Made in Marzahn – Folge 3

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20 Jahre Neue Musik im Jugendsinfonieorchester Marzahn-Hellersdorf an der Hans-Werner-Henze-Musikschule in Berlin / 40 Begegnungen mit Komponistinnen und Komponisten – eine persönliche Chronik ( Folge 3 : 2009-2013 )

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Gewidmet der Erinnerung an Hans Werner Henze, Matthias Kaul, Klaus K. Hübler und Georg Katzer.

 

2009-2013

12 ) Bernd Redmann und Terry Riley bei der Klangwerkstatt

Ein weiterer enger Freund von mir aus München, Bernd Redmann, kam  zu uns mit einem großen, fetzigen Ensemblestück, das er extra für uns geschrieben hatte: „evocación“ für 17 Instrumente.  Es basierte auf seinen Erlebnissen in Kuba, hatte ordentlich Feuer und u.a. auch vier Saxofone dabei. Durch Vermittlung und Förderung von Stefan Streich und Juliane Klein konnten wir damit im Herbst 2009 bei der Klangwerkstatt Kreuzberg im Künstlerhaus Bethanien auftreten. Wir waren inzwischen als Ensemble zusammengewachsen und konnten uns dort auch an eine Fassung von Terry Rileys „In C“ heranwagen!

Bernd Redmann, „evocación“ für 17 Instrumente, UA 2009

Terry Riley, „In C“

13 ) Francesco Filidei

Im selben Klangwerkstattkonzert  spielten wir  (  weit vor der offiziellen Uraufführung ) die deutsche Erstaufführung von Francesco Filideis „Puccini alla caccia“. Dieses wunderbare virtuose Stück, das bei uns sehr bald nur das „Vogelpfeifenstück“ hieß, benötigt für 8 Spieler/Innen einen ausgedehnten Set von  Vogeljagdpfeifen, die in Frankreich bei der Firma Fuzeau zu bestellen waren – das erledigte damals wie so vieles unsere Holzbläserdozentin und nimmermüder „Motor des Orchesters“ Karin Puppe – und dazu noch weitere Percussions- und Lautgeräte wie Rainmaker, Muhschachteln und  u.a. natürlich auch einen Spielzeug-Pistolenknall, mit dem Giacomo Puccinis Jagdbemühungen vors innere Auge und Ohr gerufen werden sollten. Diese ganzen Instrumente und Geräte waren in der sogenannten „Filidei-Kiste“ aufbewahrt, die für dieses Leib- und Magenstück der Jugendlichen zu den Aufführungsorten getragen wurde. Noch drei Jahre später bei unser Salzburg-Konzertreise im Sommer 2012 wurde dieses Stück gespielt ( dort zur Entrüstung einiger katholischer Konzertbesucher über die Entweihung des Kirchenraums!)

Mit der „Filidei“-Kiste vor der Philharmonie, 2010

„Puccini alla caccia“ in einer Kirche in Salzburg, 2012

Die Begeisterung für die Musik Francesco Filideis war derart groß, dass bald danach sein Klassiker für 6 Performer an einem großen Tisch in Angriff genommen wurde: „I funerali dell´anarchico Serantini“.  Auch dieses Stück wurde mehrmals aufgeführt, zuletzt mit der gleichen Marzahner Besetzung im ersten Konzert des neu gegründeten Landesjugendensemble Neue Musik Berlin 2013. Und hier lernten die jungen Musikerinnen und Musiker Francesco auch endlich persönlich kennen. Sie lernten fürs Leben, denn der jugendlich wirkende, schwarz gekleidete Komponist dieser allerverrücktesten, humorvollsten Musikstücke begegnete ihnen als trockener Norditaliener, zurückhaltend und ohne jeden erkennbaren Humor in der Probensituation. Das tat der Begeisterung für seine Musik aber keinen Abbruch.

Francesco Filidei, Puccini alla caccia, 2006 ( DE), RaiCom Edizioni Musicali, RTC- 2947

Francesco Filidei, I funeral dell´anarchico Serantini, 2005-2006, RaiCom Edizioni Musicali, RTC 3150

„I funerali…“ im Werner-Otto-Saal, Konzerthaus Berlin, 2013 ( Foto: Erik-Jan Ouverkerk )

14 ) Astrid Schmeling und Matthias Kaul

Ebenfalls als gemeinsames Projekt mit der Pappelhofschule fand 2010 eine Aufführung meines verstorbenen Freundes Matthias Kaul statt, sein Fahrrad-Stück „Cyclon“ für 6 Fahrräder, Violine und Fagott.
Hierbei waren sechs Zweier-Pärchen von jeweils einem Orchestermitglied und einem Schüler der Förderschule am Pappelhof an sechs umgekippten Fahrrädern tätig. Matthias hatte in der nur ihm eigenen, unverwechselbar forschenden und abenteuerlustigen Weise alle möglichen verrückten Klänge herausgesucht, die man auf einem Fahrrad hervorbringen kann, und die er uns damals alle selbst demonstrierte.
Zusammen mit Astrid Schmeling hat Matthias auch bei der Gelegenheit einen wunderbaren Kompositionskurs an der Hans-Werne-Henze-Musikschule gegeben, dessen Schwerpunkte elektrische Geräte waren, und der zu einem entzückenden und lebendigen Abschlusskonzert führte im Rahmen unseres zweiten großen Musikfestes „Unter Strom – Wir bauen Musik“, das von der Schering Stiftung gefördert wurde.

Matthias Kaul, Cyclon, Selbstverlag Matthias Kaul Winsen

„Cyclon“ von Matthias Kaul in Pappelhofschule, Marzahn 2010

15 ) Benjamin Schweitzer

Denn 2010 war für uns ein denkwürdiges Jahr:  der Marzahner Physiklehrer und Bastler Bernd Eichner baute für uns eigens ein Hybrid-Trautonium, einen Nachbau des legendären elektronischen Instruments aus den 30er Jahren! Zwei jugendliche Mitglieder des Orchesters, Christina Dietrich und Max Maudrich übernahmen den Solo-Part in unserem großen Auftragswerk, das Benjamin Schweitzer für uns schrieb: „Blindflug für Orchester mit Trautonium solo“. Und wieder konnte die Uraufführung im Rahmen unseres zweiten Musikfestes im Kammermusiksaal der Philharmonie stattfinden! Da das Trautonium keine Obertöne bildet, sind Christina und Max bei den Proben im stillen Kämmerlein schier halb verrückt geworden. Benjamin Schweitzer hatte aber genau diese Klangeigenschaften dem Gerät abgelauscht und in sein Stück verwoben. Hier eine Beschreibung in einer Zeitungskritik: https://taz.de/!376665/

Benjamin Schweitzer, Blindflug für Orchester mit Trautonium solo, UA 2009/2010, Schott Verlag

Das Hybrid-Trautonium von Bernd Eichner 2010

16 ) Paul Hindemith

Auch mit dem Trautonium als zentralem Thema fußten wir auf Paul Hindemiths Werk. Wir brachten mit Jan Gerdes als Solisten Hindemiths „Konzertstück für Trautonium und Streicher“ zur Aufführung, und, in einer eigenen Bearbeitung für Bläsergruppen im wunderbaren  Raum des Kammermusiksaals verteilt, Hindemiths 7 Stücke für 3 Trautonien

Paul Hindemith, Konzertstück für Trautonium mit Streicherbegleitung, 1931, Schott-Verlag

Paul Hindemith / Des kleinen Elekromusikers Lieblinge, 7 Stücke für 3 Trautonien, Schott-Verlag– UA der Bearbeitung von Jobst Liebrecht für 3 Bläsergruppen im Raum

17 ) Klaus K. Hübler

Im gleichen Konzert gab es ein weiteres modernes Klang-Stück, das den ganzen Raum des Kammermusiksaals eroberte: „Etwas was sich wiederholt: Wellen“ ein ungeheuer fantasievolles und poesiereiches Werk des damals noch im Konzert anwesenden Klaus K. Hübler aus München, bei dem sowohl die ganz kleinen Mitglieder des Nachwuchsorchesters mitspielen konnten, als auch die Jugendlichen einen eindrucksvollen Chor bildeten, der leise Geräusche an der Grenze zur Hörbarkeit beisteuerte.

Klaus Hübler, Etwas was sich wiederholt: Wellen , Tre Media Edition, TME725-01 / Ricordi

 Abschied:

Bei diesem zweiten Musikfest mussten wir die Gründerin und „Seele“ des JSO, Martina Feldmann verabschieden. Ihre Stelle, die auch die Orchesterarbeit organisierte, wurde vom Bezirk an der Musikschule gestrichen. Das Orchester geriet in heftige Turbulenzen. Nur durch öffentlichen Druck und große Proteste hielt der Bezirk an seinem Jugendsinfonieorchester Marzahn –Hellersdorf fest. Eklatant geschwächt an Personal, Möglichkeiten und Unterstützung wurde in den nächsten Jahren zunächst versucht, mithilfe eines neuen externen Organisators Sven Schabram, des Fördervereins und vieler Sponsoren weitere Projekte durchzuführen: Konzertreisen nach Salzburg 2012, Schwerin 2013 – zweimal ein Jugendorchesterfestival in Marzahn in 2012 und 2013. Die dort erkämpften großen Erfolge konnten nicht verdecken, dass auf die Dauer die Musikerzahl im JSO kontinuierlich zurückging.

Das JSO 2010 beim zweiten Musikfest „Machen ist besser als Fühlen“ in der Philharmonie ( Foto: Sven Schabram )

18 ) Igor Stravinsky in Waldsassen

Über den Großvater eines Orchestermitglieds wurden wir 2011 an die Basilika Waldsassen nach Nordbayern eingeladen. Dort gibt es eine der größten Orgeln Deutschlands, wofür mein Freund, der Kirchenmusikdirektor Andreas Fischer aus Hamburg anreiste, um dort mit uns das Poulenc-Orgelkonzert aufzuführen. Weiterer Höhepunkt dieses Konzerts, bei dem strikt nur geistliche Werke gespielt werden durften, war eine gemeinsame Aufführung mit dem Chor der Händelschule der „Messe“ von Igor Stravinsky, ein lange gehegter Traum von mir. Außerdem spielte ein Kammerensemble des Orchesters zusammen mit der Sopranistin Anna Schoeck die UA meines „Psalm 57“.

Igor Strawinsky, Messe, Boosey and Hawkes, Schott

Jobst Liebrecht, Psalm 57 (UA) Verlag Neue Musik Berlin

19 ) Philip Glass beim Classic Openair und im Foyer der Philharmonie

Ein weiteres Projekt im Jahr 2011 beinhaltete die Erarbeitung des Violinkonzerts von Philip Glass zusammen mit der damaligen Konzertmeisterin der Komischen Oper, Hannah Perowne. Hannah kam einige Male mit großer Geduld in die Pappelhofaula, und am Ende hatten wir ein wunderbares Gemeinschaftsgefühl bei den Aufführungen. Zuerst bei den Mittagskonzerten der Berliner Philharmoniker, die uns während unserer großen Orchesterkrise mit dieser Einladung unterstützen wollten. Hannah und ich stellen hinter der Bühne fest, dass wir beide schrecklich nervös waren, gleich unter den Augen von Albrecht Mayer im Foyer aufzutreten. Danach kam einige Wochen später beim Classic Openair die Kür – elektrisch verstärkt mit einer riesigen Anlage wummerte das Orchester wie eine riesige Rockband über den Fritz-Lang-Platz, und Hannah fiddelte wie eine Teufelin!

Philip Glass, Violin Concerto ( 1987 ), Wise Music Classical

20 ) Klaus-Peter Bruchmann

Im gleichen Konzert spielten wir für die Ballettgruppe von Sylvia Wolff den modernen Jazz-Bolero „Crescendo“ von Klaus-Peter Bruchmann, mit dem ich einige sehr nette Telefongespräche führte. Klaus-Peter Bruchmann war einer der bekanntesten Musical-Komponisten in der DDR. Sein „Crescendo“ – ungeheuer wirkungsvoll und durchaus schwer zu spielen – wurde im Friedrichsstadtpalast häufig gegeben. Als besondere Idee wurde dazu beim Classic Openair in den erleuchteten Fenstern rund um den Platz getanzt, was eine etwas halbseidene Wirkung entfaltete.

Klaus-Peter Bruchmann, Crescendo, Rundel Musikverlag

Vor dem Openair, Ecke Fritz-Lang-Platz / Kurt-Weill-Gasse, Berlin Hellersdorf

Das JSO Salzburg 2012 ( Foto: Jens Greif )  -Fortsetzung folgt-

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