Der vielstimmige Peter Kiesewetter – ein Nachruf

Derzeit wandelt sich dieser Blog zum Nachruf-Organ. Wen wundert dies, wenn innerhalb einer Woche der weltberühmte Brasilia-Architekt Oscar Niemeyer (15.12.1907 – 5.12.2012) und der britische Komponist Jonathan Harvey (3.5.1939 – 4.12.2012) sterben? Kurz vor den beiden Anderen starb nach langer Krankheit am 3.12.2012 der süddeutsche Komponist und Lehrer Peter Kiesewetter (1.5.1945 – 3.12.2012). Ein kleiner Nachruf:

Im Gegensatz z.B. zu Leopold Hurt, Nikolaus Brass, Margret Wolf oder Klaus K. Hübler bin ich nicht Student oder Privatschüler von Peter Kiesewetter gewesen. Auch darf ich nicht behaupten, dass sein Werk mich direkt beeinflusst haben dürfte. Es sind eher wenige seiner vielen Kompositions-„Tugenden“, sehr einfache, die ich mir zu Herzen nahm: einfaches Material durch geringe Verschiebungen von allen Seiten zu beleuchten. Keine Angst vor der Länge eines solchen Prozesses zu haben, sofern dieser strukturell oder intuitiv seinen ausgehörten Weg nimmt. Den Mut zu riskieren, Gesangslinien nicht nur hyperexpressiv zu gestalten, „Sanglichkeit“ zu wagen. Die Lust auf hochvirtuose Verknüpfung alter und neuer Stilistiken, worin er ein unübertroffener Meister in Fortführung eines vokalen wie instrumentalen Belcantos war. Mit ihm teile ich nach wie vor eine Vorliebe für ein Instrumentarium, das den archaischen Klang der Zither im zeitgemäß belebten Gewande in das Zentrum kleinerer und größerer Besetzungen stellt, denkt man an seine vielen kammermusikalischen Werke oder sein Schöpfungsoratorium „Bereshit“.

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Peter Kiesewetter (Foto: © 2001 Martin Hufner, nmz-taktlos)

Über die Zither Georg Glasls und Leopold Hurts lernte ich ihn dann auch kennen. Sein Kompositionsschüler Leopold Hurt und ich arbeiteten 2001 auf dem ADEvantgarde-Festival im Rahmen eines Musiktheaterabends zusammen. Er brachte Adelheid Kiesewetter-Thanner als Sängerin seiner kleinen Oper „AnnaLiviaPlurabelle“ mit. Und sie brachte ihren Ehemann Peter Kiesewetter mit. Seine Parkinson-Erkrankung war schon so weit fortgeschritten, dass er längere Zeit nicht alleine sein konnte. Adelheid, von allen Heidi genannt, betreute und pflegte ihn. Wenn sie ein größeres Engagement wahrnehmen wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn mitzubringen. Während sie mit Leopold dessen neues Stück probierte, passte ich auf Peter Kiesewetter auf. So durfte ich mit ihm über seine und andere Musik sprechen, gar ein paar Takte eigener Stücke zeigen. Das wurde immer jäh unterbrochen, wenn ihn die Unkontrolliertheit seiner Krankheit heimsuchte und ich Heidi eilig herbeirufen musste. In den wenigen folgenden Jahren, die er noch öffentlich auftreten konnte, beeindruckte mich immer wieder, wie seine Frau ihn an den Händen fassend, rückwärts gehend ihn in einer Art Schwenkschritt in Konzerte brachte. Dann gab es dort wundersame Augenblicke, in denen er während dem Zuhören vollkommen in sich versank und am Ende doch plötzlich „Buh“ statt „Bravo“ rief, um nach dieser missverstandenen Unmutsäußerung, die Zustimmung sein wollte, urplötzlich auf die Bühne zu rasen, sich bei seinen Interpreten stürmisch zu bedanken und danach wieder von einem Moment auf dem anderen ausgebremst wurde. Das irritierte manchen, brachte die kraftvolle Energetik an den Tag, mit der ihn viele Andere aus alten Tagen kannten.

Peter Kiesewetter muss in früheren Jahren ein sprühender Lehrer gewesen sein, der begeistern konnte, aber auch mehr als deutlich seine Meinung kundtat, wenn ihn die Etüden seiner Studierenden aufregten. Viele Jahre quälte er sich wie viele andere Kollegen als Lehrbeauftragter und Dozent an der Münchener Musikhochschule, bis endlich der Ruf zum ordentlichen Professor in Hannover berufen wurde. Aufgrund der ausbrechenden Parkinson-Erkrankung musste er diese Stelle aber bald aufgeben. Immerhin verblieben ihn noch mehr als zehn Jahre, um immer mühsamer weiterhin komponieren zu können, was zu guter Letzt auch nur mithilfe von Heidi möglich blieb. Mitte der Nullerjahre legte er endgültig den Stift beiseite, obwohl ihn innerlich noch weitere Stücke beschäftigten. Als Komponist sah er sich seinem tiefen Glauben verpflichtet, siehe besonders „Bereshit“. So teilte er sein Oeuvre streng in „geistlich“ und „weltlich“ auf. Wie daseinszugewandt er wirkte, zeigen die reichhaltigen Orchesterwerke, Kammermusiken und Vokalwerke. Im Prinzip ist er einer der letzten ernstzunehmenden „Klassiker“, darin Hans Werner Henze ähnlich, die sowohl im Bereich der Neuen Musik bewandert waren und sich dennoch auch grandios auf dem Feld der leichten Muse hervortaten. So findet man „Canti zoppi“ neben mehreren Tangos, Sinfonien neben Männerchorwerken, beinahe renaissancehafte Lieder neben expressionistischen Gesangsszenen. Somit hat uns mit Peter Kiesewetter ein Mensch verlassen, der mit unterschiedlichsten Stimmen singen konnte, sei es tatsächlich seine singende Pflege der Gregorianik oder all die Werke für seine zweite Frau Adelheid. Als er nicht mehr schreiben konnte, sang es in ihm weiter. So sei der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass seine Musik in Zukunft weiter gepflegt und verbreitet werde, seine Stimme in anderen Kehlen weiterklinge.

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