A Day in the Life of a Tree
Jobst Liebrecht
in memoriam Melinda Wilson
(von Jobst Liebrecht )
Die Konkurrenz der freundschaftlich wetteifernden Beach Boys und Beatles Mitte der 60er Jahre führte zu einigen der musikalisch aufregendsten Produkte des letzten Jahrhunderts. Paul McCartney, John Lennon, George Harrison und Brian Wilson feuerten sich gegenseitig in den zenithaften Jahren zwischen 1964 und 1967 zu immer neuen grandiosen Höhepunkten der sich zur Kunstform entwickelnden Popmusik an. Auf Rubber Soul folgte Pet Sounds, hinterließ dort Spuren, auf Pet Sounds folgte Stg. Pepper, hinterließ dort viele Spuren – und dann sollte Smile kommen, aber Brian Wilson wurde psychisch krank und stieg aus dem Wettbewerb aus.
Er sollte in den nächsten Jahren nicht mehr gesammelt, sondern nur noch sporadisch sich zu Wort melden. Verstreut über die folgenden Platten der Beach Boys finden sich meistenteils – mit Ausnahme von Friends – nur noch einzelne Brian Wilson-Songs. Heilige Reliquien sie alle für die wahren Fans: „This Whole World“, „Add some Music to your Day“ oder „All I wanna do“ – kostbare Preziosen, filigran und labil. Zusätzlich veröffentlichten seine beiden Brüder nach und nach Material aus dem Smile-Konvolut, so im Jahr 1971 sogar dessen Herzstück „Surf´s up“ als titelgebenden Song für ein ganzes Album.
Auf diesem Album finden sich daneben zwei weitere, ich möchte sagen: Granitsteine des Brian Wilson-Liedschaffens. Sie waren in der damaligen Situation von ihrem Komponisten wie ein verzweifeltes Vermächtnis gedacht: „Til I die“ und „A Day in the Life of a Tree“.
A DAY IN THE LIFE OF A TREE
https://www.youtube.com/watch?v=DBAhT-_dLes
Ist es nur ein Gedankenspiel, oder höre ich in diesem Titel Brian Wilsons lyrisch-versprengte, viel zu späte Antwort auf Stg. Pepper ?„ A Day in the Life of a Tree“ – es lohnt sich, diesen Song einmal mit dem berühmten „A Day in the Life“ auf dem Stg. Pepper-Album der Beatles zu vergleichen:
A Day in the Life ( Lennon, McCartney )
England, 1967 – Dauer: über 5 Minuten – collagenartig –
offene Form (verschiedene Musikstile, Wechsel der Erzählperspektiven) – überbordendes Klangbild ( Band, Orchester, Sounds ) – vor positiver Energie berstend – häufige Tonartwechsel – enthält viele schnelle Tempi – verschiedene Gesangsstimmen und Klänge : Beatles und Orchester
A Day in the Life of a Tree ( Wilson )
USA, 1971 – Dauer: knapp 3 Minuten ( davon 1 Minute Chor-Outro ) – meditativ –
geschlossene Form (Hymne in der Ich-Form) – reduziertes Klangbild (nur Orgel, Vögel, Gesang) -somnambul absterbend – nur eine Tonart, durch Orgelpunkte noch verstärkt – durchwegs langsam – ebenfalls verschiedene Stimmen: fremder Leadsänger ( Jack Rieley mit brüchiger Stimme ) Chor aus den Beach Boys und Gästen (u.a. Van Dyke Parks )
Ohne Zweifel wird hier jeweils eine völlig andere Version eines Tages im Leben dargestellt. Anders als die weltzugewandte Collage von „A Day in the Life“ zielt „A Day in the Life of a Tree“ als eine religiöse und leiderfüllte Hymne auf eine völlig andere Totalität. Es ist, als ob sie dem progressiven Ergreifen der Vielheit, wie es in der Avantgarde seit je postuliert wird, und wie es die Beatles hier in ihrem Meisterwerk lustvoll zelebrieren, die konservative, schmerzhaft subjektive Sicht des endgültigen Verlustes gegenüberstellt. Brian Wilson, so erzählt es der Tontechniker Stephen Desper, habe ihn durch seinen Garten geführt zu vielen alten Bäumen, die sie zusammen musterten. Der Impuls, für einen kranken Baum ein Lied zu schreiben, ist für mich wie der Anfang der Grünen Bewegung. Nicht mehr steht die Welt 1971 offen, sondern sie ist plötzlich durch Menschenhand in ihren natürlichen Grundlagen in größter Gefahr.
In dieser größten Gefahr greift die dadurch konservativ werdende Weltsicht zurück auf den Anker einer verblichenen Religion. Um die Majestät des sterbenden Baumes wiederzugeben, kommt Wilson auf den Klang einer Kirchenorgel, auf der barock klingende Akkorde unter einer treppenartig absteigenden Melodie gespielt werden. Ein Orgelpunkt, ein „Drone“ versinnbildlicht gleichzeitig die tiefe Verwurzelung des Baumes in der Erde. Es hat dann etwas unendlich Rührendes, wenn in der zweiten Strophe reale Vögel, die Wilson und Desper in seinem Garten aufgenommen haben,, die Baumkrone zwitschernd umfliegen. Und von hier aus erhebt sich das Lied dann in einen himmelwärts strebenden Klagegesang wie in einem Gospel „O Lord I lay me down / My branches to the ground / There is nothing left for me“
Die gospelartige Qualität der Komposition tritt auch hervor in einer Chorversion aus Neuseeland, hier zu hören und zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=dmuxdLFDpm4
Was äußerlich eine Klage über Umweltzerstörung ist, ist auf einer anderen , den meisten HörerInnen sofort verständlichen Ebene, die Darstellung einer tiefen Depression, die sich in dem absterbenden Baum wiedererkennt – es ist letztlich ein Lied über Brian Wilson selbst. Während die Welt in ihrer Vielheit immer neue turbulente Runden dreht, ist hier das private Leben zu einem Stillstand gekommen. Die innere Distanz zu der Außenwelt war für Brian Wilson zu diesem Zeitpunkt so groß, dass er das Lied nicht mehr selbst gesungen hinbekam. Ja, selbst sein Bruder Dennis mit seiner seelenvollen Stimme war ihm noch zu nah und zu intim und schön. Den anderen Beach Boys war der Song nach eigenem Bekunden viel zu depressiv. Wilson holte den Textdichter und Manager Jack Rieley mit fadenscheinigen Vorwänden vor das Mikrofon, bat ihn, mal probehalber nur als Hilfe das einzusingen, und ließ dann dessen brüchige, raue Stimme unfertig und hilflos durch den fertigen Mix weiterirren. Beach Boys-Klang in den Stimmen kommt erst im Outro dazu.. Hierdurch geschieht aber das, was Brecht den „Verfremdungseffekt“ nannte, das Ausstellen, und Kenntlichmachen durch größte Nüchternheit und Kunstlosigkeit, das Zerstören jeglicher Illusion, und dadurch die Möglichkeit für den Zuhörer, das Geschilderte objektiv zu bewerten. Jack Rieley hatte in der Tat die perfekt passende Stimme für den Text über den absterbenden Baum:
“Feel the wind burn through my skin
The pain, the air is killing me
For years my limbs stretched to the sky
A nest for birds to sit and sing
But now my branches suffer
And my leaves don’t bear the glow
They did so long ago
One day I was full of life
My sap was rich and I was strong
From seed to tree I grew so tall
Through wind and rain I could not fall
But now my branches suffer
And my leaves don’t offer
Poetry to men of song
Trees like me weren’t meant to live
If all this world can give
Pollution and slow death
Oh Lord I lay me down
No life’s left to be found
There’s nothing left for me
Trees like me weren’t meant to live
If all this earth can give
Is pollution
Trees like me weren’t meant to live
(Oh Lord I lay me down)
If all this earth can give
(My branches to the ground)
Is pollution and slow death
(There’s nothing left for me)
Oh Lord I lay me down
My branches to the ground
There’s nothing left for me”
(Text: Brian Wilson, Jack Rieley )
Wie ein Baum hat Brian Wilson selbst vielen Schicksalsschlägen und inneren Krankheiten getrotzt. In seinem Schatten konnten sich viele ausruhen. Möge diese innere Stärke ihm mit der Musik nach dem plötzlichen Tod seiner Ehefrau Melinda Ledbetter Wilson am 30. Januar diesen Jahres erhalten bleiben.