Als die Bilder hören lernten

Wie klingt eigentlich der Soundtrack zum Surrealismus, fragt man sich, während man staunend vor einem Bildschirm steht, auf dem sich die Scheinwerfer eines Autos in zwei menschliche Augen verwandeln, die unerwartet ihre Metamorphose eingefasst von scharfkantigen Brillen auf dem Kopf eines Motorradfahrers fortführen. Die Metamorphose, die lange vor der Erfindung des Morphing sich in langsamen Überblendungen vollzieht, folgt keinem erkennbaren Rhythmus. Als Musiker ist angegeben Man Ray – und im Kopf entsteht eine Folge konkreter Klanggestalten, die sich allmählich transfigurieren – mit Haltetönen vielleicht, die aber doch nur das Entfernteste miteinander verbinden.
Der Griff zum Kopfhörer gibt die Antwort, die denkbar einfach und doch denkbar weit weg ist: Man Rays bewegte Motive bebildern Bigband-Jazz. Und wie Bild und Ton so lässig aneinander vorbeischrabben erfährt man zugleich ungeheuer viel über die historische Bedeutung des Jazz für die bildende Kunst, wie man beginnt, das moderne in den smoothen Akkordverbindungen zu entdecken.
Entdeckungen wie diese gibt es zuhauf zu machen in der Ausstellung des Kölner Museums für angewandte Kunst, die sich der „Kunst des Pop Videos“ annimmt (The Art of Pop Video / Museum für Angewandte Kunst Köln: 9. April bis 3. Juli 2011)

Pet Shop Boys Go West

Pet Shop Boys Go West

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Die Rarität aus der Manufaktur von Man Ray haben die Kuratoren Michael Aust, Daniel Kothenschulte und Georg Elben – künstlerischer Leiter der Videonale und designierter Leiter des Skulpturenmuseums Glaskasten Marl – neben Fred Astaire, Duke Ellington – mit einer liebevollen Bebilderung von Dudley Murphy – und Björk in der Bildwelt von Spike Jonze platziert; links daneben rufen die Pet Shop Boys in ihrer quietschfarbigen Variante des sozialistischen Realismus zum langen Marsch gen Westen. Und neben Man Ray beginnen die schwulen Männerchöre das subversive Potential zu entfalten, das sich unter den hautengen Anzügen abzeichnet.

Wer an den Hunderten von Monitoren vorbeistreift – das Hören erfolgt diskret über Kopfhörer – begegnet je nach Alter seiner musikalischen Sozialisation, die eben spätestens seit der Erfindung von MTV auch eine Bildgeschichte ist, entdeckt ihre Vorläufer und stellt überhaupt fest, wie tief drin man in dieser Popkultursache ist, ob man will oder nicht. Wer nicht anachoretisch sich verschließt, passiert diese Klangbildwelten auf die eine oder andere Art.

Sympathisch an dieser Ausstellung, die historische Wegmarken, wie das programmatische Startvideo von MTV, „Video killed the radio star“ mit The Buggles, neben idiosynkratischen Funden präsentiert, experimentellen Clips Oskar Fischingers neben Brigitte Bardot, „Autorevideoclips“ von Bob Dylan neben Kurzthrillern von Madonna, tut nicht so, als wollte sie „die Geschichte“ des Musikvideos erzählen und – wie so oft – ein Popmedium durch die Musealisierung diskursiv aufwerten. Sie präsentiert Wechselwirkungen zwischen Popkultur und künstlerischer Arbeit: und tut nicht so, als wäre das eine damit gleich auch schon das andere. So lasse man sich auch nicht den Raum mit den Musikclips bildender Künstler entgehen.

„The Art of Pop Video“ wird spätestens für die Kinder der 1980er Jahre zu einem Streifzug durch die eigene Hörbiographie, die, so deuten es die Kuratoren an, nur die Vorgeschichte der Zukunft des Musikvideos ist.

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Musikjournalist, Dramaturg