La Ola im Klangbecken

Ein junger Komponist äußerte sich vor einiger Zeit an dieser Stelle mit der These, dass nicht Komponisten sondern Institutionen komponieren. Wenn es dafür noch eines Beweises bedurft hätte, so wurde er gestern Abend geliefert. Und das ausgerechnet mit einem Werk, in dem alles hätte anders kommen sollen: Mathias Spahlingers „Etüden für Orchester“.

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Bei der UA von Mathias Spahlingers "Etüden"

Wie das kam, dass die Uraufführung, die unter der Flagge der großen Befreiung des Orchesters und seiner Individuen in Richtung Ozean der Musik segelte, von wenigen Ausblicken auf gefährliche Strudel von Klangfarbmischungen abgesehen über die Dauer von vier Stunden doch in einem Hafenbecken von „Neue Musik“- und Orchester(musiker)-Klischees anlegte?

Das beginnt vielleicht schon damit dass der Orchestertarifvertrag die Form des Werkes bestimmte: vier Stunden, einen Orchesterdienst dauerte die Aufführung. Die tariflich vereinbarte Pause bestimmte auch die Binnenstruktur: Nach zwei Stunden verließen die Damen und Herren des Orchesters ihren Aufführungsort, Licht aus nicht vergessen! um ihrer wohlverdienten Pause entgegen zu gehen: ein gewerkschaftlich – und anthropomorph, nach 2 Stunden braucht man wirklich eine Pause! – auskomponierter Zerfallsprozess.

Eines muss man den „Etüden für Orchester“ zugute halten. Sie haben den Individuen des Orchesters mehr Raum gegeben. Aber was geschieht, wenn man Menschen die Aufgabe stellt, Menschen zu sein? Sie verhalten sich wie Menschen. Sie feixen, sie blödeln, sie entwickeln eine reich ausdifferenziertes Vokabular an parodistischer Verformung der Aufgabe, die ihnen gestellt ist. Und sie freuen sich über einfache Dinge: wenn der Komponist den Musikern eine „La Ola“ zur Aufgabe stellt, dann machen Sie das so akkurat wie die die Fans im Müngersdorfer Stadion.

Und auch als Hörer hat man Freude. „Surround“-Hören ist wirklich eine feine Sache, man kann mehr Dinge gleichzeitig differenzierter hören, das gesamte Wahrnehmungssystem ist involviert, die Musik weitet das Bewusstsein für den Raum, der uns umgibt. Doch auf einmal erwischt man sich, dass man sich nach all dem Mäandrieren im Raum doch wieder nach der – oft belächelten, ich bitte jetzt inständig dafür um Verzeihung – Liegewiese von Klaus Langs „fichten“ sehnt.

So streckt man irgendwann die Waffen, sinkt ermattet auf einem Mikrophonfuss nieder und ergibt sich den Knicks- und Knacks- und Eintonwelten dieser vierstündigen gruppendynamischen Übung. Man zählt Scelsi-Momente, Haas-Momente, Varèse-Momente und, ja, selbst dies, Spahlinger-Momente. Er ist ja ein aufregender Komponist. Und ich hoffe, er versteht es recht, wenn ich den Autoren aufregender Orchesterstücke wie „passage/paysage“, dem Übungsleiter der Orchester-Etüden vorziehe: die Konzentration die entsteht, wenn Prozesse zwischen Kontinuität und Diskontinuität so genial auskomponiert sind wie in der genannten Durchgangslandschaft, dann geht die Aufmerksamkeit ganz rauf und es entsteht jene Freiheit, die wir meinen, wenn wir von Musik sprechen. Ein Achtel, sagen wir, der Dauer eines Orchesterdienstes genügt dafür in der Regel schon.

Die Zusammenfassung des Abends lieferte übrigens jener junge Komponist, der auch schon die komponierenden Institutionen ins Spiel gebracht hat: Johannes Kreidler. Er genoss diesen großen „Feldman für Hegelianer“.

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Musikjournalist, Dramaturg