gemütserregten Menschen beschreibt wie z.B. das chaotische Verkehrsverhalten in föngeplagten Südcities der Republik.

    Wie gefordert, beim Inhalt näher bleibend, bei der Stückform sind die Stücke Ligetis in jener Zeit das Weiterdenken und die Ehrenrettung des parametrischen Denkens angepasst an intuitive Kompositionsprozesse. Infolgedessen wurde Ligeti allerdings selbst Opfer romantisierender Züge in seinem Schaffen, schimmert immer in den tonzentrierten Musiken die Sehnsucht nach Konsonanz und Dissonanz durch.

    Weiterhin von Aussen betrachtet ist das nächste berühmte Orchesterwerk Lontano mit seiner Titelgebung der Sündenfall. Unter Lontano subsummiert man Musik aus der Ferne, denkt an Haine, Oasen, Sirenen und Nymphen, barocke Fernchöre, Schumannsche Peris, dallontano als Spielanweisung, ein riesiges Reservoir an räumlicher Ferne wie zeitlicher Entfernung, Nostalgie, Romantik.

    Neben dem von hier manchem ungeliebten Cage führt Ligeti allerdings was ungemein Neues ein: die Stille. Dessen Auswirkungen kennt man von Nono/Lachenmann bis hin zu Klaus Lang/Beat Furrer, die Nostalgie selbst feierte spätestens in den 80ern Urständ‘. Der eigentliche Verdienst Ligetis dürfte v.a. die Entstaubung und Entweihung des Seriellen, besser des Parametrischen sein. Selbst einfachste, neue Neue Einfache kamen und kommen kaum um parametrische Dispositionierungen herum. Nur geschieht dies nicht mehr als Selbstzweck, sondern kann in jeglicher Ausformung stattfinden. Somit sind die Folgen wie z.B. die o.g. Werke durchaus positiv einzuordnen, auch wenn der Bezug Ligeti-Lachenmann erstmal zu hinken scheint. In ihren Lebensläufen und Hinwendungen zu anderen Klangaggregaten, erst geräuschlich, später wieder melodischer, sinnlicher, tongebundener sind sie doch ziemlich ähnlich, gleichartig, würde ich Reigen seliger Geister im Atemzug mit dem 2. Streichquartett nennen, begeistern mich immer wieder Riehms Tränen des Gletschers….

    Gruß, vor verhört? der MGNM mit Gunnar Geisse, der von Ligeti total unbeleckt ist,
    A. Strauch

  3. Erik Janson sagt:

    @querstand,

    Neben dem von hier manchem ungeliebten Cage führt Ligeti allerdings was ungemein Neues ein: die Stille.

    Man orientiere sich an Bruckners, Mahlers u.a. Stille.
    An romantisher Stille, an Stille, aus der man Leben/Kraft, Neues schöpfen kann. Die Cage´sche Stille führte ins Leere, in die musikalische Sackgasse oder sie wurde leider zur „Geschäftsmodeller“-Stille…

    Tränen des Gletschers hingegen: ja, spannend. Das haben wir ja damals – wenn ich mich erinnere – in Frankfurt
    im GU. durch gesprochen.

    Euch allen einen KLAREN, kühlen Frühlingstag,
    atmendes Klarsein aus dem Rheinlande,
    ;-)

  4. strieder sagt:

    Zum angeblichen „Kein-Bock“ bei Rihm lese man dies: http://www.beckmesser.de/neue_musik/subj1.html
    Zitat:

    „Es hieß dann, ich würde gegen die Avantgarde auftreten, ich würde mich wehren gegen dies und jenes, und es wurden dann Namen genannt: Stockhausen, Boulez, Nono. Das waren aber genau die Komponisten, die mich fasziniert haben. […]“

    – Lesenswert!