Geesche am Gendarmenmarkt I

Blog zu den Proben und Aufführungen von Adriana Hölszkys Musiktheater „Bremer Freiheit“ im Konzerthaus Berlin (Werner-Otto-Saal | Premiere am 19.11. | Weitere Vorstellungen am 20./25./26./27.11. – jeweils um 20 Uhr)

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1988 feierte Adriana Hölszky mit ihrem ersten Musiktheaterstück „Bremer Freiheit“ (nach dem gleichnamigen verfilmten Bühnenstück von Rainer Werner Fassbinder) bei der 1. Münchner Biennale einen großen Erfolg.

Jetzt ist dieses furiose, keine 70 Minuten lange Werk erstmals in Berlin zu hören. Ein so aufwändiges Stück, das wir vom Konzerthaus Berlin uns mit der Berliner Kammeroper zusammengetan haben.

Ich schicke voraus (schließlich hat das Kämpfen für die „Kleinen“ hier im Blog schon eine richtige Tradition), dass die Stadt Berlin unlängst entschieden hat, der Berliner Kammeroper keine Basisförderung mehr zuteil werden zu lassen.

Jetzt, wo ich diese vielen liebenswürdigen, kreativen und äußerst fähigen Menschen von der Berliner Kammeroper kennengelernt und mir die Liste der Stücke, die in den letzten Jahren produziert wurden, angeschaut habe, macht mich das wirklich traurig.

Denn die Berliner Kammeroper spielt Stücke, die bei den großen Häusern hier in Berlin durchs Raster fallen (müssen). Weil zu klein (aber nicht weniger anspruchsvoll!), zu unentdeckt, zu unkonventionell, „zu fordernd“ (für Publikum und Ausführende). Darunter großartige Barockopern und Stücke des 20. und 21. Jahrhunderts, die so virtuos, unterhaltsam, komplex, fies und aufrüttelnd sind, wie eben „Bremer Freiheit“ von Adriana Hölszky.

Meine Bitte: Unterstützt die Berliner Kammeroper!

Wie das geht, steht hier.

Zum Stück selbst: Die „Bremer Freiheit“ erzählt die Geschichte der Bremer Giftmörderin Geesche Gottfried (1785-1831), die fünfzehn Menschen (darunter quasi ihre ganze Familie) mit „Mäusebutter“ (Fett, z. B. in Form von leckerem Gänseschmalz, gemischt mit feinsten Kügelchen von frischestem Arsen – mmh, yummy!) um die Ecke brachte.

Dafür wurde sie selbstverständlich hingerichtet.

Als letztes Exekutionsopfer Bremens überhaupt.

Werner Matusch (links) als Timm (eines der vielen Geesche-Opfer) und Frau Giftmörderin höchstpersönlich (Annette Schönmüller als Geesche)

Werner Matusch (links) als Timm (eines der vielen Geesche-Opfer) und Frau Giftmörderin höchstpersönlich (Annette Schönmüller als Geesche)

Geesche wurde im 20. Jahrhundert übrigens zu einer merkwürdigen Märtyrerin der Frauenbewegung, da sie zu Beginn der Mordserie zunächst nur diejenigen Männer tötete, die sie unterdrückt, erniedrigt, vergewaltigt, verhöhnt hatten. Nur dadurch konnte sie das Gefühl der Freiheit spüren. Eine teuer erkaufte Freiheit… (Ungefähr so wie die von Jean-Paul Sartre, der meinte, wir seien als lebende Subjekte dadurch absolut frei, weil wir als Alternative immer den Selbstmord hätten… Eine These, die er allerdings später zurücknahm.)

Der von Geesche vergiftete Kaffee. Enthält Spuren von Erdnüssen, Gluten und Arsen.

Der von Geesche vergiftete Kaffee. Enthält Spuren von Erdnüssen, Gluten und Arsen.

Die Proben hier im Hause haben seit ein paar Tagen begonnen. Und ich gebe zu, dass ich schon Feuer und Flamme für dieses Projekt bin. Man muss betonen, dass den Sängern (allen voran die Geesche in Form der göttlichen Annette Schönmüller) und den Musikern (Kammerensemble Neue Musik Berlin unter Peter Aderhold) hier viel zugemutet wird. Jeder Beteiligte muss zusätzlich noch eine ganze Reihe anderer Instrumente (Spielzeugtrompete, Spielzeugtrommel, Mundharmonika und und und…) bedienen. An einem normalen Opernhaus wäre so etwas viel schwieriger zu realisieren, wenn nicht gar unmöglich, oder?

Die Produktionsleiterin Karin Lindner (Berliner Kammeroper) und Adriana Hölszky nach einer Probe

Die Produktionsleiterin Karin Lindner (Berliner Kammeroper) und Adriana Hölszky nach einer Probe

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.