Berliner Briefe – Senatskanzlei-Antworten zur Mittelstreichung für „Unerhörte Musik“ ab 2015
Erinnert sich noch jemand der Briefe an die Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten, an den neuen Staatssekretär Tim Renner wegen der Einstellung der jahrzehntelangen Senatsförderung für die einzige, zwischen jährlich 30 und 40 Konzerten umfassende Neue-Musik-Konzertreihe „Unerhörte Musik“ von Rainer Rubbert und Martin Daske im Berliner BKA-Theater? Auch ich hatte ein Schreiben nach einigen Hin und Her verfasst, da ich gerne aus dem fernen München mehr über die Umstände gewusst hätte, ausser der Wichtigkeit und Langlebigkeit der verdienten Konzertreihe und dass viele Kolleginnen und Kollegen bereits Brief schreibend aktiv geworden waren. Denn finanziell und konzeptuell wirft ein solch intensives Projekt schon einige Fragen auf, wie mit den um die 100.000 Euro betragenden jährlichen Fördersummen so viele Konzerte gestemmt werden können, ohne dass es für alle zur reinen Selbstausbeutung wird.
Wenn man die veröffentlichten Förderbeschlüsse durchackert und mit einigen Kennern der Berliner Szene spricht, wurde dies durch Mittelerhöhungen verbessert, so dass es für die Macher und die Gastierenden auf alle Fälle akzeptabel blieb und der Charme und Reiz dieser Konzertreihe, Berlin-fremden Neue-Musik-Künstlerinnen und Künstlern in der Bundeshauptstadt eine erste Plattform zu bieten und bekannteren wie unbekannteren Namen der Berliner Musiklandschaft selbst jeden Dienstagabend auf die Bühne des BKA zu bitten. Natürlich stösst man dabei auf Stammgäste, die aber immer wieder neben ihren Werken für Berlin überraschendes und neuartiges von Externen zum ersten Mal aufspielten, bevor Jahre später die grossen Festivals Ultraschall oder Märzmusik zur Kenntnis nahmen.
In meinem Schreiben hatte ich mich mokiert, dass man nur Fragmentarisches zur E-Musik-Jurybesetzung für das Jahr 2015 erfuhr und im Gegensatz zu den Vorjahren wohle kein Namen aus der Szene selbst mit an Bord war. Man könnte mir unterstellen, dass ich zwischen den Zeilen darin so etwas wie eine gute Gelegenheit für die Kulturadministration sah, mit anderen Jurymitgliedern die Bewerbung von „Unerhörter Musik“ um die erstmals ausgeschriebenen Mittel der bisher fix an die Konzertreihe vergebenen Summe ohne Widerstände bewerten zu lassen und im Falle anderer, für diese Jury interessant klingender Anträge, denen die Gelder zukommen zu lassen. Horcht man in die Berliner Szene hinein, hat wohl für 2015 eine neu installierte Reihe Neuer Musik mit angeblich nur noch monatlich einem Konzert im Heimathafen Neukölln den Zuschlag bekommen.
Warum man die Mittel überhaupt nach all den Jahrzehnten ausschrieb, bleibt allerdings in den Hintergründen nach wie vor schleierhaft: vor vielen Jahren hat die Kulturverwaltung wohl entschieden jenseits von üblichen Projektförderungen der GbR von Rainer Rubbert und Martin Daske als Träger und Organisatoren von „Unerhörte Musik“ jedes Jahr fest eine im Vergleich zu den anderen Einzelprojekten sehr hohe Förderung zu gewähren. Bedenkt man, dass dies bei staatlichen Theatern und Orchestern die Lebensgrundlage ist und Rubbert und Daske eine ähnlich regelmäßig mit festen, wöchentlichen Konzert stattfindende Institution gründeten, wirkt es alles andere als befremdlich da genauso zu verfahren. Nur liegt hier eben das Problem im Detail: der Staat ist hier nicht der Veranstalter, sondern „Private“.
So ergeht es allerdings vielen Reihen, Festivals und Ensembles der freien Szene. Sobald diese sich institutionelle Relevanz erarbeitet haben, beginnen die Probleme mit der Förderung, ist man plötzlich zu erfolgreich und gross, um noch in den vorgesehenen Förderrahmen zu passen. Diese Schicksal ereilte im freien Theaterbereich ab nächstes Jahr die Zeitgenössische Oper und das Solistenensemble Kaleidoskop: statt dem Erfolg Rechnung zu tragen, sie mit anderen Mitteln zu fördern, stehen diese plötzlich auch die „Unerhörte Musik“ vor vielen Fragezeichen. Interessanterweise führt Berlin ab dem Förderzyklus 2015 auch mehrjährige Projektmittelvergaben ein, wovon die drei aber nicht profitieren konnten: bei den beiden Theatergeförderten wohl aufgrund durch das Vertrauen in den Senat auf die gewohnten Wege an verpassten Fristen, die gleichzeitig mit ihren anderen Anträgen abliefen, bei der Konzertreihe sollte generell ein Wettbewerb um das Geld installiert werden.
Die Kulturabteilung der Senatskanzlei beruft sich dabei auch in anderen Antwortbriefen auf eine interne „AG Antikorruption- und Innenrevision“. Bei diesem Titel fragt man sich automatisch, was die Selbstausbeutung von „Unerhörte Musik“ mit Korruption zu tun haben soll? Die Verwaltung beruft sich auf das Transparenzgebot der Landeshaushaltsordnung, die im Gegensatz zu der bisherigen mehr als fünfundzwanzigjährigen Förderung der Reihe maximal nur noch fünf Jahre zulässt. Das heisst, dass nun erst Recht keine Institutionskonkurrenz aus der freien Szene den saturierten Staatsbetrieben der Kultur erwachsen kann. Zwar werden mit Intendanten auch gerne nur fünfjährige Verträge geschlossen, die aber bei beidseitiger Zufriedenheit schneller verlängert werden, als überhaupt externe Kritik fruchten könnte. Ausserdem hätten Ausschreibungsverfahren in der freien Szene eine wesentlich höhere Akzeptanz in der Künstlerschaft als die bisherigen Fördermodalitäten für die „Unerhörte Musik“. Aber weisen nicht all die Protestbriefe darauf hin, dass genau im konkreten Falle die Akzeptanz genau andersherum liegt? Das wird allerdings weiter nicht mehr interessieren, weil die aktuelle Entscheidung der von der Verwaltung eingesetzten Jury auf jeden Fall von der Senatskanzlei berücksichtigt wird.
Aber wie sah diese Jury nun aus? Laut der Abteilung für kulturelle Angelegenheiten hatte von den bisher üblich Berliner angefragten Künstlerinnen und Künstlern der Szene keine Zeit oder sei inzwischen aus Berlin weggezogen. So konnte man bisher nur die Namen von Julia Gerlach und Stefan Fricke veröffentlichen. Tatsächlich gab es noch zwei weitere Mitglieder, nämlich Margarete Zander und Andreas Göbel, das fünfte Mitglied sei bei der Abstimmung erkrankt gewesen. Nun sind dies grundsätzlich respektable Persönlichkeiten, die als Publizisten, Hörfunkmitarbeiter und Mitarbeiter bei öffentlich-rechtlichen Veranstaltern Neuer Musik Festivals wirken. Aber eben nicht originär als Künstlerinnen und Künstler. Natürlich sind absolut Berliner-Szene neutrale Mitglieder erst einmal auf der einen Seite eine gute Besetzung.
Aber wie einseitig und nicht neutral eine Bestallung von überproportional vielen in der Szene Wirkenden wäre, ist dies genauso einseitig und nicht unvoreingenommen. Denn wenn der Heimathafen Neukölln selbst die Konzertreihe in seinem Hause beantragt haben sollte, dann haben wiederum auf keinen Fall Kunstschaffende selbst die Initiative allein ergriffen, wie es eben vor vielen Jahren Rubbert und Daske als Komponisten machten. Überspitzt ausgedrückt schanzten zum Teil als Mitarbeiter von Hörfunk und von deren oder von anderweitigen halbstaatlichen, institutionalisierten Festivals anderen hauptamtlichen Mitarbeitern einer kleineren festen Institution zu, die verantwortungsbereiten, selbstorganisierten Künstler wurden gegen diese ausgespielt.
Zwar sagt die Verwaltung, dass sie hoffe, dass „Unerhörte Musik“ andere Finanzierungswege fände, zwar gratulierte der regierende Bürgermeister Rubbert und Daske vor ein paar Jahren zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der Reihe. In der akuten Notlage ist dies aber eben nicht mehr als ein feuchter Händedruck. Natürlich wurden beide bereits 2012 über die Ausschreibungsabsicht des Senats informiert. Aktiv scheint man aber seitens der Verwaltung nicht wirklich auf die beiden zugegangen zu sein, um eine neue Finanzierung zu finden. Die Art und Weise der Jury trug dann das Ihrige zum Streichdebakel bei. Nun muss man sehen, was die mutmasslich neue Reihe in Neukölln bringen wird. Eines ist aber jetzt schon deutlich: während die Szene nun weiß, wie wertvoll die Arbeit von Rubbert und Daske bisher gewesen ist, man bereits online nach öffentlichen Ehrungen ruft, ist manches Jurymitglied ohne Zutun und Erkenntnis einer ganzen freien Szene Medaillenträger.
Komponist*in