Ein kompliziertes Argument für die Kulturförderung (made in USA)
In den USA gibt es natürlich auch Doktorarbeiten, zum Teil über Themen, die uns Europäern merkwürdig vorkommen.
Vor kurzem stieß ich auf diesen interessanten Blogbeitrag. Hier wird ein Thema angerissen, dass amerikanischen Ökonomen (allen voran Henry Hansmann) anscheinend ein ewiges Rätsel aufgibt: Warum gibt es überhaupt so etwas wie „non-profit organizations for the arts“, d.h. also auf Deutsch „Fördervereine zur Unterstützung von Kultur“? Wie wir wissen, wäre in Amerika selbst ein biederer und publikumsfreundlicher Betrieb wie die Metropolitan Opera nicht möglich, wenn es nicht hinter den Kulissen hunderte von Fördervereinen gäbe, die irgendwie auch in das Programm hineinquatschen (so geschehen zum Beispiel auch vor vielen Jahren bei einer sicherlich nach europäischen Maßstäben nicht sehr provozierenden Inszenierung von Münchens scheidendem Intendanten Dieter Dorn: „Tristan und Isolde“, das war den Fördervereinen dann doch zu gewagt, dass da mal keiner in Ritterrüstung rumlief!).
Noch einmal zur Rekapitulation: Der staatliche Kulturhaushalt der USA (National Endowment for the Arts) nimmt sich im Vergleich zum Beispiel des bundesdeutschen Kulturhaushaltes aus wie ein kleines Zwerglein. Übrigens überhaupt erst 1965 gegründet (vorher gab es gar nichts), liegt der Jahresetat des National Endowment bei gerade mal ca. 120 Millionen Dollar, was angesichts der Größe des Landes wirklich sehr wenig ist, denn damit werden wirklich ALLE öffentlichen Kulturausgaben beglichen. Es gibt vergleichbare Endowments, die Universitäten und Bildungsstätten fördern, aber auch hier sind die Summen nicht sehr hoch. Ohnehin funktionieren ALLE amerikanischen Universitäten hauptsächlich durch private Fördervereine. Zum Vergleich: 2004 wurden in Deutschland 7,88 Milliarden Euro für Kultur ausgegeben (allerdings auch für Bildung, etc.), was schon unter den Vorjahren lag (Quelle: wikipedia). Natürlich gibt es in den USA dennoch Kultur, nur hat die es vielerorten sehr schwer und ist auf „non-profit organizations“ wie auch auf private Spenden angewiesen. Letztere sind in den USA aber in wesentlich höherem Maße von der Steuer absetzbar, was letztlich auch der Grund ist, warum dort „Sponsorenparties“ (wie zum Beispiel jüngst von mir in New York beschrieben) so eine Art Tupperwarenparties für schlaue Millionäre sind. Manch ein deutscher Politiker würde diese Verhältnisse auch gerne bei uns einführen, denn dann trüge der Staat keine Verantwortung für Kultur. Und die Komponisten hätten weniger Zeit zum Schreiben, denn sie müssten dann ständig Sponsorenparties organisieren.
Was will uns nun aber der oben erwähnte Blogartikel sagen? Zuerst einmal zeigt er eines: Die Amerikaner sind nicht in der Lage, einen rein altruistischen oder humanistischen Grund für die Förderung von Kultur als ökonomisch relevantes Argument anzusehen. Das tut auch Henry Hansmann nicht. Tatsächlich findet sich in keiner der endlosen amerikanischen Doktorarbeiten zu diesem Thema der Satz: „Kultur, Kunst und Wissenschaft sind durch Land und Gemeinden zu fördern“, so steht’s zum Beispiel in der Landesverfassung NRW. Bei uns wird es als Grundrecht empfunden, Zugang zu Kultur zu haben, in den USA wäre so ein Denken unvorstellbar. Dies hat natürlich sehr viel mit der „jeder für sich“ – Mentalität zu tun, auf der in Augen vieler Amerikaner der industrielle Erfolg der USA beruht. Nun sind aber auch die Amerikaner natürlich Kunstfreunde, interessant also, wie sie sich das Argument PRO KUNST „ökonomisch“ zurechtzimmern.
In dem Blogartikel wird dies (aus einer Arbeit von Avinash Dixit und Joseph Stiglitz von 1977 zitiert) so erklärt:
Jede freie marktwirtschaftliche Ökonomie baut auf zwei sich widersprechenden Erfolgsmodellen auf:
1) wenn nach einem Produkt eine riesige Nachfrage herrscht, kann es in großen Stückzahlen und damit billiger hergestellt werden. So ist für den Hersteller ein Profit möglich.
2) Konsumenten mögen möglichst große Vielfalt von Produkten, dies gibt Nischenprodukten eine Chance, auch hier können Hersteller eine erfolgreiche Profitmarge erarbeiten.
Das Problem: wenn es zuwenig Vielfalt gibt, stagniert der Markt. Wenn es zuviel Vielfalt gibt, besteht Gefahr vor allem für die Nischenhersteller, und zwar genau für diejenigen, deren Kosten/Gewinn-Marge am unflexibelsten ist, d.h. die Kosten sind auf jeden Fall hoch, weil das Produkt einfach zu teuer herzustellen ist. Letztere können nur überleben, wenn Sie in irgendeiner Form eine „price discrimination“ einführen, d.h. ein Ungleichgewicht des tatsächlichen Wertes und des Verkaufspreises des „Produktes“.
Anhand dieser Argumentation wird also ganz umständlich eine ökonomische Begründung für die Existenz von z.B. Opernhäusern hergeleitet: Diese verkaufen ja eine „überteuerte“ und „seltene“ „Ware“ (das muss man wirklich alles in Anführungszeichen setzen, da diese Argumentation ja z.B. Musik und Kunst als „Ware“ definiert). Diese „Ware“ (=Oper) spricht nur ein kleines Publikum an. Wie können die Opernhäuser also überleben? Indem Sie ein „Preisungleichgewicht“ erzeugen – dieses besteht darin, dass sie ihr „Produkt“ nicht nur sehr teuer machen (die Tickets für die Metropolitan Opera können sich Normalsterbliche kaum leisten), sondern sogar noch auf die freiwillige finanzielle Unterstützung von seinen eigenen Liebhabern hin abstimmen. Teil dieses neuerfundenen Hybrid- „Produktes“ ist es dann auch, dass den Förderern ein „gutes Gefühl“ gegeben wird, wenn sie das Produkt mitfinanzieren, dies ist aber letztlich irrelevant, Hauptsache die „price discrimination“ ist vorhanden. In dem Moment in dem diese freiwilligen Förderer in die Gleichung kommen, wird das ganze Unternehmen wieder „profitabel“, ist also „markttauglich“.
Ich weiß nicht, was ihr denkt, aber ich hoffe, dass unsere Kulturpolitiker nicht diese ganzen amerikanischen Artikel lesen.
Es brächte sie auf ganz schlimme Gedanken.
Euer
Tom Mix (Moritz Eggert)
Komponist
@ Moritz, Dein Blogbeitrag:
Richtig erkannt, Moritz, dazu kann ich nur schallend laut Beifall klatschen, dass es bis München hallt [so laut, dass Du aufpassen musst, dass nicht die angebrochene Zuckerrohrschnapsflasche von den Vibrationen meiner Bravo-Rufe vom Küchenschrank fällt] und brauche dazu nichts weiter kommentieren.
Noch eines vielleicht wäre hinzu zu fügen: Dass man geistige Werte/ Tugendwerte etc. nicht in Geldökonomie aufwiegen kann. Auch das Argument, dass zuviel Vielfalt schlecht für den Markt/ökonomisch sei. Dem widerspreche ich.
Es kommt darauf an, WELCHE Vielfalt und was sich aus was entwickeln kann, ob nun künstlerisch, ökonomisch oder politisch gesehen. Das ist nicht ökonomistisch vorherzusehen, was mal welchen „Nutzen“ haben wird, sonst wären wir allmächtig: genauso schwer wie die Börse oder der Fakt, dass nun in Nordafrika und in der arabischen Welt Regime in Frage stehen, die der Westen um der „Stabilität“ (oder besser des Öls, des Profites willen) jahrzehntelang unkritisch unterstützt hatte. Wer hätte z.B. damit schon vor 5 Jahren gerechnet?
Zu dem Themenkomplex empfehle übrigens die beim SWR erhältliche DVD (oder bei Youtube schauen) des folgenden Teleakademie- Vortrages: Prof. Harald Weinrich: „Von der Ökonomie geistiger Werte“.
Oder einfach mal die Stoiker und Seneca lesen (vielleicht in Amerika weniger als eine Randerscheinung, wie bei uns).
Have a „nice“ day.
Erik
@Erik: guter Tipp, von Harald Weinrich hast Du ja öfter erzählt, gibt es da irgendeinen Link?
Die Zuckerrohrschnapsflasche ist übrigens speziell für Dich reserviert, die habe ich extra seither nicht mehr angerührt :-)
Moritz Eggert
@ eggy: Interessanter Beitrag! Die Gefahr der 1:1-Übertragung solchen Wirtschaftens auf Deutschland, Staats- wie Stadttheater wird gerne von Verteidigern wie Angreifern und potentiellen Abwicklern in den Mund genommen. Denkt man an Theaterschliessungen, scheint dies immer noch das geringere Übel zu sein. Was allerdings USA wie Deutschland verbindet, sind die immens steigenden Produktionskosten, die hier z.T. durch zusätzliche und erweiterte Sponsorenfinanzierung abgefedert werden, was in den Staaten nur bedingt möglich ist, wo eher staatliche Förderung oder eisern gewinnorientiertes Handeln die Kompensatoren sein können. Allerdings ist es ein Seiltanz: können Fixkosten nur noch über zusätzliche Sponsoren getragen werden, taugt der exklusive Mäzen für den Alltag, obwohl er doch das besondere Spektakel fördern möchte. Bleiben Personal- und Produktionsreduzierung, womit der künstlerische Betrieb wieder eingeengt wird.
Das eigentlich Paradoxon ist, dass Oper immer etwas teurer sein muss, um wirklich kulturell wie wirtschaftlich interessant zu sein, ein guter Mix von Alltagsrepertoire und Spektakel. Wirtschaftet ein Opernhaus am Abgrund, kann es mit Ach und Krach zwei, drei Neuproduktionen stemmen, die meist koproduziert sind, damit aber wieder den Neuigkeitsreiz einbüssen, ist ein künstlerischer lauer Erfolg eine finanzielle Katastrophe, so dass wieder Kürzungen und am Ende die Schliessung droht. Dann steht ein vereinsamter Musentenpel mitten in der Stadt, das Viertel drumherum verwaist.
Ich denke da immer ein klein wenig an das wiedereröffnete Prinzregententheater. Es steht zwar im mondänen Bogenhausen, welches zuvor schon Feinkosthändler einen Block weiter beherbergte. Seit Mitte der Neunziger hat sich aber die direkte Umgebung belebt, bietet unterschiedliche Gastronomie an, die nach der Vorstellung zum Verweilen einladen. Wie gesagt, der Vergleich hinkt ein wenig. Stellt man sich nun umgekehrt vor, dass z.B. das Nationaltheater in München schliessen würde oder einfach baulich mit dem Staatsschauspiel fusioniert würde, wären viele Läden abends kürzer auf, die Gastronomie würde mächtig Einbussen hinnehmen müssen, der öffentliche Nahverkehr hätte weniger Nutzer, die kulturell interessierte Haute Volée würde abends in Starnberg verweilen um früh den Jet in den Süden zum Brunch zu nehmen, der studentische Oberschichtsheiratsmarkt wäre ärmer oder an noble Privatunis verlagert, ärmere Kulturfreunde würden auch geistig verarmen, würden gen Berlin abwandern, etc. Das ist also die poetische Umschreibung der Umwegrentabilität, die ein brummender Musentempel wieder erzeugt.
Wie man sieht, betone ich das Vergnügen einer aussterbenden „Oberschicht“. Dennoch sollte man die Bedeutung eines Opernhauses für kleiner Geldbeutel nicht unterschätzen, stellen diese doch die Mehrheit der Abonnenten. Jetzt wird jeder Freie Szene-Künstler bemerken, dass dies sowieso veraltet sei, das System unflexibel, die Abonnenten für ihn unbedeutend. Das zweite Paradox ist aber, dass Grosse Häuser auch Motoren für das künstlerische, freischaffende Umfeld sind. Einerseits beleben alle Mitarbeiter eines solchen Hauses die Oratorien-, Messen- und Kammermuiskszene, spielen doch einige immer wieder auch wichtige Rollen in Neue Musik Konzerten. Andererseits macht es einfach viel mehr Spass, sich als freier Künstler grössenwahnsinnig mit einer großen Institution zu messen, kann man sich experimenteller, etc. in Absetzung von dem Kasten definieren. Fehlt dieser Kasten, ersetzt die freie Szene mit ihren bescheidenen Mitteln das Repertoire. Im Schatten eines solchen Kasten sind aber eigentlich erst Experimente interessant, so wenig sie das Rad neu erfinden mögen.
Das letzte Paradoxon im Vergleich zu den USA ist, dass nach einem banalen „Weihnachtsmarkturteil“ des Bundesverwaltungsgericht selbst freiwillige Leistungen einer Gemeinde, hier wichtig für städtische Theater und Freie Szenen, die über viele Jahre erfolgten, nicht einfach aus der Hand oder gar abgeschafft werden dürfen, wenn sie „kulturell, sozial und traditionsmäßig“ bedeutsam sind. Das mag vor herben Einschnitten nicht bewahren, aber vor gänzlicher verantwortungsloser Abschaffung. Kulturell bedeutsam sind Theater wie Freie Szene, das mit der Tradition ist hier und da selbst für die Freie Szene unproblematisch herleitbar. Die Frage des Sozialen wird wohl der Dreh- und Angelpunkt der Frage nach der Existenzberechtigung sein. So kann man nur sehen, dass Theater einerseits nicht für Viele unbezahlbar als Besucher werden, was eine Rettung allein durch reine Privatisierung und Verteuerung ausschließt. Weiters sollte die Kunst verschiedene Schichten ansprechen, damit sie sozial regulativ wirken kann. D.h., nur La Traviata für die Haute Volée oder Wagner für die Bürgerlicheren oder Mozart für die Empfindsameren kann nicht die Rettung sein, es braucht auch immer das Kindliche, was fast schon stark alibimässig gefördert wird, wie das Experimentelle. Der Mix mit starker Gesamtkontur garantiert die soziale Relevanz. Also sollte man um Geld und die Kunst immer und noch mehr mit Verve streiten, so gibt es immer wenig Argumente für eine Totaltrockenlegung oder ein seltsames Umschwenken auf ein US-Modell, was allein schon an einer vollkommenen Reform des Steuersystems im Sinne des sponsorenfreundlichen US-Systems scheitern dürfte…
Gruss,
Alexander Strauch
Zum „Weihnachtsmarkturteil“ des BVG und Folgen z.B. für Musikschulenabwicklungen siehe auch diesen NMZ-Link mit weiteren Verweisen, auch auf der 1. Seite der März-NMZ… Es bleibt spannend!!
Gruss,
A. Strauch
Leider gibts bei Youtube doch kein Video zu der Sendung mit Weinrich (Teleakademie).
Auch in der SWR Mediathek nicht. Man kann es bisher nur
als DVD erwerben für 29 Euro beim SWR.
Buona Sera, jetzt: zWEITE hALBZeit Bayern-Schalke
SCHalke, Schalke, Schaaaaaalke !!!
[Man muss sich auch mal in den Niederungen des Fußballs suhlen, jawohl]