efeu oder lorbeer
nicht immer gelingt es, im ersten moment schon alles auf den punkt zu bringen. beispielsweise, wenn man sich im zug zwischen salzburg und bürmoos versucht, opernabende noch einmal zu vergegenwärtigen. gerade fiel mir jedoch ein möglicher grund ein, warum bei so vielen menschen ein unbehagen nach der rihm-premiere aufkam. „dionysisch? wo war denn der abend dionysisch?“ fragten sie.
der grund für diese reaktion ist letztlich ganz einfach. dionysos ist der efeubekränzte. wolfgang rihms musik jedoch kommt inzwischen bereits mit dem lorbeerkranz zur welt.
efeu und lorbeer gehören übrigens zu pflanzenfamilien, die in der natur nicht miteinander gekreuzt werden können. welches grün wolfgang rihm besser steht, mögen andere beurteilen.
Musikjournalist, Dramaturg
Rihm & Gemüse: gibt es im Voßwinkel-Porträt über Rihm nicht die, Stelle, wo Rihm Lauch einkauft? Da hätten wir schon damals „grün“, das er allmählich zu Lorbeer veredelt.
Es bringt mich der lakonische KIZ-Bericht zu Dionysus – u.a. „Rihm nahm die Ehrbezeugungen auf der Bühne persönlich entgegen, nachdem er den Protagonisten der Uraufführung selbst Dank und Anerkennung für die große künstlerische Leistung gezollt hatte“ – auf folgende Gedanken…
Rihm & Gemüse kann auch bedeuten: Ein Münchner Kollege, in etwa gleich alt wie Rihm, ärgerte sich immer über Rihms „applausverlängernde Maßnahmen“. Dieser Kollege selbst fühlte sich auf der Bühne immer fahrig, zittrig und höchstbemüht, das Händeschütteln mit dem Orchester nicht zu vergessen. Rihm dagegen kam langsam aus der Tonmeisterloge durchs Publikum schreitend zur Bühne, applaudierte auf dem gesamten Weg den Musikern, grüsste ins Auditorium, blieb erst mal vor dem Podest stehen und ließ sich dann heraufbitten. Das erzeugte natürlich neben der durchaus gewichtigen, streitbaren Musik noch mehr Bedeutung, die dann haften blieb. Am Ende freute sich selbst der Musikgegner Rihms, der dann zu einem Applausfreund ob all der Huld wurde.
Wie gesagt, die Musik finde ich immer wieder durchaus nicht uninteressant, auch wenn man richtigen Respekt in den 80ern und 90ern nur bei jedem 10. Stück entfalten konnte (die 9 dazwischen waren ja nur die Fortsetzung des letzten 10.!). So kommen mir noch einige Gedanken:
Wie Patrick Hahn in seinem wirklich schönen Bericht ungefähr sagte, ist es schon ein Faszinosum, wie Rihm fast gleichzeitig im brianharten Darmstadt und nockerlweichen Salzburg Entfaltung findet. Obendrein las ich irgendwo, dass trotz all der – mich schon länger anödenden Strausseleien – immer Rihm zu hören sei, gerade wenn er (vogel-)straussartig die Musik in den Sand setzt, also Pausen oder Abbrüche setzt. Im Schweigen sitzt Rihm? Unser aller Eloquentester? Na ja, da denkt man zwanghaft an Strawinsky, der ob debussy- oder webernnah tatsächlich immer nach sich selbst klingt.
Das trifft bei Rihm aber eher in seiner Szenekompatibilität zu: es gibt niemanden, der zeitgleich Applaus in Darmstadt und Salzburg einfahren kann. Rihm passt allüberall hin, da geht es dann weniger um Hochkultur oder Neue Musik. Nein, es handelt sich um die Kultur der Rihm-Musik. Wie gerade belästert, so doch unglaublich beeindruckend.
Aber warum passt das Mahlerhafte, Fragmenthafte, Zerfahren-Zerstörerische, jetzt Strausshafte zusammen? Es ist weniger der Klang, wie bei Strawinsky, auch wenn es durchaus eine grelle, zerrissene und weiche Rihminstrumentation geben mag, die Alles über seine Schreibjahre hinweg zusammenklammern könnte.
Es ist der Gestus, der das Disparate trennt, zerschlägt, streichelt, verbindet! Und das ist eigentlich das Erstaunliche. Seine Musik ist mir niemals wirklich klangschön, also eine Eigenart mit der man selbst Boulezelektronik von Stockhausenfunkenschlag unterscheiden kann – auch da unterschiedliche Arten des Gestus, aber im Vordergrund eine Art Farbe, Geruch. Bei Rihm ist es beinahe haptisch, eben ein Hauen und Streicheln, was über die Werkgrenzen Einheit mit der Schreibperson herstellt.
O Gott, jetzt war das aber viel zu viel des Weihrauchs. Angesichts dieser Omnipräsenz sollte Salzburg übrigens weniger von „Kontinent Rihm“ sprechen als von „Planet Rihm“. Wer schlägt und streichelt mich dafür hier im Blog?
Gruss aus der Ohrenwerkstatt,
A. Strauch
Diesen Satz las ich auch und fand ihn einen der überflüssigsten Sätze, die ich je gelesen habe. Was sollte denn ein bei der UA anwesender Komponist ANDERES tun? Auf die Bühne scheissen? Ohnmächtig werden? Ok, hatten wir beides schon (Zappa, aber nur angeblich, sowie Mark André), aber das wäre wenigstens der Erwähnung wert gewesen, NICHT DAS ABSOLUT OFFENSICHTLICHE!!!!
Da war Querstands Beschreibung des Rihmschen Applausverhaltens schon differenzierter und erklärt genau das Phänomen und Faszinosum des „Kontinents Rihm“.
Moritz Eggert
Lorbeeren im Ferienkurs-Darmstadt!
Haben die kompositorischen Preisträger eigentlich den „Kranichsteiner Musikpreis“ bzw. Stipendien für die Fereinkurse 2012 zurecht verdient?
Ich möchte bewußt provozieren, bevor hier der Augustschlaf endgültig Einzug gehalten haben wird.
Der gewinnende Komponist heißt Stefan Prins, die Kompositionsstipendiaten sind Malin Bång, Mark Barden, Johannes Kreidler, Tim Mariën und Daniel Puig – letztere nur ohne oder mit Myspace-Homepage (so setze ich keinen Link!).
Über Johannes Kreidler ist hier im Blog wohl genug gesagt worden, kritische wie zustimmende Dinge zuhauf geäußert. worden. Für den einen reine Masche, für den anderen richtig angebrachte Provokation. Auf alle Fälle setzt Johannes sich intensiv mit heutigem Schreiben auseinander und verläßt dabei oft die Grenzen der reinen Kompositionskunst. Meiner Einschätzung nach – ich bleibe beim kompositorischen – hat er auf alle Fälle ein ausgeprägtes Gehör für das Zusammenspiel von Elektronik und leibhaftig gespielten Instrumenten. Mir scheint, er erzeugt bzw. erspielt mit dem Rechner oft ein elektonisch erstelltes oder verändertes Konglomerat, das er dann wiederum ganz frei oder streng be-komponiert, also Musik oder Musik über Musik hinzufügt. Das ist nun nichts grundsätzlich Ungewöhnliches, mir aus eigener elektronischer Erfahrung zuhauf selbst bekannt. Er lädt es inhaltlich gerne etwas dicker auf, als die meisten von uns.
Abgesehen z.B. vom Musikautorenförderpreis, der wohl auch die Medienseite Johannes‘ betraf, ehrt das Darmstadt-Stipendium wohl eher die rein-kompositorische Seite. Nichts gegen den Musikautorenpreis, das GEMA-Glamour ist momentan auf alle Fälle glorioler als das der Ferienkurse; denkt man an die beiden Mitnominierten des GEMA-Preises wird aber sofort klar, daß dort auch das Handwerk eine grosse Rolle spielt, sogar in einem breiter gefächerten Rahmen als in Darmstadt.
Was müssen die Preisträger unbedingt erfüllen? Die diesjährigen Glücklichen haben fast Alle Partituren mit dem ganzen avancierten Spieltechnikenkanon vorgelegt, diesen für sich modifiziert. So ertönen (erstaunlicherweise bildet da Kreidler eine gewisse Ausnahme) fast nur instrumentale Spezialklänge, so v.a. bei Prins und Barden. D.h., dass da wohl ein Hauptkriterium gelegen sein dürfte, nämlich wie dieser Katalog an Verfremdungen eingesetzt wird, fast noch wichtiger als formale oder dramaturgische Kriterien!
Diesen Eindruck habe ich v.a. bei Barden, der eine verfeinerte Nono-Tradition zu pflegen scheint, ohne allerdings auch nur annähernd dessen Sinnlichkeit und Tonhöhengefühl zu erreichen. Immerhin der Versuch einer „stillen Musik“, jenseits jeglicher Eintonverflachung oder der derzeit so überbeliebten Sclesisimulation.
Warum aber gab man Prins nun den Vorzug vor Kreidler? Prins‘ „Fremdkörper“ kann man auf seiner Internetseite nachhören. Unabhängig von allen inhaltlichen Anmerkungen dazu, die ich noch nicht las – ist das Stück eine einzige Klangverfremdung, ist das Ergebnis der Elektronik, die wie eine Reglersuche am Radio klingt, fast „realer“ als das, was die Instrumente produzieren. Es entsteht ein waghalsiges Rauschkontinuum zwischen Musikern und Zuspielung, die Grenzen dazwischen werden total zerstäubt.
„In hyper intervals“ von Johannes Kreidler: in diesem Stück verfliessen die Grenzen zwischen Instrumenten und Elektronik nicht so auflösend wie bei Prins. Eigentlich nähert Kreidler die Elektronik immer mehr dem Instrumentalen an, macht aus dieser ein zusätzliches Instrument. Er wird wohl v.a. beim Komponieren darauf reagiert haben, im Stückverlauf interagiert dagegen die Elektronik, nähert sich den spielenden Menschen, bei Prins entfremdet die Technik den Spieler dem Instrument. So könnte man Prins fast „kritischer“ deuten als Kreidler. Im rein technischen Sinne müsste ich das auch bejahen. Im haptischen Sinne, im Sinne von Bedeutung gewinnt allerdings Kreidler.
Was sagt das nun über die herrschende Jurorenmentalität in Darmstadt aus? Nach wie vor sind die Ferienkurse eine Börse für die neuesten Errungenschaften. Man macht aber immer noch einen Bogen um das Inhaltliche, um den wahren Zustand von Neuer Musik in der Wahrnemung über die Nischengrenze hinaus. Immerhin kommt man jetzt nicht mehr um die Bedeutungslust Kreidlers nicht herum. Man versteckt sich aber immer noch hinter rein technischen Details.
Auf alle Fälle arbeite ich streng an meiner eigenen Technik, um 2012 ggf. nicht nur als Besucher eine Chance zu haben. Es lebe dann die Esoterik hinter dem geduldigen Papier – das wird tatsächlich die neue Frage von Klangwahrnehmung sein. Mein Kollege Borboudakis konstatierte im Ferienkurs-Blog in etwa, das die Zukunft der Neuen Musik in der Interaktion von Geräusch und Elektronik bestünde. Das tut sie doch schon längst! Die Interaktion zum Medium Mensch als zuhörendes Instrument, das ist die Nouvelle Vague. Kreidler ist schon auf dem Weg, Prins dreht virtuos am Regler. Die Hinterfragung des reinen Reglerdrehens beantwortete Stockhausen aber schon längst bzw. öffnen sich doch bald neue Regler…
Aus der Ohrenwerkstatt,
Euer Alexander Strauch
Hallo, Alexander!
Deine Bemerkungen fand ich sehr interessant… Nur als Ergänzung dann, hier ist mein Website, wo ich mittlerweile noch wenig habe, aber in der Zukunft noch Partituren und anderes mitteilen will.
http://www.danielpuig.me
Wünsche Dir noch alles Gute!
Daniel Puig (Brasilien)