mein nachbar, zwei brüste und ein trauerzug

man kann sich seine nachbarn ja schlecht aussuchen. zumal, wenn man selbst in eine gegend zieht. aber manchmal hat man glück. eine straßenecke weiter wohnt ein ganz berühmter mann. (gleich werden alle denken, ich hätte hier ein wortspiel machen wollen, doch die oberste regel lautet ja: no jokes with names.) es handelt sich um gerhard rühm: musiker, zeichner, literat. chansonier, sammler, aktionist.

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ab und zu begegnen wir uns am sonntagnachmittag – oder eher am frühen mittag – wenn wir bereits den kuchen für den nachmittagskaffee im café braun besorgen, um die schlangenbildung, die ab 14.30 unmittelbar einsetzt und bis 18 uhr anhält, zu vermeiden. oder vielmehr: ich begegne ihm, denn bislang habe ich mich nicht getraut, ihn anzusprechen, man soll menschen mit leckerer torte in der hand nicht stören.

gerhard rühm ist vor wenigen tagen achtzig jahre alt geworden. die universität zu köln hat ihn mit der ehrendoktorwürde bedacht, was die pointe zur folge hat, dass sich gerhard rühm nun „doktor h. c.“ nennen darf, was wohl artmann dazu sagen würde, mit sana schwoazn dindn. michael lentz hat zu diesem anlass (unter umgehung der obersten regel) eine „rühmung“ ausgesprochen.

so kam es, dass ich bis nach krefeld fahren musste, um meinen nachbarn kennen zu lernen. carola bauckholt hatte dankenswerterweise eine kleine „kaffeefahrt“ in ihre „kinderstube“ organisiert, ins TAM in krefeld, wo ein „teichoskopisches dramolett“ von gerhard rühm vor kurzem seine uraufführung fand. traditionell war der beginn um 22 uhr, denn das TAM wird aus purem spaß an der freude von menschen betrieben, die tagsüber einem ordentlichen beruf nachgehen um die heizkosten für das theater aus eigener tasche zu bestreiten. (mit den eintrittsgeldern (5 euro) und dem preis für die flasche bier (1 euro) können sie das jedenfalls nicht.)

das TAM ist schon alleine deshalb legendär, da hier – von pit, dem macher des TAM – viele kagelstücke aufgeführt worden sind – die von kagel dann teilweise auch verfilmt wurden. fotos aus kagel-aufführungen empfangen den besucher des TAM auch sofort, wenn er das ehemalige schulhaus am marienplatz in krefeld-fischeln betritt, links im fundus stapelt sich historisches aufführungsgerät, wie eine wassertropfenorgel, die kagel für das staatstheater schmieden ließ.

oben, im kleinen schuhkarton, geschätzte sechzig plätze, man ist nah dran, kein graben, keine rampe trennt von der kleinen bühne. Rühms „Pompes Funèbres Meyerbeer“ erzählt vom Begräbnis des Komponisten Meyerbeer, genauer: es erzählt gleichzweimal davon. einmal gewissermaßen als augenzeugenbericht (auf französisch), dann als vergegenwärtigung via lektüre, gekrönt durch das gemeinsame hören einer arie aus meyerbeers letzter oper.

es kam, wie es kommen musste: am ende des ersten akts gab es einen toten komponisten, eine nackte frau und die amseln zwitscherten, während die trauertrommeln langsam verebbten. binnen zehn minuten hatte jeder im raum schon einmal kurz ans sterben gedacht, die erinnerung an eine erektion erinnerte ans leben und die amseln erzählten, dass es auch ohne uns gut weitergeht.

das nächste mal, wenn ich meinen nachbarn treffe, spreche ich ihn an. habe ich mir vorgenommen. kuchen hin oder her.

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Musikjournalist, Dramaturg

3 Antworten

  1. Adabei sagt:

    Jacob Mayer Beer, der geniale Berliner Opernkomponist, wurde zum genialen Komponisten Meyerbeer in der französischen Oper. Wirklich, Sachen gibt´s….Aber Julia Spinola fehlt im Chopin-Nachruf der FAZ vom Wochenende eine „spezifisch deutsche Chopin-Tradition“. Was ist das? Muss man dabei in der Lederhose spielen, anschließend Bier trinken und nach dem Schlussapplaus den Deckel putzen?

  2. trippundtrapp sagt:

    herrlich adabei einfach herrlich lustig

  3. peh sagt:

    aber zum glück haben ja frau spinola und frau büning offenbar nichts besseres zu tun, als immer auf den gleichen haufen zu schreiben: und so gibt es natürlich die ganzseitige chopineloge nicht nur in bilder und zeiten vom samstag, sondern auch noch im feuilleton der fas. (ohne lederhosen und bier, frau büning pflückt ihm dafür ne blaue blume.)