Der Klon im Spiegel
In Düsseldorf wurde Jörg Widmanns Gesicht im Spiegel auf ein Libretto von Roland Schimmelpfennig – 2003 an der Münchner Staatsoper uraufgeführt und von der Zeitschrift Opernwelt damals als wichtigste Uraufführung des Jahres prämiert – nun bereits zum dritten Mal auf die Bühne gebracht. Für die Düsseldorfer Premiere erweiterte Widmann die Streicherbesetzung und schrieb eine große Kinderchorszene neu. (Im Gespräch bei dradio spricht Widmann über seine Veränderungen.)
Ja, richtig gelesen: Kinderchor. Neben vier Solopartien übernimmt ein teilweise zwölfstimmig aufgefächerter Kinderchor antizipierende oder kommentierende Funktionen innerhalb des Abends. Sensationell, was der Clara-Schumann-Jugendchor unter Leitung von Justine Wanat leistet.
Sensationell auch die beiden weiblichen Hauptdarstellerinnen – Sarah Maria Sun (bekannt als hoher Sopran der Neuen Vocalsolisten), die ihre Partie als eifersüchtige Businessfrau Patrizia nicht nur stimmlich brillant meistert, sondern auch in halsbrecherischen Bühnenaktionen den Adrenalinpegel steigen lässt. Überirdisch schön, wie Anett Fritsch mit den Vokalisen des unbedarften Klons Justine nicht nur ihre Schöpfer im Bühnengeschehen betört.
James Bobby als Business- und Ehemann von Patrizia, der sich natürlich in den weniger karrieresüchtigen Nachbau seiner Frau verknallt, wünscht man, dass er die Falsetttöne mit größerem Mut angeht, ebenso Stefan Heidemann, dem verrückten Wissenschaftler Milton.
Bühnenbildner Jan Bammes hat ein Bühnenkonzept erdacht, dass die technischen Möglichkeiten der Oper am Rhein bis an die Grenzen auskostet und Regisseur Gregor Horres gelingen darin immer wieder extrem starke Bilder. Doch erweist die Regie ihre Schwächen gerade im letzten Drittel des Abends: Die Eifersucht Patrizias erwacht vollkommen unmotiviert, die in die musikalischen Zwischenspiele verlagerten psychologischen Vorgänge bleiben leer und wer etwas zu sagen hat, steht halt doch an der Rampe und gestikuliert „große Oper“. Verschenkt, gerade bei solch einsatzfreudigen Sängerinnen. Das ist schade, zumal die letzte halbe Stunde des zweistündigen Werks die Dramatik eben gerade nicht steigert, sondern förmlich aushöhlt und eine stärkere Personenregie benötigt hätte. (Ein Schelm, wer beim Ausfransen des Stücks zum Ende an Zeitnöte beim Komponieren denkt…)Die zuletzt für ihren Verdi vielgescholtenen Düsseldorfer Symphoniker haben sich das Gesicht im Spiegel unter Leitung ihres GMD Axel Kober mit viel Fleiß – zwanzig Proben! verriet mir der Pianist – erarbeitet und leisten Beachtliches, allen voran die Holzbläser, die Widmann besonders für die psychologische Konturierung der Hauptfiguren heranzieht.
Nach so viel Interpretationskritik: doch noch ein bisschen Werkkritik? Nein, das sei an dieser Stelle anderen überlassen. Nur so viel ist sicher: Widmann ist ein viel zu gewiefter Komponist, als dass er seine Sänger bloß mit Textproben quälen würde. Und was er Ihnen in die Stimmen schreibt, ist jedenfalls so gut singbar, dass man sich von den Lesern eines gewissen Blogs keine mp3-files wünscht, um sich der akkuraten Ausführung anzunähern. Wenn es die Maßstäbe nicht etwas zu stark verrücken würde, könnte man sagen: Diese Musik ist kinderleicht. (Und so „eingängig“, dass Sie sogar von einem hochmotivierten Kinderchor aufgeführt werden kann.)
Fahrt hin und macht euch selbst ein Bild. Nur bloß kein Bild im Spiegel.
Musikjournalist, Dramaturg