Sing mir, Tod, ich spiel derweil schau. Triennale-Gedanken von der Ruhr

Noch so ein Beispiel, wie sich Hochkultur implantieren lässt: Man nehme Ruinen des Industriezeitalters, putze sie heraus, dass ihre herrschaftlichen, kathedralischen Züge zum Vorschein kommen, gebe einem Impresario mondialen Zuschnitts ausreichend Taschengeld und fertig ist eines der innovativsten Musik- und Theaterfestivals der Welt. Vulgo Ruhrtriennale. Gut, das mit dem innovativ, darüber ließe sich streiten. Aber immerhin wurden hier, seit Gérard Mortier die Sache richtig gut vorgeglüht hat, einige Produktionen, die über den Tag hinaus das Gespräch beherrschen, auf die Beine gestellt.

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Man denke nur an Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“ in der Inszenierung von David Pountney 2006. Oder an „Moses und Aron“ in der Inszenierung des Intendanten der dritten Triennale-Periode, die nicht von ungefähr Kritik aufgrund ihres verschwenderischen Umgangs mit Bühnen- und Geldmitteln auf sich zieht. Die aber zugleich – und das wird noch der schärfste Kritiker eingestehen – ein beeindruckendes Beispiel dafür liefert, was möglich ist, wenn eine Inszenierung es sich erlauben darf, nicht allein einen Bühnenraum zu inszenieren, sondern Bühnenraum und Auditorium zugleich zum Gegenstand ihrer Verwandlungen macht.

Dieses und die folgendenen Bilder von Paul Leclaire, auf den Seiten der www.ruhrtriennale.de

Dieses und die folgendenen Bilder von Paul Leclaire, auf den Seiten der www.ruhrtriennale.de

Was möglich ist, wenn ein Chor nicht ein Kollektiv von anständigen Stimmen, sondern eine Reihe von Individuen ist. Individuen aus unserer Mitte, die sich zu Paaren finden, zu Massen zusammenrotten, als Mob die Grenzen der Zivilisation überschreiten und deren Ringen mit der Gottesfrage in einem Fanal der Sinne einmal glaubwürdig ist. Wenn es einem Regisseur gelingt, bei einem gleichzeitigen Wuchern mit Bühnenmitteln gelingt, die Konflikte zwischen Menschen glaubwürdig darzustellen, dann ist das was. Das muss erst einmal gelingen. Willy Decker ist es gelungen.

Problematisch bleibt bei einer so bildmächtigen Aufführung dennoch die musikalische Realisierung. Wenn die BoSys (Bochumer Symphoniker) nicht nur hinter dem akusmatischen Vorhang spielen, sondern von „hinter der Wand“, dann leidet da was. Ebenso, wenn Musiker in einem spektakulären Bild durch den Raum fahren, der Kontrapunkt jedoch dabei zu wackeln beginnt. Doch Musik scheint bei solchen musikthetralischen Produktionen nicht mehr die Hauptsache zu sein.

Den Eindruck legt auch eine „Kreation“ nahe, die sich Musik und Person von Claude Vivier verschrieben hat. Wiewohl der Kanadier Claude Vivier sein „Erweckungserlebnis“ als Komponist im Anschluss an eine Probe der „Momente“ seines Lehrers Karlheinz Stockhausen hatte, immerhin in Nordrhein-Westfalen, wenn auch nicht an der Ruhr sondern am Rhein, so ist seine Musik nicht nur in diesem Teil Deutschlands alles andere als bekannt. Verwunderlich eigentlich, strotzt sie doch vor Sinnlichkeit. Vivier komponiert Melodien, unendliche beinahe, führt sie durch klangfarbliche Veränderungen, reichert sie mit exotischem Kolorit an und spricht mit ihr in einer Sprache der Träume.

Ein Glücksfall also, dass die Triennale – nach der Inszenierung von Viviers „Kopernikus“ durch Tatjana Heiniger (die nun im Leitungsteam Willy Deckers einen Platz gefunden hat) im vergangenen Jahr – sich erneut dem kanadischen Komponisten verschrieben hat.

Viviers Leben wurde nach nur 34 Jahren durch eine schreckliche Gewalttat beendet. Er fand seinen Tod von der Hand eines bezahlten Liebhabers über der unvollendeten Partitur einer Komposition mit dem Titel „Glaubst Du an die Unsterblichkeit der Seele“. In literarischen Skizzen antizipierte er seinen Tod auf dieselbe Weise, wie er ihn ereilte. In seinem Ende verwischen Kunst und Leben, ästhetische Imagination und Lebenswirklichkeit – als Todeswirklichkeit.

So wurden drei seiner letzten Werke – „Lonely child“, „Wo bist Du Licht“ und „Glaubst Du an die Unsterblichkeit…“ – zu einem musikalischen Rahmen verbunden, der im Auftrag der Ruhrtriennale von Albert Ostermaier mit einem dramatischen Text ausgestattet wurde, der anschließend von David Herrmann in einem Bühnenraum von Christof Hetzer inszeniert wurde.

Das Ergebnis ist – je nach Perspektive – eine beeindruckende, einfühlsame Annäherung an das Wesen Claude Viviers. Oder ein ziemlich manieristischer Kitsch. Ostermaiers Text kennt zwei Sprechende: Vivier und einen jungen Mann. Wobei es der Figur des jungen Mannes zukommt, den Bewusstseinsstrom des Sprechenden immer wieder zu unterbrechen, seine Richtung abzulenken usw. Ostermaier hat sich in das Innere Claude Viviers vertieft und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Sprachmitteln helle und dunkle Seiten aus den dunklen Tiefen seiner Seele zutage gefördert. Ein großer Monolog ist das geworden – viel zu groß für diesen Abend, so dass der Regisseur David Herrmann vor der schwierigen Aufgabe stand, aus dem Text zentrale Stellen herauszulösen.

David Herrmann hat den „jungen Mann“ zu einem weitgehend stummen Akteur gemacht – der als ein Alter ego des Komponisten auftritt. Ganz am Ende hat er, als eine Art Epilog, auch noch einen Text von Claude Vivier selbst angefügt – jenes erschütternde Fragment aus einem Opernlibretto, in dem Vivier seinen Tod vorwegnimmt.

Die Bilder, die er in seiner Inszenierung geschaffen hat, drücken einen größtmöglichen Gegensatz aus zur opulenten Sinnlichkeit in Viviers Musik. Dabei gelingt es ihm nicht, Ostermaiers Unterlassungstat auszugleichen: Welchen Bezug die gespielte Musik zu der pathologisierten Künstlergestalt in der Weite der Maschinenhalle Zweckel besitzt, bleibt bis zum Ende unklar.

Sicher: die Imagination der (jungen) Muttergestalt in Form von Caroline Melzer in „Lonely Child“ ist ein schlüssiges und schönes Bild. Schön gesungen und gut begleitet von der musikFabrik unter Christoph Poppen ist das auch. Stark auch das Bild der „blinden Sängerin“ aus Hölderlins Gedicht, die als Untote Muttergestalt aus dem Jenseits herandringt. Maria Riccarda Wesseling beweist Mut zur Hässlichkeit, was im Gegensatz zu Ihrer stimmlichen Interpretation steht. Doch derweil liegt Stefan Kurt, der Darsteller des Vivier verloren und zusammengekauert in der Tiefe des Bühnenraumes, als wollte er mit diesem eindringlichen Bild nichts zu tun haben. Er wartet, zusammengekauert, auf seinen nächsten Texteinsatz. Wenn er spricht, ruht meist die Musik, die unbeteiligt ihre Welten aufbaut – aus einem höhergelegten Schuhkarton, dem jeder veredelnde Reiz abgeht und der die dynamischen Unterschiede zu einem Einheitsforte nivelliert.

Merkwürdig uninspiriert dann der Einsatz der Musik im Raum, von hinten. Was mehr als der Effekt war hier intendiert? Wer auf die Präsenz von Musikern auf der Bühne so freiwillig verzichtet, der hat nicht viel verstanden von der theatralischen Kraft, die darin schlummert. Damit, dass man die Bühne schön clean aufräumt, ist es nicht getan, wenn man Musik mit Hilfe eines Schauspieltextes gleichfalls zum Sprechen bringen will – und einen Text zum Klingen.

Zweifellos – Kreationen wie diesen gebührt in der Weiterentwicklung von Musiktheater und Konzert eine wichtige Rolle. Man sollte, als musikliebender Intendant, bloß nicht so leichtsinnig sein, sie allein in den Händen von Schauspieldramaturgen zu belassen.

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Musikjournalist, Dramaturg

Eine Antwort

  1. eggy sagt:

    Vivier komponiert Melodien, unendliche beinahe, führt sie durch klangfarbliche Veränderungen, reichert sie mit exotischem Kolorit an und spricht mit ihr in einer Sprache der Träume.

    Das finde ich geradezu eine mustergültige Beschreibung der Musik dieses vollkommen unterschätzten Komponisten, den ich persönlich sehr liebe.

    Eine interessante Hintergrundinfo zu diesem Projekt bei der Ruhrtriennale: ursprünglich wurde nämlich Helmut Krausser angefragt, diesen Text zu machen, hat sich dann intensiv in Leben und Werk von Vivier eingearbeitet, nur um dann im letzten Moment von der „Schauspieldramaturgie“ ausgebootet und durch den eng mit ihm befreundeten Kollegen Albert Ostermaier ersetzt zu werden – worüber er verständlicherweise ziemlich sauer war!
    Es wäre sehr interessant gewesen, hier die Version von Krausser zu sehen – die wäre sicherlich sehr anders geworden!