„Es muss einfach hip werden, zu sparen“
…sagt Bonns Bürgermeister hier:
Oper Bonn soll geschlossen werden
Und ich finde: Man könnte mit dem Gehalt des Bürgermeisters anfangen. Denn der ist ganz offensichtlich keinen Cent wert.
Liebe Bonner Bürger: wenn ihr Jürgen Nimpsch nochmal wählt, seid ihr selber schuld. Mehr ist dazu wirklich nicht zu sagen.
Moritz Eggert
Nachtrag: und hier geht’s zur obligaten Onlinepetition
Komponist
Es mag hip sein, eine schlanke, drahtige Figur abzugeben. Aber selbst Don Quijotte gab nicht so eine traurige Gestalt ab, wie dieses hop und weg des bedauernswerten Bonner OB. Liest man im KIZ der NMZ den Bericht über mögliche Schliessungen jedes 10. Opernhauses, wird einem ganz anders zumute.
Wenn Opernhäuser sich allerdings andere Sparten oder sich selbst aus dem Theaterleib wie ein chinesisches sukzessives langsames Lingchi herausschneiden, sediert ob des vermeintlich gewonnenen Selbsterhalt des Rests, sollte man noch schneller zu Werke gehen, bevor man den Torso für antike Bildhauerei hält.
Es ist nicht das Regietheater der Killer, das immerhin im Schauspiel wieder und wieder für beachtliche Erfolge sorgt. Es ist im Opernbereich die Ensemblezerschlagung einerseits, die Komponisten seit 150 Jahren als Alternativkomponisten ausschliesst bzw. heute weder Studiobühnen geschweige denn grosse Häuser bieten will und kann bishin zum Sängerensemble in den letzten 25 Jahren. Es ist das Festhalten an alten Stücken wie uralten Abonnenten. Es ist die allgemeine Mutlosigkeit, Neues jenseits von Evita, Zigeunerbaron und La Traviata zu wagen, maximal Janaceck. Die Hälfte der Stücke hätte immer Neukomponiertes bleiben sollen. Jetzt degradiert sich selbst die Oper der kleinen Bundesstadt. Ja, dann schliesst in der Breite, überlasst das Kerngeschäft der Spitze in Wien und Berlin. Doch auch hier droht schon wieder Ende auf Raten.
Mutlosigkeit ist der Tod, das Ende des Prinzips Hoffnung. Selbst Operbiennalen bieten nichts, was ausser dem Konzept den Erhalt der Häuser gerade wegen dieser Stücke auf Dauer rechtfertigen würde, krass und radikal, ohne Liebe betrachtet. Lebendigkeit um jeden Preis! Mozart mit IRCAM-opensource-Elektronik, singende Laien, jede Woche ein monatsaktuelles Stück, vollkommen neue, modulare, kleine Musiken. Akkurate Pflege des immer Neuen auf musikalischer wie szenischer Seite, neue Ensembles, neue Häuser, lieber Solarautos statt halbleere Operntempel. Oder mehr wagen, gerne auch zu halben Preisen denn üblich für Gäste, dann gibts auch wieder neue, vollere Stücke. Oder wenn es doch nicht so bitter kommt, man wünscht sich eigentlich hier und da apokalyptische Mutlosenbestrafung, spielt das Neue, was jetzt rar gewagt wird, 20, 30 Mal, dann traut sich auch mehr Volk hinein, wenn die Propaganda greift.
Unter allen Intendanten wie OB’s und Ministern hätte kein Mozart, keinHändel, kein Beethoven, kein Wagner die wichtigen 3., 4., 5., xten Chancen bekommen, wären Meyerbeer, Salieri und 2.Klasse das Repertoire. Eigentlich geschieht Euch vollkommen Recht, wenn man diese Perlen Euch nimmt, denn was Ihr angeblich hegt, habt Ihr nicht die Bohne verdient, da Ihr als deren Zeitgenossen die Hahnzudreher in Eurer mutlosen, spartenverschlankenden Hipheit heutigen Art gewesen wäret. Die Zeiten werden härter, also wuchert mit Eurem Kapital, und das sind AUCH WIR KOMPONISTEN!! Ob experimentell oder leicht bieder. Das ist egal, es fehlt die Chance allerorten, xte v.a. Wenn ein Trioschreiber mal Lunte riecht, wird Euch Experimentalgold 100stimmig liefern. Aber vor lauter Mutlosigkeit träumt Ihr nur vom nächsten Job, an dem Haus, was noch länger ticken darf. Wenn es so weiter geht, werden die meisten Opernhäuser noch vor dem Nuklearausstieg atomisiert sein, wie gesagt Solarautos statt Stadttheater…
A. Strauch, in Sehnsucht nach Saft im Opernschaft!
Da kann ich nur sagen: Recht hast Du! Dass die bisherige Programmpolitik keinen Erfolg hat, ist evident. Es mag zwar kurzfristig Erfolg haben, die hunderttausendste La Traviata-Csardas-Fürstin oder was auch immer zu präsentieren, man erzeugt damit aber kein dauerhaftes Publikum mehr, sondern bestätigt allein das langsam Absterbende. Angesichts der jetzigen Situation ist allein Mut, Mut und nochmals Mut gefragt. Schlimmer kann’s nicht mehr werden, warum also nicht das ganz Andere wagen? Was hätte man zu verlieren?
Moritz Eggert
Wie immer ist die Realität viel verwickelter und differenzierter, als es ein von vielen Parteitagen und Hinterzimmergesprächen vernebeltes Politikergehirn zu erfassen in der Lage wäre. Siehe auch die grotesken und die Grenze zur Realsatire überschreitenden Vorgänge in Hamburg. Während von einigen Populisten die gesellschaftliche Debatte über unsere (vermeintliche) kulturelle Identität immer wieder aufs neue angefacht wird, fordern in schöner Arbeitsteilung die Parteikollegen nichts weniger als die Abschaffung unserer kulturellen Basis. Das in diesem Zusammenhang verwendete Wort „Subvention“ ist natürlich der allerhäßlichste Begriff, der sofort an Steinkohle und Schwerindustrie denken läßt, wobei man ja in diesen Fällen viel geneigter scheint, die Milliarden in veralteten Industrien zu versenken, als bei der „subventionierten“ Kultur. Völlig übersehen oder eigentlich schon böswillig übergangen wird dabei der Sachverhalt, daß es bei den „Subventionen“ für die Hochkultur (man lese sich mal die erschreckend entlarvenden Kommentare unter dem oben verlinkten Artikel durch, wo von Nerzmantelträgern und ähnlichem die Rede ist), daß es also bei der finanziellen Beatmung der Oper, des Schauspiels, der Museen und Büchereien nicht einfach nur um die künstliche Lebensverlängerung von Kulturgütern für die Begüterten geht, sondern daß die aller-elementarsten Grundregeln unseres heutigen Zusammenlebens (zumindest noch in diesem Teil der Welt) direkt oder indirekt mit diesen „alten Zöpfen“ zusammenhängen.
ABER (und das ist kein ausschließendes, sondern ein weiterführendes aber): Es ist (ich habe das an anderer Stelle hier schon einmal ausgeführt) kurzsichtig und erniedrigend, wenn wir immer nur den Sparplänen irgendwelcher Parteisoldaten hinterherhecheln. Es gilt auch, neben dem Unterschreiben von Petitionen und dem Kampf für den Erhalt von Institutionen, einen Plan B für die Zeit „danach“ zu entwickeln, sowohl strukturell als auch ästhetisch. Ich kann querstand nur zustimmen, wenn er den großen Institutionen zurecht vorwirft, über eine Alibihaltung der Neuen Musik gegenüber nie hinausgekommen zu sein. Aber diese Weigerung kann auch und wird ja auch als Chance verstanden, abseits von Nessun Dorma et al. einen eigenen, eigenständigen Weg zu beschreiten. Dieser Weg muß und wird in Zukunft, gerade auch unter dem Eindruck des Wegbrechens von finanziellen Möglichkeiten, breiter werden.
Die Fragen, die mir so einfallen, sind: Brauchen wir wirklich den stinknormalen Abonnementsbetrieb mit seinem ganzen rattenschwänzigen Vertragswerksanhang noch? Müßte hier – nicht als Sparaufgabe wohlgemerkt, sondern als Beitrag zur Schaffung neuer, zeitgemässerer Strukturen – nicht unter anderem angesetzt werden, so daß ein hundertköpfiges Orchester eben nicht jeden Abend in seiner Gesamtheit beschäftigt werden muss, sondern daß ein beispielsweise fest angestellter hundertköpfiger Musikerpool plus einem freiberuflich verfügbaren Pool flexibel in diverse Ensembles auf diverse Spielstätten verteilt werden kann, die sich nicht zwangsläufig im Stadtzentrum konzentrieren müssen, sondern weiter ins Umland streuen. Eine zentrale regionale Verwaltung mit entsprechendem Etat (!) könnte im Jahresturnus die Spielplan-Planung machen und dabei zu einem Großteil Bewerbungen von externen Projekten berücksichtigen. Wäre das billiger als der bisherige Betrieb? Möglicherweise, weil auf den Unterhalt von großen eigenen Gebäuden verzichtet werden könnte. Andererseits wäre natürlich die Logistik eines solchen halbmobilen Ensembles aufwändiger. M. E. hätte es vor allem den Effekt, daß eine Verpflichtung auf die unbedingte Vorrangstellung von Neuem die großen, behäbigen Aida, Traviata, Butterfly etc. -Produktionen nicht mehr in dem Maße wie heutzutage die Spielpläne verstopfen könnten. Es könnte eine lebendigere, vielfältigere Kulturlandschaft entstehen, deren Akzeptanz in der Bevölkerung möglicherweise größer wäre, weil sie offener und dezentraler wirken könnte als die bisherigen Strukturen.
Natürlich alles unausgegorene Spekulation. Mein Punkt ist der, daß man den Politikern offensiv mit eigenen Plänen entgegentreten sollte, die auch künstlerisch Sinn machen und nicht bloß eine ewige Reaktion auf Sparpläne darstellen.
Dekonstruktion 1:
Ob flexible Ensembles oder grössere, feste, das hängt von den Stücken ab. Traditionelle Werke sollten auch nicht komplett geopfert werden. Ihre Vorherrschaft ist aber jenseits von Geldmangel durch neuere Werke zu halbieren!
Dekonstruktion 2:
Die KomponistenInnenzunft ist nach wie vor gefordert auch ihrerseits für Relevanz und Wirksamkeit ihrer Stücke Sorge zu tragen. Bessere Bedingungen fordern ist das Eine, bessere Stücke schreiben ist das Andere. Stücke, ob klein oder gross, ob Klang- und Szenenforschung oder zeitgemässe Belebung älterer Linien, also Stücke, die über das skrupulöse Lösen von vertrackten Kompositionsaufgaben hinaus mehr als nur Dekonstruktion des Althergebrachten sein wollen. Mir scheint es, als ob dies heute immer noch für einen Relevanzbeweis ausreicht. Es ist Zeit für mehr Aggression, für Direktheit. Das reine Raunen, die Vereisung der Dramaturgie, dort gehören mächtige Hebel angelegt. So schön dies sein mag: wenn die Langsamkeit zeitgenössischen Auszirkelns noch mehr auf den Opernbetrieb übergreift, der drei, vier, gar fünf Jahre Vorlaufzeit für eine Auftragsoper benötigt, wird es noch weniger Produktionen neuerer und neuster Werke geben. Es gehört eine grössere Verwandschaft von Produktionszeit und Stückzeit ins Auge gefasst.
Dekonstruktion 3:
Einerseits sprechen KomponistInnen von der Möglichkeit von Musiktheaters, Oper ist immer noch ein Unwort, nur dann für sich, wenn etwas „auseinandergenommen“, „neu zusammengesetzt“, „im Fragment verbleibend“, „eine neue Form generierend“ sein kann, wenn jedes Musiktheaterstück vollkommen dekonstruiert vorstellbar ist.
Andererseits sprechen die Politiker und ihre Vollzugsgehilfen im Intendantenstuhl von „sparen“, „fusionieren“, „schliessen“. So ist auch hier nur die Rede von Dekonstruktion.
Wenn beide Seiten, je aus ganz anderen Motiven, vom Auflösen und Beseitigen sprechen, liegt vielleicht doch eine Morbidität des Zerstörens in der Luft, welcher der Impetus des Aufbruchs fehlt, die tatsächlich das Zerschneiden sexy und hip findet. So fehlt beiden Seiten die Lust des Zusammensetzens, wortwörtlich leider besonders der KomponistInnenzunft, es gilt nur Auseinander-setzen, nicht im diskursiven Sinne, der zwar beschworen wird, auf den sich besonders die Kompositionsfront philosophisch bezieht. Es fehlt aber die Kraft zur Synthese, zum Zusammenzwingen, was einem sonst nur entgleitet – und nur das Entgleiten zählt ihnen als Ästhetik.
Es könnte wohl an der Zeit sein für eine neue Ästhetik des Zusammensetzens, der Auseinandersetzung und Symbiose, eine Utopie nicht nur der Technik, der Virtuosität, eine Utopie des Hörers und Sehers als das eigentliche Instrument, des Zu-Hörers und Zu-Sehers als den Mittelpunkt. Nicht in Bestätigung der festgefahrenen Vorstellungskraft dieser Leute, nein in einer radikalen Erweiterung derselbigen, durchaus gegen ihre bisherige Haltung. Aber nicht nur durch die Mittel des Bild- und Klangerzeugens, vielmehr mit diesen menschlichen Instrumenten in Rausch und Aufklärung, jenseits all dieser dekonstruktivistischen Abgeklärtheit. Dann ähneln immerhin die schlechten Gefühle der Komponisten gegenüber der Oper nicht mehr denen der Politiker. Mehr hin zu ihr, als weg von ihr, aber hinüber, über ihre jetzigen Grenzen hinaus jenseits von Starkult oder Sparzwang.
A. Strauch
der fall in bonn ist noch einmal speziell, weil der hanebüchene plan auf einem podium des kölner stadtanzeigers ausgeplaudert wurde, ohne rücksprache mit irgendjemandem. das macht diesen plan gewissermaßen schon von vornherein unmöglich und zeugt von der unvergleichlichen strategischen intelligenz des bonner OBs.
@erich herrmann: ich werde immer traurig, wenn ich zeilen lese, wie die ihren. sie sind ja mit ihren gedanken zu musikerpools – für mich klingt das immer nach „pfuhl“ und „dümpeln“ – keinen schritt weit weg von dieser politikerlogik, die sie beklagen. ihr ruf nach kreativen eigenen ansätzen statt hinterherhechelnder krakelerei in ehren!
aber: ein faktum ist, dass künstlerische qualität auch etwas mit identität zu tun hat und dass es der musik meist eher gut tut, wenn sie von gewachsenen klangKÖRPERN – die metapher spricht für sich – gespielt wird und nicht von merkwürdigen muckerhaufen, wie sie sie institutionell imaginieren.
@ peh: Eine typische Bad-Blog-Replik, wie man sie hier schon zuhauf lesen konnte. Da wird ein Schlagwort rausgefischt und an dem hängt sich dann die ganze Diskussion auf, ohne den Kontext einzubeziehen. Mein Vorschlag (naja, eher eine Art Gedankenspiel vielleicht) zielt keineswegs darauf ab, einen unverbindlich zusammengewürfelten Haufen Musiker auf „Vorrat“ zu halten. Nichts spricht dagegen, daß dieser Pool (für Ihre Assoziationen, Herr Hahn, kann ich nichts…) als Orchester firmiert und auch als Orchester in Erscheinung tritt. Aber eben nicht so ausschließlich wie jetzt. Sicherlich wäre die Binnenstruktur eines solchen Organismus nach einigen Spielzeiten schon wieder soweit gefestigt, daß es eine Anzahl mehr oder weniger „gewachsener“ Ensembles innerhalb des Ganzen gäbe. Daß das bisherige System der Musik und im besonderen der Neuen Musik besonders „gutgetan“ hätte, will mir nicht so recht einleuchten, wenn ich mir so anhöre, wie z.B. mit Uraufführungspartituren schon in den Proben umgegangen wird, wenn nicht ein ganz großer Name über der Partitur steht.
Für mich jedenfalls steht fest, daß es (auch @ querstand) keine ästhetische Weiterentwicklung ohne eine institutionelle Wende gibt. Denn ein vorhandener Apparat wird immer bedient und muß ja auch bedient werden, soll er sich nicht selbst überflüssig machen. Die ganzen auch künstlerischen Versuche, die Strukturen von innen her zu kritisieren und zu verändern sind ja wohl grandios gescheitert, sonst würden wir uns jetzt nicht in dieser elenden Situation befinden. Es ist das Henne-Ei-Problem: Werden Stücke für einen bestimmten Markt geschrieben oder schaffen sich die Stücke ihren Markt (und gute Stücke tun das zweifellos, aber wieviele wirklich gute Stücke gibt es (noch)?) ?
Apropos Politikerlogik: Es macht einen gewaltigen Unterschied, aus welchen Beweggründen heraus man etwas verändert. Will man bloß Geld einsparen, dann reicht es, sukzessive zu streichen und zu schließen und irgendwann fällt der ganze Laden in sich zusammen. Oder will man den sich andeutenden Zusammenbruch als Chance nutzen, dem Neuen die ihm angemessenen Strukuren zu schaffen, damit er nicht länger wie ein ewiger Parasit im räudigen Fell des 19. Jahrhunderts dahinvegetieren muss? Ich finde, wir brauchen dringend einen Plan B, der positiv formuliert werden muss und nicht die ewige Neinsagerei (ja, seit dem Parteitag der Grünen weiß ich, daß am Anfang jeder Veränderung ein Nein steht, aber irgendwann muss dann eben auch das Ja kommen).
noch @ querstand: Zur Ehrenrettung der Dekonstruktion: Dass unter dem Begriff Dekonstruktion etwas destruktives verstanden wird, ist wohl eher der gedankenlosen Adaption des Begriffs (der das ja zu suggerieren scheint) in der Kunst geschuldet als einem wirklichen Verständnis der dahinterstehenden Philosophie. Für mich jedenfalls ist die Dekonstruktion eine überaus differenziert einsetzbare Form der Suche, die immer auch einen synthetisierenden Impetus hat, und nicht, wie von vielen Werken unter dem Emblem „dekonstruktivistisch“ vorgeführt, eine billige Möglichkeit, Antworten auf nicht gestellte Fragen zu erzeugen.
@ e. hermann: Natürlich hat Dekonstruktion als ästhetischer Begriff seine gute Seite, als Auseinandernehmen von Sinn und Bedeutung, als Aufdröseln soziologischer wie musikhistorischer Begriffe, Zeichen und deren Entwicklung bzw. Verstrickung. Es gelingt darauf aber nicht eine neue Zusammensetzung dieser Werkbedingungen. Es bleibt bei der Infragestellung älterer, wahrlich abgenutzter Parameter und derer Prozesse. Die Fragestellung an sich ist die Ästhetik, brauchbare althergebrachte, dekonstruiert analysierte Muster, bereinigt, werden kaum zum Einsatz gebracht, denkt man z.B. an Dramaturgie, etc. Das ist die Auflösung von Theater, Musiktheater seitens der Schöpfer, durchaus berechtigt, das Alte wegzufegen, ohne wirklich Neues denn Kritik zu erzeugen. Das geschieht aus dem Gefühl, dass das immer musealere Musiktheater nicht mehr zeitgemäss ist, eine eigene Zeitgemässheit wird aber nicht hergestellt.
Dasselbe Gefühl, das wohl etwas vorbei ist, Zuschauer aussterben, Kosten immer grösser werden, hegen von einer ganz anderen Seite die schliessungswütigen Politiker und deren willfährige Vollstrecker.
So nähern sich Schöpfer wie Politiker von zwei Seiten dem Gefühl, dass Veränderung vonnöten ist. Über die Feststellung dieses Fakts bzw. die radikale „Weg-damit-Antwort“ kommt man nicht hinaus. Die Schöpfer, weil sie sich in der Dekonstruktion verlieren, keinen Mut zur Bühnenpranke haben, die Politiker, weil ihnen nichts besseres einfällt, die Schöpfer dazu aber auch keinen Anlass geben, wegsterbende Abonennten oder einfach nur entsprechend für die Oper Interessierte Menschen allein ihrer Zahl wegen beeindruckende Kostentatsachen darstellen, beeindruckender, als die derzeit rein kritisch seienden Werke.
Bleibt man bei der Hure „Theater“ geben Schauspiel und Performance sowie im übertragenen Sinne der Film in ihren breiten wie experimentellen Formen derzeit mehr Anlass zum Erhalt. Gerade das viel synästhetischere Musiktheater sollte dazu noch grösseren Anlass geben. Ja, das Gefühl des Scheiterns gehört formuliert, ein neuer ästhetischer Blick nach vorne allerdings auch, s. mein letzter o.g. Absatz. Das scheinen Sie aber auch nicht zu verstehen, und verheddern sich in einer Diskussion über Dekonstruktion. Was wünschen Sie sich an Musik ausser Betrieb für morgen? Geben Sie die Antwort! Ich versuche es schon…
A. Straucn
@erich herrmann: es ist in der kommunikation so üblich, dass man sich auf bestimmte punkte bezieht. und, ja, ich glaube in der tat, dass es der neuen musik sehr gut getan hat, dass sich klangkörper wie london sinfonietta, ensemble intercontemporain und ensemble modern gegründet haben, um nur die vorreiter zu nennen. (ist das nicht schon eine inzwscihen 30 jahre alte positiv formulierte antwort?) und, ja, es tut der musik gut, wenn diese ensembles die möglichkeit haben, viel gemeinsam zu spielen und gemeinsam eigene programme zu entwickeln, anstatt funktionsabhängig verschoben zu werden.
@ peh: Offensichtlich ist in der Kommunikation auch absichtsvolles Missverstehen üblich: Wo ich von regionalen, diversifizierten Ensembles rede, sprechen Sie von einigen „Leuchttürmen“. Wo ich davon rede, die Stadttheaterkultur nach außen hin zu öffnen, die Komponisten und Stückeschreiber institutionell besser einzubinden, sprechen Sie von „funktionsabhängiger Verschiebung“.
Ja, dann ist ja alles super. Weiter so!! kann man da nur rufen.
Und vielleicht leise hinterherfragen, ob diese Ensembles (bei allen Verdiensten) nicht ihren Teil dazu beigetragen haben, den Außenseiterstatus der Neuen Musik zu zementieren? Solange wir Spezialensembles für Neue Musik brauchen, ist die Neue Musik nicht in der Gesellschaft angekommen. Kann sie auch gar nicht das so sehr herbeigebetete subversive Moment entfalten, weil sie im luftleeren Raum schwebt.
@ querstand: Ich bin mir nicht sicher, daß wir eine Phase der ästhetischen Konsolidierung brauchen. Aus Ihren Überlegungen weht mich eine gewisse Nostalgie an, so als ob es jetzt mal genug wäre mit den ganzen Mätzchen und wir endlich mal wieder richtige Musik schreiben müßten. Vielleicht strampeln wir uns nur deshalb so ab, alles auseinanderzunehmen und zu allem erstmal Nein zu sagen, weil wir in Wirklichkeit, bei aller „Weg-damit“-Mentalität nicht nur nichts wegbekommen haben, sondern im Gegenteil mehr als je zuvor umstellt sind und erdrückt zu werden drohen von unserem „klassischen“ Erbe. Bei jedem neuen Stück stehen wir nicht nur geistig sondern ganz real Auge in Auge mit unserer gesamten Tradition. Wir kennen nicht nur die Opern von Mozart sondern unglückseligerweise auch noch die von Salieri. Wir wollen alles bewahren, weil ja alles bewahrenswert ist und alles aufführenswert ist, sogar noch die langweiligste Barockoper vom Hofkapellmeister von Hinterwaldstetten. Wir graben in den Archiven, wühlen uns durch die Jahrhunderte der Musikgeschichte, fördern überall noch etwas wertvolles und erhaltenswertes zutage und wundern uns dann hinterher, daß auf Teufel komm raus keine „Zeitgemässheit“ hinten rauskommt. Wir haben Angst davor, das kleinste Fitzelchen unseres kulturellen Erbes zu verlieren und merken nicht, daß dabei droht, alles den Bach runterzugehen. Was bleibt der vaterkomplex-behafteten neuen Musik also übrig, als den ganzen Wust auseinanderzunehmen, zu sezieren und nur halb oder gar nicht wieder zusammenzusetzen, solange der Vater so übermächtig über einem thront.
Was ich mir also an Musik wünsche? ganz sicher keine, die irgendetwas restituiert. Und ganz sicher keine, die irgendetwas in irgendeine Richtung überschreitet. Höchstens sollte sie alles bisher dagewesene unterschreiten, unterbieten. Eine Musik der Reduktion und Imperfektion. Keinen Rausch, keine Extase, keine Erziehung des Hörers, keine Zwangs-Bewußtseinserweiterung des Publikums, keine philosophischen Über- und Unterbauten, keine Ressentiments. Eine simple Nur-Musik, oder auch eine Nicht-Musik, eine Musik, die schon gar keine mehr ist, weil sie so beiläufig und kunstlos daherkommt, daß man sie beinahe übersehen könnte. Eine Musik, die naiv und abgeklärt zugleich ist. Mit anderen Worten: Eine in jedem Wortsinne unmögliche Musik.
@ Herr Herrmann, Sie wünschen Sich wieder mehr:
Und teilen hier etwas auch aus. Aber schwingen da nicht bei Ihren ästhetischen Überlegungen und Wünschen auch die 70er und die Postmoderne noch zu sehr mit bzw. Dinge, die schon längst nicht an der heutigen Zeit sind und die wir jetzt – behaupte ich eher „weniger“ brauchen? (z.B. bei der Forderung nach Beiläufigkeit, Nicht-Musik, Rückwärts-Gewandtheit, Unterschreitung etc.).
UNd: Man kann nicht naiv und aufgeklärt zugleich sein z.B. meines Erachtens. Naivität schließt m.E. den Aufklärungsbegriff (zumindest den Kantianischen) überwiegend aus. Und dieses für Sie so schlimme Wörtchen „Erziehung“, „Hörerziehung“, das muss man nur mal auch als „Einladung zur Offenheit/Neugierde“ (anstatt z.B. DSDS oder schon Erwartungen erfüllende Musik…) verstehen. Dann bekommt es einen ganz anderen Klang. „Erziehung“ nicht im streng „schulischen“ Sinne sondern als „Einladung“, von Liebe und Optimismus sowie Überzeugung getragen. Und Sie werden vielen Komponisten nicht einfach ab sprechen können, dass sie diese Ziele und Motive auch verfolgen.
Und: @ SPEZIALENSEMBLES: bzgl. Ihrer Problematik gebe ich IHnen teilweise Recht (manchmal sehen Nicht-Spezialisierte Ensembles in Neuer Musik viel mehr Details, spielen manches (nicht alles) ausdrucksvoller, hingebungsvoller als manche Spezialisten in gweissen Augenblicken. Aber: ist es wirklich so, dass wir es nur mit „Spezialisten“ IN den Neue Musik-Ensembles zu tun haben? Ich behaupte klar: Nein. Zu bedenken ist 1. vielen, gerade jüngeren Neue Musik-Ensembles spielen auch Leute im Orchester, sind mit Klassik, Jazz, alter Musik etc. vertraut, bestreiten damit quasi ihre „Brotjobs“, unterrichten nebenher Schulkinder oder an Hochschulen, sind an Musikschulen tätig und und und, machen im Alltag etwas ganz anderes als „nur Neue Musik“ (und tun dies GERNE, denn sonst könnten sie es nicht gut machen und damit kein Geld verdienen). Selbst ensembles wie ensemble recherche oder ensemble modern können zusehends vom „Nur NEUE MUSIK SPIELEN“ und NUR KONZERTREISEN nicht leben – vor allem in der Zukunft nicht. Also ist Ihre Gleichung mir etwas zu einfach. Denn: Wir SIND schon längst woanders, lieber Herr Hermann.
2. wir brauchen also weiterhin auf Neue Musik spezialisierte Ensembles, Musiker, die sich mit diesem gemeinsamem Ziel, die zeitgenössische Musik zu fördern, und deren Sprachlichkeit den Menschen näher zu bringen intensiver auseinander setzen und dem mehr Zeit widmen als andere Ensembles, die primär traditionellere Musik spielen. Dieses FLÄCHENDECKENDE „Jeder-macht-von-allem- was“ oder „Jeder-macht-alles (an Musikrichtungen oder generell) aber nichts als Schwerpunkt“ das ist gerade etwas auch Destruktives. Eine dezente „Multitasking“-Kultur, die gerade ein Mit-Verursacher unserer Krise und von Substanzlosigkeiten, immer oberflächlicheren Erlebens und Wahrnehmens ist.
In diesem Sinne viele Grüße
Erik
@ erich hermann: Danke der Replik! Besonders gut gefällt mir die „Nur-Musik“. Zurecht hauen Sie mir ein paar Begriffe um den Schädel.
Konsolidierung
Sie sprechen von all dem Wust, für manchen aka Schatz der gesamten Musiktradition. Es ist wohl Beides! Denkt man bei Piratenfilmen an Schatzkammern sieht man einen Raum, ungeordnet angefüllt mit Perlen, Gold usf. Ein Bild des 19. und frühen 20. Jhd.s. Wer heute so seine Schätze hortet, wird jetzt Messie genannt. Vielleicht entspricht unser Traditionsstolz im Negativen jener modernen Bezeichnung. Sofort denkt man an Lüften, Wegwerfen. Selbst habe ich mich tatsächlich z.B. von 2/3 meiner persönlichen Dinge getrennt, beim Einzug in eine grössere Wohnung als zuvor. Trotzdem herrscht noch fröhlich Chaos, selbst in meiner vermeintlichen Reduktion. Andererseits kann ich es wieder geniessen, gründle nicht nur im Alten, wurschtle mich vergnügt durch das Zeitgenössische, schmeisse dabei gerne verschrumpelte Pellen über Bord. Es herrscht nicht totale Aufgeräumtheit, 2005-Wohn-Zen, es könnte aber als Konsolidierung bezeichnet werden. Einem echten Messie nimmt man auch nicht Alles, man räumt gemeinsam strategisch auf. Ein Gedanke: neue Kompositionslehrer als aufräumende Sozialpädagogen für zu detailverliebte Ü30-Studenten?
Rausch, Extase, sozusagen Musik-LSD
Es skrijabint, stockhaust, messiaent, wagnert – das könnten Sie meinen. Ich schrieb was von radikaler Erweiterung der Vorstellungskraft. Was meine ich damit? Mir geht der Rückzug der Musik im Theater von der Szene oder deren Totalisierung, die Tonvereinzelung, die Geräuschlichkeit, die Klangveränderung der Instrumente und der Spieltechniken allmählich auf den Geist, denn genau das ist inzwischen ebenfalls Bestandteil des Wustes, gehört seine überbordende Beherrschung zum guten Ton. Natürlich sollte man sich da solide auskennen, nicht aber noch mehr in den Details dieser hohen Artifizialität untergehen. Man bearbeitete so in den letzten 60 Jahren besonders die Papierkunst, die Kalligrafie, die Instrumententechniken, die Elektronische Klangerzeugung. Jetzt wäre es an der Zeit, am Menschen, dem Hörer selbst, herumzufeilen. Eigentlich hätte er, der Hörer, jetzt mal wieder Ruhe verdient jenseits all der o.g. Pentrationen. Was ist aber mit seinen Ohren?
Im Zuge meiner Beschäftigung mit dem Unterschied zwischen Differenz- und Kombinationstönen als Klänge, die einerseits durch Klangerzeuger, andererseits durch den Klanghörer entstehen. Ähnlich Scelsi, der sich durch wenige Töne heilte, drosch ich monatelang auf akustische wie elektrische Pianos ein, immer nur hohe Grundintervalle spielend, dabei entstehende Kombinationstöne samt ihren ihnen eigenen Rhythmen unterscheidend von den Resonanzen des Instruments. Neben so banalen Erkenntnissen, wie, dass z.B. als Dissonanz nicht hohe Sekunden aller Arten das Ohr irritieren, sondern die aus den Tönen resultierenden Bassdifferenzen, die ungenau wild tief oszillieren. Oder wie an Flügeln gewisse Intervalle andere mittönen lassen, die an die Romantik erinnern lassen, ja das Klavier des 19. jhds. jenseits seiner Technik tatsächlich die Kollegen Sachen aufschreiben liess, die sie von wo auch immer zu hören glaubten, es neben aller Intuition ziemlich direkt aus dem unbewusstem Zuhören ihres Instruments gewannen, von einer höheren Macht, nämlich ihren Kombinationstonohren und den Resonanzen. Das klingt nach wirrer Privattheorie, das gebe ich zu.
So ist für mich nach wie vor schwer zu lösen, diese Phänomene direkt einzusetzen. Man kann die hohen Intervalle spielen lassen, muss das nachklingende aber immer wieder instrumental darstellen, damit das wirklich Tönende erahnt wird, da die Ohren in der Art überhaupt nicht geschult sind, diese inneren Rhythmen von den zu zwei gespielten Tönen zusätzlich im eigenen Ohr ertönenden Klängen wahrzunehmen. Ich verfiel in eine gewisse Depression, hatte sogar die Idee, dass man einzelnen Tönen, sie kompositorisch zusammenzwingend, ziemliche Gewalt antut, auch wenn das Ergebnis des reinen Klingens, nicht rein im Stimmungssinne, im philosophischen Sinne, wunderbar ist, keine weitere Hand bräuchte.
Das könnte für mic eine reduzierte Musik sein, die genau weiss, was sie schon mit zwei Tönen anrichten kann, die allerdings einer gewissen Lautstärke bedürfen, so tatsächlich einen erstmal ungewohnten Rausch im Gehör auslösen, den man abwehren möchte, der aber einen wahren, reinen Schatz in sich birgt. Das Hauptproblem und die Tragik unserer Zeit ist, dass die Ohren inzwischen durch all die lauten extern rauscherzeugten Kopfhörermusiken so geschädigt sind, dass tatsächlich die Musik des Raunens z.B. a la Furrer und Lachenmann oder Getöse a la Schedl und Feiler die Skala bilden, das direkte Eindringen in die quasi atomare Welt eines Intervalls aber unmöglich bleibt. Da sähe ich Potential, das erfordert aber keine neuen Schreib- und Sonstwas-Wust-Techniken, dies erfordert tatsächlich ein neues Hören. Ich hoffe nicht, mich nun zum Spinner degradiert zu haben. Aber dies wäre mein Traum, an dem ich aber eher zweifle, wenn ich all unsere Papiermusik bedenke, Musik die von der Notentextkonstruktion, der oktryierten Klangkonstruktion und nicht der richtig direkten Freilegung des Klingenden im Menschen selbst, seiner Hörphysis erfolgt.
So bleibt Musik mit Musik oder Musik mit besonders viel Überbau oder sehr wenig Unterbau die einzige Alternative, mixe ich Spektralismus mit Geräuschen und Schlager, bleibe aber somit nur an der logizistischen Oberfläche, die notierbar ist, statt einfach dem Innenleben des Klangs zu folgen, radikal das Geschriebene noch mehr zu reduzieren als Feldman, wo die Klänge doch selbst wissen, was sie müssen.
A. Strauch nach einem Klaus Lang Abend