´Til I Die – Abschied von Brian Wilson

ein Nachruf von Jobst Liebrecht
„I’m a cork on the ocean
Floating over the raging sea
How deep is the ocean?
How deep is the ocean?
I lost my way
Hey, hey, hey
I’m a rock in a landslide
Rolling over the mountainside
How deep is the valley?
How deep is the valley?
It kills my soul
Hey, hey, hey
I’m a leaf on a windy day
Pretty soon I’ll be blown away
How long will the wind blow?
How long will the wind blow?
(Until I die)
Until I die
These things I’ll be until I die
These things I’ll be until I die
These things I’ll be until I die
These things I’ll be until I die
These things I’ll be until I die
These things I’ll be until I die
These things I’ll be until I die
These things I’ll be until I die
These things I’ll be until I die“
( Text und Musik: Brian Wilson )
In diesem Song, der ein leuchtendes Vermächtnis ist, ein uns immer wieder und so auch heute in unserer Trauer anrührendes piéce de resistance innerhalb des gigantischen Brian Wilson-Katalogs, nahm der Komponist schon 1971 innerlich Abschied. Die Familie, seine damalige Frau Marylin und seine damals noch lebenden Brüder Dennis und Carl hatten das auch genauso verstanden und waren in Todesangst um ihn.
Aber wie immer hieß es dann irgendwann: „Brian is back!“.
Umso schmerzhafter für uns alle, uns nun einzugestehen, dass dieser Abschied jetzt ein endgültiger ist. Brian Wilson ist tot. Niemals wieder wird dieser begnadete Musiker Melodien, Songs und Sounds neu erfinden. Niemals wieder wird er frotzelnd und improvisierend mit seinem messerscharfen Gehör eine Studiogruppe zusammenführen. Niemals wieder wird er auf seine inneren „Feels“ und Engelsstimmen hören und den MusikerInnen die Noten aufs Papier diktieren. Niemals wieder wird er den Gesang seiner Meisterchöre, die er um sich herum bildete, so durch und durch beseelen, wie man es etwa auf „Our prayer“ für immer aufbewahrt hören kann. Niemals wieder, oder wenn, dann im Himmel bei den Engeln.
Brian Wilson hatte sich viele Male von uns verabschiedet. Anfangs verließ er in noch jugendlichem Alter in Los Angeles sein belastetes Elternhaus und zog ein bei dem damals noch minderjährigen jüdischen Mädchen Marylin Rovell und ihrer Familie. Hier begann sein Schaffensrausch, denn anders kann man es wohl nicht nennen, wenn innerhalb von zwei bis drei Jahren mindestens 6 LPs mit mindestens 10 absoluten Tophits erscheinen. Diese Schaffensperiode, die eigentliche Beach Boys-Hoch-Zeit, wird von den Kritikern in der Fülle der Nachrufe auch gerade jetzt wieder unterschwellig abgewertet, aber der geniale Brian Wilson-Sound und seine unfassbare musikalische Perfektion waren damals sofort da. Man meckert bei Schubert und Mozart ja auch nicht an den Jugendwerken herum. Ich empfehle jedem, sich wahllos unbekanntere Nummern der frühen Beach Boys-Alben anzuhören. Hier ist eine der bekannteren:
Kurz darauf schon im Jahr 1964 verabschiedete sich Brian Wilson von seiner Boygroup auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs, weigerte sich, weiter mit seinem Bass auf die Bühne zu gehen, um als seelenvoll lächelnder und singender Fels in der Brandung vor kreischenden Teenagern zu stehen. Er lehnte es in Folge dann auch ab, ausgedehnte Tourneen und Reisen um die ganze Welt zu machen. Ein weiterer Abschied kam kurz darauf, als er aufhörte, die Surfsongs zu schreiben, mit denen seine Beach Boys ihren Welterfolg gemacht hatten, und sich der Musik als selbstbewusster Kunstform zuwandte. Dieses geschah willentlich mit „Pet Sounds“ und dann „Smile“, aber nicht im Sinne von einsamen Höhepunkten, sondern dieser Kunstwille kam auch vorher schon und nachher dann fast immer bei ihm durch. Brian Wilsons unbändige Experimentierlust findet man nicht nur auf diesen Alben, sondern überall und immer bei ihm. Von Soundexperimenten wie dem Crescendo und Decrescendo der gesamten Tonspur am Ende von „Help me Rhonda“ oder dem Abschalten der gesamten Aufnahme für eine sekundenlange Generalpause in „The little Girl I once knew“ ( was dazu führte, dass dieser Song nicht im Radio gespielt werden konnte, ich glaube es hätte einen Alarm ausgelöst oder so…) bis hin zu der Pop-Einführung immer neuer Instrumente wie dem Theremin oder dem Moog – die Liste ist lang und begleitet sein gesamtes Schaffen. Als dieser Kunstwille verbunden mit seiner Introvertiertheit zu Ärger und Misserfolg mit seiner Band und seiner Plattenfirma führte, verabschiedete sich Brian Wilson ein weiteres Mal, zog sich in Traumwelten „in my room“ zurück, tat nichts oder hörte nur einen Song tagelang. Der damit verbundene Lebensstil brachte den ersten für seine Fans wirklich tiefgreifenden Abschied, denn alle mussten sich da verabschieden von Brian Wilsons engelhaftem Falsettgesang – ist das nicht im Grunde ein erster Tod gewesen? Einige Zeit , in den 70er und 80er Jahren konnte er nur mehr krächzen, wie man z.B. stellenweise auf dem „Love You“-Album hören kann – später wurde es wieder etwas besser, aber die Jugend in der Stimme war dahin. Schon damals hätte er sich mehrfach auch fast aus dem Leben komplett verabschiedet. Er verabschiedete sich aus der Erziehung seiner beiden Töchter, war jahrelang im Grunde unzurechnungsfähig. Alle waren in ständiger Sorge um ihn, hatten Todesängste. Dann verabschiedete sich Brian Wilson jahrelang in Therapie. Während dieser Zeiten hat er allerdings fast immer weiter komponiert. Ein riesiger, teils obskurer Nachlass wartet darauf, gehoben zu werden. In dieser Zeit verabschiedete er sich auch von seiner ersten Frau Marylin, die sein Schaffen bis dahin immer begleitet hatte. Brian Wilson war verschwunden.
Aber auch da hieß es plötzlich in den 90er Jahren „Brian is back!“. Seine zweite Ehefrau Melinda Ledbetter brachte Stabilität in sein Leben, befreite ihn aus den Fängen von obskuren Therapiemethoden, und ermöglichte, dass Brian Wilson wieder aktiv auf die Bühne und ins Tonstudio zurückkehrte. Die einsetzende Freundschaft mit den jüngeren MusikerInnen um Darian Sahanaja von den Wondermints, die dann Brian Wilsons Band bis zu seinem jetzigen Tod werden sollten, führte zu großartigen Projekten wie zum Beispiel der Rettung von „SMILE“ im Jahr 2004 oder Tourneen mit orchestralen Live-Aufführungen von „Pet Sounds“, was bis dahin als schlicht unmöglich gegolten hatte. Ja sogar neue Platten wie „That Lucky Old Sun“ oder „No Pier Pressure“ erschienen. Daneben auch Liebhaberprojekte wie „Brian Wilson reimagines Gershwin“ oder die obligate Platte mit Weihnachtsnummern. Brian Wilson war zurück in der Unterhaltungsbranche Hollywoods, und er tummelte sich dort bis ins hohe Alter. Eine Bewertung dieser Schaffensperiode steht noch aus. Allgemeine Meinung der Kritiker ist, Wilson habe niemals mehr seine Höhepunkte der 60er Jahre erreicht. Aber wer weiß, wie man zukünftig urteilt. Lange Zeit hieß es zum Beispiel auch in Deutschland, Kurt Weill sei in Amerika nie mehr an die Dreigroschenoper und Mahagonny herangekommen.
Brian Wilsons letzte Auftritte fanden 2022 kurz nach Corona statt. Al Jardine berichtet jetzt in einem Interview, dass Brain Wilson damals unter Long Covid litt, was zu einer beginnenden Altersdemenz hinzukam. Trotzdem sei sein Tod jetzt unerwartet gekommen, noch im Mai habe er fröhlich mit ihm geplaudert und auch die stille Hoffnung gehabt, dass er sich bei der im Juli beginnenden Tour noch einmal kurz ans Klavier setzen könne.
Ich schließe mit einer persönlichen Erinnerung: Zu einer Feier haben mir Freunde vor kurzem ein kleines Konzert gespielt, an dessen Ende nach vielen anderen Musikstücken plötzlich auch „God only knows“ von Brian Wilson erklang ( charmanterweise mit Tablas begleitet ) Ich erinnere mich, wie bei den ersten Klängen und Akkorden ein körperliches Gefühl des Wohlseins, der restlosen Zustimmung zu einer So-und-nicht-anders-Musikperfektion mich durchströmte, für die der Vergleich mit Mozart eben nicht verkehrt ist. Wie bei diesem liegt das Geheimnis nicht in den musikalischen Kunstmitteln (… Quatsch, natürlich liegt es auch da, und jede Analyse eines Brian Wilson-Songs hat mich bisher bereichert hinterlassen…), sondern in dem Ton, in der rätselhaft beseelten Mitteilung, die uns die Töne immer wieder bei diesen Komponisten machen können. Und so hoffe ich, dass wir ähnlich wie bei den klassischen Meisterwerken auch bei jeder Wiederbegegnung mit einem Wilson-Song denken:
Brian is back!
RIP
( 14.6.2025 Jobst Liebrecht )