die zukunft beginnt – heute!
Nach langen Wochen der Vorbereitung geht es heute los: Zukunftsmusik – das Festival erobert für die kommenden zehn Tage die Region Stuttgart. Auch hier gilt es für mich, zunächst den Offenbarungseid zu leisten: Ich bin Mitwirkender bei diesem Festival, werde hier also einen Teufel tun, die Angelegenheit zu kritisieren – dazu seid ihr herzlich eingeladen.
Das Festivalprogramm findet ihr online unter der URL
http://www.zukunftsmusik-das-festival.de/
Als kleiner Vorgeschmack auf das Kommende hier der Link zu einem Trailer von Johannes Kreidlers Performance „Arbeitsmarktplatz Esslingen“, die er morgen vormittag am Marktplatz seiner Geburtsstadt Esslingen abhalten wird – mit der ersten Roboterdemonstration weltweit.
http://www.youtube.com/watch?v=oebo-JOmXz4
Als ein weiterer Höhepunkt unter den 17 Ur- und Erstaufführungen steht schon jetzt das FREIZEITSPEKTAKEL von Daniel Kötter und Hannes Seidl fest, das vor wenigen Tagen bei der Biennale in Venedig Premiere hatte. In ihrem Stück stellen sie auf Weise raffinierte einen Twist zwischen Vorstellung und Probe, echt und gespielt, Freizeit und Arbeit, Spektakel und Qual her. Sie haben die Neuen Vocalsolisten in realistischen, doch fiktiven Tagesabläufen gefilmt, sie haben Stücke komponiert, die wie Proben klingen, die in der Aufführung wie eine Aufführung wirken: sie erschaffen eine Art Mimesis, die sich selbst ihr eigenes (Vor-)Bild schafft und verzahnen Bildspur und Tonspur auf so gelungene und komplex-einfache Weise, dass es einem schwindlig werden kann wie auf einem Karrussel. Wer Guy Debord nicht geglaubt hat, dass es in diesem Leben kein außerhalb des Spektakels gibt, wird einknicken angesicht der Vehemenz mit der die These von Maria Callas widerlegt wird, dass es im Theater etwas Schöneres zu sehen gäbe, als das wirkliche Leben. Eine herzliche Empfehlung, sich das Stück am 10.10. im Stuttgarter Theaterhaus mal anzusehen.
http://www.youtube.com/watch?v=-_6eIiUBUUY
Freue mich darauf, viele von euch in den kommenden Tagen in der Region Stuttgart zu sehen und schließe mit einem optimistischen Gruß: „Die Zukunft ist wahrscheinlich!“
Musikjournalist, Dramaturg
Sehr geehrte Damen und Herren,
leider wird das schöne Festival für mich überschattet von den Ereignissen bei den Demonstrationen gegen Stuttgart 21.
Wie Sie dem verlinkten Artikel entnehmen können, muss der sehr geschätzte Musiker Daniel Kartmann, der vor seinem Einsatz bei der Zukunftsmusik von einem Wasserwerfer verletzt wurde, akut um sein Augenlicht bangen.
Stuttgarte Zeitung:
Stuttgart – Daniel Kartmann hat sich sicher gefühlt. Noch als die dick gepolsterten und behelmten Polizisten im Stuttgarter Schlossgarten aufmarschierten, dachte er sich nichts dabei, auch nicht, als die Rufe der Demonstranten immer lauter und wütender wurden. „Ich hab mich umgeschaut. Gegen wen sollte die Polizei vorgehen? Den Mann im Anzug? Die Schülerin? Den Rentner? Im Schlossgarten war das bürgerliche Stuttgart versammelt, keine linken Chaoten.“ Doch plötzlich war er da, der Wasserwerfer, der ihn nass machte bis auf die Haut. Plötzlich flog die Brille auf den Boden, er bückte sich, schaute sich um und spürte einen brüllenden Schmerz im Gesicht. Wie ein Stemmeisen habe es sich angefühlt, nicht wie Wasser, so Kartmann hinterher, als er schon nicht mehr weiß, ob er auf seinem rechten Auge jemals wieder mehr als Schemen sehen wird.
Der dünne 33-Jährige belegt einen Platz in einem Zweibettzimmer in der Charlottenklinik für Augenheilkunde im Stuttgarter Westen. Die Diagnose für Daniel Kartmann lautet: starke Blutungen im vorderen und hinteren Augenabschnitt, ein Riss in der Pupille. Er sieht mit dem rechten Auge nicht einmal mehr Umrisse. Selbst die Hand, die er sich vors Gesicht hält, kann er nicht erkennen. „Es ist, als säße mir eine Qualle auf dem rechten Auge.“ Die Ärzte können ihm im Moment nicht sagen, wie viel seines Sehvermögens er einbüßen wird. Das Blut versperrt ihnen den Blick auf Netzhaut und Sehnerv. Sie hoffen, dass Kartmanns Körper das Blut abbauen wird, aber sie wissen es nicht.
Im Schlossgarten schrie Daniel Kartmann vor Schmerzen. Orientierungslos taumelte er zwischen den erschrockenen und nassen Demonstranten umher, stieß gegen einen Zaun und gegen die Mauer der Polizisten. „Ich brüllte sie an, was habt ihr mir angetan.“ Er schrie, sie sollten ihm den Weg aus der Menge weisen, er torkelte weiter und landete irgendwann bei den Sanitätern der Parkschützer. Die hatten nur Wasser dabei. Wasser aber wollte Kartmann keines mehr spüren. „Anfangs dachte ich noch, dass ich Abends zur Generalprobe für das Konzert gehen würde.“ Zukunftsmusik in Ostfildern.
Weiter hier mit dem Link zum Artikel:
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2654495_0_9223_-verletzer-bei-polizeieinsatz-wasserwerfer-trifft-daniel-kartmanns-existenz.html
Schade finde ich nur, dass auf dieses so politisch, gesellschaftlich bewegende Thema zwar das Staatsschauspiel Stuttgart mit großem Engagement (Volker Lösch, Herr Sittler) reagiert, die versammelte NEUE MUSIK sich aber mehrheitlich in den Elfenbeiturm „Zukunftsmusik“ verzieht.
Einige Kenner der Stuttgarter Szene sehen da auch einen Zusammenhang. Immerhin ist der Bahn-Proviteur Siemens ein fetter Förderer von Musik der Jahrhunderte, dem Veranstalter der Zukunftsmusik. Dort sitzen sicher nur Befürworter des tiefergelegten Wanderratten-Bahnhofs….
S-21 ohne Neue Musik? Immerhin hat Herr Kartmann ja seine Flagge gezeigt und hat dafür bitter bezahlen müssen. Allerdings: denke ich an Stuttgart, wäre natürlich eine schnellere Anbindung z.B. von München nach Stuttgart sehr wünschenswert. Ob der Bahnhof deshalb gleich verschwinden muss? So ein Tunnel birgt zwar Chancen, das Problem ist aber, dass die Bahn die letzten Jahre einen unguten Umgang mit ihren Prestigeobjekten pflegte, wie die Mehdornrasuren an der Architektur des Berliner Hauptbahnhof, wie der teuerste Helikopterflug Becksteins über die Fränkische Alb, der die sündteuerste Lösung des ICE nach Nürnberg einbrachte, wie Kosten immer explodieren, wie Transrapide kamen und gingen, etc.
Grundsätzlich ist die Eisenbahn doch ein wunderbares Reibepotential für die Musik, immer wieder in Klang umgesetzt. Jetzt hängt ihr weniger die Bahn, auch wenn man nur noch von dem spricht, als vielmehr das Eisen an den Beinen. Zugegeben, wenn ich in Stuttgart bin, vom Turm der Musikhochschule lachenmannhaft den Blick schweifen lasse, gefiele mir eine aus dem Kessel verbannte Bahn sehr gut. Das geht mich aber als Münchner nicht wirklich was an, selbst wenn Siemens als Mitentwickler von S-21 hier seinen Sitz hat. Was sagt also der Turmblick? Stuttgart hat eine genug intensive Szene, die Position zu S-21 beziehen könnte. Wobei, der Einzelne kann es tun, muss es nicht.
Die gesamte Situation scheint so verfahren zu sein, beharren plötzlich brave Bürger auf ihrer Meinung, geben der stärkeren Staatsmacht bei Demonstrationen nicht weise nach, schreien jetzt plötzlich auf, wo die Folgen von Fällaktionen und Abrissen sichtbar werden. Dann die eskalierenden Regierenden, die immer stärker provozieren, den Wahlkampf jetzt beginnen lassen. Das ist ausser emotional immer weniger kommunikativ durchdacht, im Sinne von Ausgleich, das spitzt zu, wie es gerne hier auch die einzelnen Lager der Neuen Musik machen. Also steckt da die Neue Musik drin? Wirklich bizarr wird es bei der Baumbesetzung im Schlossgarten: in Dresden gab es ein schlecht bis falsch kommuniziertes Bürgerbegehren für die Waldschlösschenbrücke, das den Welterbestatus kostete, in Stuttgart fordert man jetzt nach Ablauf aller Einspruchfristen eine Volksabstimmung. Ich frage mich, vor welchen Institutionen der Demokratie wir dann noch ein wenig „heiligen“ Respekt empfinden? Die Ergebnisgegner in Dresden besetzten Bäume, die Begehrensforderer nun in Stuttgart. Was wäre nun, wenn sie in einem Volksbegehren unterlägen? Rein moralisch, im Sinne von Natur- und Kulturerhalt haben sie Recht, wie ist es mit dem Ernst gegenüber den Wahlinstitutionen? Allgemein Krise des Geistes, Krise der Werte, werden die Abstimmungsmechanismen mal eingesetzt, mal umschifft, macht jeder was er will und hat unbedingt Recht. Mir als „sowohl als auch“-Menschen wird das Abwägen richtig schwer. Im Moment ist mir mein Turmblick immer egaler, geht es nicht, dass die Politik Bürger wie Polizei aufeinanderkrachen lässt, demonstrieren den Musikerberuf gefährdet. Andererseits frage ich mich im Falle Kartmann, warum er an dem Tage nicht der Musik den Vorrang gegeben hat? Wenn Meinungen so wichtig sind, besonders das Vertreten derselbigen, sollte man sich entscheiden, ob man den Tag lieber demonstriert oder probt oder Beides verbindet, jedes mal so kurz nebenbei kann problematisch werden, die Existenz gefährden. Da haben die Normalbürger Stuttgarts wohl das Machtmonopol des Staates unterschätzt, das natürlich in anderen Fällen von Erregung über Kriminalität wieder eingefordert wird. Aber warum ist der Staat wiederum so blind und schiesst plötzlich mit einer seiner härtesten Waffe los? Ich verstehe gar nichts.
So wie es mir schwer fällt, so wird es dem einen oder anderen auch gehen, ist einem S-21 egal, brennt man für eine der beiden Seiten. Da muss man nicht unbedingt gleich einen Aufschrei der ganzen „Szene“ fordern. Auf alle Fälle natürlich Solidarität und Genesung mit und für Herrn Kartmann, was seine Existenz betrifft, sein Recht auf ungefährdete Meinungsäusserung. Allgemein scheinen mir allerdings die Massstäbe in Stuttgart sehr verschoben zu sein, ist der Bürgertrotz zwar gegenüber der Politikerarroganz berechtigt, scheinen die Mittel aber auch seitens der Bürger, die nicht dem polizeilichen Platzverweis folgen, im Verhältnis zum eigentlichen Thema leicht überreizt. S-21 ist sündteuer, ist natürlich städtische Natur schön und gut, um die es Herrn Kartmann laut Zeitung ging. Dafür aber sich einzusetzen, als ginge es um atomaren Müll, um massive Waldvernichtungen wie bei Frankfurter Startbahnen, das ist auch schwer zu begreifen. Wenn jetzt die Bürger erzürnt gegen die Polzeigewalt protestieren, sitzt man mit im Boot, emotional, aber mit einem grossen Unbehagen der Vernunft.
Vielleicht sollten lieber alle mal eine Pause einlegen und lieber nach Esslingen pilgern, ganz unpolitisch geht es da ja auch nicht zu. Intolleranza Nonos würde ich allerdings jetzt lieber vor Abschiebezentren sehen, vor den Toren Gorlebens. Am Stuttgarter Schlossplatz würde doch am Besten ein Beethoven, ein Jazzkonzert, ja, ein Kagel gut passen. Allerdings sähe ich das auch lieber vor der Gefängnis- und Gerichtsfestung Stammheim. Ich sympathisiere überhaupt nicht mit der dort jetzt vor Gericht stehenden Verena Becker, verstünde allerdings, wenn Musik und Politik dort zusammenkämen. Jahre nach dem Mord bleiben die Menschen zurück, lässt der Staat für den Sohn des Ermordeten Unrecht ungesühnt, bleiben die Menschen auch im Regen zurück, allein gelassen. Da könnte man vielleicht ansetzen, denn genauso wie die Stammheimer wurden die Menschen und Vertreter des Staates im Schlossgarten von der Politik alleingelassen, von Politikern und Mangern, die längst den Streitort hinter sich gelassen haben, obwohl sie ihn verantworten! Die Politik angelt also unser aller Meinung, wie es ihr gerade passt, wenn dann grosser Schaden auftritt oder ganz einfache Karrierehürden der Politiker und Manager als Menschen genommen sind, lassen sie uns allein. Wo bleibt dazu die Musik? Oder bleibt nur mal wieder Schweigen, Rückzug ins Unbestimmte? Also, wie geben wir diesem Alleinsein eine Stimme, die gehört wird und nicht nur das Alleinsein zeigt, eine Stimme die Mut macht, die Feuer sät und Kraft erntet? Das wäre der richtige Klang zum Zeitgeschehen, nicht nur Solidaritätsbekundungen und Schuldzuweisungen an die „Szene“, die ihr Alleinsein vorzugsweise thematisiert, es angeblich nur so kann! Natürlich können wir anders! Nur das Alleinsein des heutigen Menschen vertonen ist ungefähr so banal wie sich abmühende Laien, die sagen, die heutige komplexe Welt müsse wohl in Neuer Musik „schräg, falsch“ klingen. Da machen wir stille Komponisten uns zu Laien an der Menschheit, wenn wir genauso einen ewigen „status quo“ tönend zementieren, ihn als unser Schicksal definieren wie es die toleranten Dilettanten redlich versuchen. Also, lasst uns Musik aus dem Alleinsein schlagen, die zusammenführt was zusammengehört.
Gute Nacht,
A. Strauch
Lieber Elf Aquitaine,
danke für den Link zu dem Artikel mit den traurigen Neuigkeiten, die uns bereits von anderer Seite zugetragen wurden. Wie Sie sich denken können, sind hier beim Festival alle nicht weniger bestürzt als Sie.
Aus der Ferne ist das vielleicht nicht so leicht nachzuvollziehen. Aber man kann in diesen Tagen in der Region Stuttgart ohnehin keine Handlung vollziehen, die „nichtpolitisch“ ist.
Und wie sollte es dem Festival entgangen sein, dass der Schlagzeuger, der bei der Eröffnungspremiere hätte spielen sollen, nicht mitwirken konnte? Die Stille nach der Musik wurde von einem Zuschauer übrigens dazu genutzt, ein wohlplatziertes „oben bleiben“ ins Publikum – und in die live geöffneten Mikrophone des Deutschlandradios – zu rufen. Dreiviertel des Publikums tragen Buttons wie in den 80er Jahren und selbst Mitarbeiter des Teams gehen demonstrieren – neben der Riesenarbeit, die so ein Festival bedeutet! Der Verkehr in der Stadt ist immer wieder massiv behindert. Man kann in diesen Tagen hier nichts tun, ohne Teil der Diskussion um S 21 zu sein.
Aber warum noch Statements abliefern, wenn das Festival selbst, die aufgeführten Werke ein Statement sind? Wenn zwei Tage nach den traurigen Ereignissen aus dem Schlossgarten eine Performance mit einem massiven Polizeieinsatz beendet wird, weiß man, dass man der Kunst vertrauen kann, den adäquaten Kommentar zu den Geschehnissen zu liefern.
Ich kann Ihren Wunsch nachvollziehen, dass Sie von Menschen aus einem Bereich, der Ihnen offenbar am Herzen liegt, eine Flagge gehisst wissen wollen. Aber Verschwörungstheorien zwischen Tunnelbauern, Zukunftsmusikern und Siemens-Preisen zu zimmern, halte ich für vollkommen verfehlt. Die Siemens-Stiftung achtet peinlich genau darauf, unternehmensunabhängig zu wirken, für das Festival Zukunftsmusik heissen die wichtigsten Geldgeber: Kulturregion Stuttgart, Kulturstiftung des Bundes, Verband Region Stuttgart, Baden-Württemberg Stiftung, durchgeführt wird das Festival von Musik der Jahrhunderte in Zusammenarbeit mit den Kulturämtern der Region Stuttgart.
Und eine Bitte an alle als Autor dieses Blogs: Es gibt ganz tolle und differenzierte Blogs zu Stuttgart 21. Die Diskussion ist hochkomplex – ob sie in einem (Neue) Musik-Blog an der richtigen Stelle ist…?
Meine Genesungswünsche jedenfalls für Daniel Kartmann,
und beste Grüße,
Patrick
@Elf Aquitaine:
Patrick Hahn hat eigentlich schon alles gesagt – ich möchte hier nur noch einmal verstärkt auf einen sich häufig einschleichenden Irrtum hinweisen: Die Siemens-Musik-Stiftung wurde von Ernst von Siemens als PRIVATE Stiftung zur Förderung des Musiklebens ins Leben gerufen. Sie hat tatsächlich mit dem Konzern Siemens nichts zu tun, außer dass die Büros in München sich in der Siemens-Verwaltung befinden (was der Stifter damals so eingerichtet hat, um für die Stiftung Geld zu sparen).
Siemens als Konzern kann und darf sich nicht in die Entscheidungen der Siemens-Musikstiftung einmischen – sie agiert, wie Patrick schon richtig bemerkt hat – vollkommen unabhängig. Daher ist es wirklich unlauter, ihr irgendwelche Interessen an Stuttgart 21 unterzujubeln.
Dieser Irrtum kommt seltsamerweise immer wieder auf und es hält sich hartnäckig die falsche Verquickung von Siemens mit der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung. Bitte hier nachlesen:
http://www.evs-musikstiftung.ch/stiftung/
Richtig ist dagegen, dass Stuttgarter Komponisten sich durchaus zu der Problematik musikalisch äußern könnten, es bleibt aber jedem selbst überlassen, ob er seine Musik auch in einem politischen Kontext sieht (nicht jede Musik will das oder verträgt das). Demonstrationen und Bürgerbegehren werden sicherlich die stärkeren Waffen sein als ein verquastes Streichquartett mit dem Titel „…den Impuls zum Stoppen von Stuttgart 21 jetzt empfinge…“ oder so.
Programmplanungen wie für das Zukunftsmusik-Festival waren ganz sicher schon abgeschlossen, als die „Stuttgart 21“-Problematik in den Brennpunkt rückte, hier kann meiner Meinung nach keinen Vorwurf machen.
@peh
Sehr geehrter Peh,
vielen Dank für Ihre ausführlichen Zeilen zum Thema.
Das mit der Siemens-Verschwörungstheorie nehme ich damit natürlich umgehend zurück, vielleicht auch einfach zu unüberlegt in der Wut über die „Knüppel aus dem Sack“ Politik der Muppets-Show geschrieben.
Ich habe mittlerweile, mehr durch Zufall, den sehr geschätzten Stuttgarter Komponisten Jan Kopp mehrmals im Schloßpark gesichtet. Er schwenkt wohl, wenn man das augenzwinkernd so sagen darf, stellvertretend für die Abteilung Neue Musik die Widerstandfahne gegen das Projekt. Man könnte auch sagen: Zusammen mit dem leider verletzt ausgeschiedenen Daniel Kartmann ist das eigentlich schon wieder ein aktzeptable Vertretungs-Quote der Neuen Musik beim Festival „Oben bleiben“ im Schloßpark.
@Elf Aquitaine: Das ist schön! Wir freuen uns übrigens auf jeden Fall über Berichte vom Festival „Oben Bleiben“ – Alles gute dafür!
Heute in der FAZ stand, dass ein „Chaot und Provokateur aus der Berliner (sic!) Antifa-Szene“ bei der Demo verletzt wurde, nachdem er die „Polizisten provoziert hatte“.
Das passt jetzt irgendwie so gar nicht ins Bild, dass von Daniel Kartmann in der Stuttgarter Zeitung gezeichnet wurde, und auch nicht ins Bild eines freiberuflichen Musikers der auch Neue Musik spielt und bei „Zukunftsmusik“ auftreten sollte.
Ist das eine perfide Form von Propaganda der FAZ? Auf jeden Fall scheint mir hier Denunziation am Werk – die ganze Geschichte wird immer unheimlicher.
Moritz Eggert
Sehr geehrter Herr Eggert,
ich wundere mich da über gar nichts mehr. Es ist hier in Stuttgart stadtbekannt, dass von den Bauherren professionelle Lohnschreiber bezahlt und beschäftigt werden, teils PR Agenturen und willige Knechte, die momentan alle Foren und Agenturen mit ihren getürkten Statements überschwemmen.
Erinnern Sie sich an die Kopfsteinpflaster, die von Demonstranten geworfen sein sollen – eine Lüge, es waren Kastanien.
Erinnern Sie sich an die Massen von agressiven, altlinken Berufsdemonstranten – auch so eine in die Welt gesetzte Nullnummer.
Aber das ist nur gut so, denn die Demonstranten sind ja nicht Krethi und Plethi sondern das Stuttgarter Bürgertum.
Die registrieren diese Verar… ganz genau.
Die Quittung gibt es mit Sicherheit bei der Landtagswahl
S-21: es kommen mir viele Gedanken und Gefühle als Aussenstehender dazu in Unordnung. In der Süddeutschen las man übrigens ein Interview mit einem pensionierten Richter, der beim unverhältnismässigen Einsatz der Staatsmacht durch die Polizei beobachtend dabei war, den Darstellungen dieser massiv widersprach. Ich fand mich sofort so weit verunsichert, dass ich nachforschte, warum er den „ehemaliger“ Richter sei. Wie froh war ich ihn im Altersruhestand bestätigt zu sehen. Das zeigt, wie misstrauisch man in alle Blickwinkel dieser Vorgänge hineinspüren, hineinsehen muss, um sich ein Bild machen zu können.
Im Durchlesen meines ersten Kommentars fiel mir auf, dass ich nicht unbedingt nett zum fast erblindeten Herrn Kartmann gewesen bin, mich an Reaktionsmittel bei Anti-Atomkrafts-Demos erinnerte, wie die Bürger blockierten, ironische Kastanien warfen, der Wasserwerfer zum Einsatz kam. Wie ich beim o.g. verzweifelt nach einer Begründung seiner richterlichen Ehemaligkeit im Interview suchte – er hätte ja auch zu Zeiten des Radikalenerlasses entlassen sein können, was für ein kruder Gedanke – , stiess mir beim verlinkten Stuttgarter-Zeitungsartikel auf, wie naiv Herr Kartmann dargestellt worden ist. Als Grund der Schlossparkverteidigung wurde dort das Bedürfnis nach „Spielplatz für das Kind“, „Erholung“, etc. angeführt. Das erschien mir zwar durchaus schützenswert, der Körpereinsatz dafür aber ein allzu grosses Opfer. Die Aufgabe, als Musiker an einem nun wie die Faust auf das Auge passenden politisch angehauchten Kreidler-Projekt teilzunehmenden, hielt ich für höher, als nebenbei mal schnell demonstrieren zu gehen.
Im weiteren privaten Umfeld hörte ich die letzten Tage Stories, dass selbst als BWLer tätige Stuttgarter jetzt jede freie Minute an der Bahnhofsbaustelle verbringen würden. Hoffentlich trug dieser Mensch nicht zu dick auf! Warum er dort sei, ob er v.a. gegen den Bahnhofsbau sei oder wegen der Reaktionsmuster der Staatsmacht, dass konnte er meiner Quelle dann nicht ganz beantworten, was den Bahnhof betrifft, aber grundauf bejahen, was die Staatsmacht betrifft.
Das allerschlimmste, was selbst ich Ignorant aus der Ferne bestätigen kann, ist der nahezu wahlkämpferische Umgang, das Gepoker um Baustopp oder Friedenspflicht, das Umfallen der SPD, die immer schärfere Rhetorik, die selbst den anstehenden Mediationsversuch keine Rücksicht nimmt, wie abgesehen von S-21 Volksabstimmungen seitens der Politik mal eingesetzt, mal abgelehnt werden, die Baden-Württemberger als Bürger dabei wohl weniger Möglichkeiten haben als wir so konservativen Bayern, die allerdings in Konfrontationserfahrungen mit der Staatsmacht eher schlechter als das Ländle dastehen. Nun rächt sich, dass das gesamte Projekt wohl schauderhaft kommuniziert worden ist, viel früher Transparenz gefordert gewesen wäre. Ich bin gespannt, wie sich die zweite S-Bahn-Röhre in München weiterentwickeln wird. Das spaltete sich bisher selbst die staatstragende Partei in der Kommune gegen die Regierungsmeinung. Wobei es mal wieder von der ökologischen Seite ausging, hier allerdings eher der Finanzeinsatz als ein Umweltproblem Fragen aufwirft. Nur soviel: ich denke, dass die Umlandbewohner natürlich lieber an Hauptknotenpunkten umsteigen als an der Innenstadtperipherie. So kam der bisher stärkste Protest von den Bürgern Haidhausens, was durch den Tunnelbau wohl am ehesten beeinträchtig sein dürfte, allerdings wohnt dort auch das ökologisch wie finanziell saturierteste Bürgertum, die tatsächlich zu Fuss die City erreichen können, was dem Pendler allerdings versagt ist… Es bleibt spannend, wie die Emotionen hochschlagen werden! Eine unterhaltsamere Oper als das meiste Musiktheater-Geplänkel wird es allemal sein.
Da wirft sich nochmals die Frage auf, wie man auf die uns alleinlassende Politik musikalisch reagieren kann. Bedenkt man allerdings die Akzeptanz der Neuen Musik in der Gesellschaft, hat sie ein ähnliches Kommunikationsproblem aus ihrer Autoreferenzialität heraus wie die Politik aus ihrer Machtarroganz. Das Gefühl der Fremde gegenüber Beiden dürfte für die Normalbürger fast das Gleiche sein. Dabei sieht sich die Neue Musik doch eher auf der Soziales und Politisches verändernden Seite. Von anderen Musikkollegen aus dem Jazz, dem Rock wird den Komponisten mit ihren akademischen Verwurzelungen allerdings irgendwie doch zurecht vorgehalten zu staatsnah zu sein. Da hilft selbst die Eigendefinition als Laus im Pelz des Establishment nicht viel: für den Aussenstehenden führt man sich eher wie ein Hofnarr auf. Gerade wenn die Neue Musik ständig neue Hörgewohnheiten predigt, hinter den Dingen noch was erhört, wo man doch nicht mal ihr eigenes Sirren versteht, schauen uns Aussenstehende an, als seien wir Mondschafe. Über uns erfreut sind sie nur, wenn unsere Musik durch honorige Ensembles geadelt wird, wir als Instrumentalisten oder Dirigenten vielleicht unsere Musik selbst nett präsentieren können, spektakuläre Inszenierungen uns umrahmen, man „angekommen“ ist, wofür allerdings selbst ein im Voraus ausverkauftes Donaueschingen nicht wirklich taugt, man ist da dann v.a. in der Neuen-Musik-Szene selbst „ganz oben“.
Wie kann nun Neue Musik ernst genommen werden, wenn sie als politiknah und ihr Verstörungswille nur als nett bis langweilig empfunden wird? Das besonders Gemeine ist doch für uns, wie gerade im Ländle die tunnelfreudige Politik mit freudigen Tunnelblick unsere Entfaltungsorte zusammenstreichen möchte, wie jetzt nicht nur Donaueschingen sondern der gesamte SWR zur Disposition steht. Da wird der Neuen Musik die Luft zum Atmen genommen, den Normalbürger, der jetzt seinen Ungehorsam gegenüber dem Bahnhofsabriss entdeckt, wird uns nicht mit seinem Körper gegen Kulturkürzer verteidigen. Der Bürger wird sich vielleicht für sein Theater, sein Orchester einsetzen. Die Neue Musik wird ihm allerdings piepschnurzegal sein, gerade weil sie am ehesten vom Staatstropf abhängt. So besteht immer die Gefahr, dass die Politik dafür sogar Applaus bekommt, solange Tosca & Brahms nicht total eingestampft werden. Ja, der Stuttgarter Hauptbahnhof, diese Denkmal-Schachtel aus den Zwanzigern des Zwanzigsten Jahrhunderts zwingt die Bürger nach all den anderen „Gute-Stube“-Verlusten zu „Tosca & Brahms“-Gefühlen. Da rufen selbst Selbstverteidiger der Neuen Musik nach „Tosca & Co.“.
Warum schafft es dann eigentlich die Neue Musik selbst nicht zu „Tosca & Brahms“ zu werden, wenn dies selbst ein Bahnhof, moderne Architektur schaffte? Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie die Menschen zeitgenössische Technik, Architektur, Literatur, Bildende Kunst und selbst Regietheater begeistert aufnehmen, dagegen die Neue Musik nur dann freudig und breit konsumiert wird, wenn der Komponist wie ein Originalgenie wirkt, selbst seine Musik spielen kann oder die Musik im Öffnen des Emotionsraums, in Rhythmik oder sogar Tonhöhenumgang eher an „Gute-Stube“ als „Moderne“ erinnert. Das macht uns doch immer wieder zornig! Das führt immer wieder zur Rückkehr zu noch undurchdringlicheren Gedankengebäuden! Statt dass man den Balanceakt wagt und hochstehendes Material mit Öffnungsmöglichkeiten zum breiteren Publikum hin verknüpft, zumindest den allgemeineren Emotionsraum immer mal wieder trifft, so verstörend man den Werkverlauf auch gestalten mag. Und wenn man eine grössere Menge mit Neuer Musik positiv konfrontiert, dann eher als Aktion denn mit Musik, z.B. wenn man so allgemein negativ wahrgenommene Dinge angeht wie Finanzkrise, GEMA, Billiglohnländer oder per Zufall jetzt das staatliche Machtmonopol: das Publikum wird z.T. erreicht, es erklingt auch Musik, sie kann man wohltönend zeitgenössisch sein oder fast schon banal tonal. Es geht aber doch mehr um die Performance als die Musik selbst bzw. ist die Musik nicht das Hauptmittel um Aussenwirkung zu erreichen.
Irgendwie lösten die Stuttgarter Geschehnisse und der Blog hier in mir das Bedürfnis nach Musik aus: ich hörte sofort Mozarts Entführung quer mit der Zauberflöte, die Reformationssinfonie Mendelssohns, Kurt Weill sowie Nonos Per Bastiana wie Prometeo und den Überlebenden aus Warschau. Ich dachte dann nochmals an Verena Becker, legte das Mädchen mit den Schwefelhölzern genauso beiseite wie einige Henze-Sinfonien. Ich lauschte kurz in den Learbeginn Reimanns und gab mir dann die Kante mit den Soldaten Zimmermanns! Am Ende etwas Cagesches Toypiano, flüchtige Erinnerungen an Andriessens Workers Union, Ländler Walter Zimmermanns, kurz ein wenig Heine/Killmayer, am Ende dann Trost mit Donauwalzer und Lontano, und wieder Weill.
Warum diese Musiken? Das sind wohl alles Stücke, die sehr komplex sind, durchaus auch Aktionismus enthalten, aber hochpolitisch oder gerade deshalb sehr intim sind, dennoch das Potential für eine breite Zuhörerschaft haben, da neben all der äusseren Bedeutung, all der inneren Konstruktion oder Einfachheit, der Emotionsraum angerissen wird, der nicht der „L’Espace Dernier“, sondern der grosse Rahmen ist, in dem Musik und Mensch zueinander finden! Wie sehne ich mich danach, wie gelüstet es mich dazu. Wie sieht es mit Euch aus? Oder wird schon wieder zur Verteidigung des kleinen Neue-Musik-Hinterhofs angesetzt? Wie gesagt, da machen wir uns selbst zum Bauernopfer der Politik wie der Masse! Vielleicht brauchen manche diese kleine Depression. Es gilt aber wieder vermehrt der grossen Depression der Masse einen neuen Mut zu verleihen. Den macht sie sich ja gerade vermehrt wieder selbst, auch wenn es bizarr erscheinen mag. So sollten wir sehen, dass wir nicht aussen vor bleiben, den Dingen nicht nur eine Kunstaktion entgegensetzen, sondern mit Klang das Geschehen aufnehmen und kommentieren, nicht lausleise, nein gefährlich gefühlsstark, als bewusster Balanceakt jenseits von inneren Materialschlachten, die weder Wasserwerfer noch Baumschützer sowie Herrn und Frau Mustermann interessieren. Ran an das ganz grosse Ganze, so dass wir ihnen zu verteidigungswerten Bahnhöfen und Schlossparks werden! Dann kürzt man vielleicht weniger heimlich mal Kollegen in Holland oder kassiert selbst TV-Musik als Fernsehpreiskategorien…
Soviel als sonntägliches Donnerwort!
Euer Alexander Strauch
OLG Stuttgart schmälert Urheberrecht
OLG Stuttgart schmälert Urheberrecht!
Nur das der Bonatz-Erben, des Architekten des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Immerhin tickt die Ablaufsfrist für das Urheberrecht noch 16 Jahre. Dennoch können generell Interessen der Allgemeinheit das Einzelinteresse am Urheberrecht überwiegen, da spielt dann selbst Denkmalschutz keine Rolle. Das bezieht sich Alles auf Baukunst, bei Musik, etc. gilt wohl das normale Urheberrecht weiter.
Dennoch stimmte mich ein Satz in der oben verlinkten Presseerklärung des OLG StuttgartBesonders nachdenklich: „Hinzu kommt, dass die Urheberinteressen angesichts der verbleibenden Schutzdauer von lediglich 16 Jahren erheblich an Gewicht verloren haben, und ferner, dass die Beklagten mit dem Umbau des Bahnhofs ihrer öffentlichen Pflicht genügen, der Allgemeinheit eine moderne Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen.“
Konstruiert man nun den Fall eines bald ohne Schutzfrist dastehenden Musikstückes, findet in der Weiterverwertung ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit wieder, kann man sich an Werke heranwagen und getrost deren Substanz dem eigenen Zweck entsprechend einsetzen gegen den Widerspruch der Erben oder mit dem Urheberschutz betrauten Gesellschaften. Pikant wird es, wenn das Zivilrecht zugunsten des finanziell Stärkeren eingesetzt würde, wie neulich auch in Stuttgart. Folgt man dem Wikipedia-Artikel zur Geschichte des Stuttgarter Hauptbahnhofs, wurde dem klagenden Erben Peter Dübbers im Vorfeld seitens der DB eine Bonatz-Stiftungsprofessur angeboten. Jetzt verzichtet Dübbers weiter zu klagen, da ihm die Bahn mit Schadensersatzforderungen überziehen könnte, die ihm zuvor noch einen Titel versprach, falls er in höchster Instanz unterliegen würde, so die Stuttgarter Nachrichten in einem Interview:
Also ran an den Kuchen der in nicht mal 15 Jahren freiwerdenden Urheberrechte, verschafft Euch genügend „Allgemeinheit“, akquiriert von dieser fröhlich Spenden, vielleicht sogar mit dem Hinweis, so das Werk aus den Klauen der Gralsbewahrer zu retten und endlich auch die „Vier letzten Lieder“ von Strauss oder „Gruppen“ von Stockhausen mit „House“-Musik gekreuzt einer grösseren Publikumsbreite groovig konsumerabel zu machen oder einfach dreimal so lang wie im Original oder nur als 0,00-Promillschnipsel in ein eigenes Werk einzubauen. Klappt dies nicht, könnten sich tausende Komponisten zusammenschliessen und kollektiv mit dem Plündern beginnen, frei nach dem Motto: die Masse macht’s bzw. macht es schon längst.
Wie gesagt, bisher sind solche gerichtlich sanktionierten Urheberrechtsverletzungen nur im Baurecht möglich, bald auch schon auf diese Art und Weise in der Musik?
Gruss, A. Strauch