Urlaub vom Leben [1]
Entsetzlich. Diese Beschleunigung. Dieses Leben im Tempodrom. Mensch, Herr Virilio, Ihre Dromologie ist doch längst eine Traumatologie geworden. Und Schumi kommt wieder! Das sagt doch alles. –
Ein Blogger hat nie frei. Ich kann ja nicht einmal mehr den Wetterbericht hören, ohne an die nächste Open-Air-Premiere von eggy zu denken. Geschweige denn, das Radio einschalten, ohne stichprobenartig imaginäre Gema-Meldungen damit zu vergleichen und über neue, gerechtere Verteilungsschlüssel nachzudenken. Und während ich noch drüber nachdenke, müsste ich das ja eigentlich schon rausdüdeln, WEIL DAS BLOGGER SO TUN. Zumindest die guten, und während mir das einfällt, finde ich es zum ersten Mal richtig toll, dass das hier ein Bad Blog sein soll. (Auch wenn mir neulich wieder jemand gesagt hat, niemand dürfe sich selber Bad Boy nennen, das sei ein Name, den man sich in zahllosen Scharmützeln erwerben müsse, und der einem dann als Ehrentitel von anderer Seite gegeben würde.)
Am schlimmsten aber ist es, wenn ich Zeitung lese. Dann lese ich schon wieder, wo ich eigentlich gestern gewesen sein wollte, wo ich aber nicht war, weil ich noch darüber nachdachte, wohin ich fahren soll, weil einfach so viel los ist und weil man ja einfach an so vielen Orten sein könnte, über die man schreiben müsste. Man kann ja über alles schreiben, als Blogger. (Man ist ja Dilettant, was keine so unehrenwerte Gesellschaft ist, wenn man dieser Bibliographie glauben schenken kann.)
Doch dann kriege ich ein schlechtes Gewissen, dass ich mein Riesenreisekostenbudget schon wieder nicht verfahren habe, um am nächsten Tag wieder was richtig Gutes drüber sagen zu können, schreiben zu können, was noch keiner so gesagt oder geschrieben hat. Das ist nämlich auch so eine Spezialität von einem Blogger, dass er was anderes sagen kann als das, was man sagen muss, wenn man für eine richtigrichtige Zeitung schreibt, für die man richtigrichtig bezahlt und von der man richtigrichtig bezahlt wird. Steht zwar nirgends, dass man das da nicht auch sagen dürfte, aber die Gesetze, die sind so in uns drin und in diesem leichtgräulichen Papier, in dem man so toll Küchenabfälle einwickeln kann oder zum Fensterputzen, im Winter auch ganz toll, wenn’s zu kalt ist für die dünnen Sohlen und man Angst hat, krank zu werden, die kommen förmlich da raus, aus der Molekülstruktur des Papiers, das muss der Altpapieranteil sein, denk ich und schreib’s noch, während ich schon was andres denk.
Das ist eigentlich das Schlimmste am Bloggen, dass noch nicht mal was bleibt, wo man was drin einwickeln kann, so verwickelt der Gedanke auch gewesen sein mag. Bei Nono in Salzburg wäre ich sehr gern gewesen. So richtig gern. Aber als das losging, da versuchte ich gerade ernst zu machen mit einer Idee, die Ulrich, der „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil, so elegant anzufangen verstand: Urlaub vom Leben. Das geht nun nicht mehr! Denn ein Blogger hat nie frei.
Musikjournalist, Dramaturg