„Moderne“ – das ist Stockhausen, das ist Rihm, das ist Lachenmann. Die Leute sind satt von diesen Experimenten. Sie wollen das einfach nicht hören.“

…so spricht Krzysztof Meyer in einem Interview mit den Dresdener Neuesten Nachrichten, hier der Link.
Erst der NDR-Beitrag, jetzt dies. Ein Trend? Interessant, Rihm und Lachenmann als experimentelle Komponisten zu benennen, da würden sich beide wohl nicht sehr wohl fühlen…
Danke für den Hinweis an Alexander Keuk!

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Moritz Eggert

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4 Antworten

  1. querstand sagt:

    „Neue Musik“ scheint die niedlichere Schwester ihrer Unterform „Experimentelle Musik“ zu sein. Also schimpft man demnächst einen Geräusche und Elektronik verwendenden Menschen als „Du Experimenteller?“ Das ist doch Alles schwach! Solche Äusserungen auf Jahressitzungen honoriger Runden samt Ministerpräsident zu Ehren eines Komponisten, der mit seinem Achten Quartett in Dresden der Kriegsgräuel gedachte, gehören in die gleiche Kiste des Vergessens wie Stoibers Unwillensbekenntnis gegenüber Nonos Canto Sospeso.

    Musik von heute muss natürlich nicht mehr wie Rihm oder Lachenmann klingen, sie kann sich beziehen auf was sie will, auch auf Schostakowitsch oder alle drei gleichzeitig, je nachdem, sie kann milder oder wilder sein. Kann nur an sich oder auch nur an das Publikum denken – ich denke es vielleicht mit, wenn ich mich als mein erster Hörer betrachte. Vielleicht schreiben die Wegdenker, wenn ich jetzt mal „selbstkritisch“ bin, andere, auch besser Musik, vielleicht tut es ein Mitdenker? Das sind ja nur Wege des Komponisten zur Musik. Also hier Rufe nach „Publikum bedenken“ auch nicht zu hoch hängen.

    Allerdings ergibt sich durch jemand wie K. Meyer dann tatsächlich die Gefahr, noch dazu vor der geldstreichfreudigen Politprominenz, der das Publikum nur wieder als etwas Totales denkt, eine „stille“ Mehrheit zu einer Gesamtheit stilisiert, mit solchen Äusserungen über das „Mitdenken des Publikums“ durch nun berechtigte Bedenkenträger als „gedankenlos“ abgestempelt zu werden. Ich stemple also vorsorglich mal Herrn Meyer als „gedankenlos“ in seinen „Bedenken“!

    Die Äusserungen Meyers sind wohl der zu entrichtende Preis, wenn man unbedingt der politiktreuen Hochkultur angehören möchte! Und vergisst die Korrelation von massiver öffentlich-rechtlicher Verletzung des Kulturauftrags für Viele und eben das Unwissen alias Unwissen des relativ gebildeten klassikaffinen Publikums, das kleiner wird, Neue Musik angeblich gar nicht mag und das andere Publikum, welches sie vielleicht mögen könnte, wüsste es überhaupt von ihr bzw. sich die Neue Musik tatsächlich auch in deren Richtung öffnen würde, vielleicht dadurch eine ungeahnt neue soziale Radikalität erhielte? Durch Herrn Meyer nicht, schon gar nicht gegenüber dieser Politik, an die er sich wendet, für die er letztlich Politik macht. Denn mal ehrlich: wenn man Henze, Rihm, Lachenmann, Mahnkopf, Kreidler nicht mehr spielen würde, dann wäre ja plötzlich seine eigene Musik viel zu „experimentell“.

    Es braucht keine Meyers, es braucht keine Ruzickas, keine Tillichs und Stoibers! Schon eher dann doch ein Netzwerk Neue Musik. Und noch vielmehr mal wieder so Gestalten wie einen Rolf Liebermann, einen graden Janson, einen Kreidler, etc. Und endlich wieder ein Publikum, dass weder sich selbst entmündigt, noch durch Herrn Meyer oder den NDR marginalisiert wird. Wenn es wirklich schlimmer sein sollte, das sog. Publikum, dann sollen doch unsere klassikaffinen Nichtmöger aussterben und ganz andere das Elixier von Klassik und Neuer Musik neu entdecken… Ich wünsch mir „a naie musi“, einen neuen Ton, Töne für Viele, aber eben viele Verschiedene und nicht nur den Einen für die Wenigen.

  2. erik janson sagt:

    Vor allem Rihm in einem Atemzug mit Lachenmann zu nennen
    und beide gleichermaßen als Moderne/Experimentelle hin zu stellen, von denen keiner mehr was hören wolle.
    Das ist reichlich daneben.

    Es ist mir schleierhaft, wie sich ein (ehem.) Kompositionsprofessor so pauschal und undifferenziert äußern kann und noch dazu so der Verweigerung von Offenheit beim Musikhören bei breiten Publikumsschichten Vorschub leistet. Beschämend! Solche Leute bekamen Professuren! Zufall? Nicht weniger pauschal als die Boulevardniveau aus dem NDR. Jetzt tuten also auch die alten Professores schon in dieselben abgehalfterten und „Experimentierer sind Terroristen“-Schiffshörner. Oder:
    wer „disharmonisch“ ist: ab in die Ecke und eine Runde schämen…

    Armes Deutschland! Aber naja – er ist Pole..ein – wie schon immer wohl – hyper-reaktionärer dazu, das muss man unserer Neuen Musik zu Gute halten bzw. das relativiert seine Interview-Äußerungen und macht sie weniger relevant. Aber vorsicht: ich möchte mich hier keineswegs (kultur-)politisch auf niederes Steinbach-Niveau begeben, finde aber nunmal, dass die polnische Musikszene (wenn man da überhaupt von Neue Musik sprechen kann) schon immer einen latenten oder offenen Haß gegen das Experimentelle und einen Hang zur Neoromantik und zum „Schönklang“ hatte und hat sowie dass dort ziemlich viel im eigenen Saft dahin schmurgelt. Wo/wann werden dort z.B. mal – vor allem Deutsche Komponisten – nach Polen eingeladen, während hier viele polnische Komponisten willkommen sind und Stipendien erhalten etc. Und man fragt sich: Warum wohl kam Meyer damals nach Deutschland um hier zu leben und zu lehren?
    Das kann man sich doch mal kritisch fragen: etwa, weil es
    hier in den 70er/80er und 90er-Jahren so „harmonisch-schnuckelig“ und wenig gastfreundlich war…?

    Also bin ich der Meinung: ein solcher Mann sollte sich nun mit seinen Pauschalverdammungen was sog „unharmonische“ oder „experimentelle“ Musik angeht, sehr zurück halten.

    @querstand:

    Es braucht keine Meyers, es braucht keine Ruzickas, keine Tillichs und Stoibers! Schon eher dann doch ein Netzwerk Neue Musik. Und noch vielmehr mal wieder so Gestalten wie einen Rolf Liebermann, einen graden Janson, einen Kreidler, etc.

    Bravo und Danke für die „Blumen“, die mir aber schnell verwelken, wenn ich mich (ästhetisch) mit „Kreidler“ in einem Atemzug genannt lese. Für ihn gilt bestimmt bzgl. meiner Person dasselbe. Herrlich querstand!!! Wo nimmst Du diese Weltversöhnung und diesen Optimismus her? Am Ende streichelst Du hier noch die Konfliktparteien so zahm, dass mich Kreidler am Ende noch für den nächsten Nachwuchs-Autorenpreis der GEMA vorschlägt. Danke schonmal im Voraus. :-)

  3. querstand sagt:

    @ all
    Was verbindet Rihm mit Lachenmann?

    Nun, wenn man rein geographisch einen Blick auf das Neue-Musik-Ländle Nr.1 wirft, wirken beide im Südwesten, leben da auch andere KollegInnen gerne. Die zwei allerdings haben sich in den letzten Jahrzehnten so hervorgetan, dass man sie für die Hauptvertreter der Musik des Südwestens halten kann. Sie haben ja in dieser Bedeutung auch die alten Trennlinien zwischen den ehemals selbständigen Landesteilen berücksichtigt. Nachdem der britische Usurpator sowie der hessische kleinschreiber ihre Positionen in der mächtigen Stadt im Breisgau aufgaben, regiert Rihm in der wahren Residenzstadt. Lachenmann ist in der anderen Residenzstadt immer noch der Grandseigneur.

    Nachdem nun K. Meyer die Welt seiner Musik auch gerne ex cathedra und weniger ex ovo oder gar in nuce betrachtet, dürften ihn diese Amtskollegen einfach zuerst eingefallen sein.

    Zudem dürften die Beiden auch einfach emblematisch für den Begriff des deutschen Komponisten stehen, viel weniger als Henze.

    Was macht nun Lachenmann und Rihm „deutsch“? Ersterer könnte darin eine unzulässige, gefährliche Zuschreibung sehen, Letzterer würde jetzt lange nachdenken.

    Ich denke, als schnelle These, bevor es faustisch wird: ihr Umgang mit der Zeit, genauer dem Timing!! Egal wie nach kritischer Methode verfahrend oder dem reinen Einfall folgend, die Beiden schrieben viele Stücke, die verzückt dem Begriff der Schumannschen „himmlischen Längen“ folgten, wobei darin mal zu klären wäre, ob Schumann die Rückeroberung von Längen im Beethovenschen Sinne meinte oder tatsächlich Schubert einen eigenen Längenbegriff zuschrieb. Letztlich war dies ein Verzücken auf sich selbst, was Schumann empfand, als mit kleinen Charakterstücken begonnen habender bei einem von ihm als Romantiker empfundenen Schubert, der doch auch Klassiker ist, die Möglichkeit grosser Form und Länge gefunden zu haben, eine eigene Rekursion auf Beethoven mit Symphonien zu starten.

    Im Bezug auf „Grosse Form“ kann man auch K. Meyer sehen, der ja seit seinen ersten Stücken diese immer wieder anstrebte, in Rückgriff auf traditionelle Formen wie Sinfonie oder Sonate, wenn auch formal anders entwickelt, aber dennoch den Begriffen These, Antithese, Katharsis und Synthese folgend.

    Ganz anders sind Lachenmann und Rihm vorgegangen. Lachenmann bedient sich natürlich auf einer ähnlichen Linie wie K. Meyer der klassischen Entwicklungstechniken transformiert in das parametrische Denken, lässt dabei aber die traditionelle Begrifflichkeit von Sonate und Sinfonie weg. Rihm nannte seine grösseren Orchesterstücke mal auch „Sinfonie“. Da setzt er aber viel weniger am Formbegriff denn dem emphatischen Begriff von „Symphonie“ im Gegensatz zur „Sinfonia“ an. Mag Mahler noch so sehr formal versucht haben, seine Gedanken zusammenzuhalten, es blieb uns doch v.a. die Emphase hängen, des Durchwirkens eines geschlossenen Theorems mit möglichst vielen musikalischen Eindrücken von Aussen. Und da knüpft Rihm an, ausserdem an der Idee des Textes, sei er noch so lyrisch-literarischen Ursprungs, durch seine musikalische Zerdehnung gewinnt diese Idee immer etwas episches, wird eben emphatischer, infolge dessen länger, was natürlich auch andersherum gelten kann.

    Jetzt gibt es noch keine richtige Verknüpfung Rihms mit Lachenmann. Letzterer konstruiert also ein parametrisches Skelett seiner Stücke. Dieses wird nun nicht mit gewöhnlich produzierten Tönen behangen, wie es Rihm eher machen würde. An dieses Formskelett hängt Lachenmann die bis auf den Knochen aufgeschürften Klangeindringungen seiner Erforschung der Geräuschlichkeit des instrumental erzeugten Klanges. Diese hat er sogar ganz im parametrischen Sinne katalogisiert, so dass sie eine klare, nachvollziehbare Logik in ihrer Folge oder Kontrastierung ergeben können. Ich für meine Begriff würde das letzte „können“ einfach weglassen, denn für mich ergibt sich eine logische Dramaturgie. Allerdings kann hier der unwillige Hörer unter Umständen scheitern, erscheint im das tönende klare Formschema als unstrukturiert an der klanglichen Oberfläche, der er zu Folgen gewohnt ist.

    Kurz zu Rihm: an dieser traditionellen Oberfläche schürft oder besser schürfte der mittlere und frühe Rihm ebenfalls. Weniger durch klangliche Aufrauhungen. Er zerspliss das Ebenmass vielmehr durch übersprudelnde Einfallswendungen, klangliche Massierung, unerwartete Ein- und Abbrüche in eine fast schon alte Tonalität, die wiederum selbst zerfurcht wurde, im Verhältnis zum eigentlich kurzzeitlicher angelegten Motivmaterial aufgrund des wunderbaren Individualismus des Komponisten viele Splittersiedlungen neben den Kernen seines Materials entstanden, die Zeiten ins unendliche gedehnt wurden, eben „himmlische Längen“, wenn man diese Emphase teilt. Wobei es Rihm aufgrund seines Umgangs mit der traditionellen Oberfläche einem immer gar nicht so schwer macht, ihm zu Folgen, wenn man selbst eine Lust an unerwarteten Wendungen hat.

    Angeblich ist Lachenmann und seine Musik ja schwerer zugänglich als die Rihms, da er diese Oberfläche verlassen haben soll. Das stimmt vielleicht, wenn man sich dieser unglaublich erwachsen gebenden Musik wie ein Kind nähert. Wer hat noch nicht Kinder erlebt, die nach den ersten Kochtopfschlagorgien quietschende und knarzende Türen entdecken, die einfach beobachten und sich daran freuen und sei es das Trapsen einer Taube auf dem Blechdach. Es ist doch spannend, wie kleinen Kindern abstrakt Klassik und „Moderne“, gar „experimentelle Musik“ aus der Konserve geliefert wird und sie das ganz normal beobachten im Anhören. Natürlich wird ein gleichmässiger Verlauf eines klassischen Durchschnittswerks sie nicht so sehr erschrecken wie eine Höllenfahrt Don Giovannis oder „Kreuzige ihn“ Rufe aus der Matthäuspassion, „Ausruffe“ – im Thomallaschen Sinne – , die es in der „Moderne“ vielfach gibt, aber auch in allen anderen dem klassischen Kanon zugeschriebenen Stilen genauso. Daraus werden dann mit weiteren Material Begründungen geliefert, warum Neue Musik nicht anhörbar sein soll. Wie oft weinen denn Kinder bspw. an den schönsten, leisesten Stellen von Mozartmessen in der Kirche an Sonntagen? Ungezähltes Gegreine zur besten Klassik!
    Wie fröhlich verfolgen dann diese Kinder vor der Kirche Alles an Nicht-Menschlichen Direktäusserungen was Geräusche von sich gibt? Es spricht also vom Kinde her betrachtet vieles mehr für Lachenmann, Schaeffer, Stockhausen und noch „härtere“ Neue Musik als für Beethoven, Brahms und Bruckner!

    Aber wieso kann Lachenmanns streng organisierte Musik „zu lang“ sein? Gerade die katalogartige Durchführung seiner Klangfolgen über dem parametrischen Formskelett erfordern natürlich ihre Zeit bzw. formt Lachenmann diese immer weiter aus. Es ist also eine Musik, der man einfach an der Hand folgen kann. Wenn man dies tut, wandert man durch wunderbarste Tropfstein- und Eishöhlen, sieht urplötzlich Licht, steht in finsterster Dunkelheit. Und da liegt der Unterschied zwischen Lachenmann und Rihm: Rihm führt durch die Abgründe des menschlichen Empfindens, Lachenmann zeigt die verschiedensten Eindrücke im Freien. Emphatisch gesehen folgen beide so dann wieder zusammen dem Hölderlinschen „Komm ins Offene!“. Das führt durchaus auch Killmayer in deren Nähe.

    Das verbindet jetzt die Beiden mit sich wie mit etlichen weiteren KollegInnen, die zwischen diesen Feldern ähnlich vorgehen, das macht Neue Musik aus, der man auch getrost das Deutsche nachsagen kann, in ihrer „himmlischen Länge“. Das macht sie natürlich auch angreifbar, da sie sich von den Formen der Sonate und Sinfonie so ganz unterschiedlich weiterentwickelt hat, selbst wenn sie diese Begriffe verwenden würde.

    Noch vielmehr ist diese Musik aber individualistisch, eigentlich viel stärker in ihren Eigenarten als in ihren Übereinstimmungen mit dem jeweils Anderen. Wobei gerade das extrem Individuelle wiederum ein Signum ist, was sie dann wieder verbindet. Das „sowohl“ und „als auch“, was ich versuchte den Musiken von Lachenmann und Rihm, ist wie die zwei Seiten des Ein- und Ausatmens. Warum soll dieser Hauch, manchmal auch Wind vollkommen verstummen?

    Lachenmann mag nun streitbarer als Rihm sein, durchaus Gegnerschaft und Kampfesfreude diesem und den sog. „Neuen Einfachen“ im Sinne Henzes und Reimanns gegenüber haben. Die Einstellung deren Kunst aber verlangt letztlich nicht mal dieser Extreme, eher einen Wandel. K. Meyer scheint sich wohl die Verdrängung dieser und derer besten Kollegen zu wünschen. Und gibt damit Wasser auf Mühlen, die nur zu gerne an der Neuen Musik sparen wollen, um die klassische Hochglanzkultur in ihrem Sinne fördern. Ich Frage mich allerdings manchmal, wie gerade diese Leute auf den neuen Glanz reagiert hätten, als ihre jetzt so geliebte Klassik neu gewesen ist? Wären sie damals Politiker gewesen, hätten sie auch alle Wege und Mittel gesucht, diese Musik zu verhindern.

    Nun hat sich Demokratie gegen den damals regierenden Autoritarismus durchgesetzt. Warum heute immer mehr diese offenen oder verdeckten Anflüge von Autoritarismus? Anscheinend fällt es manchen Menschen immer schwerer in der diffusen, komplexen Welt – ist sie wirklich als menschliche Welt diffuser, als zuvor – die Gegenseite, die man für eine einfachere Weltsicht sich konstruiert, zu hören, besonders zu hören. Und da geht es immer sofort an die Lebensader des Un-Erhörten oder bzw. und so als moralisch unerhört Empfundenen, wie es K. Meyer macht. Aber Vereinfacherer scheinen tatsächlich sich als Avantgarde zu empfinden, eine ganz neue Erfahrung, seien es nun Hr. Sarrazin oder Fr. Steinbach, da würde man K. Meyer eigentlich nicht auf der gleichen Linie erwarten. Wirklich bizarr wird es, wenn man diesen neuen irrationalen Konservatismus globaler auf der nördlichen Hemisphäre betrachtet: wie anarchisch, was diese Leute eigentlich den eher traditionell politisch „Linken“ zuschreiben kommen sich die Vertreter der us-amerikanischen „Tea Party“ vor? Das wirft nochmals ein ganz anderes Licht auf solche kleinen Aufreger, wie K. Meyer.

    Da mag v.a. höchst persönlich empfundene Verletzung eine Rolle spielen, sieht man sich dann doch in Kreisen angekommen, wo Lachenmann und Rihm vielleicht nie ankommen wollten oder ein einfach doch etwas souveräner umgehen können als K. Meyer und Konsorten, selbst wenn sie ihre Kämpfe durchaus als Verletzung empfunden mögen haben. Was lehrt dies uns? Die schwache, fragile Neue Musik, immer neu zu erkämpfen, heute unglaublich frei handhabbar, auch wenn dies manche nicht so sehen mögen, offen nach vielen Richtungen, immer noch neue Experimente vertragend, bedürfend, Auseinandersetzung mit sich und der Tradition fordernd, gerade wenn man sie durchbrechen möchte und doch immer wieder mit ihr zu tun hat, diese Neue Musik, was macht sie mit uns: sie macht uns stark! Deshalb brauchen wir sie und sie uns, deshalb benötigt auch der dümmste Kritiker wie K. Meyer sie. Denn ohne sie könnte er sich von ihr nicht absetzen, so wie die Neue Musik immer die im westlichen Menschen verankerte Tonalität braucht, von der sie sich immer wieder absetzt oder sie neu, andersartig entdeckt. Es lebe die Neue Musik! Ein Hoch auf ihre Kritiker!

  4. spicciolino sagt:

    Ad Janson: „… finde aber nunmal, dass die polnische Musikszene (wenn man da überhaupt von Neue Musik sprechen kann) schon immer einen latenten oder offenen Haß gegen das Experimentelle und einen Hang zur Neoromantik und zum “Schönklang” hatte …“
    Na, na, das entbehrt aber ein wenig der historischen Grundlage. Gerade der Warschauer Herbst war zu sozialistischen Zeiten bereits in den 60er Jahren ein sehr offenes Forum zum Westen hin, auf das der ganze übrige Osten neidisch blickte. Man mag ja Górecki oder Penderecki nicht mögen, und letzterer ist zweifellos ein ganz besonders businessorientierter Wendehals (der seinen Hals nach dem wendet, was ihm modisch erscheint), aber es gibt/gab gerade in Polen früh eine Avantgarde, die naturgemäß nicht so bekannt geworden ist wie die Neoromantiker, jaja, der frühe Penderecki, aber auch Leute wie Boguslaw Schaeffer oder, ganz anders, Zygmunt Krauze, auch Lutoslawski.
    Meyer kann sicherlich nicht dazugezählt werden; er repräsentiert nicht gerade die polnische Avantgarde, sondern wäre vielleicht am ehesten einem gediegenen Handwerker wie Jürg Baur vergleichbar. Seine (musik)politische Rolle im Sozialismus scheint mir ungeklärt: früher erfolgs- und aufführungsverwöhnt geriet er nach der politischen Wende rasch ins Abseits und konnte auch in Westeuropa nicht so recht ein Bein an den Boden bringen.