Nachtgebet mit Welt und Hose
Es gibt einen wunderbaren Aufsatz von Samuel Beckett, auf den ich nur gestoßen bin, weil Rebecca Saunders einer Partitur einen Satz daraus vorangestellt hat. Er trägt den Titel „Die Welt und die Hose“ und das hat mit dem alten Witz zu tun eines Mannes, der zum Schneider kommt und sich beschwert: „Gott hat die Welt in sechs Tagen erschaffen, und Sie schaffen es nicht, mir in sechs Monaten eine Hose zu machen.“
Antwortet der Schneider: „Aber, mein Herr, sehen Sie sich doch die Welt an, und sehen Sie da Ihre Hose!“
Es geht dann auch um „teuflische Schwierigkeiten“:
„Die grundlegende Unsichtbarkeit der äußeren Dinge zu bezwingen, bis diese Unsichtbarkeit selbst sich verdinglicht, nicht bloß Bewußtsein einer Begrenzung wird, sondern etwas, das man sehen kann und sichtbar machen kann, und zwar nicht im Kopf (die Maler haben keinen Kopf, lesen Sie Malgrund statt dessen oder Magen an den Stellen, wo ich sie damit ausstaffiere), sondern auf der Leinwand, das ist eine Arbeit von solch teuflischer Komplexität, die eine so lockere, leichte Hand verlangt, eine Hand, die mehr andeutet als feststellt, die nur positiv ist mit der flüchtigen, unwichtigen Evidenz des großen Positiven, des einzigen Positiven, der fortkarrenden Zeit.“
Träfe dies auch auf Musiker zu, dass sie keinen Kopf haben – lesen Sie stattdessen Klangvorstellung, Notenpapier oder Magen an den Stellen, wo man sie damit ausstaffiert – so hätten wir auch schon eine Erklärung gefunden, warum Musikerhirnen die Zwölftonmusik so wenig Schwierigkeiten bereitet und die Hirnforschung wäre eine Sorge los.
Zum Schluß hin redet Beckett dann „von etwas anderem“, er spricht vom „Humanen“:
„Das ist ein Wort, und wahrscheinlich auch ein Begriff, den man für die Zeiten der großen Gemetzel aufspart. Man braucht die Pest, Lissabon und ein größeres religiöses Massaker, damit die Menschen auf den Gedanken kommen, sich zu lieben, den Gärtner von nebenan in Frieden zu lassen und einfach, ganz einfach zu sein.
Es ist ein Wort, das man sich heutzutage mit noch nie dagewesener Leidenschaftlichkeit an den Kopf schleudert. Wie Dumdumgeschosse.
Es prasselt besonders heftig auf die Künstlerkreise herab. Das ist schade. Denn die Kunst scheint, um ausgeübt werden zu können, einen Kataklysmus nicht nötig zu haben.
Die Schäden sind schon jetzt erheblich.
Mit „Das ist nicht human“ ist alles gesagt. Weg, in den Müll damit.
Morgen wird man verlangen, dass die Metzgerei human sein soll.
Das ist noch gar nichts man ist immerhin manches gewöhnt.
Reineweg abscheulich ist allerdings, daß der Künstler selbst dabei mitmacht.
Der Dichter, der sagt: Ich bin kein Mensch, ich bin nur ein Dichter. Rasch, wie läßt sich im Reimen Liebe mit bezahltem Urlaub vereinen.
Der Musiker, der sagt: Lieber die Sirene als eine gestopfte Trompete. Das wäre humaner.
Der Maler, der sagt: Alle Menschen sind Brüder. Schnell, eine kleine Leiche.
Der Philosoph, der sagt: Protagoras hatte recht.
Sie sind imstande, uns fünfzig Jahre lang die Poesie, die Musik und das Denken zu demolieren.
Vor allem nicht protestieren.
Wollen Sie ein Lebewesen zum Vorzeigen? Stecken Sie es in einen Blaumann. Geben Sie ihm eine Trillerpfeife.
Sie interessiert der Raum? Brechen wir ihn auf.
Sie beschäftigt die Zeit? Schlagen wir sie gemeinsam tot.
Die Schönheit? Der Mensch insgesamt.
Die Güte? Abwürgen.
Die Wahrheit? Der Furz der Mehrheit.
In diesem Sinne: seid so gütig und bleibt hübsch menschlich. Und Bona nox.
Zitate aus: Samuel Beckett: Die Welt und die Hose. Aus dem Französischen von Erika Tophoven-Schöningh. Frankfurt am Main 1990, S. 39 und S. 41-43.
Musikjournalist, Dramaturg