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Wie George sein Didgeridoo-Stück unter den Linden hörte

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Mein alter Freund George war nochmal da. Er kam mitten im beginnenden kalten Winter nach Berlin. Er flog mit 97 Jahren einen Tag lang aus seiner Wahlheimat, seinem Refugium, seinem geliebten Fluchtort Melbourne aus Australien in das Deutschland, zu dem er zu sagen pflegt:„Noch einmal rausschmeißen werden sie mich nicht!“

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George ist George Dreyfus, einer der bekanntesten Komponisten in Australien. Zu seinen beliebtesten Stücken gehören die Titelmelodie der Goldgräberserie „Rush“ , die entzückenden Kindermelodien aus dem Zeichentrickfilm  „Sebastian, the Fox“ , und natürlich gibt es auch seine Sinfonien und nicht zuletzt sein sozusagen fast weltbekanntes Sextett für Bläserquintett und Didgeridoo von 1971.

Dafür kam George extra nach Berlin, denn dieses wurde vom  Bläserquartett der Staatskapelle in der Oper unter den Linden in einem Kammerkonzert gespielt. Unter den Linden, wo ich ihn im Foyer antraf. „Hier war ich schon in den 60er Jahren, als du noch gar nicht lebtest! Ein Ballett aus München trat auf. Als ich mir ein Ticket kaufen wollte, sind sie förmlich auf mich gestürzt – ich bezahlte mit Westgeld! 6:1 war das damals mindestens wert. – Für Australier war es sehr leicht, die Grenze zu passieren. Mein Freund Hartmut, der jetzt leider nicht mehr lebt, konnte nie wieder zurück, weil er abgehauen war.“ George hat viel erlebt.

Oben im Apollosaal wird George auf seinem Platz in der ersten Reihe sofort von Sitznachbarn in Gespräche verwickelt bzw. er verwickelt sie  ins Gespräch. Er ist  etwas schwerhörig, und da wir zu spät kamen, um noch ein Programmheft zu ergattern, fragt er seine Nachbarin zur Linken, was als nächstes gespielt wird: „Poulenc? – Poulenc?“, um  lauthals zu kommentieren „Grässliches Stück!“

Früher hatte George mit seiner Stimme den ganzen Raum beherrscht. Noch vor einigen Jahren haben sie ihn aus dem Opernhaus Melbourne geschmissen, als er dort zur Saisoneröffnung eine lautstarke Protestaktion durchführte gegen das Immer noch Nicht-Aufführen seiner vor 50 Jahren in Auftrag gegebenen Oper „The Gilt-Edged Kid“ Er erzählte danach immer wieder, wie von zwei Seiten der Orchestermanager und seine Ärztin an ihm zerrten, seine Ärztin, die ganz zufällig im Opernhaus war,  wie sie ihn zur Ruhe bringen wollten aus ganz unterschiedlichen Motiven. Damit kam er aber in die Presse, und die Sache wollte es.

Mit seinen 97 Jahren geht George bei der Aufführung des Bläserensembles von den formidablen SolistInnen der Staatsoper lebhaft mit. Den Kopf leicht vorwärts zur Seite geneigt bewegt er sich leicht mitschwingend mit, bei Mozart mit leuchtender Begeisterung im Gesicht. George war selbst professioneller Fagottist im Melbourner Sinfonieorchester, er kennt diese Stücke.  An exponierten Solostellen schnellt mitunter sein Zeigefinger leicht erhoben nach vorn und zeigt auf den exzeptionellen Musiker, der gerade spielt. „Congratulations!“ sagt er nachher zu dem Hornisten „Sie haben überhaupt nicht gekiekst!“ „Da wäre ich mir nicht so sicher!“ erwidert der lachend.

Im Apollosaal haben sie jetzt auch die legere Hausordnung eingeführt, dass dort oben im Saal zeitgleich zum Konzert Getränke und Brezeln verkauft werden. Die Leute sitzen also mit ihrem Rotweinglas neben dir in der Sitzreihe während des Konzerts. Für George hat das den Effekt, dass sein Sohn Jonathan ihm in der Pause einen kleinen Sekt bringen kann. An diesem Sektglas hält er sich in der zweiten Programmhälfte fest, um immer mal wieder einen winzigen Schluck zu nippen. Er teilt es sich ein. Wenn ich voller Bewunderung daran denke, wie alt George bereits geworden ist, dann erkläre ich es mir manchmal damit, dass er neben seinem täglichen Schwimmen, seinem kreativen Geist auch so wenig isst, man sieht ihn jedenfalls fast nie in der Öffentlichkeit essen. Er teilt es sich ein.

Ich finde den Poulenc übrigens sehr beeindruckend. Schmelz und Leichtigkeit mit  dunklen Untertönen und Vorkriegsdramatik, sehr aktuell heute. George wischt das weg: „Das ist nüscht! Nichts als bekloppte französische Unterhaltungsmusik!“ Und zum Thema Vorkriegsdramatik sagt er nur lapidar: „Krieg ist erst, wenn sie schießen!“ Der Mozart dagegen: „Das ist ein sehr intelligentes Stück! Er war selbst sehr stolz darauf. Der wusste, was man macht mit dem Material.“

Bei der Aufführung von „Opus Number Zoo“ von Luciano Berio höre ich George manchmal kurz auflachen. Die am Rande des Nonsens angesiedelten Tierverse und die virtuose Blas und – Sprechbehandlung gefallen ihm, wahrscheinlich auch die leichte, klassizistische Hand beim Komponieren und die fast altmodisch-gesetzte Faktur der Partitur.

Wie viele Male habe ich George getroffen, in Berliner Cafés, im Haus der Kulturen der Welt, in Friedrichshain oder in Charlottenburg, wo es Kuchen wie bei Oma gab. Immer wieder kam er angereist mit diesem Flug von der Länge eines Tages, nur um in Europa zu sein, dort, wo die Kultur herkommt, wo er selbst herkommt. Dieses Mal allerdings höre ich eine erschöpft-bittere Unternote bei ihm: „ Das ist das letzte Mal. Es wird kein nächstes Mal geben. Als ich vorhin im Doppeldeckerbus fuhr, sagte ich zu mir: Ich komme hier nicht mehr her. Es gibt nichts mehr, wofür ich herkommen müsste. Außerdem ist es mir hier zu kalt.“

George wird dem Publikum am Beginn des Konzerts als Ehrengast persönlich vorgestellt. Als hervorgehoben wird, dass er mit 97 Jahren extra aus Australien angereist sei, geht ein Raunen durchs Publikum. Da hat er ihnen immerhin gezeigt, was eine Harke ist, wie man so sagt. Zwei Reihen hinter mir kommentieren näselnde Opernfans: „Er und auch sein Sohn – die sprechen aber hervorragend deutsch!“  „Leute, da ist doch der ganze Wahnsinn inbegriffen, der ihm widerfahren ist –  Er war und ist deutsch!“ möchte man ihnen entgegenrufen. Sein ganzes künstlerisches Werk wurde von diesem Heimatverlust, der nostalgischen Sehnsucht nach seiner Heimat Deutschland, nach Wuppertal und Berlin geprägt.

Vielleicht nicht so sehr sein Didgeridoo-Stück. Was ist das für ein eklektisch-wunderbares, abseitiges, so ganz und gar besonderes Musik-Machwerk! Entstanden aus dem Auftrag einer Kulturinitiative der australischen Regierung im Busch, versuchte der damals 43jährige Komponist, die moderne Hochkultur aus 12Ton-Technik, Serialismus und klassischer Spieltechnik auf das heilige Instrument der Aborigines treffen zu lassen. George dazu immer wieder: „ Heute wäre das gar nicht mehr erlaubt! Das ginge heute gar nicht mehr!“. Heute allerdings trifft dieses Stück auf unsere Ohren, die im Radio die Weltmusik kennengelernt haben, und wird verstanden. Das Didgeridoo gibt den Drone, den orgelnden Welt-Bass, um den sich die Holzbläser wie erregte Girlanden schlängeln. „ Der Didgeridoo war viel zu laut!“ mäkelt George gleich herum „ Bitte setzt mich nicht neben den Spieler, damit ich ihn nicht beleidige, weil er so laut gespielt hat!“ Ich allerdings fand es sehr klasse so, präsent und dominant und ausgeformt. Allerdings nicht mehr das heilige Instrument mit seinem ominösen Klang, sondern ein modernes Weltmusik-Instrument.

Das Stück hatte die meisten Bravos des Konzerts. Es war ein Riesenerfolg. Was für ein Glück muss es für George sein, dass sein Stück neben Poulenc und Mozart besteht. Dass es von den besten MusikerInnen Berlins gespielt wird: „ Herr Dreyfus, wir mussten ganz schön viel üben!“ – „ Dafür seid Ihr doch da!“ Dass es in der Staatsoper Unter den Linden erklingt. Und dass ihr Komponist schon 97 ist und extra aus Australien anreist.

Bleib gesund, George, fare you well, wenn du heute deiner kalten ersten Heimat wieder den Rücken zukehrst!

Es war der  1. Dezember 2025.

 

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