orlando di lasso als king of pop
münchen, taxi, lokalsender. münchner jackson fans haben die orlando
di lasso statue am paradeplatz in eine michael jackson gedenkstätte
verwandelt. migration der zeichen.
Musikjournalist, Dramaturg
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Da trauert die Fagemeinde schon seit Sommer 2007, siehe Fotos bei br-online, also ein institutionalisierter Trauer-Flashmob? Orlando di Lasso als King of the Pop der Renaissance, mit Sarabanden-Moonwalk? Der Vorname „Orlando“ klingt schon ein wenig nach Fussballidol.
Es ist einfach rührend, wie ein Renaissance-Komponist zum Platzhalter für einen Star des 20. Jahrhunderts wurde. Was könnte die Musik der zwei verbinden? Beide waren sie sicherlich keine ersten Grossmeister der reinen Tonkunst. Sie sind aber immer noch Vorbild für perfekte Showeinlagen. Ein optischer Genuß sind Jackos Shows selbst für mich Banausen gewesen, die erotisierenden Überschläge seiner hochgeführten Stimme Take That hoch zehn in einer Person. Weniger in der Auftrittsperformance, mehr im inneren Wesen seiner Musik war Orlando di Lasso ein wunderbarer Konkretisierer von Tieren, Natur und Gemütslagen – immer wieder ein Spaß, lange vor Haydns distinguierten Humor. Immerhin führt das Bayerische Staatsorchester als Hofkapelle zu Orlandos Zeiten seine eine Tradition auf ihn zurück, die andere wäre – dies viel eher – der Bezug zu der Mannheimer Hofkapelle, die Mozart so lobte, welche vom Neckar mit dem den kinderlosen bayerischen Kurfürst nachfolgenden pfälzischen Wittelsbacher Karl Theodor nach München kamen. Den verbindet man auch eher mit einem öffentlichen Platz, wie jetzt Jacko mit Orlando am Promenadeplatz: auf Karl Theodor geht der Englische Garten zurück. Das ist alles Landeskunde.
Wie sieht es aber gerade in der Musikstadt aus? Auf der Premierenfeier zu Marton Illes „Die weisse Fürstin“ als zweite Premiere der Münchener Biennale schwärmte ein Staatsopernmitarbeiter über den Fortschritt, den die kleine Zeltbühne der Oper auf dem Marstallplatz macht. Zwar steigen die Opernfestspiele erst im Juni/Juli. Wie auf der Wiesn müssen leichte Zelte in München aber Monate früher aufgebaut werden, Vielleicht ist es ja auch das heimliche „public viewing“-Zelt der Bühnenarbeiter zur Fußball-WM, etwas abgelegener vom Nationaltheater, das Bachler so streng mit Argusaugen auf sittsame Arbeitsmoral überwacht.
Die Premiere heute war mal wieder eher ein inner circle viewing als besonders „public“, auch wenn an jeder Litfassäule zuhauf Biennaleplakate prangen. Hat die Öffentlichkeit nun was verpasst? Wenn man den Besuchern zuhörte, bekam das ganze Spektrum zu hören wie: weniger schlimm als Maldoror von Philipp Maintz am Vorabend, viel konsequenter als jenes Stück, eine der besten Biennaleproduktionen aller Zeiten, langweilig, tief bewegend, so habe man Rilke (die Vorlage stammt von ihm) noch nie gehört, etc. Alles stimmt so ein wenig. Gut, Maldoror habe ich noch nicht gehört. Garantiert ist Maintz‘ Musik aber expressionistischer und komplexer aufgeladen als die Illis‘.
Marton Illis schreibt ja grundsätzlich eine Musik, die in ihrem Klangbaukastensystem wie ein Ligeti-Klangflächen-Derivat wirkt, ohne dessen Mikropolyphonie. Tatsächlich hat man meist zwei Stimmen, die dann clusterartig zugedeckt werden, oder zwei Klänge die gegeneinander geführt werden. Eine wahrlich blockhafte, klare und konkrete Sprache in ihrer Machart und Wirkung. Nur musiktheaterhaft war sie eigentlich nicht. Die hinter den Sängern und Sprechern platzierten Musiker wirkten wie ein Moviescore zum gesprochenen und gesungenen Rilke. Die Sänger waren sogar hier und da lauter als das in Klarinetten (sehr viele…)/Klavier/Schlagzeug auf der einen und Streicher auf der anderen Seite aufgeteilte Orchesterchen. Die Übergänge zwischen gesprochenen Text und gebrummelt-gesungenen Passagen des in einen solistischen Männerchor aufgespaltenen Dieners sind wirklich gemacht, sogar sehr sinnlich. Die Rollen sind überhaupt alle mindestens doppelt aufgeteilt, bis auf den Boten, der nur von einem Schauspieler gesprochen wird.
Das Stück scheint um eine alleingelassene Fürstin zu gehen, deren Mann sie zum ersten Mal seit der Hochzeit allein zurückläßt mit dem Personal (Diener und Zofen?). Sofort wird jugendstil-dekadent Walzer gesungen – mit Streicherglissandi gebrochen. EIn Bote kommt an, der von Krankheit und Gefahren aus dem Osten berichtet. Die Stimmung kippt. Die Fürstin ist wohl immer noch Jungfrau (wo ist der Mann wohl hin? Ins Leipziger Bordell?). Das Personal flieht vor der Krankheit, die Fürstin bleibt allein zurück als weisse Jungfer, weisses Gespenst.
Als sie gesteht, noch „unbefleckt“ zu sein, sind wir in einem Rotlichtfilm angekommen: die doppelten Frauen wälzen sich küssend am Boden. Der Bote fällt gleich zu Beginn ins Wasser, eine der Frauen auch mal, eine ertränkt sich am Ende in den immer wieder monochrom blau und rot angestrahlten Plexiglaswasserbecken. Da kommt mir eine blöde Idee: in Maintz Oper soll sich eine Frau auch zu Beginn mit Wasser übergiessen, hier planscht es gerne. Dann kommt bald die Amazonasoper – schon wieder Wasser. Hoffentlich bleibt es beim Motto „Der Blick des Anderen“, nicht daß es am Ende „Baden gehen“ heißt. Das wäre allerdings auch ein Titel. Man könnte die Leute zum Après-Oper an den Isarstrand laden, so wie die Urbanauten, die gerade um ihre Sommerstrände fürchten. Publikumsmässig wäre das allemal für die Biennale ausbaufähig.
Nun, die stärksten Momente waren heute immer dann, wenn die Sängerinnen zögerlich die Bühne nach hinten zu den Musikern verliessen und konzertant von Pulten aus sangen. Lesefreundlich war das Licht dort dann eher gelb als das Weisse-Fürstin-Weiss der Bühne. Das machte schon die reine Musik zum Ereignis im Gegensatz zu den Frauenküssen, da küssten uns einfach die Frauenstimmen… Der erste Fehler der Regie lag schon im Beginn: zum Einlaß schauten die Darsteller trotzig von der Bühne auf das hereinkommende Publikum, ein offener Anfang. Der Lärm schwoll an, senkte sich mit der Lichtstimmung. Und nun, Erwartung. Aber es kommt der Dirigent und läßt sich applaudieren. Sofort ist die Szene futsch. Dann kommt der Bote grandios stammelnd, aber in stadttheaterbilliger UPS-Kluft auf die Bühne, etc. Höhepunkt sind dann die Erste-Hilfe-Nachfüllpackungen an Mundschutzen und Chemiearbeiteroveralls. Der Münchern Feuilleton-Hautevolée lauschend fiel dann der Wunsch im Gedankenexperiment, ob das Stück z.B. unter der Regie von Jossi Wieler gewonnen hätte. Das hätte natürlich Vieles Wettmachen können. Letztlich lag es aber auch an der Musik, so konsequent sie auch ist. In ihrer Klarheit war sie eben Filmmusik des gepflegten Jugendstil-Psychoanalyse-Grauens, glitt trotz wundervollen Schnittstellen immer wieder ins reine Sprechtheater ab, hielten die vielen Pausen die Spannung nicht, gab es viele kammermusikalische Aufmerksamkeiten (unglaubliche fünf- bis sechsstimmige tiefe Klarinettentriller – gleich als Nachtrag ins Instrumentationsbuch von Berlioz/Strauss!). Und letztlich bediente sich die Musik dann doch wieder im Klischeeladen der Neuen Musik der Cluster und Klangflächenzeit der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Da half die ganze konsequente Kargheit nicht, sie blieb immer Bühnenunterstützung, bis auf die konzertanten Notenständersoli der Frauenstimmen.
Wenn sich also eine Zweite Moderne herausgebildet haben sollte: im Carl-Orff-Saal beginnen Opern der Biennale immer mit einem Bumm, dann lange Pause. So bei Hosokawa, bei Lang, bei Illis… Also, sie kommt in die Jahre, die Biennale. Jetzt ist sie 22 Jahre alt! Ich musste so heute auch an die ersten, oft etwas lahmen Puppentheater denken, aber da nahmen Eggert und Widmann ihren Anfang. Im Carl-Orff-Saal sah ich 1990 die Premiere von Boses „63 Dream Palace“, eine Musik, expressiv, dennoch zurückhaltend, Revueelemente, Passacaglien, Drama, Geschichte, Gesangslinien statt dem heutigen Septen- oder Eintonsingsang. Man hatte Hoffnung, daß die Oper aus dem Carl-Orff-Saal in die Öffentlichkeit drängt. Fast jede Vorstellung ausverkauft, es gab nur Restkarten mit Warteliste. Und das in vielen Biennalproduktionen. Natürlich gab es später dann einen Rückgang an Produktionen, hatte sich erste Neugier gelegt. Dennoch gab es statt Rauschen im Feuilleton und Litfassäulen mehr Öffentlichkeit, die tatsächlich szenefremd kam. Heute ist es fast nur noch Szene oder interessiertes Publikum, was man zwar etwas geballter sieht als in Einzelveranstaltungen, aber doch die gleichen Gesichter wie immer hat. Das ist eine nette Gemeinschaft, ist aber doch ein wenig suhlen im eigenen Fett.
Ob es also dann mal Trauerflashmobs am Denkmal der Zweiten Moderne in 300 Jahren geben wird wie bei Orlando di Jacko?
Junge Menschen suhlen sich im 21. Jahrhundert in einer Kunstform des 19. Jahrhunderts.
So etwas lächerliches, überkommenes, altbackenes und phantasieloses kann man wohl nur als „gelegtes und gehegtes“ Akademie-Ei aus der Rihm – Komponisten – Legebatterie gut finden.
Nichts, aber auch gar nichts, wird mit so einem Werk hinterfragt, aufgebrochen, vorwärts oder seitwärts bewegt.
Wie Michael Gielen neulich in einem Interview sinngemäß sagte: „Nach Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ ist keine auch nur in Ansätzen relevante Oper mehr komponiert worden“.
Kein Wunder, wenn das Publikum mit den Füßen abstimmt und nur noch Schleppenträger hinlatschen.
Keine Idee zu einem Musiktheater in der Jetztzeit.
Wahrscheinlich ist das einfach aus und vorbei.
Was bleibt sind ein paar Randbegabungen, die mit ewig gleichem Getöne die Form vor silbergrauem Restpublikum zu Grabe tragen.
Etwas zu pessimistisch scheinen Sie mir da doch zu sein, lieber Herr Horner!
Sie sagen: „Junge Menschen suhlen sich im 21. Jahrhundert in einer Kunstform des 19. Jahrhunderts.“
Nun, die Oper scheint ja doch noch eine Suhlwohlfühlgrube zu sein. Trotz Photoshop und Konzeptkunst malen manche Zeitgenossen immer noch, einige zehntausend Jahre nach Lascaux und Jahrhunderten nach Giotto, Monet und Co., seit den Sumerern wird heute immer noch geschrieben, seit über 2500 Jahren griechischer Tragödie und römischer Komödie gibt es immer noch das Theater, seit 120 000 Jahren Mousterien spielen immer noch Flöten eine Rolle. Wie jung ist da doch die Oper, als leicht ältere Schwester des Film. Also ist es doch erfreulich, wenn sich Komponisten der Kategorie jung (da wird man heute auch sehr alt, mit 50 ist man noch Nachwuchs…) damit herumschlagen.
Zurecht ist natürlich das „wie“ angerissen: „So etwas lächerliches, überkommenes, altbackenes und phantasieloses kann man wohl nur als “gelegtes und gehegtes” Akademie-Ei aus der Rihm – Komponisten – Legebatterie gut finden.“
Komponisten-Profs legen also Eier und es schlüpfen kleine Dinos. Jungs und Mädels unter 10 Jahren würden sich da wenigstens doch so manches müdes „süüüß“ zu sagen trauen. Phantasielos würde ich die Ergebnisse nicht unbedingt nennen, eher Versuche, Erstlinge, die jetzt nicht unbedingt Neues bieten (indifferente Psychofrauen, eine davon, gibt es z.B. schon bei Debussy im Pelleas, in Strauss‘ Salome, als einziges Wesen auf der Bühne in Schönbergs Erwartung), allerdings durch die Biennale-Struktur nach aussen als des Kaisers neue Kleider angepriesen werden (ich denke oft an „Zweite Moderne gleich die Avantgarde des polierten kulturpolitik- und feuilletonfreundliche Kulturmanagements“…). Eigentlich ist und war das ja der Sinn der Biennale, auch jüngsten opernaffinen Komponisten ein Experimentierfeld zu bieten, das sie auch schon mal Hochkulturluft schnuppern läßt. Mit jetzt hauptsächlich mit Staats- und Stadttheatern koproduzierten wenigen Stücken sind die Jünglinge sofort auf die grosse Festivalbühne wie die grossen Bühnen der Partner geworfen. Und das mit den Erstlingen! Da sind eigentlich mehr die Hochschulen gefragt, wobei die ihre Gesangsstudenten lieber mit Zweitlingen von Zeitgenossen traktieren sollten (grossartig in meinem Münchner Sumpf „Tre Sestri“ an der Theaterakademie!!). Ich selbst profitierte ja von solchen Trakturmöglichkeiten. Noch stärker sind aber die Grossen und Mittleren Häuser angehalten, jungen Komponisten Werkstätten zu bieten. Nicht als Kinderopern – da sollte man auch schon mehr Musikweisheit für die kleinen Opernbesucher mitbringen! Nein, als Werkstattbühnen, wo man auf ältere Profis trifft, die man überzeugen muß, die es dann sehr gut umsetzen können, die nicht alle virtuelle Studentenprofis sind, die aber dennoch in dem abgegrenzten kleineren Rahmen erste Sechzig- bis Neunzigminüter zulassen. Am Besten jedes Jahr zwei davon pro Haus! Was für ein Ausstoß wäre das, innerhalb von zwei Jahren hätte eine kleine Bühne wie Hof z.B. ein komplettes Biennaleprogramm, und das mal soviel, wie es eben noch Opernhäuser im Lande gibt plus all die freien Kleinstproduktionen. Da könnte man dann auch mal mehr als nur „Randbegabungen“ antreffen, fände leider auch viel Schrott, aber eben auch Juwelen, die die lahmende Mühle Oper neu belebten, auch und gerade besonders für jüngere und mittlere Erwachsene.
Wenn Sie sich jetzt auf Zimmermann beziehen: den kennen also am ehesten Leute, die Anfang der 70er Anfang 20 waren, also heute tatsächlich würdevoll silbern durch die Festivals touren. Garantiert war das für die damaligen Teilnehmer der ersten Aufführungen ein grandioses Erlebnis, das Maßstäbe für alle weiteren Opern setzte. Nun wissen wir ja, das die „Soldaten“ ein Werk über die Perversion des Kriegs und des Soldatenlebens in einer militarisierten Gesellschaft sind. Zimmermann erlebte als junger Mann ja 2. Weltkrieg und davor eine militarisierte Gesellschaft sowie die auch für mich in de 80ern als Pubertierender noch spürbare Angst vor dem Atomkrieg, alles reale Lebensechtheit für den Zeitkugler Zimmermann. Man vergesse auch nicht seinen Suizid – das wäre dann das Karriereziel?
Wie sollen nun aber meine Generation und die mir folgende Generation Stücke über Kriege aus eigener Lebenserfahrung, die wir keine hautnah erlebten, reihenweise nicht suizidal veranlagt waren oder von unseren Eltern frühzeitig zu Therapeuten gebracht worden sind, aktuell uns nur vor Klimawandel, der sich mal androht, dann wieder ein wenig in nächste Generationen in seiner Totalität vertagt wird, und Al Quaida oder schlichtweg Hartz IV fürchten, solche totalen, genialen aber leider auch vollkommen hypertrophen Stücke schaffen? Wie gesagt, die Therapieerfahrungen machen dann wohl die Wiener Schule-Psychofrauen wieder interessant. Hartz VI erwartet uns Alle sowieso in seiner Höhe als Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter, nachdem die letzten Groschen unserer reichen Mittelstandseltern in de Musentempeln verkleckert worden sind. Warum dann ein Solzialdrama schreiben, wenn das die Daily Doku Soaps schon machen, also keinen Wozzeck mehr. Oder doch Sozial-Operetten? Und zum Klimawandel – insgeheim freuen wir Prekariatskomponisten uns doch schon darauf, daß wir nicht wie unsere Jura-Abi-Kollegen soviel Geld für Fernreisen ausgeben müssen, wenn in 20 Jahren für uns dann Frührentner dann Hurghada am Starnberger See liegt. Und Al Qaida – manche Kulturpolitiker stellen uns sowieso schon in diese Ecke…
Es fehlen also Orte und Themen für unsere feuchten Opernträume? Wenn Opern und Festivals so öde weitermachen, Programmbestimmer sich nichts trauen, dann fehlen die Orte. Die Stoffe: ich hätte die Soldaten lieber immer als Komödie – als sarkastische – gesehen und gehört. Die Konzeption Zimmermanns, die Musik, die Polydimensionalität, Alles wirklich genial. Aber auch schon genial vorgekaut von Herrn Lenz! Ich finde, daß man davor zu ehrfürchtig erstarrt. Manche Kollegen klingen beim Raunen über Zimmermann so wie das frühe 20. Jahrhundert in Bezug auf Parsifal. Natürlich ist die Logistik dieses Stückes nach wie vor was ganz Besonderes für die Opernhäuser, aber auch immer sehr problematisch. Man kann natürlich die verrücktesten Dinge damit in Riesen-Ruhr-Triennale-Hallen machen. Nur: der ganz o.g. Jacko bewegte mit seinen Stadienshows durchaus mehr.
Warum sollen wir Jungen also diesen Orga-Wahnsinn weiterbetreiben? Wo doch auch kleinste Neue Musik in Theatern immer noch Schrecken verbreitet oder Nicht-Ernstnahme erzeugt. Also drängt es uns zu anderen Stoffen. Da wir aber nicht adäquat das Opernhandwerk erlernen können, bis auf ganz wenige Glückliche, sind dann so Biennaleerstlinge mal eher bunte oder öde Schrotthaufen als Würfe. Davon ausgehend könnten dann auch noch später schöne Sachen entstehen. Die zweite Chance für ein reiferes Werk versagt aber der Betrieb. Zweite Chancena haben dann nur Komponisten, die nicht weh taten. Ha – sogesehen werden Maintz und Illes garantiert bald Chancen bekommen. Jens Joneleit, der letzte Biennale mit seinem „Piero“ darf nun sich von Schlingensief verwursten lassen. Da wird Eggert nur stöhnen können.
Also eine Anekdote aus der Premierenfeier 2008 zum „Piero“: Über das Stück liesse sich durchaus streiten, die Musik zeigte schon kammermusikalische Begabung, ähnlich wie Illes. War aber wieder mal unkonkret und diffus als Bühnenwerk, aber das gilt ja als modern im Sinne von „kompatibel“. Nun, nachdem wie üblich die Münchner Premierengäste sich bei des Festivalsleitersrede lauthals weiterunterhielten, erzürnte sich der Frankfurter Opernintendant Loebe – eigentlich zurecht – und wurde zum Löwen, als der er die bayerische Wurstigkeit tadelte. Wirklich aufhorchen ließ mich aber folgender Satz: Jens Joneleit sei bei aller Begabung und implizierter Rihmhaftigkeit (so NICHT gesagt, aber zwischen den Zeilen hörbar) v.a. ein Künstler, der sich mal was sagen liesse. Nehmen wir nun Zimmermann als Gegenpol: also ist Joneleit ein Künstler, der sich wunderbar vom öden Opernbetrieb formen läßt. Sprich: nicht der Komponist schreibt die Oper, nein das Festival, das Haus wird kuratorisch zum Konzeptkünstler und läßt eben mal so nebenbei die Dienstleistung „Komposition“ zu. Jens Joneleit, den ich selbst wirklich bemerkenswert finde, als einer, wo die Institution „Neues“ machen kann, was man eben so indifferent darunter versteht (langsam, leise, ein bisschen Singsang, viel Sprechen, keine inhaltliche Stellungnahme die über Grundkurs Psychologie hinaus geht, Geräusche, Nonen und Septen, Erinnerungen an Lachenmann, Nono und Berg, gründelnd, aber nicht verstörend, auch wenn man sich dann „verstört“ nennt) aber bitte nicht vom Neuen wirklich heimgesucht wird. Neue Musik als Kyrie, welches credoartig vor der bösen Zeitgenossenschaft bewahren soll, als Zeitungs-Gloria der Moderne oder des zumindest mal wieder gewagten Bußübungsrital „Musiktheater“.
Tja, so wird es immer weiter bachab gehen, wenn nicht mal wieder existentielle Nöte jenseits von Hartz VI oder Privatinsolvenz oder Liebesverlust uns Schreiber heimsuchen werden oder man uns trotzdem zutraut, Existentielleres zu wagen. Das gelingt aber wohl eher in Drittlingen, als den maßlos überschätzten Erstlingen. Sogesehen haben Sie vollkommen Recht, lieber Fred Horner. Und den Zimmermannnachfolger gibt es vielleicht doch irgendwo. Der wird aber bei diesen Strukturen nur weiterkommen, wenn er mal an der Börse so ein paar Millionen einheimst, um dann in alten Stahlwerken alles zum Drehen und Wackeln zu bringen.
Oder sollte Herr Schlingensief der Nachfolger Zimmermanns sein? Das ist er aber auch nicht. Er ist garantiert ein adäquater Nachfolger eines Regiesseurs wie Schleef oder weiß ich wem, ich blöder Theaterbanause! Er kümmert sich bewußt um die Dritte Welt und kritisiert sich dabei wieder zugleich, meint es ernst und total unernst. Schöpft wohl aus existentieller Lebensangst, die ihm Klarheit verschafft. Aber selbst ihm würde als Komponist die Zimmermannsche Frontgrabenkampfangst abgehen, Joneleit wohl erst recht. Also laßt uns Zimmermann mal ein bisschen tätscheln und beseite stellen, Joneleit die Klauen schärfen, daß sich die Theater nicht nur vor Schlingensief fürchten.
Aber vielleicht haben wir ja schon einen Löwen unter uns, fauchen kann er ja: Wechselstrom alias Christian Theiler. Sein nun aufgeführtes Re-Entry scheint ja ganz gut zu munden, selbst die vorgeblichen Embryonalschnitzel scheinen dies ja zu tun, ganz im Gegensatz zu der deutschen Balkanexklave Österreich, wie man der FR entnehmen kann… Da scheint wohl auf eine doch leichte und sinnige Art und dennoch mit Schwere das Leben der Jetztzeit in seiner Banalität und doch für den Einzelnen persönlichen Tiefe verhandelt zu werden – Hut ab, Herr Theiler und Gratulation!!
@Fred Horner:
zuerst einmal: Oper ist eine Kunstform des frühen 17.Jahrhunderts, nicht erst des 19. Jahrhunderts.
Das 19. Jahrhundert ist auch nicht unbedingt das interessanteste Opernjahrhundert, auch wenn mir hier Millionen von aufgebrachten Wagnerianern widersprechen mögen. Es stimmt allerdings, dass es dem 20. Jahrhundert musikalisch nicht genug gelungen ist, das 19. zu überwinden, aber für das 21. Jahrhundert besteht definitiv noch Hoffnung.
Dass andere späte 20. Jahrhundert-Opern, die genauso großartig sind wie „Die Soldaten“, sich in einem atrophierten Spielbetrieb nicht durchsetzen können, der sich allein Spektakel wie „Die Soldaten“ leistet (eben hauptsächlich des Spektakels wegen) – das wäre noch einmal ein ganz eigenes Thema.
Aber Kommentare wie der Ihre erinnern mich immer an ähnlich apodiktische Behauptungen wie zum Beispiel Brahms‘ Spruch „Was kann nach uns noch kommen?“ am Ende des 19. Jahrhunderts. Naja, dann doch noch einiges. Eine der schlimmsten Krankheiten des europäischen Musikbetriebes ist die seltsame Sehnsucht, immer einen Endpunkt definieren zu wollen, nach dem es nur noch abwärts gehen kann. Natürlich ist man dann selber dieser Höhepunkt, ist doch klar!
Würde man dieses „europäische Zweifeln“ hypothetisch mit dem tatsächlichen Verlust von Qualität gleichsetzen, so ist es rein dem Empfinden nach seit den Bachsöhnen stets abwärts gegangen mit der europäischen Musik (zumindest gab es immer Unkenrufer wie Sie, die genau dies behaupteten, all das ist in unzähligen historischen Texten verbürgt und heute ulkig zu lesen).
Brahms meinte es ironisch, ich hoffe Sie auch – mahnen Sie ruhig, aber haben Sie auch die Größe, sich die Neugier auf den Beweis des Gegenteils zu bewahren. Nicht nur die Zeichen, auch die Qualität erneuert sich immer wieder durch die Zeiten hindurch.
Moritz Eggert
@querstand,
Danke!
Kleiner Nachtrag zur Produktion:
Der Anfang spielt in einer grösseren Halle mit zwei Eingängen, das Orchester ist aufgeteilt in Streicher und Bläser, die jeweils Rücken an Rücken spielen. (Koordination erfolgte über Dirigentenkamera und Monitor).
Die Reichen kamen zum Eingang 1 herein und sahen die Streicher spielen, die Armen bei Eingang 2 zu den Bläsern.
Die Reichen zahlten 19,– Euro (viel zu billig), die Armen 9,– Euro.
Wer wohin gehörte war der Selbstdefinition überlassen, wurde auch nicht geprüft und/oder hinterfragt.
Erstaunlich, und das war nicht nur in der Aufführung, sondern vor allem beim Probenpublikum (HP und GP), das nichts zahlen musste, und das um die Hintergründe wusste so:
Die Reichen besetzten, obwohl der zur Verfügung stehende Raum mit der Kasse verstellt war sofort breitbeinig das ihnen zur Verfügung stehende Zuschauerareal, während sich die Armen traubenartig an der Wand herumdrückten und sich kaum einen Schritt zur Mitte hin bewegten.
Bescheidener Geldbeutel erzeugt bescheidenes Verhalten – das war kaum vorhersehbar und hat mich selbst erstaunt, verwundert und irritiert.
@ eggy:
wir alle wähnen dich bei aufsteigender Gesundheit und freuen uns.
Beste Grüße aus dem Labor
– wechselstrom –
@ Lieber Christoph und Moritz und querstand,
soviel Harmonie allseits ist ja schon fast unheimlich.
:-)
Christoph nochmal Dir herzlichen Glückwunsch für das tolle
Opernprojekt. Und das klingt ja klasse vom Konzept her und zeigt ja, dass es sehr wohl noch neue Ideen gibt
und dass Oper heute (zumal wenn sine irgendwie gesellschaftskritisch und humoristisch etc.) ist, keineswegs am Ende wäre.
Jaja, „DAS ENDE DER KUNST“ ganz berühmter Mythos,
der immer wieder gerade in der MUSIKGeschichte bemüht wurde.
Denk ans Komponieren Christoph für … du weißt schon.
Liebe Grüße,
Erik
Können Komponisten singen? Können sie ihre eigenen Werke singen? Oder zumindest die ihrer Kollegen? Da könnten sie doch zu einer Art Orlando di Jacko werden, wie ja Patrick Hahns kurzer Twitter lange Kommentare meinerseits auslöste.
Die dritte der eingangs gestellten Fragen beantwortet sich die nächsten Tage, wenn Moritz Eggert zum ersten Mal als Schamane in Klaus Schedls TILT, als erster Teil der Amazonas-Oper vokalartistisch auftreten wird. Ich durfte schon einmal als Tenor einspringen in einem kleinen Musiktheater von Andreas Stahl…
Wenn man sich so papiern wie online durch die ersten Kritiken zu Philipp Maintz‘ „Maldoror„ durchwühlt, bekommt man zwei Meinungen vorgesetzt: der junge Kollege schriebe wundervolle Kammermusik, die sich aber dem Theater entzöge bzw. die Regie weder Sujet noch Musik gerecht werde; Maintz habe einen genialen Opernerstling gelandet.
Genialisch geht es fürwahr zur Sache in den GESÄNGEN DES MALDOROR des Isidore Ducasse alias Lautréamont. Sie sind ein Gesang auf das Böse, übertreffen Faust und de Sade an Lebenshaß und Haß auf das Gegenüber und den Genuß daran. Bevor Ducasse übrigens noch eine Gesang auf das Gute schreiben konnte, verstarb er während der Belagerung Paris‘ im deutsch-französischen Krieg 1870. Die Form ist so offen, die Bilder sind so grell, daß das späte 19. Jahrhundert sich erst gar nicht damit anfreunden wollte. Erst die Surrealisten beziehen sich voll und ganz auf dieses Buch. Der berühmteste Satz, der diese beinflußte lautet:“Das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“, was Man Ray zu seinem Werk „The Enigma of Isidore Ducasse“ inspirierte.
Wenn man so einen Satz liest, sieht man sofort einen Regenschirm mit einer Nähmaschine flirten, bevor beide Mittäter einer Obduktion werden. Es geht also richtig offen zur Sache, die Musik müßte an Farbigkeit – jenseits von instrumentaler Farbigkeit, ein Hauptmerkmal der Maintzschen Partitur – nur so sprühen. Philipp Maintz hat sich davon allerdings nicht beeindrucken lassen wollen. So unerklärlich, also hermetisch das Ur-Böse einem erscheinen mag, so hermetisch wollte er seine erste Oper wirken lassen:„Für mich war von Anfang an klar, dass diese Oper ein hoch artifizielles Gebilde sein muss und eine gewisse Hermetik hat. Bei der Arbeit an der Musik herrschte in meiner Empfindung eine kühl bläuliche Farbe vor. Es lag natürlich ein großer Reiz darin, eine Form für die Inhalte zu finden, die eine kaum zu überbietende Brutalität haben, aber sprachlich unglaublich elegant daherkommen. Das war in meiner Vorstellung nur in einem abstrakt-artifiziellen Rahmen möglich“. Das ist natürlich ein Weg. Allerdings führte er geradewegs in die Langeweile, wenn man solch eine Hermetik in dieser 90-Minuten-Oper erleben soll.
Unterstützt wurde das schon von einem sich kaum ändernden Bühnenbild, von einer ewigen langsamen Einheitstemporegie. Das kann man natürlich ändern, damit hat der Komponist nur sekundär zu tun. Wobei ein szenischer Entwurf immer auch ein Spiegel der musikalischen Vorlage ist, selbst in extremer Gegensetzung: es folgt der Partitur oder es bürstet sich gegen diese, Ausgangspunkt bleibt aber immer die geschriebene Vorlage. Also kann man da Maintz nicht vollkommen exkulpieren.
Ist aber die Musik losgelöst vom Theater so wirkungsvoll, daß sie als solche bestehen könnte? Vom Höreindruck lher äßt sich zumindest sagen, daß Maintz den Figuren- und Instrumentationskanon der „Neuen Musik“ höchstwahrscheinlich mit einer 0,5 im Abschlußzeugnis absolviert hat, was Kenntnis dessen und korrekte Anwendung betrifft. Das sagt uns aber, daß diese Musik letztlich genau exekutierte Neue-Musik-Musiktheorie ist. Ist es aber perfekter Tonsatz? Neben all den fehlenden musikdramaturgischen Kontrasten fiel der unhandliche Umgang mit dem Gesangsstimmen auf.
Einerseits sollte das Stück für die Spezialistin Marisol Montalvo geschrieben sein. Da nimmt es aber Wunder, daß sie in tiefen Lagen akustisch nur erahnbar blieb, was weder einer Indisposition ihrerseits noch dem Bühnenraum geschuldet war. Letztlich ist es ein Widerspruch von Stimmlage und Instrumetation, die trotz „pp“ in ihrer Dichte immer ein gesundes „mf“ darstellte, was natürlich der Tod für solch eine heikle Sopranlage darstellt. Wenn man nun in der Abendzeitung (R. Braumüller) liest, “Maintz kann farbig instrumentieren (.) er liebt Stimmen und verschmäht Ensembles nicht“ kann ich das nicht bestätigen. Das Dauergewabere im Orchester mag den Eindruck von einer gewissen Allerweltsvirtuosität im Instrumentieren unterstreichen, Maintz liebt vielleicht die SängerInnen. Ensembles sind aber rein collagenhaft gemacht, die Stimmen schwingen niemals im Sinne einer Personenzeichnung, sie zeigen nur das Stammeln von Traumatisierten, stottern aber besonders aufgrund von Problemen Maintz‘ mit den Tonhöhen an sich und besonders der des Vokalen.
Nun zeigt sich gleich, warum Erik Janson Recht haben könnte, wenn er vor Veröffentlichung von Noten im Internet warnt, auch wenn er selbst kleine Ausschnitte auf seiner Seite zeigt (übrigens sehr eindrückliche… das muß ich bei Allem persönlichen Hickhack meinerseits doch mal coram badblog sagen!). Ein Werk Maintzens auf dem Weg zu MALDOROR ist der Soprangesang OCEAN als ausgeklinktes Werk namens. Unter http://www.philippmaintz.de/index_werk/BA9729.pdf zeigt er ein paar Takte davon auf seiner Homepage. In Takt 266 ff. singt der Sopran in oberster Lage b-a-h, zwischen mf und ff. Die in ähnlicher Lage spielenden Steeldrums, Klavier und je erste Violine, Viola und Cello erhöhen einerseits den immer wieder bestätigten pseudovirtuosen Charakter. Letztlich sind sie simpel hetereophon, simulieren also im Atonalen für ungeübte Hörer Kontrapunktik. In ihrer klanglichen Konsequenz gefährden sie trotz der Kammerbesetzung den ff-singenden Sopran an Durchschlagskraft und Textverständlichkeit. Wenn dann das Wort „deux“ ausgehalten wird, also das Verständnis nicht mehr gefährdet wird, da lichtet der Satz der hohen Instrumente mit Haltetönen, derweil es in tiefen Regionen wuselt. Da offenbart sich auch gleich das zweite Tonhöhenproblem. Nehmen wir die Linie der Vla. 1 in Takt 267. In ihrem ausfüllen von Sekunden und Terzen hat sie natürlich was Sangliches im Sinne der Neuen Musik. Im Sinne von Charakteristik ist es aber Neue-Musik-Allerweltsgedudel. Ähnlich verhällt es sich mit den Tonhöhen der tiefen Stimmen die Takte 267 ff. So sieht man beispielsweise am Ende der Klavier-32tel von Takt 269/270 drei aufeinanderfolgende Quinten, ein Tabu auch im atonalen Tonsatz, wenn Quinten nicht konstituierend gebraucht werden. Da sie dies hier nicht machen, weist dies auch wieder auf die Inkohärenz des Maintzschen Tonsatzes. In Takt 267 scheinen die Quinten akustisch einmal durch, werden aber schriftlich verschleiert: in den Bläser von der Flöte abwärts als ais-es-gis statt offen b-es-as. Ein weiteres Merkmal für Tonhhöhenprobleme ist der Klavierakkord in Takt 267/268. Er läßt an einen spektralen Klang über der Quarte g-c als 3. und 4. Oberton denken. So hört man ais als b (7. Oberton), fis als zu hoher Viertterton von f (11.) und h (15.), also 3+4=7, 7+4=11, 11+4=15. Zu denken gibt dann das gis als Sekunde unter dem ais. Dann ein Blick auf die Töne der Harfe, die die wunderbare Sept zwischen c und ais=b mit d und es ausfüllt. Diese „falschen“ Töne wären nun denkbar, wenn es nicht nur ein Oberton- sondern auch Untertonklang in beider Kombination wäre. Scheint er aber nicht zu sein. Also genauso eine Simulation von „etwas“, also hier Spektralistik wie die Heterophonie für Kontrapunkt. So geht es dem Höreindruck nach im ganzen Stück zu.
Die Betrachtung des Soprans in Takt 269 ff. zeigt dort nun echte Durchschlagskraft. Die Aneinandereihung von kleinen und grossen Sekunden, Terzen und Septen samt Quarte und Tritonus sind nun typische Neue-Musik-Intervalle. Es scheint eine Spannung zwischen f2 und fis3 aufgerissen zu werden. Um das zu Halten, müßte nach dem Spitzenton fis3 eine Entspannung oder andere Spannungsrichtung aufgebaut werden. Dies passiert aber nicht. So wie die Töne aus 269/270, werden diese klangräumlich, gesanglich geradeso konsumerabel fortgesetzt, als sei mit diesem wahrlichen Spitzenton nichts passiert. Aber es scheint dieser Klangraum keine Rolle zu spielen. Statt nach der Spitze zu modulieren, verläßt Maintz ihn über die bisher gemiedenen Noten e, es, a und as Richtung g. Besonders störend wirken auf mich im atonalen Satz allerdings auch die mir zu offenen Oktaven zwischen fis2 und fis3, sowie g2 und g1 – das kann man aber gerne als Geschmack abtun.
Insgesamt läßt sich aber eine immerwährende Tonhöheninkonsistenz über 90 Minuten schlußfolgern, auch wenn das natürlich anhand von zwei Partiturseiten problematisch im Rückschluß zu sein scheint. Mit seiner Vorliebe für das Dunkle, das Poetische scheint Maintz in einer Tradition mit dem Bärenreiterverlagskollegen Pintscher zu stehen. Hier ein nur ganz kurzes Beispiel von diesem: Unter http://www.matthiaspintscher.com/download/Schneebilder.pdf findet man einen Ausschnitt aus „Lieder und Schneebilder“. Das Wort „birds“ wird hier mit Sekunden, Nonen und einer als übermäßige Quinte getarnten Sext vertont. Dies ist allerdings trotz des Neue-Musikl-Allerwelts-Tonfall äußerst konzise gesetzt. Allein z.B. die Ausfüllung der Klavier-Großsekunde in Takt 6 von e und fis mit dem oktavhöheren f zeigt ein Mindestmaß an Tonhöhenverständnis, was Maintz leider fehlt. So wundert es auch nicht, daß im Gegensatz zu ihrem Auftritt in MALDOROR Marisol Montalvo so unglaucblich mit Pintschers Herodiade-Fragmenten reüssieren konnte. Zudem: als man Pintscher bei Bärenreiter aufnahm,scheint man doch nicht ganz unvorsichtig gewesen zu sein. Bei Maintz wundert es mich doch schon, wenn die Neue-Musik-Verantwortliche Marie Luise Maintz den gleichen Namen trägt, auch aus Aachen stammt, also familiäre Bande da eine gewichtige Rolle spielen, die dann auch einen Szeneerfolg durch den Verlag absichern sollen.
Was bleibt? Freude auf Klaus Schedl, der ja sogar auch schon mal selbst seine wunderbaren FLEURS DU MAL rappte, auch ein abründiger Franzose, dieser Baudelaire. Also müssen wir auf das Genie noch warten, das Ducasse knacken wird. Ich setze auf Schedl!!
Morton Feldman:
„Wenn ich ehrlich sein soll, muß ich zugeben, daß mir bewußt geworden ist, daß es für meine Musik kein Publikum gibt. Ich kann nicht für die zeitgenössische Musik insgesamt sprechen. Ich jedenfalls habe nie ein Publikum gehabt, und deswegen hatte ich auch nichts zu verlieren. Jetzt gewinne ich allmählich ein Publikum, also habe ich wirklich verloren…“
@Alexander (querstand) u.a. – ganz ehrlich, was hier über die Biennalestücke geschrieben wird ist ziemlich differenziert im Vergleich zum Feuilleton bisher! Wenigstens geht es hier um Kritik im Detail und nicht um ein Abschreiben der Gattung Musiktheater generell (was im Moment so der Tenor der Kritiker zu sein scheint).
Gestern saß ich nach dem Orchesterkonzert mit Ulf Schirmer mit einigen Biennaleverantwortlichen zusammen, u.a. mit S.M. und P.R., und man klagte (wohl zu Recht) über Brembecks jüngste Tirade. Was meint ihr dazu? Ist neues Musiktheater generell ein Irrtum?
Und kleine Korrektur: in Klaus Schedls (wirklich hervorragendem übrigens) Stück bin ich (gottseidank) KEIN Schamane, sondern eher so eine Art perverser Walter Raleigh. Passt ja auch besser zu mir :-)
@eggy
ZEIT: Sie haben noch viele Uraufführungen dirigiert, aber seit 20 Jahren äußern Sie sich pessimistisch über die Zunft. Die Moderne befinde sich im Winterschlaf…
Gielen: Es hat keinen neuen Aufbruch gegeben nach dem großen expressionistischen Aufbruch und dem nach dem Zweiten Weltkrieg, der Serialität, also Webern und Nachfolgern: Boulez, Stockhausen. Es kann daran liegen, dass ich zu alt bin, um zu verstehen, was die Jüngeren wollen. Ich finde die meiste Musik regressiv, die geschrieben wird. Helmut Lachenmann, György Kurtág, Klaus Huber schreiben wunderbare Musik. Zwei von ihnen sind über achtzig! Das ist kein Aufbruch.
Aus
http://www.zeit.de/2010/18/Gespraech-Michael-Gielen?page=1
:-)
ja, genau, über die siemenspreisverleihung wird noch zu sprechen sein…
@ eggy – Zu Brembecks „Tirade“ zu schreiben, wird nicht jedem hier leichtfallen, vorausgesetzt er/sie hat die Suüddeutsche greifbar oder das epaper abonniert. Ich habe sie noch nicht als Post-Klolektüre recycelt. Von Brembeck will niemand verrissen werden, so verstehe ich die Migräne von S.M. und P.R. durchaus. Das Kopfweh verursacht in erster Linie die Überschrift „Verrat am Theater“.
Gefolgt von einem Untertitel, der aber fast wieder schmeichelt, wenn man sowieso nur ungern oder besonders gegen die „Gesetze der Bühne“ komponiert:“Beispiel Musiktheaterbiennale: Warum viele neue Opern an ihrer zu gut komponierten Musik scheitern“. Nun, da würde ich widersprechen, denn „zu gut“ war Maldoror auch als reine Musik nicht, siehe mein vorgestriger Kommentar. Für den, der aber die Musik Maintzens für großartig hält, ist das ja fast eine Bestätigung für den eigenen dann wohl für „gut“ zu haltenden Geschmack. Im ersten Absatz schreibt Bremnbeck, daß sein Eindruck aus er Headline zu oft bei der Münchener Biennale vorkomme. Ein begabtes Team habe sich intelektuell angestrengt, einen „Tanz um ein Goldenes Kalb“ vollführt – wohl das Theater und seine Dramaturgie. Nur habe man das Kalb in den 90 Minuten nicht gesehen.
Daß das Musikteam durchaus eine sehr gute Leistung vollführte, würde ich auch nicht bezweifeln. Die Dramaturgie je der Inszenierung und der Musik einzeln aber waren schon schwierig, im Falle der letzteren eigentlich im Sinne des Musiktheaters schwer nachzuvollziehen, bis darauf, daß die Musik grundsätzlich ein gewisses „Grundrauschen“ hatte, das ab und an ein Dräuen des Bösen ankündigte, dies aber nie einlöste oder den Schrecken des Schweigens vollzog.
Weiters stellt Bremneck fest, daß allzu oft Macher im Musiktheater am Werk seien, die aber offenkundig und selbst verlautbarend eigentlich kein Interesse an der Oper hätten. Und nun kommt die eigentliche „Beleidigung“:“Lautréamonts lyrische quellender Originaltext aud auch das Libretto signalisieren eine dramatische Fallhöhe von unter einem Nanometer – sie ist schlicht nicht vorhanden.“
Nun meine ich, daß Ducasse’s Maldoror einen gewieften Musikdramatiker erfordert, der diese Mischung aus Poesie, Dialogen und Romanhaften mit den stark überzeichneten Bildern von zerfleischten Menschen und Kannibalismus samt Pädophilie zu einen spannenden Abend hinbekommt, daß eine offenere Form, dann sogar vielleicht mal wieder im Weiterdenken B.A. Zimmermanns oder eines „fffffff“-Nono-Prometeos, in dem ja v.a. „pppppp“ herrscht, vonnöten wäre, würde ich sofort unterschreiben. Vielleicht ist Maldoror gar nicht bühnengeeignet. Oder man muß eben – ob offeneres Musiktheater oder doch ganz klassische Oper – eine Bilderkraft in der Musik entwerfen, die tatsächlich dort weitermacht, wo sich die Surrealisten für Ducasse begeisterten.
Maintz und die Regie näherten sich dem Ganzen aber nur mit musikalischer Poesie, szenischem Stillstand. Da hat man wohl basal die literarische Herkunftsform identifiziert, aber schlicht die Ausflüge und Überflüge in andere Formen und Sparten übersehen, von der Wortkraft der Vorlage hypnotisiert, dieser einen Bärendienst mit viel zu introvertierter Poetik erwiesen. Brembeck konstatiert das kürzer:“Ein Versehen war das nicht, sondern Absicht.“ Dann fasst er die Unmöglichkeit von dramaturgiearmen Musiktheater ins Auge, zählt die Ausnahmen von Schubert, Schumann, Debussy bis zum „ppppp“-Prometeo auf, weiter hinten dann gar Marthaler und Bob Wilson als Regiesseure, die gerade diese Ausnahmeerscheinungen – doch allerdings singulär – beleben konnten. Meist aber blieben diese Stücke im Konzertsaal befriedigender als im Theater, „denn erstaunlicherweise sind die Gesetze der Bühne zählebig und geradezu reaktionär. Theater ist eine Kunstform, die schamlos jede andere Kusnt für ihre Zwecke missbraucht (…). Der Musiker, der gegenüber einer Bühne auf der Autonomie seiner Musik besteht, hat deshalb von vornherein verloren“. Das kann ich nur bestätigen. Wenn man seine Musik nicht vor dem inneren Auge sehen kann, also weniger hört, sondern v.a. sich ihre optischen Reize vorstellen kann, sogesehen eine richtig perverse surreale Gabe“ – eine ganz unreine im Gegensatz zu all den synästhetischen Farbhörern – , hat man riesige Probleme, wenn plötzlich die Musik im Raum der Bühne stattfindet, Bewegung, Kostüme, etc. dazukommen. Und wenn man eben bewußt diese „Mittel der Bühne“ mit seiner Musik nicht bedienen will, muß man diese Konsequenz aber erst recht vor dem inneren Auge sehen können. Denn in irgendeinem Moment, an einem Wendepunkt, muß man sich, wie kurz auch immer, doch den „Bühnengesetzen“ ergeben, gerade wenn man sie dann wieder aushebeln will. Oder man traut sich als Musikpoetiker des 21. Jahrhunderts auch mal zu, von der hypertrophen Durchkomponiererei zu lassen. Nur sitzen wohl selbst einem Maintz als deutscher Komponist, trotz der Nähe der Frankophonie zu Aachen, Wagner und Zimmermann im Nacken, so Debussy-nah man sich auch vorkommt. Der konnte selbst im Pelleas nicht dem Parsifal entfliehen, stoplerte gnadenlos über die Bühnentechnik und musste manches Zwischenspiel verlängern…
Brembeck spielt dann Verdi und Wagner aus, die ohne Bühne nichts zustande gebracht hätten. Da mag was dran sein. Er übersieht dabei aber, wie gerade Wagner durch das Aufgreifen von symphonischen Durchführungstechniken in Verbindung mit der Leitmotivik erst seine Textungetüme entsprechend mit noch nie dagewesener langer Musik vertonen konnte, wie auch Verdi immer materialsicherer wurde in seinem Spätwerk, also auch das Entwickelnde der Symphonie in seine Musik integrierte.
Der absolute Integrationswahn – so sage ich – sind dann Suite, Variation und Symphonie in Bergs Wozzeck. Genial gemeistert, aber wenn man eben durchkomponiert, geht es nie ohne formale Vehikel der absoluten Musik, es sei denn, man will bewußt Dauerlied oder Ohne-End-Rezitativ riskieren. Wobei doch selbst in den Arien der Opera seria eines Gluck und eines Mozart, selbst bei Händel, konstituierende Kräfte am Werk sind, denen man in Symphonik wie Musikdrama wiederbegegnet.
Das Problem liegt also nicht so sehr darin, daß bei Maldoror ein verkannter symphonischer oder liederhafter Maintz komponierte, sondern daß gerade in seiner absoluten Musik schon Dramaturgiefehler, genauer also Tonhöhenfehler stecken. Nachdem trotz Elektronik sich Maintz nun generell eher im klassischen Tonhöhenbereich als im Konzept, wie z.B. Kagel, bewegt, wird er da ein Gefangener seiner selbst bleiben, wenn er keinen Hammer in seinen Computer sich zu werfen traut, also die Musik extrem unrund, nicht ästhetzistisch aufbricht. Oder seine Tonhöhen so schärft, daß die Musik aus sich heraus wirkt.
Das wird er aber jetzt nicht tun, solange man ihm suggeriert, daß seine Neue-Musik-Faktur, seine Quasi-Tonhöhen – sei es im strengeren oder freieren auf Zwölftonräumen basierend, sei es spektralistisch, etc. – , die diese Faktur stützen, ausreichen, um Form zu generieren. Ich meine dies in dem Sinne, daß ein Grundton in seiner Musik herrscht, ähnlich dem Jörg Widmanns, der eine Versöhnung von Hochkultur und Avantgarde simuliert, aber die Techniken der beiden Bereiche unzureichend beherrscht, wenn es über Instrumentaleffekte, Fakturen und Verläufe hinausgehen soll. Er besetzt so z.B. durchaus mehr oder minder Zwölftonräume, nur vernachlässigt er dabei, daß auch darin die Töne richtig angeordnet werden müssen. Und das ist ja auch einer der Hauptgründe, wieso die Avantgarde nach 1945 sich eher auf Webern als auf Schönberg berief. Webern setzte seine Tonhöhen einfach richtiger, behielt immer einen Link zur klassisch-romantischen Harmonik. Schönberg suchte den Link im formalen seiner Vorzeit, bei Brahms, wusst sogar von der Kraft der Tonhöhen. Sein Satz von der „Emazipation der Tonhöhe von der Harmonik“ wurde aber missverstanden. So appelliert er ja um so mehr an die gewachsene Verantwortung des im wahrsten Sinne des Wortes seienden „Tonsetzers“.
Dieser Verantwortung an die eigene eigentliche Tonkunst aber werden werde Maintz noch die Leute gerecht, die ihm mit Maldoror beauftragten. Das hörte und sah aber auch Brembeck nicht. Und darin besteht auch der Skandal im Versagen von Auftraggebern und Presse. „Haste‘ da noch Töne ‚für?“
Ich bin mir bewußt, daß dieses Insistieren auf „Tonhöhe“, „Harmonik“ antiquiert wirkt. Dennoch sind und waren gerade die Meister, auf die sich die Avantgarde beruft, darin absolut sicher. An den Tonhöhen Weberns, Bergs, Fortners, Zimmermanns, Feldmans, Ligetis, Boulez‘, Berios, Messiaens, Nonos, Lachenmanns, Grisey, Kurtags gibt es keine Zweifel. Wohl schon aber z.B. an denen Schönbergs, Stockhausens, Schnebels, Cages, Kagels, Rihms, Henzes, etc.
Die Geburt einer neuen Moderne wird, so glaube ich, also nicht so sehr aus dem Konzept, sondern in einer Neuen Verantwortlichkeit gegenüber der Tonhöhe erfolgen. Dazu müssten die Ohren aber der direkten Verantwortlichen erstmal wieder geöffnet werden. So aber v.a. Marketing, Wirtschaftlichkeit, Kosten, Renomme, Preislastigkeit die Aufführung von Neuer Musik ausmachen, ist da Dunkelheit.
Der Begriff der Nachhaltigkeit müsste mal viel stärker für die Musik aktiviert werden. Nicht in einem Verdammen von Elektronik oder den durch den Fortschritt erreichten Materialstand, aber in einem kritischen Überprüfen, ob Fortschritt und Materialismus allein diesen historischen Stand für die Zukunft ausmachen sollen. Nicht in einer Dauerkritik an der Tradition, nein in einer Kritik an der Kritik UND der Tradition. Dann Nachhaltigkeit in der Aufführung, Bestandskraft von Musik, ihrer Wirkung nach außen, etc. Die Wirtschaft z.B. lebt ja von einem Auf und Ab, von vielen Wendepunkten also. Im Rückzug der Neuen Musik vom Publikum, im reinen Bezug zu den Ideen des Komponisten, der das Aussen nicht mitbedenkt, darin besteht also der ewige Zug der Moderne seit 1910, also bis heute in 2010 eine sehr, sehr lange Moderne. Avantgarde müsste also heute darin bestehen, nach wie vor selbstkritisch und auch autonom zu komponieren, aber weniger an die Privataufführung als an die Olympiahalle zu denken. Natürlich nicht an Massen denken, wie es jetzt geschieht. Die Massenklassik ist ja auch nur eine Simulation dessen, was sie mal war, da werden Stars vor Komponisten gestellt, zählt mehr deren Theatralität als deren Können. Genauso, nur viel kleiner, simuliert der Neue Musik Betrieb Grösse und Können seiner jetzigen Akteure, also auch ein gewisses Theater. Aber statt eben hier die Musik den Gesetzen des Theaters folgt, machen dies alle Akzidentien des Betriebs. So wundert einen die opnerferne und auch publikumsferne der Komponisten nicht wirklich. Wir Komponisten müssen aber direkter wieder an die Menschen heran, dann trauen wir uns auch wieder mehr Theatralität zu…
@ Fred Horner: Habe das Gieleninterview auch schon gelesen, las auch das mal hier mit Luisi angeführte, etc. Meinen Tonhöhenglauben/-sehnsucht/-pessimismus gab ich vorher ja schon Ausdruck.
Ich denke aber auch, daß Gielen letztlich aus einem typischen Alterspessimismus heraus, vereinfacht als „früher war es besser als heute“, die Musikwelt beurteilt. So muß man das etwas vorsichtiger geniessen.
Genauso bedienen Sie sich auch des Feldman-Zitats, um generellen Pessimismus gegenüber dem jetzigen Musikleben zu simulieren. So tödlich sah Feldman sich wohl nicht. Generell hasste er aber dummes Publikum, das es schon zur Steinzeit wie in der Klassik, nach dem 2. Weltkrieg wie heute gab. Ich erinnere mich an eine Story, wo Feldman sagte, daß er immer sofort den Saal verlassen musste, sobald neben ihn jemand den Rhythmus mitklopfte, um dann sich mit einer Zigarette zu beruhigen. Es könnte natürlich auch die Nikotinsucht daran Schuld sein, daß er sich mit gestörter Konzentration nicht im weiteren Konzertverlauf davon ablenken konnte. Gerade der stille und so solitär wirkende Feldman hat immer einen doppelten Boden und eine doppelte Decke, also immer ein nach oben und unten, wohin seine Abgründe aber auch seine Bonmotlust verweisen.
Zurück zu Gielen. Seine Verdienste, sein Kampf, unbestritten herausragend! Die Tendenz IHRES Zitats ist aber wieder die gleiche: Musik nach dem 2. Weltkrieg, danach ein wahnsinniger Aufbruch, der uns direkt in die jetzige Klima- und Wirtschaftskatastrophe führte, also auch die jetzige Kulturkrise. Wenn man Ihrer Linie folgt, muß die heutige Kunst an die Zeit nach 1945 anknüpfen, an deren Aufbruch. Dies wird aber niemals einen neuen Aufbruch generieren.
Wenn wir einen Aufbruch wollen, dann müssen wir uns von jenem des 20. Jahrhunderts abwenden. Er brachte zwar wirklich herausragendes zustande, wie die von Ihnen angeführten Menschen B.A. Zimmermann und Feldman. Er führte aber auch durch die Hochindustrie, die jetzt den aufstrebenden Schwellenländern wütet, im Energie der Dienstleistungsgesellschaft samt ihrer noch vorhandenen Bildung und massenweisen Unbildung zur heutigen Unbill, die ganz ohne Weltkrieg nun auf uns hereinstürzt, wohl immer noch zu schleichend.
Da wäre also ein Aufbruch debkbar. Wenn der Aufbruchsgedanke sich aber nur immer auf den absoluten Fortschrittsgedanken und der selbstgenügsamen Kritik der Frankfurter Schule der Nachkriegszeit beruft, kreist es in sich und bleibt liegen bzw. wird die „Aufbruchs“-Formel zum reinen Kotau vor den alten Grössen und sich selbst.
Wie ist das mit den zarten Gewächsen von Aufbrüchen der letzten Jahre gewesen, wie z.B. alternative Energien? Just wo die Bundesregierung die Solarenergie nicht mehr fördern will, um klassische Arbeitsplätze zu retten, überholz China als Exportmeister UND Solarproduzent. Unser aller Obama setzt wieder auf Atomenergie und Ölprodukte. Uran wird in den nächsten Jahrzehnten genauso teurer und immer seltener wie fossile Brennstoffe, die Förderung der beiden immer riskanter für die Umwelt, wie man jetzt sieht, krieggenerierend (soll etwa aus einem Ressorcenkriegsdesaster dann ein neuer Aufbruch erfolgen?!?). So werden wir im Sinne des alten Aufbruchs natürlich Aufbrechende aus Asien erleben.
Im Sinne der Nachhaltigkeit aber nicht, wenn wir mutlos und wie Sie samt Gielen und Luisi resignierend an diesem Aufbruchsgedanken hängen bleiben, der durch eine Katastrophe entstand und in die nächste führte. Zwar verhielt sich die Neue Musik jener Zeit immer kritisch gegen ihre Zeit, nur ist diese „Haltung“ genauso erstarrt und abgründig, wie das, wogegen sie sich wandte.
Ein heutiger Aufbruch wird sich also ganz anders verhalten, als der damalige. Er ist viel kleinteiliger und regionaler, so wie es die heutige alternative Energie und ihr Badarf an Vernetzung ist. So sind auch und gerade wegen der Zensuren und Missbräuche die virtuellen Netzwerke ein Aufbruch, mit denen man auch als Nicht-Mächtiger der Politik oder Medien auf Missstände hinweisen kann, Komponisten wie hier direkt in die Öffentlichkeit verbal treten können, Demokratie einfordern, wo bis jetzt immer noch Kuratoren- und Juryoligarchie herrscht.
Gut, ich teile Ihre Sorge schon auch, daß das Wissen der alten Tradition der Musik immer mehr verlustig geht, eben dadurch auch mein Steckenpferd,das Tonhöhenbewusstsein, leidet. Und es dazu einer Neubesinnung bedarf. Aber bitte keinen Aufbruch aus dem Magen des Vaters aller Dinge heraus, aus einer Kriegskatastrophe.
Irgendwie erinnern Sie mich an Menschen, die einen ständig zu Christus bekehren wollen, damit man die Apokalypse überlebt. Da geben sich diese evangelikalen Christenmenschen immer ganz menschenfreundlich und offen. In Wirklichkeit nehmen sie aber in ihrer Hoffnung auf das Ende der Welt in Kauf, daß alle anderen Menschen in diesem Aubruch in die Ewigkeit mit ihrer Existenz büssen… ich hoffe, Sie wünschen uns nicht den Tod durch einen kriegerischen oder umeweltbedingten Aufbruch aus einer Katastrophe heraus. Das sollten Sie in Ihrem Pessimismus mal bedenken und nicht immer sich auf dem Grabtuch düsterer Zitate ausstrecken!
@querstand:
Hallo querstand, ich habe den Artikel von Ihnen mit großem Interesse gelesen:
Zitat:
Avantgarde müsste also heute darin bestehen, nach wie vor selbstkritisch und auch autonom zu komponieren, aber weniger an die Privataufführung als an die Olympiahalle zu denken. Natürlich nicht an Massen denken, wie es jetzt geschieht. Die Massenklassik ist ja auch nur eine Simulation dessen, was sie mal war, da werden Stars vor Komponisten gestellt, zählt mehr deren Theatralität als deren Können. Genauso, nur viel kleiner, simuliert der Neue Musik Betrieb Grösse und Können seiner jetzigen Akteure, also auch ein gewisses Theater. Aber statt eben hier die Musik den Gesetzen des Theaters folgt, machen dies alle Akzidentien des Betriebs. So wundert einen die opnerferne und auch publikumsferne der Komponisten nicht wirklich. Wir Komponisten müssen aber direkter wieder an die Menschen heran, dann trauen wir uns auch wieder mehr Theatralität zu…
Zitat Ende
Werden Ihre Forderungen nicht zum Teil schon eingelöst? Als Beispiel verlinke ich hier einen Ausschnitt aus John Adams „Dr. Atomic“: Batter My Heart
Hi All,
es gibt in der modernen Opernliteratur in gewisser Weise ein – ich nenne es „Musikandenstadel-Problem“ – Im eigentlichen Sinne ist es ja kein Problem, vielleicht ein Problemchen.
Eins:
Ich habe – 15 Jahre ist es her – im Selbstversuch (zusammen mit Freunden) den Musikantenstadel von vorne bis hinten ohne Unterbrechung im TV angeschaut, um die vormaligen Urteile, die ja Vorurteile waren einer Überprüfung zu unterwerfen.
Ergebnis: Perfekte Dramaturgie des ungebremsten Frohsinns.
Ich musste den öligen Geschmack, der zurückblieb mit zwei Whiskey hinunterspülen.
Zwei:
Natürlich habe ich auch meine heimlichen Leidenschaften, z.B. höre ich gerne diese Gipsy-Musik – Bregovic, Kocani-Orchester u.a. – In den Zeiten, als ich noch in einer WG lebte, habe ich das vor allem in den frühen Morgenstunden (also ab 10.00Uhr) aufgelegt – es verbreitete allgemein eine gute Stimmung auch unter den anderen Mitbewohnern, bis zu dem Augenblick, als eine serbische Mitbewohnerin in die Küche schlurfte, mit der Bemerkung, man möge das abdrehen, sie kenne das seit ihrer Kindheit aus dem Radio ihrer Großmutter und war schon damals immer genervt …
Drei:
Nicht lange ist es her, da unterhielt ich mich mit einem jüdischen Freund über eine gemeinsame Bekannte, die sich leidenschaftlich mit Klezmer-Musik beschäftigte.
Während ich einwandte, dass das doch sehr angenehm zu hören sei, drehte mein Freund die Augen himmelwärts mit der Bemerkung, für ihn sei das etwa so wie für mich der Musikantenstadel.
Vier:
John Adams ist ein Vertreter des gleichen Phänomens in der Operwelt, und während ihn die einen lieben, und gar nicht genug davon hören können, greifen andere zur Flasche und spülen den komischen Geschmack hinunter.
Beste Grüße aus dem Labor
– wechselstrom –
@ Sebastian Lindner
— hicks —
Hi wechselstrom,
eine super Replik. Ich glaube allerdings nicht, dass man Adams einfach runterspülen sollte. Was macht denn das Besondere an seiner Musik aus. Allein Dr. Atmoic wurde an diversen Häusern nachgespielt. Was mir interessiertem Laien auffällt, ist der oft schon an Pop-Musik erinnernde, starke Klangdruck, der dann live auch einen große Sogwirkung hat. Dazu kommt auch, dass Adamas wohl keine Angst vor großer Empathie hat. Auch scheint es mir, dass er einfach zielsicher Themen mit Relevanz aufgreift und künstlerisch umsetzt.
Verstehen Sie mich aber nicht falsch. Adams ist sicher nicht die allein glücklich machende Antwort.
Aber zumindest eine mögliche auf die Frage nach „Neuer Musik“ im 21. Jahrhundert.
http://www.earbox.com/
@ Sebastian Lindner 1 (nachdem die Software hier nicht das Ganze annehmen will – wohl zuviele Links)
„Olympiahalle“ scheint Sie ja angesprungen zu haben…
Ich muß das wohl noch etwas deutlicher darstellen: Olypmpiahallen werden im heutigen Eventklassikbetrieb mit Programmen bestückt, die nur „Erfolg“ in wirtschaftlicher Hinsicht versprechen. Dabei setzt man v.a. auf Namen diverser Klassikstars, die auf Popstar getrimmt worden sind. D.h., das deren Stimmen als Sänger z.B. nicht unbedingt schauderhaft sind, aber auch nicht den höchsten Kriterien der klassischen Sangeskunst entsprechen. Sie sind solala eben akzeptabel, sehen nett aus, offenbaren Teile ihres Privatlebens, etc. Verbunden dann mit 5. Symphonie, Nessun Dorma, Ouvertüre 1812, Schilder einer Baustelle, Bolerö, etc. steigert sich die Gewinnabschöpfung. Das garantiert ein Marketing aus allen Kanonenrohren in allen regionalen Medien, nett-machen der Musik und Künstler, ein wenig Charity, ein bisschen Wetten dass, etc.
Der viel kleinere Neue-Musik-Opernmarkt läuft ähnlich. Da steht nicht das Maximalprinzip für Gewinne im Vordergrund. Hier herrscht das Minimalprinzip, d.h. möglichst wenig Kollateralschäden verursachen. Ein wenig Dissonanz, süsse junge Komponisten, Regie- und Bühne in Staatstheaterformat, viele Freikarten, viele Schulklassen, ein gewisser niveauvoller Avantgarde-Sound, auch nicht zu schauderhaft, aber eben auch nicht unbedingt auf höchstem Niveau. Das Publikum soll die ewig gleiche Diskussion führen, ob sie das nun „trifft“ oder „bewegt“ oder eben alles mal wieder einfach nur „interessant“ ist, die Presse schön kritteln, dass es so mutlos sein, aber das Wagnis Neue Oper an sich das Experiment sei, der Kämmerer beruhigt werden, schön vernetzt werden mit Kooperationspartnern, eben Alles so, wie man es in den Lehrbüchern des Kulturmanagements findet.
In letzter Konsequenz genauso inhaltsleer, wie der Eventklassikbetrieb, sogar noch etwas stromlinienförmiger, da man sich nicht nur dem grossen Publikum und Grosslabelsponsoren sondern einem Nischenpublikum, einer Nischenpresse, einer Nischenwissenschaft und der Kulturpolitik gegenüber verantworten muß, also mehr Schichten als im Eventbetrieb, die zu befriedigen sind disproportional zu den Menschen, die erreicht werden.
Damit sägt der Neue-Musik-Opernmarkt am eigenen Ast, da er so immer uninteressanter wird. Hohe Theatralität im Drumherum, wenig Theater auf der Bühne. Letzteres wird dann damit begründet, daß heutige Komponisten sowieso nicht für die Bühne schreiben wollen und so ein Nichtwoller doch ein schönes Experiment an sich sei, wie es x-fach schon vorher das Experiment gewesen ist. Und so tanzt man um das schöne Wort „Experiment“, ohne dass wirklich ästhetisch ein Experiment stattgefunden hat.
Wenn nun die Geldverluste nicht zu hoch sind und die öffentliche Hand sich von diesem „Experiment“ genug Strahlkraft verspricht, wird man ewig so weiter machen, ohne die Inhaltsfrage aufzuwerfen. Wenn dann aber die „Krise“ an sich experimentiert, beginnt das Streichkonzert. Die Biennale war einem solchen schon einmal Ende der 90er Jahre ausgesetzt.
Das Programm, das zuvor einen Monat dauerte wurde, Produktionen von erfahrenen Komponisten, riskante Erstlinge aber auch Werkstattproduktionen zeigte, ist in der Dauer halbiert worden, erfahrene Opernkomponisten schreiben gar nichts mehr, es gibt eine Hochschulwerkstattkooperation, 3-4 riskante Erstlinge, die aber finanziell durch Staatstheaterkooperationen abgefedert werden. Klingt interessant, ist in der Konsequenz aber als Festival ein reines Sprungbrett für Leute, die sowieso schon am Hüpfen sind, auf den Kammermuskfestivals schon nicht weh taten oder großartig Grenzen überwinden wollten. So ist es ein reines Nachwuchsunternehmen, ein Label, fast schon wie die Kinderopernseuche: Nachwuchs schreibt für Nachwuchs. Der Bestand wird aber nicht gepflegt und gehegt, die Gattung erstarrt im ewigen Jugendwahn.
Dies hält natürlich um so mehr die komponierenden Kollegen vom Opernmarkt ab, die tatsächlich ein Problem mit der Gattung haben, ber von der Perversität des Neue-Musik-Opernbetriebs noch stärker angewidert sind als vom allgemeinen Neue-Musik-Markt, der diese Tendenze auch aufweist. Dennoch sind die Kammermusiken dafür schneller geschrieben, ggf. von sehr guten Leuten hervorragend interpretiert, man kann spartenübergreifende Facetten sogar selbst steuern – sein eigener Regiesseur sein – , man kennt die Zuhörer und freundet sich mit diesen an, kann sich sogar niveauvoll und auf tiefes Verständnis stossend mit diesen austauschen. Ein wunderliches Idyll, selbstreflexiv, von Selbstausbeutung lebend, eine Liebhaberei, die marginal gefördert wird. Aber wehe, wenn diese Förderung bedroht wird. Der Neue-Musik-Etat ist in den Kommunen gegenüber der Freien Theaterszene, Literatur und Bildenden Kunst sowie den Orchestern und Opernhäusern der mitunter kleinste, den man einfach einstreichen kann. Nachdem Vereine die Träger sind, die ja als solche Selbstausbeuter sind, geht die Kürzerei da fast grenzenlos, bis mal jemand aufschreit, wie das FZML in Leipzig – was machen die eigentlich jetzt? Das klingt für die Geldgeberseite schon als „nachhaltig“. Ist es aber dies, wenn die Nehmerseite am Ende gerade noch so an der Pfändungsgrenze vegetiert? (nachdem die Software hier nicht das Ganze annehmen will – wohl zuviele Links, gleich der nächste Teil!)
@ Sebastian Lindner 2
Und so komme ich auf den Begriff der Nachhaltigkeit. Ein superschwammiges etwas, was Ökonomen und Kämmerern genauso gefällt wie braven Müllsortierern. Also auch ein so öder Allgemeinplatz wie „Neues Musiktheater“ und „Eventklassik“? Einerseits ja, andererseits nein. Um von der kleinen Neue-Musik-Kammermusikszene auf die grössere Neue-Musik-Opernszene zurückzukommen. Da werden nicht nur Satztechniken verhandelt, da werden Inhalte und Stoffe mit der Musik konfrontiert, die eben öffentliches Interesse brauchen und auslösen sollen. Es kann ein grösseres Publikum als gewöhnlich erreicht werden, es kann sogar unter bestimmten Voraussetzungen das Olympiahallenpublikum angesprochen werden.
Ein Beispiel als Wanderer zwischen den Welten wäre da z.B. Claus Guth, den ich nicht immer so gut finde, gerade wenn er mit Stars zu tun bekommt. Immerhin produzierte er mit „Trema“ von Chaya Czernowin vor einigen Jahren auf der Biennale hier ein Stück, das plötzlich allseits Erfolg hatte, eine Oper, in der fast nicht gesungen worden ist. Das Beste dabei war eine gefilmte Autofahrt vom Aufführungsort über der Isar zur KZ-Gedenkstätte in Dachau. Quälend langsam, aber mit den weiteren Bildern sehr intensiv. Dieser Claus Guth nun darf mit Frau Netrebko iszenieren, immerhin. Wobei ich dieses Ergebnis meileweit entfernt von „Trema“ sehen würde. Aber warum nicht Frau Netrebko auf der Biennale? Das wird sie vielleicht dann tun, wenn sie älter geworden sein wird. Wie fantastisch wäre es aber gerade jetzt, solch eine Labelträgerin für die Neue Oper zu gewinnen… Immerhin konnte man damals mit Claus Guth noch Cocktails schlürfen… Ich schweife ab.
Nachhaltig wäre es also, all die positiven künstlerischen Seiten von Komponistenselbstaufführungsverein bis zur Eventklassik zu den Akteuren des Neue-Musik-Opernmarktes zu machen. Nachdem die künstlerischen Leiter des Festivals nach Glamour im Sinne der PR gieren dürften, könnten die Meisterklassenkulturmanger hier ja mal ihre höchsteigene Kunst unter Beweis stellen. Oder sollte man sie doch eher nachhaltig abschaffen?
Die Komponisten schreckt sowas natürlich ggf. noch mehr ab, als die jetzigen Skurilitäten des Markts. Wichtiger wäre es also, die Opernwoller unter uns ran zu lassen. Opernwollen heißt aber nicht nur „Experimentieren-wollen-mit-untheatraler-Poesie“, es heißt auch sich „Prostituieren-wollen“ vor dem Publikum, zu einem gewissen Grade zumindest. Eine heikle Balance zwischen Selbstanalyse und Selbstbetrug.
Um einen faulen Kompromiss kommt man nicht herum. Wenn der dann zumindest mal zwischen Text und Musik schon gelingt, wofür der Komponist zu 100% die Verantwortung trägt, kann es schon spannend werden. Das Experiment heißt also jedesmal das Dreieck zwischen Musik, Text und Szene in seinen Winkeln zu verändern, jeden dieser drei Teile aber nicht unter- oder überzugewichten. Hier eine falsche oder richtige Stellschraube hat immer nachhaltige Wirkungen von Dramaturgie, Mitgehen des Publikums bis zur Vermarktung des Ganzen. So betrachtet kann und darf sich beim Opernschreiben ein Komponist nicht zu weit in sich selbst hineingraben. Es sollten ihm freudige Schauer beim Gedanken an die Sänger, das Bühnenbild, das Publikum, etc. über den Rücken laufen. Nach innen sollte er unbedingt sein Sujet dem Publikum vorsingen wollen, es ihm um die Ohren schlagen müssen. Der Stoff darf ihn aber nicht so fesseln, daß er sich in ihm verstrickt, ihm dienen möchte. Nein, der Stoff muss dem Komponisten dienen, seine Schauer zu exhibitionieren. Dazu muss er die Textvorlage nicht nur in sich hören, er muss sie in sich sehen, wie andere danach gelüsten, sie zu sehen, er muß auch mal an ihr erkranken, Zweifel bekommen, ob er überhaupt weiterschreiben kann. Aber um Gottes Willen nicht seine Krankheit zum Sujet machen!
Wenn man nun so brennt und das Feuer in sich durch das Schreiben löscht, dann könnte ein unglaublich irisierendes Baby herauskommen.
John Adams versucht auch immer zu kreisen. Lieber Herr Lindner, es freut mich ja, dass Sie vom Pop/Rock her über ähnliche Wirkungen bei Adams zur zeitgenössischen Oper finden könnten. Nun könnte man auf Adams garantiert eindreschen. Eine europäische Komponistengestalt ist er auf keinen Fall. Aber ein Amerikaner, der komponiert. Die haben ja einen sehr ekklekltizistischen Zugang zu Materialien. Da wird mal zusammengebracht, was wir uns erstmal nie trauen würden, da wird aber auch sehr einfach komponiert. Die Minimal Music ist nun ein Ding, was an sich nicht wirklich weh tut, es sei denn, man verteufelt sie wie Cannabisräusche. Oder sie kommt einem eben zu wenig rauschhaft vor. Adams hat für mich immer sowas von 300 km/h im ICE. Es ist ein verrücktes Gefühl, dieses zuckelnde Tempo, es könnte tödlich enden. Dank Alstom und Siemens geht es aber doch immer glimpflich aus. Und das millionenfach. Tempo als x-fach wiederholbares, allgemein erfahrbares Lebensgefühl. So verbindet Adams mit seiner immer soghaft wirkenden Musik einen immer soghaft wirkenden Stoff – die Geburt der Atombombe. Eigentlich Alles richtig gemacht. Neuer Stoff, neuere Tonsatzfaktur. Letztere ist aber dann das Problem. Sie ist fast wieder zu beliebig betörend. Das kann als Erlebnis genügen. Mir genügt es nicht. Es muß dann schon noch über reine anrührende Gesangslinien und Stoffgründeln hinausgehen. Der Gesang und die anrührende Wirkung z.B. fällt weit hinter Verdi zurück, sie szenische Konzentration auch, der Text ist letztlich da auch wieder zu eindeutig mit der Musik.
Jetzt schimpfte ich so auf B.A. Zimmermann. Nun tätschle ich ihn nochmals und stelle ihn mitten ins Geschehen. Vielleicht klingt es erstmal etwas arg dissonant im Gesang für Sie, aber die vierAusschnitte zeigen das, was ich mir so vorstellen könnte.
@ Sebastian Lindner 3
1.) Marie wird von Desportes verführt und ergibt sich dem Liebesspiel. Parallel sieht man ihren Verlobten mit seiner Mutter streiten, die ihm von Marie abrät. Die Großmutter Maries singt dazu wiederum in einer dritten Parallelität und warnt allgemein vor dem drohenden Unglück. Hier der Ausschnitt. Nach ca. 2 Minuten tritt ein weiterer kommentierender Bachchoral hinzu, der das gesamte Elend Aller offenbart.
@ Sebastian Lindner 4
2.) Weiter vorne im Stück, man sieht zu ersten Mal die Soldaten als verlotterte Truppe im Wirtshaus, ab Minute 3:30 eine Jazzband – immerhin vor 1960 komponiert! Hier der Ausschnitt.
3.) Wer das Schlussterzett der Damen aus dem Rosenkavalier kennt, denkt hier sofort daran. Marie, nun von Desportes von Offizier zu Offizier weitergereicht wird von einem anderen Adeligen verehrt. Dessen Mutter geht zu Marie und deren Schwester, um Marie vor einem weiteren Abstieg zu retten. Hier der Ausschnitt.
@ Sebastian Lindner 5
4.) Bei Adams geht es um die Entstehung der Atombombe. Hier die Musik – das Vorspiel zu den Soldaten – wie sich das ein Kriegsteilnehmer vorstellte. Und hier die letzte Szene. Marie ist endgültig verwahrlost, wird beim Betteln nicht mal von ihrem Vater wiedererkannt (bei Lenz zuerst auch, dann Verkeilen sie sich und wälzen sich im Schlamm, worüber die o.g. Adelige mit ihrem Sohn lästert und dann doch lieber Tee trinkt, als sich die Verkeilten im Panoptikum anzusehen), nach der Regieanweisung reiht sich der Vater in den Zug marschierender Soldaten ein, die gegen einen aufleuchtenden Atompliz ziehen. Hier dieser Ausschnitt.
@ All Biennale-Bericht 3:
War gestern in der 3. Biennale-Produktion namens „Warum weiß ich nicht“, fünf Kurzopern der Müller-Wieland-Klasse. Gerade weil sie alle so kurz waren, taten sie nicht weh und ergaben in einer Einheitsregie dann doch in ihren kleinen Kontrasten einen runden Abend. O je. So richtig haben die jungen Leute noch nicht den Dreh raus, dennoch insgesamt ein hohes handwerkliches Geschick. Der ehemalige Pintscherschüler Samy Moussa klang am souveränsten im Satz, klang aber auch nach der perfekten Pintscher-Spektralismus-Kopie. Er erzählte wirkungsvoll, wie ein Junge nach dem bisher ungelüfteten Tod seines Zwillingbruders fragt. Bunt im Satz, erstaunlich viel Geräusche für einen Müller-Wieland-Adlatus, hatte der Jüngste Gregor A. Mayrhofer die Frage eines Kindes an den Vater zum Thema, warum es ausgerechnet ihn gäbe, worauf der Vater nur „Ab ins Bett“ als Antwort weiß. Viele Einfälle in wenigen Minuten. Am nächsten und konzisesten ging einem die Szene von Jelena Dabic: eine Schwester möchte unbedingt groß werden, der Bruder möchte weiterspielen, ein Spiegel entführt in die „Realität“, Rückkehr in die Kindheit ausgeschlossen. Da gab es unterschiedliche Stile, immer ganz eigen in Klang und Intrumentation, sogar kurz mal anrührende Sporantöne, Wechsel zwischen dicht und plan, aber eben auch nicht die erste Opernszene, die Frau Dabic schrieb. An J.X. Schachtners Musik kann ich mich nicht mal 24 Stunden später nicht mehr erinnern, Arash Safaian hatte einen unglaublich interessanten Eigenklang, Mikroverschiebungen im Rhythmus, viel Sound. Das Konzept war aber so szenisch genau vorgschrieben, weniger gesangs- als bilderlastig, so daß die Regie zwar ein paar Videos einbrachte, die vorgeschrieben waren, aber sonst da leider ein Spalt zustande kam, der dem Stück schadete, dem Abend als solches aber mal mit 10 Minuten absoluter Musik half. Safaian muß wohl einen Weg gehen, wie Heiner Goebbels, eine eigene Art könnte es vom Ansatz allemal werden.
Insgesamt natürlich Alles ziemlich verkünstelt und dann doch etwas zu allgemeinmenschlich die Fragen, die angerissen worden sind. Erstaunlich aber, wie die Altergenossen von Maintz und Illes in ihrer Kürze doch so wirkten, daß man die ersten Abende als Einzelaufträge lieber mit denen verbracht hätte, allerdings aber mit grösseren Themen…
@querstand
Ich möchte mich erst einmal für die Ausführungen bedanken. Der ausführliche Text ist wirklich eine Horizonterweiterung im originären Sinn. Von Zimmermann, dessen Orchesterwerk „Stille und Umkehr“ ich sehr schätze, würde ich auch sehr gerne einmal die „Soldaten“ live erleben. Leider scheitert da die Umsetzung wohl an den Möglichkeiten „normaler“ Stadttheater.
Das von Ihnen so treffend beschriebene Experiment zwischen
Musik, Text und Szene habe ich vor Jahren einmal, zumindest für meine Sinne, vollkommen und unvergesslich
einglöst miterleben dürfen. Es war die Premiere der
Oper „Macbeth“ von Salvatore Scarriono bei den Schwetzinger Festspielen. Unvergessen ist mir jedenfalls die von Achim Freyer gebaute Bühne. Er nutzte das alte
Rokkokotheater und schob seine Darsteller wie Schachfiguren durch den Raum, zum Teil auch die Wände hoch.
Das alles in der seltsam, nachtwandlerischen Musik, in
der Macbeth quasi von seinen furchtbaren Träumen eingeholt wird. Obwohl das nun fast 8 Jahre her ist, sind da immer noch Bilder und Klänge in der Erinnerung.
Ich erinneren mich auch, dass Scarrinos Musik keinen Takt „laut“ wurde, aber trotzdem einen intensiven
Sog entwickelte, wie der von Ihnen so treffend beschriebene ICE von John Adams.
@querstand/lindner 2: von der biennale-produktion von chaya czernowins „pnima“ gibt’s auch eine dvd, erschienen bei mode; der mitschnitt ist technisch allerdings recht schlicht geraten
@ Später zu TILT des Amazonas-Biennale-Projekts, jetzt erstmal „Dumme Software, gestern…“
Erstmal ein dickes „Sorry“ für die zuvielen Kommentare. Die Blogsoftware mag wohl mehr als drei Verlinkungen nicht schlucken.
Na, und dann versagte wohl öfters meine Hardware im Hirn: Schachtners Musik vergessen, Moritz zum Schamanen bei Schedls TILT gemacht, Trema mit Pnima verwechselt… Das liegt wohl daran, daß es um mich herum immer noch bebt: gestern Schedls Subwoofer, der Fernseher meiner schwerhörigen Nachbarin und ihre vorzugsweise mittags hüpfenden Enkel, dummer Alltag! Dazu höre ich in meinem Job derzeit immer Stories von Chiledeutschen und italienischen Saisonarbeitern über Erdbeben – ein Mensch erzählte tatsächlich von einer Flucht von Haiti zu Freunden nach Chile. Von dort verschlug es ihn dann nach München… das sind mal Geschichten! Da kann natürlich mein derzeitiges biennalöses Abendprogramm mit meinem Tagesprogramm kaum mithalten. Nun, vor lauter Beben hatte ich wohl den zitternden alten Mann aus Pnima vor Augen, was dann bei dessen und meiner Kunden Notlage zu Trema sich verdichtete, welch Trauma!
Jetzt schrieb ich ja von „gestern“ und Schedl, wo doch erst „heute“ die Premiere sein wird. Ha – moi, le compositeur en blog, je suis le mal et la future? – … die Biennalekrankheit wohl. Ich wandelte gestern durch einen Wald und hielt mich just für Maldoror, so böse Gedanken kamen mir da, es war wohl ein Urwald im 2 Teil des Amazonas-Projekts. Und ich hielt mich für einen komponierenden Maldoror, mit einer Zeitmaschine im iphone-Format in der Hosentasche… Na, das macht mich wohl impotent, so dass mir hier gar nichts mehr einfällt… Nein, ich bin Teiresias… das ist wohl die falsche Oper, keine Antigone, ich kein Hellseher – ich wäre so gerne einer von denen in „300“ gewesen, wenn der spartanische König auf dem Berg seinen Bauch zeigt, also ich als Abs-Kontrolleur? Nun, reicht es aber, Leute! Erstaunlich, wie dieser Maldoror mich verfolgt und ich mich nun in einer mittagsschlafgeronnenen „écriture automatique“ versuche. Ich schein einfach grad‘ um den heissen Brei herum zu reden, drücke mich um einen Verriss eines Projekts, wo mir doch etlich wohlgesonnene Leute mitwirkten. Nun denn, die Abs (Bauchmuskeln) stramm angezogen, Luft geholt und losgelegt:
Es war die Generalprobe. Eigentlich schweigt man sich danach öffentlich aus. Sonst bekommt man Hauhe wie Klaus Umbach vom Spiegel mit seinem Generalprobenbericht vor Lachenmanns Premiere des Mädchen mit den Schwefelhölzern. Der Artikel war ja auch ein echt dummer Schwafelklotz… Und ich brabbel hier schon wieder, also nennt mich doch Klaus… aber dieser Name ist ja Klaus Schedl vorbehalten. Und so hier die gute Nachricht zuerst, die der Unterhaltungskurve des gestrigen, heutigen und des nächsten Abends absteigend folgt.
Klaus Schedl ist mit seiner Musik zu seinem Beitrag TILT des Amazonas-Projekts der Münchener Biennale das bisherige musikalische Opernhighlight gelungen, abgesehen natürlich von den fünf Kurzopern der Müller-Wieland-Klasse. Klaus‘ Musik beginnt zuerst rein elektronisch. Das Publikum sitzt längs auf geschätzten 50 m in der Reithalle, unter sich tatsächlich Subwoofer. Erst ein Rauschen, ein Ritsch. Textfragmente einer Reisebeschreibung des elisabethanischen Amazonaserstbereiser Raleigh, wie aus einem alten Transistorradio. Plötzlich rumst es wie ein Urwaldhochwasser aus allen im Raum verteilten Lautsprechern, der Klang wandert wie bei Stockhausen ständig ringsumher. Aus dem Wust schälen sich tatsächlich ausgehörte Einzelereignisse aus, die sich allerdings immer im Lautstärkebereich eines Schreis, ewiger Gitarrenplektrons oder c6-Klavierrepetitionen bewegen – letzteres erinnert doch an Lachenmann!?! Was den Klangwust vom Tonband betrifft, könnte man Klaus tatsächlich einen ffff-Lachenmann nennen! Später setzt dann pianopossibile – so heißt sein Musikerensemble – eher mit ff possibile ein. Die Instrumentalklänge elektronisch eingefärbt, verfremdet oder sogar rein elektronische Klänge auslösend. Immer ruhig und präzise von Heinz Friedl dirigiert.
Der Blick auf den Dirigenten gab aber einen anderen Grundeindruck des Hörens auch die Bestätigung: die Einzelereignisse, das dirigierte Tempo war durchaus immer an der oberen Temposkala zwischen Allegro non troppo und Prestissimo angesiedelt. Das Gesamttempo wirkte aber doch eher wie eine langgestrecktes Moderato, das immer mehr anschwoll. So könnte man den Amazonas dahinter vermuten, wenn der bergab fließt, wo doch die Reisbeschreibung Raleighs den Weg bergauf beschrieb. Also ein gewisser dramaturgischer Widerspruch. Dennoch ergab sich musikalisch auf alle Fälle ein Sog.
Der Inhalt: mehr oder minder beschränkte dieser sich auf die Beschreibung der Raleighschen Entdeckerfahrt von England in das Amazonasgebiet. Dieses wird als dicht, verschlungen, von blutrünstigen Einwohnern besiedelt geschildert, also als unnahbar, unwirtlich, dennoch schöne Goldarbeiten, reizende Frauen, der Entdecker zugleich angezogen und abgeschreckt vom unergründlichen Reichtum der Natur. Die gesamte Tour ist natürlich v.a. der Goldsuche, dem legendären El Dorado gewidmet, in harter Konkurrenz zu den Spaniern. Vor diesen die Ureinwohner vorgeblich zu schützen ist das Gesprächsthema mit den Eingeborenen. Die eigene Königin Elisabeth sei so gütig, die Freiheitsliebenden schützend, die mächtigste Person des Nordens, so daß sich das jungfräuliche Stromland dieser Jungfrau auf dem Thron einfach naturgegeben unterwerfen müsse, als Höhepunkt für die Penetrierung des Jungfräulichen durch den Mann Raleigh.
Das läßt an Chöre, Ballette, Arien denken… ein 3 Stundenstück. Klaus blieb aber nur eine knappe Stunde. Auch war daran gar nicht gedacht! Umgesetzt wird das durch drei Darsteller-Sänger hinter drei ganz selten auch diaphanen Leinwänden. Hauptsächlich sieht man die grossen Köpfe dieser drei. Mit Moritz Eggert war gleichsam Raleigh besetzt, Mafalda de Lemos war die Frau, das grüne Goldland, mit Christian Kesten der Ur-Einwohner. Die Rollen vermischten sich immer wieder, mal sangen und rezitierten auch die anderen Beiden den Text des Momentprotagonisten. Moritz gab damit sein Debüt als reiner Schauspieler und Sänger, was er ja in seinen eigenen Werken immer auch schon ansatzweise vollführte! Überhaupt gaben die drei diesem Teil des Abends ein konkretes Gesicht, was grosse Sympathie und Empathie bei mir auslöste, die mir für den Rest des Abends fehlte.
Bei Schedl gab es drei richtig optisch reizvolle Momente: die Musik entfaltete einmal die brutalste Kraft, als Eggert mit heftigsten Gesichtsverzerrungen – er könnte auch mal als Kabarettist auftreten – den immer ruhig blickenden, glatzköpfigen Kesten bedrohte. Eigentlich eine böse Verdoppelung von Szene und Musik, aber gut gelungen. Ein anderer Moment waren die roten Lippen von Mafalda des Lemos, deren Farbe von fremden Händen über das Gesicht verschmiert wurde, als man in Wald und Einwohner drang. Bei der Rede vom jungfräulichen Goldland und der jungfräulichen Königin Englands wird das Gesicht Mafaldas mit Goldfarbe geschminkt, wie das Gesicht Kate Blanchetts als „Elisabeth“ im gleichnamigen Film – der dann seine Preise v.a. für das beste Make-Up einheimste… Am Ende dann verflossen die Bilder der Drei in schneller Folge ineinander zu einem Crescendo der Musik, dessen Grundlage die Baudelaire-Vertonung Schedls von Fleur de Mal bildete – neben manchen Schreien vom Band konnte man den Komponisten hier mal wieder selbst rappen hören.
Fazit: eine wunderbar ausgehörte, kräftige und harte Musik Schedls, die dennoch insgesamt eine ganz eigene Zartheit im Raum der Zeit entwickelte, ein grandios und professionell abgeklärt musizierendes Team aus pianopossibile und Heinz Friedl, beeindruckende Darsteller Eggert, de Lemos und Kesten, bewegende Bilder. Insgesamt hätte das Tempo auch mal rasser sein können, die ewig großformatig projizierten Bilder machten optisch etwas mürbe, sobald da Ruhe eintrat, blickte man automatisch auf die Musiker. Szenisch etwas unfreiwillig unentschlossen. Immerhin ein Bild-Hörspiel als Ouvertüre zu den folgenden beiden Teilen seitens der Regie, der musikalische Höhepunkt des Abends gleich zu Beginn! Als Installation denkbar oder doch szenischer? Der erste Seheindruck sagte „vorproduziert“, im weiteren Verlauf wunderte man sich über die Mikroports, es war dann doch Alles live – Hut ab vor den gestressten Darstellern!
AMAZONAS-GP 2:
Nach einer kleinen Pause begann der zweite Teil des Abends. Jetzt saß man wieder längs der Halle, aber gegenüber, so eine Arena in der Mitte. Da die Halle groß ist, verstand man die männliche österreichische unverstärkte Stimme zuerst nicht. Man raunte sich dann per Flüsterpost zu, daß man während der folgenden Aufführung in die Arena reingehen dürfte. Zuerst eine gefühlte ewige Viertelstunde nur Text vom Tonband, es ging über die Wahrnehmung der Ureinwohner der eindringenden Brasilianer zur Jetztzeit. Es sollte wohl zuerst mit Szene verbunden sein, das wäre was schön Konkretes gewesen. Stattdessen ermüdete einen das Geraune mit Urwaldzirpen unterlegt, so daß einem nur der Name „RoRoRo“ der Yanomani für Amazonas heften blieb. Man wachte wieder auf, als sich plötzlich schwarze Stoffe herabsenkten, auf die mit Lasern Blätterlicht des dichten Waldes gestrahlt worden. Was nun folgte, sollte wohl eine weisse Umsetzung einer theatralen Situation der Ureinwohner sein.
Das Publikum stand also auf und streifte durch das Dickicht. Das war natürlich an sich erstmal von Entdeckerlust geprägt. Dazu eine Geräuschkulisse zwischen Urwald und brasilianischer Neue-Musik-Blasmusik (kein Rumba, Salsa – auch wenn das ja z.T. eher latinospanisch ist!), unterbrochen von evangelikalen Softvoice-Klängen (die US-Kirchen scheinen den Katholiken ja bereits den Rang abgelaufen zu haben). An den Längsenden begegnete man einem unglaublich virtuosen Phil Minton. Er sollte wohl ein böser weisser schwarzgewandeter Seelenverkäufer sein. Eine Urwaldfahne daneben ein maskierter Bariton im Anzug mit Kiste. Man verstand ihn nicht wirklich, ob er jetzt Gott oder Geld anpries, allgemein Alles textlos. Eine Station weiter mühte sich eine kleine Frau als Hütchenspielerin ab, schien Slumbewohnerin zu sein, da sie auf ihrer Kiste auch schlief. An der vorletzten Station eine Kiste, mal mit, mal ohne Sänger, der meist über den Boden robbte. Wenn er weggerobbt war, hörte man ein heterosexuelles Paar beim Sex aus der Kiste dröhnen. Ganz am Enden stand dann ein faszinierender Obertonsänger, der allerdings immer dann nicht mehr sang, wenn ich den Robbenden überstolpert hatte. Sonst gab es allerdings keine liveelektronische Reaktion des Soundsurrounds.
Das szenisch dümmste waren die Vogelfedern in der Hand des weiß-beigegewandeten Obertonkünstlers. Er also das Gute, der schwarzgekleidete Phil Minton das Böse – schon wieder Maldoror? Bitte nicht! Und eben diese Orgasmen aus der einsamen Kiste… Es dauerte ca. 40 Minuten, war insgesamt viel zu lang. Und die Musik? Die scheint wohl genauestens auskomponiert gewesen zu sein, ferngesteurte Klicktracks in de Sänger- wie Musikerohren, Akkus in den einfachen Bühnenkisten samt Abspielgeräte. Die Sänger hatten grösstenteils die Augen geschlossen, da sie wie „die Sau“ mitzählen mussten. Dennoch stellte sich kein Montagegefühl beim Gesamtlauschangriff des Zuhörers ein. Es schien zufällig in dem immergleichen Urwaldblasmusiksound zu sein, sie übertönten sich Alle gegenseitig, da hätte man auch eine weniger angestrengte Umsetzungsform der Musik finden können. Szenisch geschah nicht viel, ausser am Anfang Bühnennebel und Phil Mintons Havannazigarre.
Also wieder beeindruckende Darsteller, aber eine viel zu lange, undefinierte, unkonkrete Musik und Szene – wo man doch soviel mit diesen Mittel jetzt im Gegensatz zu dem sanften Raleigh-Sog des Beginns hätte als Kontrast liefern können, einen Einblick in die Wahrnehmung der Yanomami-Welt versuchen können! Man kam sich ein wenig wie in einer Klanginstallation der 70er Jahre vor – hoffentlich muß der brasilianische Komponist europäischer Herkunft Tato Taborda das jetzt nicht zwanghaft nachholen. Das Rührendste waren die live Anwesenden Vertreter der Hutukura Associacao Yanomami: sie standen immer nahe des Ausgangs. Wenn man sie so ansah, schien ihnen das Alles gar nicht zu gefallen, dieses weisse Entsetzen über das „Bösesein“ von uns gegen sie, zumal die Präsentationsform schien in ihrer Undefiniertheit was direkt „Böses“ für die Ureinwohner gehabt zu haben. Einzelne, ewigschuldbeladene deutsche Seufzhausfrauen scheinen auch leicht geflennt zu haben…
Dann wieder Pause (seit Tilt-Beginn nun 2 1/2 Stunden um), jetzt ZKM rettet den Urwald. Man kolportierte, dass der umtriebige und eigentlich mordsschlaue Peter Weibel die Regie seiner Vorzimmerkraft übertragen habe?!? Was soll nun das? Gab es solche Querelen im Vorfeld, daß sich das ZKM mit grösster Unverantwortung in so ein nach Verantwortung schreiendes Thema wie Regenwaldvernichtung begab? Oder fühlte man sich zurückgesetzt von einem der x-Kooperationspartner (Biennale, Stadt München, ZKM, Goethe-Institut, Bayerische Akademie der Schönen Künste, SESC Sao Paolo, Teatro Nacional de Sao Carlos, Opera Days Rotterdam, Netzzeit Wien, Kulturstiftung des Bundes, Europäisches GD Kultur und Bildung, Deutsche Bank, Fundacao EDP, Petrobras, Arte, DLR, Antena 2, RTP)? Man wollte zuerst ja Schedls komplexe Musik produzieren, was diesem deutschen IRCAM – auch wenn es nur Baden-Württemberg gehört – gut zu Gesicht gestanden hätte in so einer Produktion…
Aber nein… man schritt durch den Längssaal und kam in einen Saal mit klassischer Zuschauertribüne und Guckkastenbühne, eine ansteigende Reihung von unregelmässig hohen treppenähnlichen Quadern. Licht aus, Projektion an: grüne Neonlinien erklimmen die Fläche, Malprogrammfarbfelder bilden sich, ein Insektenkopf, viele Insektenköpfe, ein Blatt, viele Salat- oder Urwaldblätter. Dazu weiter oben Einblendungen von chemischen Elementen wie Wasser und Kohlenstoff, die ein Chörchen von Band auf englisch singt, diese begleitet von verhallten Quicktime-Instrumenten – wenn man die verfremdet, ginge das schon, wenn man Trash nimmt und meint, hier aber Müll nimmt und ungebrochene Bedeutungschwere vorsetzt. Die Musik Ludger Brümmers sonst: ewige Quart-Tritonus-Akkorde, kleine Terz-Vierklänge, Grosse-Terz-Dreiklänge. Unglaublich komplex notierte Rhythmen, die dann aber doch nur wie verhudelte Ho-Ho-Ho-Chi-Minh-Kleckse klangen. Oktaven werden, böses Thema, böser Klang, von Tritoni geteilt – gähn.
Nach diesem Vorspiel, schieben zwei Bühnenarbeiter gelangweilt einen Tisch ungenau auf die Bühne, mal vorwärts, mal rückwärts. Fünf Darsteller und ein Weißganzkörperkondomchor betreten die Bühne. Ein Moderator spricht über die Zusammenkunft einer Klimakonferenz. Böse Erstweltländer blieben fern – Chor erstes Gezische – später noch Mischungen a la Kapitalismus sei Terrorismus, Rinderwahnsinn – einfach genial. Dann muß Moritz als Schamane, der nicht verstanden wird und nur eine Sorgenfalte kennt, den Tisch bespielen, über die Weissen schimpfen, die nix verstünden. Man merkt die Energetik Moritz‘ – aber er darf nicht loslegen – schade! Dafür sieht er aber wie ein Bad Boy aus mit Longsleeve und T-Shirt darüber. Der Longsleeve ist aber nur eine Armumwicklung, da der megatolle iTisch weniger sensitiv funktioniert als ein iPhone – na ja…
Zu netten Wingdings-Symbolen erklären dann ein Ökonom und zwei Naturschützer – meist zu laut von dem Brümmerschen Unverbindlichkeiten übertönt, trotz Mikroports zu leise ihre Positionen zu Wachstum, Energie, Weltwirtschaft, Regenwald mit netten Powerpointprojektionen und wundersamen Bewegungen auf dem iTisch ihre Positionen, daß der Wald nur ein regionales Problem sei, der der Weltrindfleischversorgung zu opfern sei, etc. Alles Positionen und Darstellungsformen, die man doch schon so oft in Arte und auf Phoenix oder in History gesehen hat. Hätte man da nicht einfach nur einen wunderbaren Arte-Film des Koproduzenten zeigen können, wo echte Akteure auftreten? Diese echten Akteure wären hier live und performativ doch mal eine Chance gewesen, statt wieder so eine Feuilletonistenpädagogik in Form eines x-ten Biennale-Begleit-Symposiums.
Als dann wieder nach Brümmerschen Brummseln und ehemals grünangestrahlte Quader nun zu Hochhäusern im abgefackelten Regenwald wurden, trat der nun durch die auch in Ganzkörperkondome verwandelten Darsteller der Chor auf. Der schraubte sich langsam die Treppe rauf und runter, sang zu den eingestrahlten Texten sich simpelst chromatisch raufschraubend in etwa die Botschaft: die Katastrophe kommt nicht, läßt sich nicht verhindern, nein sie ist schon da. Zuletzt werden weisse ovale Fächer geöffnet, auf die lächelnde Gesichter des zuvor fotografierten Publikums geworfen werden. Schliesslich bewegen sich deren Münder durch eine seltsam banale Verfremdungskunst im Rhythmus der banalen Chorworte – ach wie schlimm und wie schuldig sind wir doch Alle… Sorry, das kann aber jede Schulaufführung besser mit weniger Aufwand.
Fazit des Abends: wenn die Klimakatastrophe und der Regenwald so herabziehen wie die Dramaturgie der 3 1/2 Stunden, dann gute Nacht! Oder noch besser: wenn bei so einem Orgawahnsinn so wenig Substanz übrigbleibt, sollten nicht nur Augsburger Bischöfe zurücktreten. Dann liegt hier ein Mittelmißbrauch, der nach Rücktritten im Biennaleführungsteam wie im ZKM rufen. Wenn Profis sich solch dröges, infantiles Weltraunen zutrauen und uns einfache Leute und andere Profis nicht mit ihren hellsten Köpfen und klügsten Gedanken konfrontieren, dann ist es nicht nur für die Umwelt zu spät, sondern auch für die Kunst. Und was macht man, damit man nachhaltig Kollateralschäden vermeidet? Man läßt Köpfe rollen. Aber ich wette, daß das Kulturreferat manche Verträge über 2012 hinaus verlängern wird. Wenn also für kurze Zeit ein Übergangsteam benötigt wird: fragt doch mal Moritz Eggert und Klaus Schedl – das könnte 3 Biennalen mal superinteressant werden. Und an Komponisten: tja, da böte die Stadt der Biennale so einige, z.B. für Poetik den Bernhard Weidner oder doch mal Klaus Hübler? Oder Nikolaus Brass? Oder Karola Obermüller, Fredrik Zeller, Mark Möbius, Benjamin Schweitzer, Erik Janson, C. Theiler, Hurti, Nitschke, Kreidlerle, Dieck, Dabic, Safaian, Nickel, Thomallale, Askin, Scartazzini, Schreier, Borboudakis, Safranov, Schiefer, Smutny, Miehe, Geisse, Reiserer, Leuschner, Schwenk, Hajdu, Köszeghy, Kampe, beide Pohlits, Pogatschar, sTRAUCH, Ewert, den vergessenen Schachtner, Schmitti, Münch, Westermann, etcpp – 5 Biennalen wären da schon voll, und die meisten wären jung und doch schon erfahren im Theater durch Kurse, Werkstätten, Studium, Musiker-Sein, Selbstproduktionen…. Und die wollen sogar Musiktheater machen!
Alexander, Du bist krass! Pass auf, Du landest noch als Kritiker im Feuilleton irgendeiner großen Zeitung und kommst dann nicht mehr zum Komponieren – eigentlich sollten die Dich mit Kußhand engagieren!
Kleine Amazonas-Anekdote am Rande: ach ne, das schreibe ich als kleinen Artikel, siehe also oben….
RICHTIGSTELLUNG: Philipp Maintz und Marie-Luise Maintz sind dezidiert NICHT miteinander familiär verwandt. Es bleibt mir nur, mich für diese Ungenauigkeit zu entschuldigen. Ich bin damals dem Biennale-Fieber im fortgeschrittenen Stadium anheimgefallen und habe mich in meiner eigenen Paranoia, welche die Münchener Musiktheater Biennale 2010 durch Eigenaussetzung, Kritikerraunen und Komponistenwahn beförderte, durch die Verbeissung auf wenige Takte eines Maintzschen Vorwerks zu „Maldoror“ von Namensgleichheiten auf seinen Verlagsseiten zu falscher Konklusion hinreissen lassen. Dafür mein Bedauern!
Es lag wohl auch an dem Gefühl, dass neben Qualität von Musik, über die sich leidenschaftlich, zu intensiv streiten lässt, immer wieder persönliche Verbindungen, Partygespräche wie Hinterzimmerabsprachen vorzugsweise das bestimmen, was dann zu hören und zu sehen ist. Wie man es nimmt, man kommt darum wohl kaum herum, sei es auf Musikerverbandsebene, sei es auf Festivalprogrammierungsniveau. Es braucht Parameter der Bewertung, da ist der persönliche Eindruck immer der Wichtigste und leider Naheliegendste.
MfG,
Alexander Strauch
Sind wir immer noch bei der Biennale? Und was hat man gelernt? Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut! Richtig! Selbst wenn es ein Biennale-Auftrag ist. Schon Moses musste dieses Gebot medial verbreiten.